Samstag, 21. Februar 2015

Alois Prinz über Ulrike Meinhof: Lieber wütend als traurig.

Es gibt mehrere Biographien über Ulrike Meinhof - nur wenige sind so gelungen wie die Alois Prinz': Lieber wütend als traurig. 

Lieber wütend als traurig betitelt Alois Prinz seine Lebensgeschichte der als traurig betitelt Alois Prinz seine Lebensgeschichte der Ulrike Meinhof, seine Protagonistin zitierend, doch hat man den Eindruck, er selber sei bei Abfassung des 2003 erschienenen Buches genau umgekehrt verfahren, ursprünglich übrigens ein Jugendbuch, doch später vom Suhrkampverlag in dessen Taschenbuchreihe aufgenommen. Die ursprüngliche Publikumsintention darf deshalb nicht vergessen werden – dem Buch hat sie keinesfalls geschadet, im Gegenteil.

Skeptischer Blick auf eine Ikone der Bundesrepublik

Prinz behält sich von Anfang an eine gewisse Skepsis vor, seine Antwort auf die Frage, wie aus einem mehr oder weniger normalen Mädchen später eine gesuchte Terroristin werden konnte, die später Banken überfiel und es vertretbar fand, „Bullenschweine“ abzuknallen, macht er sich weit weniger einfach als etwa Jutta Ditfurth in ihrer Biographie – sofern sie überhaupt danach sucht – und er räumt ein, dass eine große Gefahr darin besteht, erklärende und scheinbar folgerichtige Linien herzustellen, wenn man ein Leben von seinem Ende her betrachtet.

Distanz und Einfühlungsvermögen als Mittel des Autors

Geradezu erfrischend ist sein Hinweis, so manche gern kolportierte Anekdote, im konkreten Fall die von der aufsässigen Schülerin Ulrike, die nach einem Disput kurzerhand aufsteht und die Schulklasse verlässt, gehört vielleicht schon zur Mythenbildung. Er mag seinen eigenen Kriterien nicht immer standhalten, beispielsweise in der fast schon märchenhaften Geschichte, als die kleine Ulrike auf dem ehemaligen Jenaer Schlachtfeld ein Kaninchen aus einer Höhle rettet, und gelegentlich erweckt er den Eindruck, als würde er sich soweit zurücknehmen, dass sein eigener Standpunkt nicht mehr zu erkennen ist oder gar mit dem ungefiltert Berichteten übereinstimmt, doch geht sein durchaus vorhandenes Einfühlungsvermögen nie ernsthaft in die Nähe rechtfertigender Identifikation.
Symptomatisch hierfür: Ulrike Meinhof wollte die entflohenen Heimzöglinge überreden, bei einer Protestaktion in anderen Heimen mitzumachen, um darüber berichten und Fotos machen zu können. Herbert Faller wollte das verhindern. Er fand Ulrike Meinhofs Verhalten äußerst fragwürdig. Seiner Meinung nach interessierte sie sich überhaupt nicht für das persönliche Schicksal der Jugendlichen, sondern wollte sie nur für ihren Artikel ausnutzen. Eine Kritik an Meinhof, weitab von Verklärung, die sich ihre anderen Biographen Mario Krebs oder Ditfurth nie erlaubt hätten.

Entlarvung einer gewordenen Fanatikerin

Prinz erkennt auch richtig, dass viele der Argumente – und Handlungen – der späteren Ulrike Meinhof nicht aus ihren früheren Äußerungen abgeleitet werden können oder gar deren konsequente Weiterführung wären, sondern ihnen widersprechen, etwa ihre Aufforderung im Interview mit Michèle Ray, einen Polizisten nicht mehr als Mensch anzuerkennen, womit sie sich weit von ihrem früheren, christlichen Menschenbild entfernt habe, was fast schon zu lapidar klingt. Stattdessen nun ein heroischer Trotz, der einen an die Standhaftigkeit großer Freiheitskämpfer oder Heiliger erinnert. Es ist eine Unbeirrbarkeit, die sich um keinen Preis mehr von ihrer gerechten Sache abbringen lässt, sie ist zu dicht, zu fugenlos für Veränderungen, neue Einsichten, Zweifel, kurzum sie geht über in den Fanatismus.

Keine heimliche Sympathie für den Terror

Prinz geht auf die Mythen ein, aber er wahrt seine Distanz, die „Isolationsfolter“ bleibt in Anführungsstrichen, für Holger Meins’ menschenverachtende Aufrufe in den Hungerstreiks hat er nichts übrig, Baader nennt er skrupellos oder, noch einen Schritt weiter, jedenfalls trat er so auf, im Stammheimer Prozess entdeckt er Szenen wie in einem absurden Theaterstück, in dem alle Beteiligten – bewusst und unbewusst – völlig aneinander vorbei reden, jeder sich selbst inszeniert. Dagegen sind seine Äußerungen zu den jeweiligen Mordtheorien, sowohl in Bezug auf Ulrike Meinhof als auch den späteren im Deutschen Herbst, wieder seltsam vage, die Selbstmorde wurden von vielen abgezweifelt; diese Aussage bleibt mehr oder weniger leer im Raum stehen, auch wenn dann in dem Ausdruck, die eigene Haltung hierzu wurde zur Glaubensfrage, doch eher wieder Distanz herauszuhören ist.

Der Familienmensch Ulrike Meinhof

Prinz’ Buch wandte sich zuerst an eine jüngere Leserschaft, deshalb bildet einen seiner Schwerpunkte auch der Familienmensch Ulrike Meinhof, insbesondere das Verhältnis zu ihren Töchtern. Er verweist auf Unterschiede zu den kategorischen Trennungen der Mitterroristen von ihren Kindern, sei es Baader, Ensslin oder auch Till Meyer von der Bewegung 2.Juni, Ulrike Meinhof sei es längst nicht so leicht gefallen, ihre Kinder zu verlassen. Trotzdem schickte sie die Zwillinge erst in das sizilianische Lager, das keineswegs das von Jutta Ditfurth beschriebene Idyll war, von lustigen Hippies geleitet, [w]enn eines der Kinder krank war oder Hunger hatte, wollten sie davon nichts wissen und in Ruhe gelassen werden.
Nachdem der Plan mit dem palästinensischen Waisenheim und damit die komplette Trennung gescheitert war, knüpfte die Mutter im Gefängnis kurzzeitig wieder Kontakt zu ihren Kindern, doch Ulrike Meinhof machte es ihren Töchtern schwer, ihre „Mami“ zu verstehen. Bettina und Regine schrieben und malten, aber ihre Mutter antwortete plötzlich nicht mehr. Prinz sucht nach Gründen und glaubt sie indirekt im Druck der anderen, insbesondere von Gudrun Ensslin zu finden, beziehungsweise dem Druck der Selbstkritik, dem sich Ulrike Meinhof ebenso fanatisch wie selbstzerstörerisch aussetzt, sich von ihrem verachteten bürgerlichen Leben loszusagen, [g]ehörten zu dieser „scheiße“ nicht auch die Schuldgefühle, die sie befielen, wenn sie an ihre Töchter dachte?

Distanz zur Mythologisierung einer Terroristin

Ehemalige Weggefährten wollten, zwanzig Jahre nach ihrem Tod, jenseits aller Klischees, an eine Ulrike Meinhof erinnern, wie sie wirklich war. Die Erinnerungen blieben aber merkwürdig blass und kamen selbst über Klischees nicht hinaus, eine allgemeine Zustandsbeschreibung, die sich noch immer kaum verändert hat. Alois Prinz hat einen durchdachten Ansatz gewählt, der ihn viele der Klischees hat vermeiden lassen, ohne rein anklagend oder polemisch zu werden, er gibt zu, er wäre ihr gern noch näher gekommen, hätte sie gern besser verstanden. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, als ob sie immer undeutlicher wird, es bleibt nur eine gewisse Ratlosigkeit. Dieses Eingeständnis mag ja für manchen Leser unbefriedigend sein, aber es beweist eine skeptische Aufrichtigkeit und bleibt fern von jeglicher falsch verstandener Solidarität.

Alois Prinz: Lieber wütend als traurig. Die Lebensgeschichte der Ulrike Meinhof. Frankfurt/Main. Suhrkamp 2006.

An einer Biographie über Ulrike Meinhof haben sich schon andere versucht, unter anderem Mario Krebs. Eine Besprechung seines Buches findet sich hier: http://bene-a-rebours.blogspot.de/2015/07/ulrike-meinhof-ein-leben-im-widerspruch.html