Mittwoch, 14. Dezember 2016

Sandalenfilme nach der Jahrtausendwende (III): Centurion.


Centurion

Centurion UK/F 2010 95 min

Regie: Neil Marshall

Drehbuch: Neil Marshall

DarstellerInnen: Michael Fassbender (Quintus Dias), Dominic West (Titus Flavius Virilus), Olga Kurylenko (Etain), Noel Clarke (Macros), Liam Cunningham (Ubriculius „Brick“), David Morrissey (Bothos), Riz Ahmed (Tarak), JJ Feild (Thax), Dimitri Leonidas (Leonidas), Imogen Poots (Arianne), Paul Freeman (Agricola), Ulrich Thomsen (Gorlacon), u.v.m.

 

Nachdem in der Letzten Legion Aurelius und seine Mitstreiter urplötzlich zu Ausgestoßenen geworden waren, scheint sich der Film in ein bekanntes Schema zu fügen. Früher nach einem gewissen Kinderlied benannt, ergibt sich ein Abzähl- oder genauer ein buchstäbliches Countdown-Prinzip: eine klar umrissene Gruppe weniger Personen wird durch äußere Umstände verschiedenster Natur jeweils bis zum Ende hin peu à peu reduziert, bis nur noch ein Pärchen, der oder die Protagonistin oder in der sehr pessimistischen Variante niemand mehr übrig bleibt. Diese Struktur ist besonders im Horrorfilm äußerst beliebt, im Sandalengenre jedoch eher selten anzutreffen – tatsächlich verliert Aurelius von seiner Truppe nur ganz zu Beginn und kurz vor dem Ende jeweils einen Mitstreiter, insgesamt bleibt die Kerngruppe intakt. Anders dagegen verhält es sich in Centurion, ebenfalls einer hauptsächlich britischen Produktion, die einige Parallelen zu ihrem Vorgänger besitzt, mit ihren Hauptfiguren allerdings weitaus weniger glimpflich umgeht.

            Die nördliche Provinz Britannien zum Ende der Regierungszeit Kaiser Trajans. Zwar hat man Teile des heutigen Schottlands ebenfalls besetzt und mit Garnisonen versehen, doch fehlt der entscheidende Erfolg, um auch diesen Rest der Insel endgültig der Provinz einverleiben zu können. Ein von den einheimischen Pikten des Häuptlings Gorlacon geführter Guerillakrieg zermürbt die Besatzungstruppen, weshalb der römische Statthalter Agricola beschließt, durch den Einmarsch der 9. Legion unter deren General Virilus dem Treiben unwiderruflich ein Ende zu setzen. Geführt von der stummen piktischen Fährtenleserin Etain finden die Legionäre den Zenturio Quintus Dias, Überlebender eines Überfalls auf ein Kastell, der Gorlacon entkommen ist. Etain allerdings erweist sich als Verräterin, welche die Legion in einen Hinterhalt mitten im Feindesland geführt hat: in einer Mulde im nebligen Wald werden  die Römern vernichtend geschlagen, nur wenige entkommen dem Gemetzel, darunter Quintus Dias mit sechs Gefährten. Nachdem sich herausgestellt hat, dass der General nicht getötet, sondern in Gorlacons Dorf verschleppt wurde, entschließt sich die kleine Resttruppe zu einem Befreiungsversuch. Dieser scheitert, bestimmt jedoch fortan das Schicksal der sieben Legionäre: einerseits gibt der General Quintus Dias den Befehl, die Männer sicher zurück auf römisches Gebiet zu führen, andererseits tötet einer der Soldaten den Sohn Gorlacons, der daraufhin Blutrache schwört und Etain beauftragt, mit mehreren Kriegern die flüchtigen Römer zu verfolgen und umzubringen. Es beginnt ein Wettlauf zwischen den Pikten und den Römern, die sich in unbekanntem Gebiet und bei widrigen Wetterverhältnissen bis zur Grenze durchschlagen wollen. Dort wird am Ende nur Quintus Dias ankommen. Hinter dem im Bau befindlichen Hadrianswall erfährt er im Quartier des Statthalters nicht nur, dass das Projekt Eroberung des Nordens inzwischen aufgegeben wurde, sondern er entgeht nur knapp einem Mordanschlag Agricolas, der verhindern möchte, dass man ihm in Rom das Versagen der 9. Legion vorhält. Quintus Dias flieht zurück auf piktisches Gebiet zu der Außenseiterin Arianne, die den Römern auf der Flucht Schutz gewährte – somit ist der letzte Zeuge des Untergangs der 9. Legion doch noch wie sie selbst verschwunden.

            Dieses Mal sind folglich die Männer der 9. Legion alles andere als in den Ruhestand getreten. Tatsächlich ist der Mythos um diese Armee im populären Gedächtnis bei den Briten ähnlich präsent wie in Deutschland vielleicht die Varusschlacht, die andererseits weit weniger Leinwandpräsenz hatte. Die Legion wurde letztmals 108 nachgewiesen, anschließend hat sich ihre Spur im wahrsten Sinne des Wortes verloren – die Behauptung des Regisseurs und Drehbuchautors Neil Marshall (der nebenbei aus Newcastle upon Tyne stammt, also vom östlichen Ende  des Hadrianswalles), die Ansicht, die Armee wurde bei einem Einsatz im Norden komplett aufgerieben sei historisch widerlegt, but the legend is better than the truth, ist so nicht ganz richtig. Diese Theorie war einst die ursprüngliche, doch schien sie durch Erkenntnisse, dass die Legion oder größere Teile von ihr nach Germanien an den Rhein verlegt worden waren, entkräftet. Eine nicht unbedeutende Fraktion jüngerer Forscher hält heute allerdings den Untergang bei einer gescheiterten Nordexpedition um 120, der ungefähren Zeit kurz vor der Errichtung der Befestigungslinie aufgrund der neuen defensiven Strategie Hadrians durchaus für möglich. Die gelehrte Diskussion ist alles andere als abgeschlossen.

            Wie Die letzte Legion und der Adler der Neunten Legion liefert Centurion ergo einen Beitrag zum Mythos. Der Beginn des Filmes hebt sich nicht von vielen Vorgängern ab: Blick auf eine Karte mit lateinischen Namen, die Ausgangssituation wird durch Texteinschübe vorgestellt. Das dritte klassische Einstiegsmittel, die Erzählerstimme aus dem Off, in diesem Fall des Zenturios Quintus Dias, wird später nachgereicht. Dazwischen liegt jedoch ein außergewöhnlicher Bruch zum Genre. Dieses ist, Folge der historischen Vorgaben, zumeist im erweiterten Mittelmeerraum angesiedelt, südlich-sonnig. Die auf den kurzen Prolog folgenden Einstellungen präsentieren jedoch keineswegs eine Sand-, sondern eine Schneewüste: in minutenlangen Fahrten bzw. Flügen schwebt die Kamera über vereiste und raue Gebirgslandschaften, bevor ein winziger Mensch sichtbar wird, vereinzelt und holprig sich fortbewegend. Im Vorgriff auf späteres Geschehen sieht man den entflohenen Gefangenen Quintus erstmals auf der Flucht. Die Aufnahmen versinnbildlichen gleich mehrere Kontraste. Inmitten der weiten und leeren Landschaft wirkt der Mensch nicht nur verloren, sondern auch ausgeliefert, ein sichtbarer Fremdkörper; dies wird dreifach symbolisch unterstrichen. Quintus ist verletzlich, noch immer von den erlittenen Folterungen gekennzeichnet; er ist unfrei, da er noch immer die Handfesseln trägt; und er ist buchstäblich ein Fremdkörper, der sich halbnackt durch die feindliche Umgebung schlägt. Ein Schicksal, das sich für ihn und seine Kameraden später wiederholen wird. Die Römer haben hier nicht nur die Menschen – die Pikten – sondern auch die Natur als Gegner. Wobei nicht vergessen werden darf, dass es nur die Menschen sind, die töten. Keiner der Figuren im Film wird Opfer der Natur, nur der Mitmenschen.

            In Centurion fällt der Versuch auf, möglichst authentisch wirken zu wollen. Auf die Ausstattung und ihre Akkuratheit wurde sehr viel Wert gelegt, was wohltuend von den üblichen Mischmasch- oder Phantasie-Uniformen und -Gerätschaften abweicht: die Rüstungen, Waffen, die Kleidung, aber auch die halbprovisorischen Kastelle – aus Holz und mit Zelten als Innenbauten – sowie das Piktendorf orientieren sich an den historischen Vorgaben. Sicher, es gibt auch hier diesen oder jenen Mangel, so trugen die Legionäre im Westen und Norden des Reiches zumeist die leichtere Kettenhemdenausrüstung statt der schweren lorica segmata, und die Offiziere nicht ständig ihre Auszeichnungen auf der Brust, doch im Großen und Ganzen kommt man den Originalen recht nahe. Ein liebevolles Detail ist beispielsweise, dass Quintus im verlassenen Nordkastell zum Anzünden eines umgestürzten Wagens eine Öllampe in antiker Form ausgießt. Die überlieferten Zeitabläufe werden ebenfalls grob eingehalten. Umso erstaunlicher ist eine frappierende Auffälligkeit: der Name des Statthalters Agricola. Zwar war ein Mann dieses Namens Statthalter in Britannien, doch gut vierzig Jahre früher. Wir kennen ihn und seine Amtszeit im Norden ziemlich genau, denn er hatte einen berühmten Schwiegersohn, der seine Biographie verfasst hat: Tacitus. Der historische Agricola war auch keineswegs ein reiner intriganter Schreibtischstratege, sondern als Feldherr Sieger gegen die Nordstämme in der berühmten Schlacht am Mons Graupius 83 oder 84 n.Chr. – an der auch die 9. Legion teilnahm. Die Völker des Nordens nannte man damals auch noch nicht Pikten, sondern zusammenfassend Caledonier, der erstere Begriff taucht erst im 4. Jahrhundert nach Christus auf. Das Piktische, das im Film gesprochen wird, ist aufgrund mangelnder Kenntnisse über diese Sprache schottisches Gälisch, dafür jedoch tatsächlich akkurat, d.h. die Schauspieler sprechen auf Gälisch die in den Untertiteln übersetzten Sätze.

            Auch dies verweist darauf, dass man sich viel Mühe gemacht hat, die erwähnte Authentizität herzustellen. Nicht in geringem Umfang gehört hierzu, dass in Schottland gedreht und dabei keinerlei Rücksichten auf die Befindlichkeiten der Schauspieler genommen wurde, was Wetterverhältnisse und die Umgebung anging – die Darsteller mussten in ihrer Kleidung bzw. Rüstung ins Wasser oder in den Dreck, wenn dies erforderlich war. Frost, Regen und Schneefall sind tatsächlich überwiegend Frost, Regen und Schneefall. Einen seltsamen Kontrast zu diesem Realismuskonzept bieten deshalb die sehr auffälligen Kampf- und Folterszenen. Hier wird nicht an Übertreibungen gespart. So sehr es dem Film gelingt, etwa das langwierige und zermürbende Warten der Soldaten abzubilden, ihren Frust über das Verweigern der Pikten, sich in eine offene Feldschlacht zu begeben, und so sehr lobenswert es ist, dass die Grausamkeit nach der Schlacht gezeigt wird, wenn Quintus und die wenigen Überlebenden gänzlich unheroisch zwischen den vielen verstümmelten Toten hindurchgehen – ein im Sandalenfilm selten gezeigtes Bild – so übertrieben brutal wirken die jeweiligen Kampfszenen. Es gibt kaum Gliedmaßen, die nicht irgendwann irgendwem abgetrennt werden und keine Waffe vom Pfeil bis zum Metzgerbeil, die nicht irgendwann irgendwem in den Körper fliegt, dem Zuschauer bleibt kaum etwas erspart. Während die vorher erwähnten Szenen in ihrem Bemühen, das wenig romantische Bild der antiken Kriegsführung hervorzuheben, neue Wege gehen, wirkt diese Liebe zum Splatter zu plakativ. Erklärbar ist sie vermutlich aus der Herkunft des Regisseurs vom Horrorfilm, wo er sich mit solchen Szenarien einen Namen gemacht hatte – negative, aber konsequente Folge: in Deutschland trug dies dem Film ein FSK-Urteil 18 ein.

            Anders als bei solch einem cineastischen Vorleben des Autorenfilmers Marshall möglicherweise erwartbar, hält sich Centurion ebenfalls wohltuend (fast) von jeglichem metaphysischen Überbau fern. Übernatürliches, Mystisches oder den christlichen Einschlag zahlreicher Streifen des Genres sucht man vergebens – im Gegenteil. Dort wo es aufzutreten scheint, wird jeweils eine rational-nüchterne Gegenerklärung mitgeliefert. So werden die beide stark kontrastierenden Frauengestalten Etain und Arianne zwar als eine Art schamanische Zauberin präsentiert: Etain erweist sich als untäuschbare Verfolgerin, die auch gewisse Riten vollzieht, Arianne ist das positive Gegenbild, welches medizinische Kenntnisse besitzt und die Natur, in der sie lebt, um sich herum beherrscht. Genau dies ist bereits die Erklärung: beide Figuren ziehen ihre Vorteile lediglich aus genauer Kenntnis der Natur, die Riten Etains sind nur Bei- oder Blendwerk. Ihre Eigenschaft als hervorragende Fährtenleserin hat nichts Übernatürliches, sondern beruht auf genauer Beobachtung, auch wenn dies den Legionären unheimlich vorkommt, die sie als demon und part-wolf beschreiben. Angemerkt sei, dass sie ihr die Spurensuche kaum sehr schwer machen: nicht nur lassen sie das getötete Wild offen in der Landschaft liegen, mehrfach laufen sie mitten durch freie Schneeflächen, dadurch deutliche Schneisen hinterlassend.

 
            Etain und Arianne sind trotzdem bezeichnend für das – wieder einmal – eher eindimensionale Frauenbild des Sandalenfilms auch im 21. Jahrhundert. Immerhin wird der historische Befund, der von einer hohen Stellung der Frau unter den Pikten ausgeht, wiedergegeben, denn Etain führt das Verfolgungskommando an und unter den Kriegern gibt es auch Frauen; gehandelt wird gleichwohl nach dem Willen Gorlacons. Olga Kurylenkos Rolle bleibt zwiespältig: sie ist, wie schon Mira in der Letzten Legion, eine Art weibliche Actionheldin, allerdings negativer Art. Sie ist auch nicht reine Täterin, sondern wie Gorlacon, Opfer römischer Gewalt, als deren Konsequenz sie ihre Familie und ihre Zunge verloren hat, weshalb sie stumm ist. Ihr Selbstbewusstsein beruht folglich auf einem unversöhnlichen Rachegedanken – einem persönlichen Feldzug gegen die Römer. Zwar ist sie eine starke Figur, wenn man so möchte, doch unweigerlich auch die böse, rein emotional angetriebene Hauptgegnerin. Humanität in irgendeiner Form ist von ihr nicht zu erwarten. Dies fällt naturgemäß insbesondere durch ihr Gegenstück auf: Arianne, kein Opfer der Römer, sondern ihres eigenen Volkes, wirkt weiblich, was sich unter anderem in ihrer Kleidung ausdrückt, sie ist keine Kriegerin, sondern übernimmt traditionell frauliche Aufgaben: Kochen und Heilen. Statt Verfolgung gewährt sie Zuflucht, so dass Quintus sich am Ende wieder in diese Geborgenheit zurückbegibt. Es gibt noch eine dritte weibliche Person von Bedeutung in dem Film, die Frau des Statthalters Agricola. Sie macht den Vorschlag, den heimgekehrten Quintus zu töten und sie war es auch –  wie eine geschnittene Episode belegt – die das ganze Vorhaben des Feldzugs gegen die skeptischen Generäle überhaupt durchgesetzt hatte. Am Anfang des gesamten unglücklichen Verlaufes steht folglich eine Frau. Keine der drei Figuren weicht von gängigen Schemata ab.

            Ein weiteres gängiges Schema wurde bereits im Verhalten der Frau Agricolas angedeutet. Sein Beweggrund, endgültig den Sieg über die Pikten herbeizuführen, ist weder politisch noch militärisch, sondern eigennützig: kurz vor seinem Aufbruch nach Rom möchte er dort einen Erfolg aufweisen, um sich für höhere Ämter zu empfehlen. Skrupel, dieses egoistische Motiv vor Virilus, dem Kommandanten der 9. Legion, zuzugeben hat er nicht, beruft er sich doch auf seine Befehlsgewalt. Dieser hält ihm anschließend den geradezu klassischen Satz entgegen: Governor, you’re the politician, I’m just a simple soldier. Erneut trifft der intrigante, korrupte und ränkeschmiedende Politiker auf den ehrlichen und einfachen Soldaten, der diesem als Spielball dient. Dass hier der zeitgenössische Hintergrund der Entstehung des Filmes mitspielt, macht auch ein Satz Quintus’ deutlich, den er angesichts der neuen Politik Hadrians äußert, sich hinter eine starke defensive Position zurückzuziehen: Then we fought for nothing. Der Soldat erscheint ein weiteres Mal nur als Schachfigur von Verhältnissen, die er nicht durchblickt und die ihm unsinnig erscheinen – dementsprechend lässt Agricola am Ende das Symbol der 9. Legion auf seiner Generalstabskarte, eine Reiterstatue, buchstäblich von der Bildfläche verschwinden.

            Die Charakterisierung der Legionäre geht folgerichtig nicht über das gewohnte Maß an Kameraderie, Männlichkeitsritualen und zotigem Humor hinaus. Abgott der Soldaten ist ihr General: scholar, father, brother, god, wird er halbironisch genannt und in der Beschreibung, er sei ein ruthless, reckless bastard liegt nicht Verachtung, sondern Faszination: and I’d die for him without hesitation. Dies markiert den schwächsten Punkt des gesamten Filmes: selbst der stets melancholisch-nachdenklich wirkende Quintus, der nicht dem Ideal eines unreflektierten Haudraufs entspricht, werden ungemein plumpe Sätze in den Mund gelegt wie My father – nebenbei: ein berühmter Gladiator – taught me that in life, duty and honour matter above all things. Das möchte man nicht hoffen. Grotesk auch seine pseudophilosophischen Gedanken auf der Flucht: These men are the best I’ve ever seen. Am I worthy to lead them? Der erste Teil ist offensichtlich ein krasses Fehlurteil: unter ihnen befinden sich Nörgler wie Macros, der sich nur widerwillig den Anweisungen Quintus fügt, ein zwar sympathischer, aber doch kaum unter soldatischen Anforderungen als the best I’ve ever seen zu betrachtender Koch aus dem Tross und der Verräter und Verursacher der derzeitigen Misere Thax. Über wenig mehr als Phrasenhaftes erheben sich die Dialoge des Filmes leider kaum.

            Mit der verheerenden Niederlage im Wald, von der man sich vermutlich durch die Varusschlacht hat inspirieren lassen, beginnt das anfangs erwähnte Abzählschema. Die wenigen Überlebenden sind ab diesem Zeitpunkt Freiwild für die siegreichen Pikten, die Jagd auf dem Gemetzel entkommene Legionäre machen. Dieser Suche entkommen die sieben Soldaten unter dem Kommando Quintus’ zwar – sie sind eine gelungene Repräsentation der Größe des Römischen Reiches mit Mitgliedern aus allen drei damals bekannten Kontinenten – doch setzt sie das misslungene Vorhaben der Befreiung des Generals einer erneuten, nun noch zielstrebigeren Verfolgung aus. Der Grund hierfür ist jedoch ein neuer: in einer seltsam schwammigen Schlüsselszene tötet der Legionär Thax heimlich den Sohn Gorlacons. Undeutlich bleibt die Szene, weil es erst so wirkt, als würde Thax den Jungen, der ihn in der Hütte des Häuptlings zufällig aufstöbert, versehentlich beim Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, erwürgen. Den eigentlichen Tötungsakt sieht man nicht. Als er die Hütte verlässt, schickt er dem nun toten Kind ein for the Ninth hinterher – was wiederum nach vorsätzlicher Rache klingt. Da er außerdem vorher bereits als nicht gerade sympathischer Charakter eingeführt worden ist, der sich grob sexuell an Etain herangemacht hat, und aufgrund seines späteren Verhaltens wird eine negative Lesart zwar eindeutig bevorzugt, aus der Szene selbst geht sie jedoch nicht unbedingt hervor. Wie auch immer, die Folgen sind klar: Gorlacon will Rache an den verantwortlichen Römern. Deren ständige Flucht wird verkörpert durch das Laufen. Wenn sie sich nicht gerade ausruhen, sind sie in Bewegung, Sinnbild ihrer Unfreiheit. Selbst das geschnitzte Pferd, das Quintus als Geschenk Arianne hinterlässt, ist in einem Moment der Bewegung festgehalten. We are the prey, so Quintus, und die Großaufnahmen der nun sieben Männer in menschenverlorenen Landschaften wiederholen sich. Dass sie hierbei zunehmend ihre römische Identität verlieren, zeichnet sich auch an der Transformation ihrer Kleidung ab: nach der Schlacht legen sie ihre schweren Rüstungen ab, vor dem Sprung ins Wasser weitere Teile, bis sie sich äußerlich immer mehr ihren Feinden angepasst haben – für Bothos am Ende eine tödliche Entwicklung. Römischen Boden betreten kann der letzte Überlebende Quintus nur, nachdem er wieder seine traditionelle Tunika trägt.                         

            Es gibt ein interessantes wiederkehrendes Motiv in dem Film, das noch dazu im Widerspruch steht zum erwähnten Männlichkeitskult, der unter den Soldaten herrscht und den der Film sonst relativ ungebrochen transportiert. Dreimal werden Personen beim stehenden Urinieren gezeigt: zu Beginn der Quintus übergeordnete Zenturio, der sich auf der Kastellmauer erleichtert und deshalb als leicht erkennbares Ziel als erster den Tod beim Überfall der Pikten erleidet. Der gefangene Quintus wird der Folter des Waterboarding unterzogen, wobei Gorlacon als zusätzliche Demütigung vorher in das Fass pinkelt. Und drittens schlägt Quintus selbst frühmorgendlich sein Wasser in den Fluss ab, bevor er bemerkt, dass gleich neben ihm Arianne dort Fische fängt. Auch wenn letzterer Moment für einen der wenigen entspannenden comic reliefs liefert, ist es interessant, dass in allen drei Fällen dieses machistische Symbol für Quintus einen Moment der Demütigung und der Unsicherheit beinhaltet. Der Tod des Zenturio ist der Beginn seiner Dauerflucht und persönlichen Misere, die Folter ist ein buchstäblicher, das Ertapptwerden am Fluss im übertragenen Sinne ein peinlicher Moment. Das Urinieren – passiv und aktiv – geht stets einher mit Schutzlosigkeit.

            Darin deutet sich ein grundlegender Zug des gesamten Filmes an. Centurion basiert auf einer durch und durch pessimistischen Weltsicht. Etwas plakativ formuliert gilt hier Murphys Gesetz in voller Konsequenz: was schief gehen kann, geht schief. Egal welche Motivation die einzelnen Personen haben, ob gute oder schlechte, ihre Vorhaben sind nicht von Erfolg gekrönt. Die Intrigen Agricolas, erst der anvisierte prestigeträchtige Sieg, dann die Beseitigung Quintus’: gehen schief. Virilus ungewollter Feldzug: endet in einer desatrösen Falle. Quintus Befreiungsversuch des Generals: scheitert und führt zu neuem Unglück durch die Tötung des Kindes. Gorlacons Sieg über die Römer hat indirekt den Tod seines Sohnes zufolge, sein Auftrag der Blutrache wird den gesamten Verfolgungstrupp das Leben kosten, aber sein Ziel letztendlich trotzdem verfehlen: Quintus überlebt (vermutlich). Dieser wiederum erfüllt den Auftrag des Generals nicht: er bringt keinen der ihm anvertrauten Legionäre zurück auf römisches Gebiet. Statt Lohn erwartet ihn dort ein Mordanschlag. Auch ist so gut wie niemand in diesem Universum unschuldig: zwar sind die Pikten dank ihrer Vorgeschichte als Opfer römischer Unterdrückung keineswegs rein böse Gestalten, Gorlacons Motive sowie Etains Rachsucht werden dadurch jedoch trotzdem auf rein persönliche Ursachen reduziert – wie Agricola seinem Ehrgeiz, dienen folglich auch sie nicht der höheren Sache – Befreiung vom römischen Joch – sondern nutzen diese, um eigene Ziele zu instrumentalisieren. Nicht einmal das getötete Kind ist unschuldig – es hat sich vorher an der Folterung des Virilus’ beteiligt. Dem entspricht auch der Schluss. Zwar wird Ariannes Hütte auf ihrer Lichtung am rauschenden Fluss, wo selbst der Schneefall noch sonnendurchleuchtet ist, wie ein Idyll präsentiert und explizit sanctuary genannt, doch ist dieser Zufluchtsort prekär. Arianne ist eine Außenseiterin, von Gorlacon gezeichnet und verstoßen, und für Quintus gilt dasselbe, er wurde von seinem Volk im wahrsten Sinne des Wortes ausgegrenzt. Die Hütte ist alles andere als ein sicherer Schutzort – doch es ist ohnehin nicht klar, ob Quintus überlebt hat: schwerverletzt fällt er vor Arianne vom Pferd.

Diese wenig erbauliche Weltsicht, der damit einhergehend abwesende metaphysische Überbau sowie das erwähnte Bemühen um eine gewisse Authentizität machen Centurion trotz aller erwähnten und teils groben Mängel, Stereotypen und fragwürdiger Ideologie zu einem ungewöhnlichen Exempel innerhalb des Sandalenfilmgenres. Hinzukommt, dass der Kernplot, d.h. Geschichte und Ursachen der Flucht, durchaus Plausibilität und eine nachvollziehbare Logik besitzen, was ja nicht unbedingt zu den hervorstechendsten Eigenschaften solcher Filme gehört. Den fatalistischen Grundzug seines Werkes unterstreicht Regisseur Neil Marshall zusätzlich durch eine ironische Brechung, indem er selbst die Rolle des römischen Legionärs auf dem Hadrianswall übernimmt, der den freudig heranreitenden Bothos aufgrund eines Missverständnis per Bogenschuss tötet. So wenig die Charaktere durch Tiefe oder Fähigkeit zum Wandel auffallen, so sehr nutzt das hervorragend besetzte Schauspielerensemble das geringe Potential der ihnen vorgegebenen Figuren. Eine schöne Pointe ist, dass auch Agricolas immanentes Vorhaben, das Schicksal der 9. Legion vergessen zu machen, auf der externen Metaebene zum Scheitern verurteilt ist – durch Filme wie Centurion.
 
          

                

 

Dienstag, 29. November 2016

Das Zitat zum Dienstag.


"Es gehört zu Zeiten des Niedergangs, dass man mit nichts so sehr rechnen kann, wie mit dem Paradoxen: Es ist dann geradezu das Erwartungswidrige zu gewärtigen."

Christian Meier, Caesar





 
 
 
Das Vorgängerzitat stammt von Rainald Goetz.

Montag, 21. November 2016

Suhrkamps Romane des Jahrhunderts (2) - Thomas Bernhard: Auslöschung.


Thomas Bernhard: Auslöschung. Ein Zerfall. st 2558

st 2558 Thomas Bernhard: Auslöschung.
Die achtziger Jahre waren keine sehr erfreuliche Zeit in der deutschsprachigen Literatur. Resigniert hatte man sich nach dem Engagement der Siebziger in die „Neue Subjektivität“ zurückgezogen, selbst hervorragende Schriftsteller und Schriftstellerinnen produzierten nun schwer erträgliche Selbstbespiegelungen von Durchschnittstypen, die jedes einzelne Gefühl mehrfach kommentierten und sich selbst zu finden hofften. Während international die Postmoderne höchste Triumphe feierte, machten sich hierzulande weitschweifige Gymnasiallehrer Gedanken über ihre Zukunft und ihr Menschsein. Auf den ersten Blick könnte man Thomas Bernhards Auslöschung. Ein Zerfall aus dem Jahr 1989 für einen charakteristischen Vertreter der Epoche halten, schließlich handelt es sich um gut 650 Monolog eines Mannes, der soeben erfahren musste, dass seine halbe Familie – die Eltern und der Bruder – bei einem Verkehrsunfall umgekommen sind. Viel mehr an Handlung gibt das Buch nicht her: der Tag der Ankunft des Telegramms mit der Todesnachricht, der Tag der Ankunft des Protagonisten auf seinem Heimatschloss Wolfsegg und kurz noch die folgende Beerdigung.

Naturgemäß ist Thomas Bernhards (1931-1989) Roman, sein letzter – er hatte in früher vollendet, aber zurückgehalten – und umfangreichster, alles andere als ein Vertreter der selbstmitleidigen Nabelschau. Es ist, noch einmal, ein Bernhard in kondensiertester Form, der den eigenwilligen Stil des Autors, den selbst jeder halbwegs vertraute Laie schon nach drei Sätzen wiedererkennen könnte, zu einem Manifest zusammenfasst, in dem Franz-Josef Murau, der unverhoffte Erbe seines verhassten Elternhauses, die Auslöschung dieses Gutes und der Erinnerung seiner Familie durch Aufschreiben beschließt – ein paradoxes Unterfangen, naturgemäß, da die Erinnerung nun für alle Zeiten zu Papier gebracht wurde. Doch Murau ist ohnehin ein Mann der Widersprüche und oberflächliche Leser Bernhards, die noch dazu gerne geneigt sind, Erzähler und den Autor, der, sagen wir mal, polternde Auftritte liebte, zu verwechseln, laufen leicht Gefahr, ihm auf den Leim zu gehen. Was nicht schwer ist, liefert Bernhard doch in seinen Roman die Stichworte selbst mit. Meine Übertreibungskunst habe ich so weit geschult, dass ich mich ohne weiteres den größten Übertreibungskünstler, der mir bekannt ist, nennen kann (611), so Murau – und wer käme nicht darauf, dies auf Thomas Bernhard selbst anzuwenden? Doch nur wenige Zeilen später heißt es sogleich: Aber auch dieser Satz ist natürlich wieder eine Übertreibung, denke ich jetzt, während ich ihn aufschreibe, und Kennzeichen meiner Übertreibungskunst (611). Der Roman gehorcht ganz sicher nicht einfachen Schemata. Murau ist ein äußerst gegensätzlicher Charakter, unzuverlässig in seinen Ansichten und Aussagen, verlässlich nur in seiner Ungerechtigkeit und Arroganz, ein raffinierter Vertuscher meiner Abscheulichkeiten (471), sein Hochmut ist ihm nichts anderes als ein Machtmittel gegen eine Welt, die uns sonst und also ohne diesen Hochmut mit Haut und Haaren verschlingen würde (435f). Murau arbeitet sich, wie gesagt wird, an seiner Familie ab, denen er die Unterdrückung seiner Geistesgaben und ihre katholisch-nationalsozialistische Vergangenheit und Gegenwart, ihr Österreichertum überhaupt, vorwirft. Dem Leser bleibt es ständig überlassen, hinter der Fassade des Herabwürdigens ein reales Bild zu erkennen. Murau wird ihm hierbei keine große Hilfe sein – er kann seine Mutter seitenweise auf das gröbste beschimpfen, gar als das Böse schlechthin bezeichnen und sie doch kurz darauf wieder liebevoll beschreiben, nur um sie sofort wieder zu verdammen.

Jeder Bernhard-Enthusiast wird die Auslöschung mit Genuss lesen – und Bernhard gehört wohl zu den Schriftstellern, zu denen man ein eindeutiges Verhältnis hat: man mag ihn, oder doch eher nicht. Vielleicht ist Letzteres eine Geschmacksfrage, aber man wird auch als Skeptiker anerkennen müssen, dass Bernhard eine Einzelleistung höchsten Ranges in der Nachkriegsliteratur vollbracht hat. Dass die Auslöschung nicht einmal zehn Jahre nach ihrem erscheinen schon das Prädikat Roman des Jahrhunderts erhält, ist ausnahmsweise mal keine Übertreibung. Hier findet sich noch einmal alles, was einen Bernhard, ob Theaterstück oder Prosawerk, ausmacht: das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die unglaublich musikalische Syntax mit ihrer eigenen nie monotonen Monotonie, die so beliebten Schimpftiraden, das aristokratische Geistesmenschentum und ein Unterbau von tiefen philosophischen Gedanken. Nach diesem Bericht muß alles, was Wolfsegg ist, ausgelöscht sein. Mein Bericht ist nichts anderes als eine Auslöschung (199).      

Teil (1): James Joyce - Ulysses                              

Mittwoch, 26. Oktober 2016

Das Experiment: Eine Woche jeden Tag ein fränkisches Bier.

Betrachtet man die Regale der Buchhandlungen der Region oder die Broschüren und Homepages fränkischer Tourismuszentralen, dann dürfte auch dem von weit entfernt angereisten Gast, falls er es aus irgendeinem Grund noch nicht wusste, sehr schnell klar werden: Franken ist Bier. Die Veröffentlichungen und Veranstaltungen nehmen deutlich überhand, selbst das eher weinselige Unterfranken zieht langsam nach. Biergartentouren hier, die vermeintlich urigsten Kleinbrauereien dort, organisierte Touren, neueste Bierkreationen. Wer im Franconia-Fach stöbert, erlebt eine Bierschwemme, bestenfalls ganz unten stößt man noch ein paar Regionalkrimis mit Kommissaren aus Unterheckenhofen. Sicher, in breitgefächerten Buchhandlungen taucht darunter auch das ein oder andere Werk zum Thema auf, dass wirklich einen Beitrag zur Bierkultur leistet, aber 90% des Angebotenen betritt sehr, sehr ausgetretene Pfade, in der das Biervergnügen zum Event degradiert wurde. 
Keine besonders begrüßenswerte Entwicklung, zumindest nicht in diesem Ausmaß und in dieser Reduzierung einer Kulturregion. Und doch ist es naturgemäß nicht zu leugnen, dass das Bier in Franken eine herausragende Rolle spielt, schließlich ist Oberfranken noch immer die Region mit der höchsten Brauereidichte der Welt. Darum lohnt sich ein kleines Experiment. Hinein in einen - mittelfränkischen - Getränkemarkt mit sehr weitgefächertem Sortiment und jeden Tag der folgenden Woche ein Bier aus einer Ecke Frankens, relativ willkürlich ausgewählt.  
 
Los geht's mit einem Hallerndorfer Landbier der Brauerei Rittmayer, ein Helles aus der Bügelflasche mit 4,9%. Über dieses oberfränkische Produkt lässt sich wenig sagen, außer dass es gut schmeckt. Punkte oder Noten in Geschmacksfragen zu vergeben ist ziemlich sinnlos, darum wird es hier unterlassen, und nur relativ gewertet. Mit anderen Worten, es handelt sich beim Hallerndorfer Landbier um ein allgemeinverträgliches Hopfengetränk, das man gerne zu sich nimmt und über das man sich freut, wenn man es auf den Tisch gestellt bekommt. Nicht mehr und sicher nicht weniger.
 
Das Haustrunk Pils Goldgelb-Feinherb wird von der unterfränkischen Wernecker Bierbrauerei eingebraut, ein Ort, den Kunstliebhaber aufgrund des dortigen Schlosses, Autofahrer aus den Staumeldungen kennen. Erstere dürfen sich getrost eine Bügelflasche des 4,8%ers gönnen, das Helle liegt geschmacklich in einer ähnlichen Liga wie das der Kollegen aus Hallerndorf. Eine bizarre Kuriosität ist der Aufdruck von Hinweisen an die Mitarbeiter der Brauerei für alle sichtbar auf dem rückseitigen Etikett - das wäre ja noch nicht ganz so schlimm, würde es sich nicht um ausdrückliche Verbote handeln. Was immer der Marketingexperte sich hierbei (nicht) gedacht haben mag, diese Hinweise an die Belegschaft sind ja für den Normalkunden eher uninteressant, sie wirken zudem keineswegs freundlich. Da wäre eine ganz, ganz schnelle Überarbeitung des Designs äußerst wünschenswert (oder eine der Betriebsregelungen).
 
Ein Designer wurde offensichtlich teuer bezahlt für das Schädelschbrengger Export (fränggisch: Exbord) der oberfränkischen Franken-Bräu aus Mitwitz. Das Ganze ist eine Hommage an den Herrn Seidlas Siggi by XXUwe, eine regionale  Internet-Berühmtheit. Ein Export, wie der Name schon verrät, aus der Bügelflasche mit stattlichen 5,4%. Dass sich das Produkt der nicht mehr ganz so kleinen Mitwitzer Brauerei so superkumpelhaft und extremfränkisch gibt, mag nicht über das doch recht alberne Etikett und den leidlichen Geschmack hinwegtäuschen. Sicher, ein Export ist nicht jedermanns Sache, es schmeckt auch nicht gerade zum Weggießen, aber bei all dem Aufwand hätte man sich mehr erhofft.
 
Eine echte Kleinbrauerei mit allerdings sehr moderner Betriebsstätte ist die Loscher-Bräu aus dem mittelfränkischen Klosterdorf Münchsteinach bei Neustadt an der Aisch. Der Ort lohnt ohnehin den Besuch. Das Loscher Premium, ein helles Herbes in klassischer Kronkorken-Flasche lohnt sich ebenfalls, vorausgesetzt, man mag es recht herb. Wenn dies der Fall ist, kommt man unbedingt auf seine Kosten, mit 4,8% sind die grün etikettierten Flaschen beziehungsweise ihr Inhalt auch gut verträglich als Durstlöscher.

"Urig" kommt das Kaiser Heinrich Urstoff der Brauerei zur Alten Freyung daher, ein Betrieb der Familie Göller in Zeil am Main nahe Bamberg, aber schon in Unterfranken. Das Etikett im Mittelalterstil erinnert wie der Name des Bieres an die Gründung des Bistums Bamberg 1007, zu dem Zeil am Main politisch über Jahrhunderte gehörte, wie noch gut am Gemeindewappen zu ersehen ist. Ansprechend wie die Gestaltung der Flasche ist das Bier selbst, ein Helles in der Kronkorkenflasche mit beachtlichen 5,2%. Persönlich der Favorit unter den Hellen.


Und da trifft es sich doch gut, dass auf dieses mit dem Spezial der Brauerei Simon ein dunkles altfränkisches Vollbier ähnlich hervorragender Qualität folgt. Die Brauerei aus dem mittelfränkischen Lauf legt prozentmäßig noch etwas drauf: 5,6%. Das Etikett der Kronkorkenflasche scheint - bewusst - seit den 50er Jahren unverändert, zumindest gibt es sich schlicht und mit angestaubtem Charme. Zum Abschluss sicher ein geschmacklicher Höhepunkt der kleinen Bierreise.

Moment, Abschluss? Richtig, das stimmt nicht ganz. Wer mitgezählt hat, kommt nur auf sechs Tage. So gesehen ist die Überschrift leicht irreführend. Allerdings nicht, was die Anzahl der Wochentage angeht, sondern das Wort "fränkisch". Es wurde gleich zu Beginn erwähnt, dass die Proben unseres Experiments aus einem sehr gut sortierten Getränkemarkt einer kleinen mittelfränkischen Stadt im Steigerwald entstammten, und dieser hat nicht nur eine - über die von uns getesteten Exemplare weit hinausgehende - Auswahl an Bieren der Region, sondern zur großen Freude des Verfassers ein etwas überschaubareres Angebot an internationalen Importen. Und darunter auch belgisches Abteibier. Und bei aller Liebe zum Heimatprodukt, persönlich ist das schwer schlagbar, weshalb der dortige Vorrat geplündert und eben am siebten Tag der Woche, an dem selbst der Herr sich etwas besonderes zu gönnen pflegte, genossen wurde. Montag kann man dann ja wieder zum nächsten Hopfenschmaus aus einer heimischen Brauerei greifen... Gezondheid!          
 
               

Montag, 10. Oktober 2016

Über ein seltsames Tabu.


Warum selbst Kluges schreiben, wenn es andere doch viel besser - und kompetenter - tun? Darum hier der Verweis auf einen Blogbeitrag, der, von persönlicher Erfahrung ausgehend, auf ein Thema eingeht, dass deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat, allein schon aus dem einfachen Grund, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, im Alltag, besonders während eines bestimmten Alters, darauf zu stoßen. Und da darüber so gut wie nicht geredet wird, schließlich geht es um sehr persönliche Dinge, die noch dazu mit dem Tod zu tun haben, führt das Phänomen Fehlgeburt in den ersten Schwangerschaftswochen oft zu vielerlei Missverständnissen peinlicher bis tragischer Art. Wie es eben ist mit ungesagten Dingen, die dann eben zu allerlei Interpretationen und Fehlverhalten aller Beteiligten Anlass geben.
Erstbetroffene sind naturgemäß die Frauen - aber auch die Männer, gerade weil sie durch Unwissen eine kaum glückliche Rolle spielen (können). Es ist also wichtig zu wissen - wie immer.
Darum sei allen dieser Beitrag ganz besonders ans Herz gelegt, weil wir alle damit konfrontiert wurden oder werden:

http://www.mewasabi.com/ich-bin-eine-von-vier/

Montag, 5. September 2016

Das Zitat zum Montag.


"Stil ist, dass man sich für nichts zu schade und zu blöde ist, aber für das allermeiste bei weitem zu gut."




 

Donnerstag, 18. August 2016

Der österreichische Philosoph Ferdinand Ebner und sein Werk.

Am Anfang war das Wort ist ein das Denken von Ferdinand Ebner – geboren 1882 in Wiener Neustadt – maßgeblich prägender Satz. Er selbst wollte gerne schreiben, doch schon zu Beginn seiner Laufbahn als Volksschullehrer in Niederösterreich (wie sein Zeitgenosse Ludwig Wittgenstein) schränkt er dieses Vorhaben auf die Hoffnung ein, nicht unbedingt ein großer bedeutender, aber vielleicht wenigstens ein wahrer Dichter zu werden.

Das Wort und die geistigen Realitäten – Ebners Hauptwerk

Von Natur aus eher schwächlich, hatte er stets Probleme mit seiner Gesundheit und blieb im Ersten Weltkrieg vom Dienst an der Waffe freigestellt. Er liest viel Literatur und Philosophie und läßt sich insbesondere von Sören Kierkegaard anregen. Doch das Manuskript zu seinem eigenen Werk Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente wird 1919 aufgrund eines Gutachtens der Wiener Universität vom Verlag abgelehnt. Zwei Jahre später wird es mit Hilfe Ludwig von Fickers, Herausgeber der einflußreichen Zeitschrift Der Brenner, der dort bereits Teile hatte veröffentlichen lassen, doch noch publiziert.

Der Dialog als Grundlage der Welterfahrung

Ebner gilt als der Begründer des sogenannten dialogischen Denkens, welches das Wesen der Sprache darin sieht, eine ‚Geistigkeit’ zu sein, die sich zwischen einem Ich und einem Du zuträgt, die einander voraussetzen und gegenseitig herstellen. Entscheidend ist also das Gespräch, mit dessen Hilfe die Wirklichkeit erschlossen werden kann, die zwischen dem Ich und dem Du existiert. Grundlage der Sprache sind das Ansprechen und das Antworten, wie es nur zwischen Personen möglich ist, nicht das (einsame) Denken ist das Ziel, sondern das dialogische Sprechen.
Das Wort und die geistigen Realitäten - Neuausgabe der Ferdinand-Ebner-Gesellschaft

Skepsis gegenüber der traditionellen und modernen Sprachphilosophie

Gegenüber jedem klassischen Philosophieverständnis war Ebner mehr als skeptisch. Er suchte die Wahrheit im Wort. Sprache ist seiner Ansicht nach kein Mittel der Kommunikation, sondern der Erkenntnis des anderen. „Das Wort erschließt und eröffnet dem Ich das Du. Das ist und bleibt der zentrale Gedanke Ebners“, so charakterisiert Peter Kampits dessen wichtigstes Credo. Wissenschaftliche Sprachanalyse, Semantik, Semiotik, etc. lehnte er ab, sie könne nur die toten Zeichen untersuchen, das lebendige Wort aber finde sich nur im Gespräch.

Gott als persönliches Du – ohne Vermittlung der Kirche

Das Ich und das Du sind abhängig im Sein, deshalb muss es hinter ihnen noch einen weiteren, letzten Grund für ihr Sein geben, aus dem auch die Sprachlichkeit entspringt: Gott. Dieses ist das wahre Du des Menschen (und dieser das wahre Ich), nicht umsonst steht der Satz vom Wort am Anfang des Johannes-Evangeliums und auch dieses Textes. Gott ist der dialogische Partner in einem persönlichen Verhältnis zum Menschen. Nie wäre er durch (objektive) Beweise zu belegen, denn er ist in eine personale (also rein subjektive) Beziehung eingebunden. Eine wissenschaftliche Theologie kann es nach diesem Verständnis nicht geben, Ebner ist der Anhänger einer radikalen Christologie, in der es keine Amtskirche, sondern nur Glaube und Liebe gibt, die über dem Gesetz stehen.

Tod eines versöhnten radikalen Denkers

Ferdinand Ebners Gesundheitszustand verschlechterte sich nach der Publikation seoines Hauptwerks zusehends, er steuerte auf den Selbstmord zu. 1923 heiratet er eine Lehrerkollegin und 1931 bringt er noch einmal eine Sammlung von Aphorismen heraus, die den charakteristischen Titel Wort und Liebe erhält. Noch im selben Jahr stirbt Ferdinand Ebner im niederösterreichischen Gablitz. Vor seinem Tod hat Ebner, dem auch Weltflucht und Menschenfeindlichkeit vorgeworfen wurden, noch seinen Frieden mit der katholischen Kirche geschlossen, auf seinem Grab im Friedhof von Gablitz steht: „Hier ruht der irdische Rest eines menschlichen Lebens, in dessen große Dunkelheit das Licht des Lebens geleuchtet und das in diesem Licht begriffen hat, daß Gott die Liebe ist“ (siehe dazu bei Kampits).

Literatur:
  • Peter Kampits: Zwischen Schein und Wirklichkeit. Eine kleine Geschichte der Österreichischen Philosophie. Wien: 1984.
  • Ferdinand Ebner: Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente. Frankfurt/Main: 1985.

Donnerstag, 14. Juli 2016

Römische Literatur: Lucanus - De bello civili (Pharsalia).


Geschichte wird von den Siegern geschrieben, so lautet ein beliebtes und oft bestätigtes Diktum. Und doch gibt es bedeutende Gegenbeispiele, darunter das Werk des römischen Dichters Lucanus – im Deutschen oft auch Lukan genannt – dieser nutzte schon in jungen Jahren sein schriftstellerisches Talent, um ein Versepos über den Bürgerkrieg zwischen dem nach Alleinherrschaft strebenden Cäsar und den Republikanern unter Führung des Pompeius zu verfassen. Dabei machte er aus seiner republikanischen Haltung keinen Hehl: mutig, aber sicher kein Vorteil wenn man unter einem Monarchen lebt, der seine Herrschaft direkt vom Sieger Cäsar ableitet: Nero.

Ein aufstrebender junger Dichter

Lucanus, der Neffe des Philosophen Seneca, der eine bedeutende Stellung als Erzieher des Kaisers Nero an dessen Hof innehatte, konnte diese guten Beziehungen seines Onkels im Verbund mit seinem eigenen Talent nutzen, um die Freundschaft des Monarchen zu gewinnen. Preisgedichte und auch Stellen am Beginn des Epos De bello civili deuten auf das gute Verhältnis hin. Tatsächlich war Lucanus schon sehr früh erfolgreich – er war im Jahr 39 in Cordoba geboren worden und konnte bald auf eine stattliche Anzahl an Werken in verschiedenen Genres – von Gedichtsammlungen über Pantomimen bis Tragödien – verweisen, die sich auch großer Beliebtheit erfreuten. Leider jedoch blieb keines davon erhalten.

Bellum Civile: der Bürgerkrieg

Doch sein Meisterwerk überstand die Zeiten, ganz wie er es sich selbst gewünscht hatte: Unsere Pharsalia wird leben, und kein Zeitalter kann uns zur Dunkelheit verdammen (so steht es in Buch 9, 985f) – „Pharsalia“ war ein alternativer Titel des Epos, unter dem es auch heute noch gelegentlich bekannt ist. Der Bürgerkrieg ist für Lucanus die schlimmste vorstellbare Katastrophe – und er schmäht den Verantwortlichen hierfür: Gaius Julius Cäsar. Dies ist allein deshalb verwunderlich, da die Ereignisse, die zum Ende der römischen Republik führen, zum Zeitpunkt, als er sein Werk verfasst, über 80 Jahre zurückliegen. Seit Augustus hat sich die Monarchie etabliert, von einer Rückkehr zur alten Verfassung konnte keine Rede mehr sein. Mit Nero herrscht bereits der fünfte Kaiser aus der julisch-claudischen Dynastie, die sich von Cäsar ableitet.
Und doch schreibt Lucanus ein unverhohlen parteiisches Werk und macht aus seiner Verachtung für den Sieger Cäsar – und allein herrschende Monarchen generell – keinen Hehl, so nennt er Alexander den Großen einen erfolggekrönte[n] Bandit, (10, 20f) die Parallele zu Cäsar ist also überdeutlich. Auch dem unterlegenen Pompeius, der sich eher aus Gegnerschaft zu Cäsar als aus Liebe zur Republik auf die Seite des Senats stellte, steht er skeptisch gegenüber, ihn macht er in seiner Erzählung zum tragischen Verlierer. Der eigentliche Held des Epos ist der jüngere Cato, der stoische Feldherr.

Das Weltbild des Lucanus: der alleingelassene Mensch

Dies verwundert wenig, da Lucanus wie sein Onkel Seneca auch, ein Anhänger der stoischen Philosophie war. Oft betont wurde, wie wenig die Götter eine Rolle spielen im Verlauf des Epos, auch sie sind nur Zuschauer bei der Katastrophe – noch dazu begünstigen sie offensichtlich die falsche Sache. Lucanus schuf bewusst einen Anti-Vergil, das Gegenbild zum Aufstieg der Römer mit Hilfe der Götter. Der Pessimist Lucanus sah im Bürgerkrieg das Zeichen des unvermeidlichen Untergangs. Eine Welt in der Brüder gegen Brüder kämpfen ist schlimm genug, eine Welt, in der der Falsche gewinnt ist sinnlos. der berühmteste Satz des Epos, victrix causa dies placuit, sed victa Catoni (1,128) – die siegreiche Sache gefiel den Göttern, die besiegte aber dem Cato war nicht nur mutig, er barg auch gehörigen Sprengstoff.

Der Absturz des Dichters: Tod unter Nero

Der Bellum civile brach unvollendet nach dem zehnten Buch ab, Lucanus starb 65 mit 26 Jahren. Keiner der großen klassischen Dichter dieser Zeit überlebte die Herrschaft des Nero: Seneca, Petronius (Arbiter) und Lucanus wurden von dem Cäsaren in den Selbstmord getrieben. Lucanus war schon früh in Ungnade gefallen, vermutlich spielte dabei auch Neid des selbst dichterisch ambitionierten Kaisers eine Rolle, der ihm das Vortragen von Werken verbot. Dass Lucanus nicht nur ein Propagandist gegen Tyrannenherrschaft war, zeigt seine aktive Beteiligung an einer Palastverschwörung gegen Nero. diese wurde aufgedeckt, Lucanus hielt der Folter nicht stand und verriet einige Mitverschwörer, anschließend wurde er zum Suizid gezwungen.

Das Weiterleben eines Buches

Obwohl nie fertig geschrieben, überstand das Buch die Wirren der Spätantike und des Mittelalters. Noch in römischer Zeit teilweise kontrovers diskutiert – Petronius verurteilte es, Quintilian stellte es als großes Beispiel rhetorischer Kunst heraus – erfreute es sich stets großer Beliebtheit gerade bei den Lesern. Der polemische Stil des Lucanus, aber auch seine Art, spannend und lebhaft zu erzählen bis hin zu einer Drastik, die fast schon an zeitgenössischen Splatter erinnert – man vergleiche die Schilderungen der Folgen von Schlangenbissen beim Marsch Catos durch die Wüste im neunten Buch – entfalten bis auf den heutigen Tag seine Wirkung. Und der Mut des Dichters bleibt zeitlos zu bewundern.
 
Preiswerte Ausgabe: Lukan - De bello civili/Der Bürgerkrieg (zweisprachig). Stuttgart Reclam: 2009.

Vorherige Folge: Cornelius Nepos

Donnerstag, 30. Juni 2016

Joseph von Eichendorff: Das zerbrochene Ringlein (In einem kühlen Grunde).




Das zerbrochene Ringlein.

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad
Mein’ Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.

Sie hat mir Treu versprochen,
Gab mir ein’n Ring dabei,
Sie hat die Treu’ gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich möcht’ als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und geh’n von Haus zu Haus.

Ich möcht’ als Reiter fliegen
Wohl in die blut’ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hör’ ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will —
Ich möcht’ am liebsten sterben,
Da wär’s auf einmal still!


Eichendorffs Gedicht wurde unter dem Titel "In einem kühlen Grunde" oft vertont, hier die Version Friedrick Glücks (1793-1840), vorgetragen vom berühmten Tenor Hermann Prey:



Vorheriger Eintrag aus der Lyrikreihe: Ludwig Tieck - Ein Lied.

Dienstag, 10. Mai 2016

Deppendeutsch.

Deutschkurse für Flüchtlinge werden allerorten angeboten - allerdings habe ich immer öfter den Eindruck, dass Deutschkurse für Deutsche ähnlich notwendig sind.
Man darf sich getrost nicht wenig darüber verwundern, warum gerade den Menschen, die doch so ganz besonders deutsch empfinden, die deutsche Sprache offenbar bestenfalls dazu dient, sie überwiegend bis ins Unverständliche zu misshandeln. Viel Wert legen sie scheinbar nicht auf das so ziemlich einzige, was uns halbwegs vom Rest der Welt unterscheidet (und das auch nur zufällig und zeitbedingt, so alt ist unsere Sprache schließlich nicht).

Hier ein paar in Orthographie und Zeichensetzung unveränderte Beispiele aus Kommentarspalten einschlägiger Seiten - als Belege kann man es sich nicht ersparen, das groteske Deutsch nicht, die noch mieseren Aussagen leider auch nicht:

« Was will er den wer greift den die Relionnsfreiheit an das er doch der ..... »

« das letze was ich will einen araber zum nann lie ber bin ich tod ich gehe nicht freiwillig in die hölle »

« Jeden anderen Bügrger hätte mann schon mit Bewährung bestarft oder in die Klinik eingewiesen, es gelten mittlerweile zwei Gesetzte ein für uns und ein für die Flüchtlinge, am besten nicht wegschauen, sofort selber Handeln !!!!! »

« SIE HABEN DIE MACHT ÜBER DIE ASYL; VERLOREN ! siet man ja schon alleine bei den urteilen die sie verkünden fasst jeder wird frei gesprochen!!!egal was sie verbrochen haben!!!!!!!! »

« Russland Hat Charakter was Amiland nie gehabt hat (reservate für Indianer) Ami land zeichnet für Brutalität Unmenschlichkeit und Geldgier , Europa hat Kultur Geschichte und Wissen und hat sich selber im Griff wir brauchen keine ehemaligen Glücksritter zu folgen di nur der Gier nach Gold und Unterjochung zum Ziel Haben' wir Haben Kultur »
Als Anhänger des großen Hjelmslev scheint mir dies ein weiterer Beleg für seine These, dass sich Inhalt und Form bedingen, einfacher ausgedrückt: Geistiger Sondermüll erzeugt sprachlichen Sondermüll.

Zugegeben, es wäre auch nicht besser, wenn der oft menschenverachtende Inhalt sprachlich und rhetorisch brillant ausgedrückt wäre; eher schon muss man dann wohl dankbar dafür sein, dass sich die eigene Dummheit ungeschönt in der Nichtbeherrschung von Schreibutensilien und Tastaturen ausdrückt (es soll schließlich gewisse Leute geben, die auf Computermäusen ausrutschen). Man hat nicht den Eindruck, dass die abendländische Kultur von Menschen gerettet wird, die nicht mal das dafür nötige Handwerkszeug beherrschen und sich halbwegs in Wort und Schrift ausdrücken können (aber: "WIR HABEN KULTUR!" - ganz klar). Und dies ist keineswegs ein Phänomen, das nur sogenannte "bildungsferne Schichten" betrifft, Wut und Hass sind nicht nur schlechte Ratgeber, sondern auch erkennbar schlechte Rechtschreiber. Letztlich ein Symptom für die Unfähigkeit zur Selbstreflexion.
 
Carolin Kebekus hatte dies vor einiger Zeit bekanntlich bereits in einem Lied zusammengefasst:

Und noch eines lernt man daraus: nichts ist so verkehrt wie der Ausdruck "Grammar Nazi", beides ist offenkundig ein Widerspruch in sich, Grammatik und Nazis ist das gleiche Oxymoron wie Verstand und Nazis.
  

Samstag, 30. April 2016

Evelyn Scott: Auf der Flucht.

Unter dem Titel Escapade veröffentlichte die Schriftstellerin Evelyn Scott – den für ihre Flucht gewählten Decknamen hatte sie für ihre literarische Karriere behalten – 1923 ihr „Fragment einer Autobiographie“. Obwohl noch sehr jung, fehlte es ihr dafür gewiss nicht an Stoff: noch nicht volljährig, war sie eine Liaison mit einem weitaus älteren Mann eingegangen, der noch dazu verheiratet war. Gemeinsam flohen sie vor dem gesellschaftlichen Druck der US-amerikanischen Südstaaten nach Brasilien.

Hintergründe einer Flucht

Wenn er nicht tatsächlich stattgefunden hätte, so hätte man diesen „plot“ gewissermaßen erst erfinden müssen: so böte sich die Möglichkeit zu einer dramatischen Abenteuergeschichte. Doch Evelyn Scott, eigentlich die in Tennessee 1893 geborene Elsie Dunn, hat keinerlei Neigung zu Romantizismus, wie man ihr zugute halten muss, dafür war sie schon zu früh eine Kämpferin für ihre eigenen und die Rechte der Frau im allgemeinen, wohl nicht zur Freude ihrer einst finanziell gutausgestatteten, aber nun im sozialen Abstieg befindlichen Familie.
1912 folgte der Skandal, Ausgangspunkt der titelgebenden Flucht: Elsie brennt mit dem verheirateten Dozenten ihrer Universität in New Orléans durch. Auch wenn es im Buch, wo die genauen Umstände (wohlweislich) ohnehin nie genau erwähnt werden, stets klingt, als seien Elsie – fortan Evelyn Scott – und ihr Geliebter Opfer verbohrter Südstaatenmoral geworden, sollte man dies durchaus kritischer sehen. Zum Zeitpunkt ihrer Flucht war Elsie/Evelyn noch nicht volljährig (das wäre sie erst mit 21 gewesen) – es spräche folglich eher gegen die Eltern, wenn sie das so einfach hingenommen hätten. Wenig verantwortungsvoll zeigen sich beide Flüchtende auch, als Evelyn schon wenige Wochen nach der Ankunft in Brasilien schwanger wird.
Evelyn Scott: Auf der Flucht.

Ein Leben am Rande des Abgrunds

Denn die Zukunft ist alles andere als aussichtsreich und die beiden agieren – teils gezwungenermaßen – eher planlos: ohne Papiere (da sie in den USA nun auch polizeilich verfolgt werden), ohne Arbeit, ohne große Portugiesischkenntnisse. Das entbehrungsreiche Leben in der Fremde ist dann auch das eigentliche Thema des Buches. John – so das Pseudonym des Geliebten – schlägt sich mit Vertreter-Jobs durch, Evelyn hat mit ihrer Schwangerschaft, den heruntergekommenen Verhältnissen und ständigen Wohnungswechseln zu kämpfen. Die Geburt des Sohnes führt zusätzlich auch noch zu schweren gesundheitlichen Komplikationen, eine weitere Belastung ist die später hinzukommende „Tante“ Nannette (eine literarische Verschiebung – eigentlich war es ihre Mutter).

Der böse Blick einer gedemütigten Frau

Gerade diese Nannette ist ein Bild der Unangepaßtheit im fremden Land. Unfähig zur Selbständigkeit, dem früheren aristokratischen Status in geordneten Verhältnissen nachtrauernd, macht Nannette die anderen – insbesondere John – für ihren Abstieg verantwortlich und kommt körperlich wie geistig immer mehr herunter. Dafür wird sie von Evelyn verachtet – was nicht verwundert, denn Evelyn verachtet so ziemlich jeden. Und ihr zunehmender Hass auf Nannette begründet sich nicht wenig damit, dass diese ein gutes Spiegelbild ihrer selbst ist, auch wenn es sicher nicht ihr Vorhaben war, dies durch ihren Text nur allzu deutlich werden zu lassen.

Land der Fremde, Land der Abscheu

Denn es ist Evelyn selbst, die gegenüber ihrem Gastland und dessen Einwohnern einen geradezu herablassend-aristokratischen Standpunkt einnimmt. Portugiesisch lernt sie selbst nie halbwegs ausreichend (selbst die portugiesischen Textstellen strotzen noch von Fehlern). Die Brasilianer sind häßliche, stumpfe, niederträchtige Personen, ob männlich oder weiblich, das ganze Milieu ist geprägt von Widerlichkeit und Ekelerregendem, Positives findet sich so gut wie nicht. Ich möchte die ganze Welt mit meinem Leid vergiften. Ich möchte die Menschen mit der Krankheit unserer Niederlage anstecken. Das sind immerhin unverhohlen ehrliche Sätze. Gleichzeitig sprechen sie Evelyn Scott von einem eventuellen Rassismusverdacht frei – verachtenswert oder bestenfalls gleichgültig sind nicht die Lateinamerikaner, sondern einfach alle Menschen. Und in ihren lichteren Moment nimmt sie sich selbst davon nicht aus.

Die innere Kälte im warmen Süden

Dies scheint Scotts generelles Problem zu sein: das Buch läßt ein eklatantes Desinteresse an den Mitmenschen spüren, ständig tauchen Figuren neu auf, verschwinden aber ebenso abrupt wieder. Selbst die Beziehung zum Sohn ist merkbar distanziert. Der einzige Säulenheilige ist John, hier ist der Text auch alles andere als emanzipiert. So gesehen ist das Buch eine sehr offene Autobiographie – nach einem gescheiterten Experiment als Farmer findet John eine Anstellung bei einer Minenfirma. Damit endet das Buch – und auch die „Leidenszeit“ in Brasilien. Nachzutragen ist, dass Evelyn Scott später, fast erwartungsgemäß, zu allen Beteiligten ein mehr als distanziertes Verhältnis unterhält: Die Beziehung mit John geht in die Brüche, zur Mutter besteht jahrelang kein Kontakt, und der Sohn wird seine desinteressierte Mutter glühend hassen.

Eine autobiographische Demontage

Evelyn Scott, die 1963 relativ vergessen in New York starb, mag eine ernstzunehmende und achtenswerte Literatin gewesen sein, mit Auf der Flucht bringt sie sich für uneinvorgenommene Leserinnen und Leserin nicht gerade in Sympathieverdacht. Das Abenteuer einer weiblichen Selbstbehauptung, wie es der Klappentext nennt, erscheint eher wie die „Eskapade“ einer eher rücksichtlosen jungen Frau mit wenig Verantwortungsgefühl, neudeutsch: ein Egotrip.
 
Evelyn Scott: Auf der Flucht. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997.

Donnerstag, 21. April 2016

Römische Literatur: Cornelius Nepos – Begründer der römischen Biographie.

De viris illustribus, „Von berühmten Männern“, gelegentlich auch kurz als Vitae, „Leben“, bekannt, ist das berühmteste Werk des römischen Autors Cornelius Nepos, doch nur Bruchstücke der Sammlung an Biographien sind überliefert. Der umfängliche Rest seiner sonstigen Schriften ging sogar leider völlig verloren.

Cornelius Nepos, ein Dichter in den Wirren des Bürgerkrieges

„Wem nun schenk ich das neue nette Büchlein, / Das vom trockenen Bimsstein grad’ geglättet? / Dir, Cornelius“ so begann Catull seine berühmte Sammlung an Gedichten und widmete sie hiermit seinem Freund Cornelius Nepos, der ihn auch eifrig förderte. Beide stammten aus Oberitalien, doch sonst ist wenig aus der Biographie des Biographen Nepos bekannt, nicht einmal sein Vorname. Er wurde vermutlich gegen 100 v.Chr. geboren und starb irgendwann kurz nach 27.v.Chr.
In diesen Zeitrahmen fielen zahlreiche Bürgerkriege, Rom wandelte sich von der senatorischen Republik zur Monarchie des Prinzipats. Doch Nepos, dem Ritterstand zugehörig, verfuhr offenkundig eine politisch kluge Haltung, die darin bestand, sich aus den Untiefen der Parteiungen herauszuhalten. Dies ermöglichte ihm, so wird vermutet, sein nicht unbeträchtliches Vermögen, das ihm auch die Muse zum Verfassen zahlreicher Schriften gab.

Die Werke des Cornelius Nepos

Berühmt wurde Nepos bei seinen Zeitgenossen durch ein umfangreiches Geschichtswerk in drei Bänden, Chronica genannt, welches den bisher unbekannten Versuch unternahm, neben der römischen auch die Geschichte anderer Völker darzustellen. „Damals, als Du als einz’ger Römer kühnlich / Weltgeschichte uns lehrtest in drei Büchern“, lobte ihn Catull in dem Widmungsgedicht, der die Bedeutung dieses Unternehmens durchaus einzuschätzen wusste. Doch ging das Werk mit dem Untergang des Römischen Reiches verloren.
Ebenso wenig auf uns gekommen ist Nepos’ Sammlung an Anekdoten und Geschichtchen, die Exempla, ein bei den Römern extrem beliebtes Genre. Verschwunden auch die Biographien Catos und seines Zeitgenossen und Brieffreundes Cicero (der Briefwechsel erlitt dasselbe Schicksal) und als wäre die Verlustgeschichte des Nepos’schen Oeuvres damit nicht schon dramatisch genug, besitzen wir auch vom einzig erhaltenen werk nur Bruchteile.

De viris illustribus: eine neue Form der Biographie

Ursprünglich umfassten diese Doppel-Biographien jeweils Abteilungen zu Feldherren, Dichtern, Königen, Rednern, Historikern und Grammatikern, so wird vermutet. Auf berühmte Ausländer, überwiegend Griechen, folgte stets die gleiche Anzahl an Römern. Doch die überlieferten Bruchstücke umfassen heute lediglich noch die ausländischen Feldherrn und zwei der römischen Historiker, Cato (d.Ä.) und Atticus, einem Freund des Nepos.
Was blieb füllt heute im wahrsten Sinne des Wortes nur noch ein schmales Reclam-Bändchen - eine, dies sei hier angemerkt, dankenswerterweise zweisprachige Ausgabe, denn die Übersetzung erlaubt sich gelegentlich absurde Ausrutscher, die etwas zuviel an Nachgiebigkeit gegenüber dem Zeitgeist verraten, aus nulla doctrina wird beispielsweise „ohne eigentlich wissenschaftlichen Touch“ in der Biographie des Cato.

Der zweifach verkannte Nepos

In dieser etwas verkrampften Anbiederung an eine vermeintlich moderne Ausdrucksweise liegt wohl der durchaus respektable Versuch, Cornelius Nepos wieder zu größerer Anerkennung zu verhelfen, die er insbesondere gerade aufgrund seiner Lesbarkeit verdient hat, die auch durch die angenehme Form der Kurzbiographien erleichtert wird. Den Nepos’ Werk hatte nicht nur die Verstümmelungen der Spätantike zu überstehen, sondern litt auch darunter, dass die Feldherrenbiographien ab diesem Zeitpunkt fälschlich einem anderen Autoren zugeschrieben wurden. Erst in der Renaissance gelang die richtige Zuschreibung.
Ab dieser Zeit war Nepos, aufgrund der genannten Eigenschaften ein beliebter Schulautor besonders für Lateineinsteiger. Dies wiederum machte ihn den Altphilologen des späten 19.Jahrhunderts verdächtig, verächtlich blickten die maßgeblichen Latinisten auf den einfachen Stil und den vermeintlich laxen Umgang mit Fakten, Nepos Stern verblasste neben seinen Freunden Cicero und Catull, fortan galt er als zweitrangig oder gar als reiner Lexikonartikelschreiber.

Rehabilitation eines innovativen Schriftstellers

Von dieser geradezu arroganten Sichtweise ist man längst wieder abgerückt. Nepos wurde als typisch römischer Geschichtsschreiber, dem das dramatisch pointierte Erzählen und Darstellen von Personen wichtiger war als der historistische Positivismus des 19.Jahrhunderts. Und vor allem würdigte man nun Nepos’ innovatives Vorhaben, genuin römische Biographik zu betreiben, die sich von den griechischen Vorbildern abhob. Auch hier beschritt er also, wie schon mit seinem Geschichtswerk, einen neuen, eigenständigen Weg, auf dem ihm zum Beispiel Sueton mit seinen Kaiserbiographien später folgen sollte. Und wie diese sind auch die Lebensbeschreibungen des Cornelius Nepos auch nach über zweitausend Jahren noch immer eine unterhaltsame Lektüre.

Dienstag, 29. März 2016

Sandalenfilme (Teil II): 300.


300

300 USA 2007 116 min.

Regie: Zack Snyder

Buch: Zack Snyder, Kurt Johnstad, Michael B. Gordon; nach der Comic-Vorlage von Frank Miller und Lynn Varley

DarstellerInnen: Gerard Butler (Leonidas), David Wenham (Dilios, Erzähler), Lena Headey (Gorgo); Dominic West (Theron), Vincent Regan (Hauptmann Artemis), Andrew Tiernan (Ephialtes), Rodrigo Santoro (Xerxes), Michael Fassbender (Stelios) u.v.m.   

 
 

Schon die Reagan-Jahre haben einst ihre bluttriefenden Filmikonen hervorgebracht, muskel- und waffenbepackte Einzelkämpfertypen, eher ohne Diplom aus Harvard oder Princeton, auch ohne Aston Martin und Smoking, die ihre Version des Kalten Krieges handgreiflich auslebten – und dafür heute eher belächelt denn bewundert werden. Die 2000er Jahre aber brachten eine seltsame Welle von groß aufgemachten Historienschinken hervor, die nur vordergründig an Ridley Scotts Sandalenfilmwiederbelebungsversuch Gladiator (2000) anknüpften. Werken wie Troja (Wolfgang Petersen, 2004), Alexander (Oliver Stone, 2004) oder auch Königreich der Himmel (Ridley Scott, 2005) war vor allem – bei unterschiedlichsten Ausprägungen – eines gemein: hier kämpfte der Westen gegen den Osten. Den Nahen Osten, könnte man sogar sagen.

300 möchte man nicht den Höhepunkt dieses Subgenres nennen – sofern man wenigstens etwas Respekt vor den Regisseuren der anderen Filme hat. Doch auch Tiefpunkt trifft es nicht, denn dieser Streifen verinnerlicht alle Symptome des noch zu Erläuternden, womöglich ist darum der Begriff Kulminationspunkt noch der beste Kompromiss. Die Welle hat schließlich auch nicht mehr lange weiterexistiert, was in diesem Fall das wenig bedauerliche natürliche Schicksal von Wellen ist. 300 basiert auf einem – gleichnamigen – Comic aus dem Jahre 1999 des für Verfilmungen recht beliebten Frank Miller (Zeichnungen: Lynn Varley), einem Autor, der sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, noch die pessimistischstem Befürchtungen der Herren Adorno und Horkheimer, die diese in ihrer Dialektik der Aufklärung über Comics hegten, zu bestätigen. Waren die doch der Meinung, die gezeichneten Geschichten dienten insbesondere dazu, schon die Jugend langsam an die Selbstverständlichkeit von Gewalt heranzuziehen. In Millers Comics läuft das Blut in Strömen, beziehungsweise spritzt umher, daran hat er unleugbar irgendein nicht näher durchschaubares Vergnügen, welches er nicht einmal mit irgendeinem Pseudoargument verklausuliert. Was bietet sich also besser an als die Geschichte eines deutlich überschaubaren Massakers aus der Historie? Noch dazu eines, wo die als „die Guten“ Angesehenen sich opfervoll hinmetzeln lassen.

Die Schlacht der persischen Übermacht gegen eine kleine spartanische Truppe bei den Thermopylen ist Mythos im doppelten Sinn: noch heute präsent als aufopferungsvolle Tat für einen höheren Sinn – die Rettung Griechenlands – spricht der Althistoriker Ernst Baltrusch dagegen nüchtern und relativierend von einem Kampf, der nicht kriegsentscheidend, wohl aber legendenbildend war. Eine Legende, die vor allem einen Nutznießer hatte: Sparta. Besiegt wurden die Perser durch gemeinsame Aktionen der griechischen Völker, aber diese wiederum unterlagen bald selbst der Hegemonie der durchmilitarisierten Herrschaft Spartas. Und selbst ein besiegter und intelligenter Geschichtsschreiber wie Thukydides lässt gelegentliche Bewunderung für diese Form von Autorität durchscheinen. Die Bewunderung dieses Vorbilds – und Vorgängers – wuchs aber gerade unter den Antidemokraten des 19. und 20.Jahrhunderts und hat offensichtlich wenig von ihrer Faszination auch im 21. verloren. Baltrusch urteilt – hier später noch ausführlicher zu Behandelndes – vorwegnehmend: Diese freie griechische Stadt lebte nach dem Grundsatz: Der einzelne ist nichts, das Vaterland, die Stadt ist alles. Erziehung, Wirtschaft, Kultur, Religion fügten sich in die Idee des Staates ein – Sparta war der erste totalitäre Staat der Weltgeschichte und damit Vorbild auch für moderne Vertreter dieser Gattung.

An der Jahrtausendschwelle macht sich nun jemand die Mühe, eine weitere Interpretation des Geschichtsmythos zu liefern. Frank Miller mit seinem Comic 300. Eine Interpretation, wohl gemerkt, keine Geschichtsaufbereitung für Historiker, orientiert zwar an der historischen Überlieferung, aber nicht kritisierbar für eventuelle Abweichungen von den derzeitigen historischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, schließlich handelt es sich um ein – wie auch immer zu wertendes –  Kunstwerk. Der Vorwurf der Geschichtsklitterung ist ein gefährliches Spiel in solchen Fällen, andererseits kann es natürlich nicht ausbleiben, auf die Auslassung oder Hinzufügung bestimmter – allgemein bekannter – Überlieferungen hinzuweisen, denn Akzentuierung und Auslassung sind bereits künstlerische Verfahren. Ein einfaches Beispiel: die Verfassung des spartanischen Staates beinhaltete eine Doppelkönigsherrschaft, die eine gegenseitige Kontrolle ermöglichte, aber auch ein Ausfallen der Führung verhindern sollte, wenn einer der beiden im Kampf fiel, noch dazu war deren Macht durch bestimmte andere Institutionen teils eingeschränkt, etwa auf religiösem Gebiet. Im Comic und im Film gibt es nur einen König – Leonidas – die einschränkenden Elemente sind noch rudimentär vorhanden, der Rat und die Ephoren, werden von ihm aber ignoriert. Die Konzentration auf eine maßgebliche Führungsfigur ist ein stilistisches Mittel, die das Erzählen erleichtert, gleichzeitig evoziert sie aber ein noch viel stärker autoritäres Bild als ohnehin. Gewollt oder ungewollt – wer diese Vereinfachung vornimmt, muss sich ihrer Wirkung bewusst sein (und man darf davon ausgehen, dass dies der Fall ist). Noch dazu, da Leonidas eine ‚reine’ Figur bleibt – während seine innenpolitischen Gegner (von seinen außenpolitischen gar nicht zu sprechen) sich als korrupt und verräterisch herausstellen werden.

Einführend schildern Film und Comic in Lagerfeuergeschichten die Vorzüge der spartanischen Erziehung, illustriert vom Erzähler an der Jugend des Königs Leonidas: setze im Winter halbnackte zehnjährige Kinder aus, damit sie vom Wolf gefressen werden oder auch nicht. Wer das übersteht, hat sich bewährt und darf später mit diesem Spielchen weitermachen, nur nicht mit Wölfen, sondern Menschen. Leonidas übersteht diesen Männlichkeitsmythos keineswegs überraschend bravourös, im Film darf er sich vorher noch – rein erziehungspsychologisch natürlich – von seinen Lehrern durchprügeln lassen, dafür aber immerhin mit dem groteskesten Wolf seit Joe Dantes The Howling herumschlagen; wozu einerseits zu sagen wäre, dass Snyders Film alle Tiere bis hin zur – Verzeihung – Albernheit computeranimiert verzerrt, ihm dafür aber andererseits die sympathische ironische Haltung Dantes gegenüber seinem eigenen Werk völlig abgeht. Snyder lässt nicht erkennen, dass er die Herausstellung von Krieg als Lebensziel bereits für Kinder und äußerste Brutalität als Erziehungsmittel auch nur im Ansatz hinterfragt, indem er sie etwa ironisiert, stattdessen wird bei ihm der Ausbildung zu finest (!) soldiers noch zusätzlich extra Platz eingeräumt, der Kampf mit dem Wolf durch Chöre heroisierend untermalt. Man darf es in dieser Logik für angemessen halten, dass Verhätschelung zukünftigen Schlachtviehs nicht angebracht ist: Sparta needs sons, von Töchtern ist weder im Comic noch im Film je die Rede, diese existieren bestenfalls – wie auch in dieser Bemerkung Leonidas’ – als zur Fortpflanzung notwendige Existenzen für die nächste Generation von Kriegern.

Der Feind im Innern, ein klassisches Schema, ist ein beliebter Popanz, der von Regierungen, die am Abbau demokratischer Prinzipien interessiert sind, gerne aufgeblasen wird – aufgeblasen, da er oft eine reale Grundlage haben kann, die jedoch überproportional in eine Angstmaschinerie umgesetzt wird. Das machen auch und gerade demokratische Herrscher, die Beispiele aus jüngster Zeit sind überreichlich. Die logischen Konsequenzen solcher falscher Relationen wirken ähnlich einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die Einschränkung von Rechten erhöht für gewöhnlich das Potential zu innerem Widerstand (der, darüber braucht man sich keine Illusionen zu machen, wiederum nur von einer kleinen Gruppe getragen wird). Trotzdem ist der äußere Feind naturgemäß ein viel besser Kitt für die eigene Gemeinschaft, für Beschwörungen von Zusammenhalt, zur Unterdrückung von abweichenden Meinungen als zersetzend angesichts der Gefahr, zu Aufrüstung und Primat des Militärischen. Berechtigter historischer Einwand: Xerxes und die Perser waren kein imaginierter Feind, sondern eine konkrete Bedrohung für Sparta und Griechenland. Unzweifelhaft. Zweifelhafter dagegen sind schon die angeblichen Alternativen: das „freie“ Sparta – dazu später noch mehr – und der Völkerunterdrücker Xerxes. Sparta war eine unabhängige, sich selbst verwaltende Gemeinde in Griechenland, daher der Ausdruck „frei“ (der sie also von tributpflichtigen Städten unterschied). Mit einer freien (offenen) Gesellschaft in modernen Sinn hat dies nichts zu tun (das würde man als halbwegs historisch bewanderter Zeitgenosse wohl auch kaum vermuten, doch Buch und Film versuchen hier eine – noch zu zeigende – Umdeutung). Xerxes unterdrückt ganze Völker, die Spartaner unterdrücken Nachbarstädte – und die überwiegende Mehrheit der eigenen Bevölkerung, was Miller und Snyder überhaupt nicht erwähnen. Während die Perser die unterworfenen Völker integrieren – wenn auch nur durch imperialistischen Zwang – ist die Gesellschaft Spartas extrem xenophob nach außen und in der grotesken Situation, dass die Eliten der Stadt ständig in Angst leben vor der eigenen Bevölkerung. Was die kontrafaktische Frage erlaubt, ob vielleicht nicht ein Gutteil der von Sparta Beherrschten lieber unter dem Perser Xerxes als dem kleineren Übel gelebt hätte; um ihre ‚Freiheit’ war es nämlich nicht sehr gut bestellt.

Damit halten sich Film und Comic natürlich nicht auf. Dort ist der Perser mit seiner gigantischen Armee aus tausend Völkern, wie es immer heißt, der undifferenzierte Feind schlechthin. In der Charakterisierung von Gegnern sind alle an einem Krieg Beteiligten stets wenig einfallsreich: wichtig ist die Abwertung, um das Gewissen der eigenen Kämpfer von vorneherein zu erleichtern. Darum setzt man den Feind auf die niedrigere Stufe des Tieres herab: ständig ist vom enemy als beast die Rede. Das ist klassisch. Ähnlich die Zuschreibung gewisser dämonischer Eigenschaften des Feindes, die weniger auf seine Fähigkeiten abzielen, sondern ähnlich der Vertierung den Aspekt der Nicht-Menschlichkeit erhöhen – aber auch das eigene Prestige, sich gegen eigentlich überirdisch unbesiegbare Dämonen durchzusetzen (oder als vorweggenomme Entschuldigung für eine Niederlage). Deshalb bezeichnet Leonidas die Perser auch als würdige Gegner für einen beautiful death – allerdings weniger den persischen Soldaten an sich (der kaum etwas von spartanischer Würde vorzuweisen hat), sondern eher die ungleich verteilte schiere Masse. Der Film überdreht – wie gehabt – diese buchstäbliche Dämonisierung ein weiteres Mal ins Albern-Groteske, indem er die persischen Soldaten tatsächlich ‚entmenschlicht’, hinter den Masken der Immortals verbergen sich Gestalten aus dem Horrorfilmrepertoire, dazu kämpfen in den Reihen der riesigen Armee Freak-Gestalten in Form meterhoher Muskelberge oder Henkersknechte mit Messerarmen. Auch hier also wieder Ab-Normes auf rein körperlicher Ebene.

Auch die Diffamierung des Feindes als effeminiert ist ein klassischer Topos (der z.B. wenig ins Bild vom würdigen Gegner passt). Die Perser – vor allem ihre Boten – sind goldkettenbehängt, geschminkt, gepierct und tragen bunte Klamotten. Die Überhöhung des Ganzen ist Xerxes selbst, dessen körperliche Größe (mit der er dann auch wirklich an einen Popanz erinnert) und im Film zusätzlich durch seine grotesk tiefe Stimme völlig mit seinem weibischen Auftreten kontrastiert. Im Vergleich mit dem durchtrainierten makellosen Muskelmann Leonidas, dessen einziger Schmuck seine Narben (und das Amulett seiner Frau) sind, ist Xerxes mit seinen akkurat gestylten Augenbrauen nicht mehr als eine Witzfigur. Leonidas legitimiert sich schon durch sein Aussehen und Auftreten – nie verliert er die Contenance – als wahre Führerfigur, Xerxes ist ein Herrscher, dessen Macht lediglich auf Gewalt und Angst basiert, wie ihm der Spartaner (der wissen muss, wovon er spricht), des öfteren vorhält. Xerxes kämpft auch nicht selbst, geschweige denn, dass er mit seinen Mannen lagert; er gibt sich lieber Orgien im Fürstenzelt hin.

Es gibt ein Charakteristikum der Perser, dass nicht traditionell, sondern symptomatisch für Entstehung von Comic und Film ist – weshalb der Film es auch wesentlich deutlicher herausstellt. Tierisch, dämonisch, effeminiert, das sind, wie gesagt, klassische Zuschreibungen, um einen Feind zu diffamieren. Dies zu kombinieren ist auch nicht unbedingt originell, all das wieder aufzugreifen und neu in Szene zu setzen lässt schon tief blicken, doch die vierte Kategorie verrät noch mehr über zugrunde liegende Motivation: die Perser sehen nicht wirklich aus wie antike Perser. Damit sind naturgemäß nicht die grotesken Einzelfiguren gemeint, auch nicht die fehlende historische Akkuratesse von Waffen und Uniformen, sondern die ganz einfache Darstellung der persischen Soldaten, die wenig haben von antiken Personen aus dieser Region. Ihr Aussehen ist vor allem fremdartig – und dann doch wieder nicht: das Heer des Xerxes scheint zu bestehen aus Arabern, Tuareg, mittelalterlichen Sarazenen, männlichen Burkaträgerinnen (man sehe sich die Szene an, in der die Boten in den Brunnen stürzen), Indochinesen und afrikanischen Voodoopriestern. Wie es letztere beide Völkerschaften in Xerxes’ Heer geschafft haben, soll jemand anderes untersuchen, der Trend ist klar: besser könnte man den neuen Ost-West-Kontrast kaum darstellen; einziger Fehler des Ganzen, noch sind die vereinigten Völker keine Muslime (immerhin aber sehen sie schon so aus). Aber sie sind jetzt schon Vertreter einer world of mysticism and tyranny, wie der Erzähler am Ende des Films noch einmal erinnert und nur gut, dass die weißen Muskelmänner aus Griechenland sie gerade noch einmal aufgehalten haben. Dass gerade Sparta auf genau dem gleichen Prinzip basiert – egal. Dass die Perser ein religiös sehr tolerantes Volk gewesen sind, wie jeder brave christliche Bibelleser wissen könnte – Schwamm drüber.

Der Feind aus dem Nahen Osten ist also nicht nur vertiert, dämonisch, weibisch und dann auch noch eine Art prämuslimischer Anhänger einer undurchschaubaren Religion, er ist, nicht zu vergessen, überwiegend auch noch körperlich ab-norm, trotzdem lasziv und promisk – wie das Feldlager des Xerxes unterstreicht – und kurioserweise auch ‚tyrannisch’. Da Leser und Zuschauer über die Hintergründe des spartanischen Staates nichts vermittelt wird, erscheint dies dem Unbedarften auch einsichtig, wie das nun einmal ist bei einseitigen Zuschreibungen. Doch auch rein inhärent müsste man sich fragen, ob der Aspekt des Brutalen, der zur Tyrannei gehört, ein Privileg der Perser sein soll. Zugestanden, es ist schwierig, Nuancen auszumachen in einem Werk – es gilt für beide Medien – das in Brutalitäten schwelgt. Der Film bringt es dabei allerdings fertig, das Töten von Menschen als ästhetische Tanzchoreographie darzustellen – was dann durch die Unterlegung mit elektronischen Gitarrenriffs allerdings ungewollt noch lächerlicher wirkt als ohnehin. Eine genauere Betrachtung zeigt recht schnell, dass die Spartaner an Grausamkeit nicht nur mit den Perser mithalten können, sondern sie diese bei weitem übertreffen. Dank der vorhandenen Masse scheint Xerxes, offenkundig ein antiker Mao, ein Menschenleben wenig wert. Doch gilt dies für Leonidas nicht weniger, auch wenn er gerade keine Masse zur Verfügung hat. Mitleid mit dem oder Respekt für (ja angeblich würdigen) Gegner ist von ihm nicht zu erwarten, aber diesen Vorwurf müssen sich vermutlich viele Militärs aller Ränge gefallen lassen. Leonidas hat aber auch kein Mitleid mit seinen eigenen Untergebenen.

Ihre krude Philosophie verkünden Comic und Film in erstaunlicher Offenheit. Leonidas bedauert grüblerisch, dass er seine Leute in den sicheren Tod führt – ein Anflug von Selbstzweifel? Keineswegs, his only regret ist that he has only so few to sacrifice (Hervorhebung im Original). Das Zitat wiederholt im gleichen Wortlaut auch der Film. Unverkennbar ist es wichtig. Dass der Spartaner ab Geburt als zukünftiges menschliches Schlacht-Vieh betrachtet wird und eigentlich kein Lebensziel, sondern nur ein Todesziel (beautiful death) hat, wurde schon mehrfach betont. Die höchste Form ist das Opfer, an individuellem Leben ist niemand interessiert. Dann darf man allerdings die nicht ganz unberechtigte Frage stellen: wofür? Hinter dem Phrasen-Blabla vom Vaterland und der freien Stadt kann für den eigenen zumindest mit halbwegs Denkvermögen ausgestatteten nichts stecken als eine abstrakte Aporie: da der Mensch seinen höchsten Wert nur als Opfer bestätigen kann, wird er dieses Opfer suchen – wie auch seine Söhne und so fort. Wer nicht als Opfer endet, ist folglich eine eher minderwertige Figur. Bleibt insgesamt eine Gesellschaft aus ständigen Märtyrern und zurückbleibenden Zweitrangigen. Solch ein absurdes System ist weder tragfähig noch wünschenswert – aber geradezu ein Prototyp totalitären Denkens. Wenn sich das deutsche Volk als das schwächere erwiesen hat...

Kurzum: ein Menschenleben ist keinen Pfifferling wert – sicher, auch der Film möchte nicht auf das beliebte Diktatorenmotiv vom kleinen Kind, das die an die Front ziehenden Spartaner in die Arme schließen, verzichten, aber ansonsten reiht sich eine Floskel aus dem Wörterbuch des zynischen Menschenverächters an die andere: trained...bred...born...to do: töten. No prisoners. No mercy. A good start. – Spartans never retreat! Spartans never surrender! Und die Worte des Captains nach dem Tod seines Sohnes: Heart? I have filled my heart with hate. Worauf Leonidas lakonisch antwortet: Good. Und erneut sind sich Comic und Film in der Betonung einer Szene besonders einig; selten dürften in populären Medien als positiv dargestellte Helden solch einen Gipfelpunkt an Zynismus erreicht haben wie Leonidas und sein Captain, die nach einem der zahlreichen Gemetzel einen angenehmen Plausch führen inmitten der am Boden liegenden Gegner. Der König isst dabei genüsslich einen Apfel, der Truppenführer sticht so nebenher die Perser ab, die noch Lebenszeichen von sich geben. Man würde dies, sich einen negativen Protagonisten vorstellend, für übelste Propaganda halten, doch hier sind es die Helden, für die das Handwerk des Tötens eine Art Freizeitbeschäftigung geworden ist. Um so schlimmer, dass sie dies offenkundig sogar auch noch bemerken, den Leonidas goutiert diese Arbeit auch noch mit dem Bonmot: there’s no reason we can’t be civil, is there? Mit dieser ‚witzigen’ Bemerkung ist der geistige Tiefpunkt in einem an Tiefpunkten gewiss nicht armen Machwerk dann auch endgültig erreicht.

Die schon erwähnte Idee vom ‚freien’ Sparta meint, wie schon angeführt, nichts anderes als eine sich selbst verwaltende Stadt. Diese historische Definition ist aber natürlich für den zeitgenössischen Konsumenten nicht die präsente – und wird von Film und Buch auch nicht als solche gewollt. Der Freiheitsbegriff wird hier anachronistisch modern interpretiert und nicht nur mit den zeitgenössischen Implikationen versehen, sondern diese werden mehrfach auch explizit formuliert. Am besten fasst dies die Rede der Königsgattin vor dem Rat zusammen; die Unterstützung des Krieges – man achte hier bereits auf den Zweck ihrer Rede! – diene der Durchsetzung folgender Prinzipien: Preservation of Liberty, Justice, Law and Order, Reason und Hope, außerdem der Abwendung von rubble and chaos. Bis auf Hoffnung und – mit Abstrichen – Reason, sind dies politische Forderungen. Auch im Comic wird Spartas Einsatz gern mit the world’s only hope for reason and justice gerechtfertigt – hier ist man auch wieder bei der suggerierten Rettung des Abendlandes. An anderer Stelle schwingen sich die Spartaner zum einzigen Verteidiger der republics of Greece auf, the only free men the world has ever known. Historisch kann die freie Stadt Sparta keinem einzigen Punkt dieser edlen Liste genüge tun, doch gerade die militaristisch-totalitäre Gesellschaft zum Bannerträger von liberty und reason zu erheben ist keine eigenwillige, sondern nur noch lächerliche Interpretation. Schon in den demokratischen Gemeinden war es um die vermeintliche Freiheit vieler ihrer Bürger nicht sehr gut bestellt, aber warum die Monarchie Sparta, was ja Film und Buch nicht leugnen, sich gerade sorgen sollte um die Republiken, das verstehe, wer will – vor allem da beide auch keinen Hehl machen aus der Verachtung der Spartiaten für Athen und für ihre verbündeten Bürgerarmeen. Jedoch ist Sinn und Zweck der unhaltbaren Charakterisierung Spartas als Verteidiger der Freiheit und damit auch Sanktionierung für die gerechte Grausamkeit mehr als offenkundig. Die Rede von Leonidas’ Frau klingt nämlich alles andere als historisch, überzeugt werden soll nicht der Rat Spartas, sondern der Zuschauer.

Sparta selbst und insbesondere die Schlacht bei den Thermopylen diente, worauf schon aufmerksam gemacht wurde, gern als Vorbild für allerlei dubiose Zwecke. Der wohl hierzulande bekannteste ist die Gleichsetzung dieser Schlacht mit den Geschehnissen bei Stalingrad 1943 in einer Rede Hermann Görings an die Deutschen und insbesondere die eingeschlossene Armee. Die Ansprache war auch in Stalingrad zu hören und wurde dort als „Leichenrede“ aufgenommen. Göring, der versprochen hatte, Stalingrad aus der Luft zu versorgen, scheute sich nicht, dieses militärische Desaster, bei dem auf deutscher Seite über 200000 Soldaten ums Leben kamen und 90000 in Gefangenschaft gingen, mit dem Kampf von Leonidas und seinen dreihundert Spartanern gegen die Übermacht des Perserkönigs Xerxes zu vergleichen und mit dem Kampf der Nibelungen – so der Historiker Peter Reichel. Über die Abwegigkeit der Zusammenstellung dieser beiden (oder drei, noch dazu ist die katastrophale letzte Nibelungenschlacht eine pure Fiktion) muss man weiter kein Wort verlieren, allenfalls die blutig bezahlte Ironie der Geschichte, dass die Thermopylenepisode – nach Baltruschs oben genannter Aussage – nicht kriegsentscheidend war in einem Krieg, den die dort Unterlegenen noch gewannen, während Stalingrad endgültig kriegsentscheidend war in einem Krieg, denn die dort Unterlegenen verloren. Das dürfte kaum Görings Motivation gewesen sein.
 

Eine andere Propagandistin des Dritten Reiches wurde von einigen Kritikern des Filmes des öfteren genannt, wenn es um die Ästhetik von 300 ging: Leni Riefenstahl. Inwiefern dies berechtigt ist, soll hier nicht eingehender diskutiert werden, am augenfälligsten ist es, wenn man den Vorwurf gelten lässt, wohl in der Darstellung der männlichen Körper – natürlich nur der Spartaner. Doch die Reduktion des Menschen auf seine unversehrte Körperlichkeit – die jeweils nur der eigenen Gruppe zugesprochen wird – ist eher ein klassischer und sehr allgemeiner Topos autoritären Denkens egal welcher Couleur. Es fällt natürlich schwer, hier keinen Zusammenhang zu sehen zwischen der grundsätzlichen Abhängigkeit von Form und Inhalt, d.h. die ästhetische Wiedergabe reflektiert nur die inhaltlichen Grundlagen – und im Fall von 300 geschieht dies sehr unverblümt. Vielleicht rührt daher die Gemeinsamkeit mit Riefenstahl. Wesentlich erstaunlicher – aber dann doch auch wieder nicht – ist die komplette Ignoranz gegenüber einer durch die Historie eigentlich desavouierten Ikonographie; von der man bestenfalls noch hoffen kann, das sie einfach nur gedankenlos ist. Der Film übernimmt aus dem Comic die Bilder einer von den Spartanern aufgebauten Mauer, die anfangs teils, später überwiegend aus den Leichen ihrer Gegner aufgerichtet wird. Dass dies von den Soldaten mit einer rein handwerklichen Akkuratheit und unter Begleitung süffisanter Kommentare bewerkstelligt wird – während die Grausamkeit dieser Idee sogar die Perser erschreckt – gehört zum üblichen zynischen Grundtenor von Film und Buch. Dass weder Autor noch Regisseur die Ähnlichkeit dieses Leichenhaufens mit den Bilder von Massengräbern oder KZ-Aufnahmen registrieren – eine absichtliche Parallele will man ihnen nicht unterstellen, schließlich handelt es sich hier um eine Tat der „Guten“ – ist vermutlich eines der entlarvendsten Symptome beider Medien.

Was den Punkt der zur Schau gestellten Körperlichkeit angeht, wurde in vielen Rezensionen kolportiert, der Film erfreue sich großer Beliebtheit bei homosexuellen Männern. Inwiefern dies eine phantasievolle Unterstellung ist oder ob tatsächlich genug Homosexuelle bereit waren, sich auf diese oberflächliche Art zu vergnügen, sei dahingestellt, in jedem Fall setzt es eine sehr unreflektierte Gleichsetzung von halb oder ganz nackter Fitnessstudiomuskelprotz wirkt attraktiv auf schwule Männer voraus. Jedem aufmerksamen Zuschauer wird kaum entgehen, dass der Film (dieser insbesondere, der Comic nur nebenher) in seinen zahlreichen Kategorisierungen auch das Homosexuelle auf die Seite des Ab-Normen stellt. Nicht nur ist die einzige Sexszene heterosexuell und natürlich inner-spartanisch, in dem lasziven und promisken Feldlager des Xerxes gibt es dagegen erotisches Kuddelmuddel, in dem sich – auch ein Stereotyp von Männerphantasien – wohlgeformte Frauen küssen und streicheln. Doch schon dieser Anstrich von Gleichgeschlechtlichkeit wird in der für den Film typischen Weise diffamiert: die Gesichter der Frauen sind von einem hässlichen Ausschlag zerfressen, wie sich auf den zweiten Blick zeigt. Abweichende Sexualität wird eben durch Deformation bestraft – das galt schon für die Ephoren, was nur unterstreicht, das ein weiteres Mal eine völlig absurde Gleichsetzung vorgenommen wird: in die Reihe des Ab-Normen fallen nach solch einfach strukturiertem Weltbild gleichzeitig Inzucht und Homosexualität. Wem dies trotzdem noch zu subtil erscheinen mag, der kann es auch ganz offen haben; Leonidas macht schon zu Beginn des Filmes keinen Hehl aus seiner Verachtung für die athenischen boy-lovers. Das ist natürlich spartanisch konsequent, da eine Gesellschaft, deren Hauptzweck die stete Produktion einer Kriegerkaste ist, sexuelle Normabweichungen nicht tolerieren kann.

Und so bleibt die grundlegende Frage, warum jemand gerade zu diesem Zeitpunkt diese Geschichte der Spartaner und mit ihr den Thermopylenmythos wieder ausgräbt – und in dieser Form umsetzt. Sprich heroisch, vorbildhaft, unironisch, zweckverdichtet auf bestimmte Elemente – warum nicht distanziert, dekonstruierend (was ja nicht weniger zeitgeistig wäre), skeptisch oder gar parodistisch gebrochen. Warum die Wiedergabe einer ambivalenzlosen Heldengeschichte, der noch dazu ein so langer historischer Rattenschwanz an propagandistischen Missbrauch anhängt, auf dessen Pfade man ohne zu zögern wieder einschwenkt. Millers Comic gibt das alles vor, schon 1998, Snyder setzt es in ein Medium um, das noch größere Resonanz verspricht – die der Film auch bekam, er war einer der erfolgreichsten des Jahres 2007. Allein das ist schon Beweis genug, dass er Strömungen des Zeitgeistes aufnahm. Der Comic hatte bereits Erfolg, dessen Gründe hinterfragt werden müssten, doch das Genre des Comics hat allgemein Platz für allerlei subkulturell Toleriertes; und nicht immer ist die Subkultur die Avantgarde progressiven Denkens. Millers Idee nahm wohl damals bereits die latenten Ängste eines abendländisch-nahöstlichen Großkonflikts auf, die ja längst nicht nur unter der Oberfläche kursierten; Samuel Huntingtons späterer Bestseller war längst geschrieben, islamistische Terroristen hatten ihre Zeichen bereits gesetzt. Snyder konnte dies für seine Verfilmung nach dem 11.September natürlich bestens nutzen – denn nun war diese drohende Auseinandersetzung keinesfalls mehr latent, sondern Alltag und Wirklichkeit. Oder wurde zumindest so wahrgenommen. Und diese Wahrnehmung verstärken Filme wie die genannten Sandalenschinken, in dem sie eine scheinbare historische Kausalität der Auseinandersetzung suggerierten (gewollt oder ungewollt). Wer nicht soweit zurückgehen mochte, den erinnerte Ridley Scott mit Black Hawk Down (2002) an die längst bekannt gewesenen Gefahren islamistischen Terrors, indem er das Trauma der Amerikaner 1993 in Mogadischu noch einmal sehr bildgewaltig in Szene setzte. Und wer wollte, konnte darin auch noch zusätzlich das Scheitern der zu ‚weichen’ Politik des demokratischen Amtsvorgängers Bill Clinton erkennen. Kein Wunder, dass Scott für seinen Film die Hilfe der US-Armee in Anspruch nehmen durfte. 300 aber ist der uneinholbare Exponent dieser Art von Filmen, er ist symptomatisch für die wirklich verwerflichen Versuche der Bush-Jahre, unter dem Vorwand äußerer (und auch innerer) Gefahr, Grundsätze der Demokratie, der Diplomatie und der Menschenrechte abzubauen und preiszugeben, indem er dafür eine populärästhetische Legitimation abliefert. Und dies in einer der ältesten modernen Demokratien, auf deren Standhaftigkeit man allerdings bauen kann, was viele antiamerikanische Bush-Bashing-Spezialisten offenkundig jedoch nicht verstanden hatten, die amerikanische Republik war immer fähig, ohne große Gefährdungen auch einen zündelnden Präsidenten zu verkraften. Trotzdem waren allein diese Versuche fatal und voraussehbar völlig kontraproduktiv. 300 spiegelt eine Spielerei mit – anders kann man es nicht ausdrücken – faschistoiden Gegenentwürfen wider, mit einer vermeintliche Rückbesinnung auf bestimmte autoritäre Tugenden, mit einer Reduktion auf ein leicht nachvollziehbares, da unkomplexes Kategorisierungsschema in Normen- und Ab-Normen, anders ausgedrückt Gut-und-Böse.

Vielleicht das auf seine Weise einleuchtendste und überführendste Zeugnis dieser Propagandalektion in reaktionärem Denken ist die Tatsache, dass Miller und Snyder sich gerade Sparta zum Vorbild gewählt haben – und eine Schlacht, die letztlich auch nur, da die ohnehin wenigen Verbündeten sich rechtzeitig davonmachen, von Spartiaten geschlagen wird. Hinzukommend ist es erschreckend, dass es gerade den so überzeugt demokratischen US-Amerikanern, noch dazu in mit ihnen so stark assoziierten Medien wie Comic und Spielfilm nicht aufgefallen ist, dass hier als Ideal diejenige totalitäre Gesellschaft hingestellt wurde, deren Ziel es war, Athen, die allererste abendländische Demokratie, zu zerstören. Was Sparta auch gelungen ist.   

Vorheriger Film: (1) Die letzte Legion.