Dienstag, 29. November 2016

Das Zitat zum Dienstag.


"Es gehört zu Zeiten des Niedergangs, dass man mit nichts so sehr rechnen kann, wie mit dem Paradoxen: Es ist dann geradezu das Erwartungswidrige zu gewärtigen."

Christian Meier, Caesar





 
 
 
Das Vorgängerzitat stammt von Rainald Goetz.

Montag, 21. November 2016

Suhrkamps Romane des Jahrhunderts (2) - Thomas Bernhard: Auslöschung.


Thomas Bernhard: Auslöschung. Ein Zerfall. st 2558

st 2558 Thomas Bernhard: Auslöschung.
Die achtziger Jahre waren keine sehr erfreuliche Zeit in der deutschsprachigen Literatur. Resigniert hatte man sich nach dem Engagement der Siebziger in die „Neue Subjektivität“ zurückgezogen, selbst hervorragende Schriftsteller und Schriftstellerinnen produzierten nun schwer erträgliche Selbstbespiegelungen von Durchschnittstypen, die jedes einzelne Gefühl mehrfach kommentierten und sich selbst zu finden hofften. Während international die Postmoderne höchste Triumphe feierte, machten sich hierzulande weitschweifige Gymnasiallehrer Gedanken über ihre Zukunft und ihr Menschsein. Auf den ersten Blick könnte man Thomas Bernhards Auslöschung. Ein Zerfall aus dem Jahr 1989 für einen charakteristischen Vertreter der Epoche halten, schließlich handelt es sich um gut 650 Monolog eines Mannes, der soeben erfahren musste, dass seine halbe Familie – die Eltern und der Bruder – bei einem Verkehrsunfall umgekommen sind. Viel mehr an Handlung gibt das Buch nicht her: der Tag der Ankunft des Telegramms mit der Todesnachricht, der Tag der Ankunft des Protagonisten auf seinem Heimatschloss Wolfsegg und kurz noch die folgende Beerdigung.

Naturgemäß ist Thomas Bernhards (1931-1989) Roman, sein letzter – er hatte in früher vollendet, aber zurückgehalten – und umfangreichster, alles andere als ein Vertreter der selbstmitleidigen Nabelschau. Es ist, noch einmal, ein Bernhard in kondensiertester Form, der den eigenwilligen Stil des Autors, den selbst jeder halbwegs vertraute Laie schon nach drei Sätzen wiedererkennen könnte, zu einem Manifest zusammenfasst, in dem Franz-Josef Murau, der unverhoffte Erbe seines verhassten Elternhauses, die Auslöschung dieses Gutes und der Erinnerung seiner Familie durch Aufschreiben beschließt – ein paradoxes Unterfangen, naturgemäß, da die Erinnerung nun für alle Zeiten zu Papier gebracht wurde. Doch Murau ist ohnehin ein Mann der Widersprüche und oberflächliche Leser Bernhards, die noch dazu gerne geneigt sind, Erzähler und den Autor, der, sagen wir mal, polternde Auftritte liebte, zu verwechseln, laufen leicht Gefahr, ihm auf den Leim zu gehen. Was nicht schwer ist, liefert Bernhard doch in seinen Roman die Stichworte selbst mit. Meine Übertreibungskunst habe ich so weit geschult, dass ich mich ohne weiteres den größten Übertreibungskünstler, der mir bekannt ist, nennen kann (611), so Murau – und wer käme nicht darauf, dies auf Thomas Bernhard selbst anzuwenden? Doch nur wenige Zeilen später heißt es sogleich: Aber auch dieser Satz ist natürlich wieder eine Übertreibung, denke ich jetzt, während ich ihn aufschreibe, und Kennzeichen meiner Übertreibungskunst (611). Der Roman gehorcht ganz sicher nicht einfachen Schemata. Murau ist ein äußerst gegensätzlicher Charakter, unzuverlässig in seinen Ansichten und Aussagen, verlässlich nur in seiner Ungerechtigkeit und Arroganz, ein raffinierter Vertuscher meiner Abscheulichkeiten (471), sein Hochmut ist ihm nichts anderes als ein Machtmittel gegen eine Welt, die uns sonst und also ohne diesen Hochmut mit Haut und Haaren verschlingen würde (435f). Murau arbeitet sich, wie gesagt wird, an seiner Familie ab, denen er die Unterdrückung seiner Geistesgaben und ihre katholisch-nationalsozialistische Vergangenheit und Gegenwart, ihr Österreichertum überhaupt, vorwirft. Dem Leser bleibt es ständig überlassen, hinter der Fassade des Herabwürdigens ein reales Bild zu erkennen. Murau wird ihm hierbei keine große Hilfe sein – er kann seine Mutter seitenweise auf das gröbste beschimpfen, gar als das Böse schlechthin bezeichnen und sie doch kurz darauf wieder liebevoll beschreiben, nur um sie sofort wieder zu verdammen.

Jeder Bernhard-Enthusiast wird die Auslöschung mit Genuss lesen – und Bernhard gehört wohl zu den Schriftstellern, zu denen man ein eindeutiges Verhältnis hat: man mag ihn, oder doch eher nicht. Vielleicht ist Letzteres eine Geschmacksfrage, aber man wird auch als Skeptiker anerkennen müssen, dass Bernhard eine Einzelleistung höchsten Ranges in der Nachkriegsliteratur vollbracht hat. Dass die Auslöschung nicht einmal zehn Jahre nach ihrem erscheinen schon das Prädikat Roman des Jahrhunderts erhält, ist ausnahmsweise mal keine Übertreibung. Hier findet sich noch einmal alles, was einen Bernhard, ob Theaterstück oder Prosawerk, ausmacht: das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die unglaublich musikalische Syntax mit ihrer eigenen nie monotonen Monotonie, die so beliebten Schimpftiraden, das aristokratische Geistesmenschentum und ein Unterbau von tiefen philosophischen Gedanken. Nach diesem Bericht muß alles, was Wolfsegg ist, ausgelöscht sein. Mein Bericht ist nichts anderes als eine Auslöschung (199).      

Teil (1): James Joyce - Ulysses