Mittwoch, 20. Januar 2016

Bekannte Unbekannte: über die letzten Mitglieder der RAF.

Scheinbar längst vergessen, machen Mitglieder der offiziell seit 1998 aufgelösten Roten Armee Fraktion (RAF) wieder Schlagzeilen. Die gleichen Akteure wie schon 1999 in Duisburg - Burkhard Garweg, Ernst-Volker Wilhelm Staub und Daniela Klette - sollen im Sommer 2015 Geldtransporte in Bremen und Wolfsburg überfallen haben. Früher waren solche "Enteignungsaktionen" ein sicheres Zeichen zur Finanzierung bald folgender terroristischer Aktionen. Doch heute wenden die ehemaligen Sozialrevolutionäre ihr kriminelles Fachwissen offensichtlich nur noch an, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdingen.
 
Die drei genannten sind jedoch nicht die einzigen, die noch auf der Fahndungsliste der Behörden stehen: zahlreiche namentlich Bekannte ehemalige Mitglieder sind noch auf freiem Fuß, von vielen unbekannten RAF-Terroristen ganz zu schweigen. Denn während die Mitglieder der so genannten Ersten Generation der RAF um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin recht schnell gefasst wurden und auch die Zweite Generation Anfang der 1980er Jahre zerschlagen werden konnte, sind Verbleib und Mitgliedschaft vieler Täter aus der Dritten Generation bis heute unbekannt.

Die Dritte Generation der Roten Armee Fraktion

Die Dritte Generation, die sich Mitte der 1980er bildete, nachdem die vorherige Führung um Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar festgenommen worden war, zeichnete sich durch eine extreme Brutalität, internationale Verbindungen nach Frankreich und Belgien, aber vor allem eine höhere technische Perfektion aus, der unter anderem der Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Alfred Herrhausen 1989 oder 1991 Detlev Karsten Rohwedder, Leiter der Treuhandanstalt, zum Opfer fielen. Nach dem letzten Anschlag auf den Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt 1993 löste sich die Gruppe fünf Jahre danach offiziell auf.

Die unbekannten Terroristen

Die hohe Professionalität der Gruppe hat zur Folge, dass bis auf den heutigen Tag nur drei Mitglieder des inneren Führungszirkels, der so genannten Kommandoebene, bekannt sind: Eva Haule, Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, die ersteren beiden verbüßen als letzte RAF-Mitglieder noch immer ihre Haftstrafen, Grams tötete sich 1993 bei seiner missglückten Festnahme 1993 in Bad Kleinen selbst. Andere Beteiligte an den Anschlägen konnten nicht festgenommen oder zumindest – bis auf einen Fall: Daniela Klette – identifiziert werden.

Vergebliche Fahndungserfolge

Mehrere vermeintliche RAF-Mitglieder, nach denen auf Fahndungsplakaten in der Bundesrepublik in den 1980er und 1990er Jahren gesucht wurde, stellten sich nach Auflösung der Gruppe den Behörden, angelockt auch durch Aussteigerprogramme. Doch keiner dieser Personen konnte eine Beteiligung an den zahlreichen Taten der Dritten Generation nachgewiesen werden. Mancher von ihnen, wie etwa Christoph Seidler, lebten zwar illegal oder waren in andere terroristische Zusammenhänge verstrickt, doch der Führungsebene der RAF gehörte keiner von ihnen an – oder es war ihnen nicht nachzuweisen.
Die Fahndungsplakate sind aus den Amtsräumen verschwunden, gesucht werden die unbekannten Täter der RAF noch immer, ohne dass davon viel Aufhebens seitens der Bundesbehörden gemacht wird. Dort verweist man auf mögliche Spuren, doch ansonsten schweigt man sich aus. Da von zahlreichen Terroristen allerdings bis heute nicht einmal die Namen bekannt sind, ist kaum noch davon auszugehen, dass spektakuläre Erfolge gelingen könnten.

Eine Vermisste aus der Zweiten Generation

Auch eine Terroristin der Zweiten Generation steht noch auf der Fahndungsliste: Friederike Krabbe, die dem Kreis um Brigitte Mohnhaupt angehörte und möglicherweise an der Entführung von Hanns-Martin Schleyer 1977 im Deutschen Herbst beteiligt gewesen war. Kurz darauf war sie Richtung Bagdad geflohen – Vermutungen lauten, dort sei sie noch heute. Beweisen ließ sich das – auch unter der zwischenzeitlichen amerikanischen Besatzung – bislang nicht.

Mysteriöse Frauen: Ingeborg Barz und Inga Siepmann

Und ein weiteres ehemaliges Mitglied der RAF – diesmal sogar der Ersten Generation – wird im Irak vermutet: Ingeborg Barz. Der ehemalige Terrorist Gerhard Müller hatte im Prozess gegen Andreas Baader behauptet, dieser habe Barz in einer Racheaktion 1972 umgebracht. Er gab sogar die Stelle an, an der die Getötete begraben worden sein sollte. Indes: Dort fand sich keine Leiche. Ob Ingeborg Barz noch lebt – womöglich im Irak – ist unklar. Gleiches gilt für Inga Siepmann aus der Ersten Generation, angeblich 1982 verstorben. Einen Beleg hierfür gibt es jedoch auch hier nicht. Verschwunden bleibt auch Angela Luther, gegen die noch immer ein Haftbefehl vorliegt.

Was machen die Terroristen nach der Auflösung der RAF?

Keine der noch immer gesuchten Personen ist vermutlich noch mit terroristischen Aktivitäten beschäftigt, allenfalls noch mit kriminellen, wie das Beispiel des in Wien 1999 bei seiner Festnahme getöteten Horst Ludwig Meyer – auch er vermutliches Mitglied der Dritten Generation – zeigt, der sich sein Überleben durch Raubüberfälle sicherte. Für die Unbekannten, von denen nicht einmal die Namen in den Akten und Fahndungslisten auftauchen, erscheint es wohl auch klüger, ihr legales Leben unbehelligt weiterzuführen.

Keine Nachfolger für die RAF

Und auch ihre ehemalige Organisation, schon seit Anfang der 1990er Jahre isoliert und in der Agonie, fand sich glücklicherweise kein Nachfolger. Splittergruppen, die an die blutige Tradition der Roten Armee Fraktion anzuknüpfen suchten, wie etwa die Anti-Imperialistischen Zellen (AIZ) machten nur kurzzeitig mit Anschlägen von sich von sich reden. Gerüchte um ein Wiederaufleben oder eine Vierte Generation tauchen gelegentlich in der Presse auf, sind aber oft eher journalistischer Sensationslust geschuldet. Der Linksterrorismus hat in Deutschland sein Zugpferd RAF verloren, aktiv ist er in vielen Kleingruppen allerdings immer noch, wie die zahlreichen Brandanschläge auf Autos vor allem in den Großstädten belegen.
 
Literatur zum Thema:
 
  • Butz Peters: Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF. Frankfurt/Main: Fischer 2007.
  • Alexander Straßner: Die Dritte Generation der „Roten Armee Fraktion“. Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation. Opladen: Westdeutscher Verlag 2003.
  • Christian Kämpfer: Untergang der Rote Armee Fraktion: Zerfall und Auflösung der RAF (1992-1998). Bremen: 2012.

Donnerstag, 14. Januar 2016

Ein Lied - von Ludwig Tieck.

Viel zu lange wurde die Lyrik hier auf diesem Blog vernachlässigt und der Sammlung meisterlich melancholischer Poesie kein neues Exemplar hinzugefügt - somit ist es ein guter Anfang des neuen Jahres, dieses Vorhaben mit einem kurzen unbetitelten Lied aus der Frühzeit Ludwig Tiecks wieder aufzugreifen, des Mannes, der alle Phasen der Romantik, Früh-, Hoch- und Spät-, durchlebt und aktiv mitgestaltet hat, in allen ihren Formen, vom Roman, dem Kunstmärchen über die Lyrik bis - fast als einziger - zum Drama, für das er seiner Zeit weit vorauseilende "post-moderne" Elemente einführte. Seine Verse streute er dabei zumeist in die Prosawerke ein, daher auch die Bezeichnung Lied und der fehlende Titel wie in unserem Beispiel:



Mit Leiden
Und Freuden
Gleich lieblich zu spielen
Und Schmerzen
Im Scherzen
So leise zu fühlen,
Ist wen'gen beschieden.
Sie wählen zum Frieden
Das eine von beiden,
Sind nicht zu beneiden:
Ach gar zu bescheiden
Sind doch ihre Freuden
Und kaum von Leiden
Zu unterscheiden.
 

Ludwig Tieck (1773-1853)


Der Vorgänger zu diesem Gedicht in der Lyrik-Reihe war: Stefan George - komm in den totgesagten park