Mittwoch, 31. Mai 2017

Kaiser Jovian - Herrscher für wenige Tage.


 
Die kurze Regierungszeit des römischen Kaisers Jovian (363-364) war beherrscht von Religionskonflikten, Krieg mit den Persern – und seinem Vorgänger Julian Apostata.
 

Eine bis in heutige Tage kontrovers diskutierte Figur der spätrömischen Geschichte ist der römische Kaiser Julian (360-363), von der christlich beeinflussten Geschichtsschreibung mit dem Beinamen Apostata – der Abtrünnige – bedacht. Dieser letzte Sprössling aus der Familie Konstantin des Großen, der noch einmal den Versuch unternommen hatte, gegen das Christentum vorzugehen, hinterließ nach seinem vorzeitigen Tod seinem Nachfolger Jovian ein schweres Erbe. 

 
Der Tod Julians in Persien
 

Julian starb inmitten eines Feldzugs gegen die Perser, dem römischen „Erbfeind“ im Osten. Anfangs erfolgreich, kamen die Truppen Julians, in denen Jovian als Gardepräfekt diente, erst vor den Mauern Ktesiphons, der persischen Hauptstadt zum Stehen – allerdings in einem katastrophalen Zustand. Durch ständige Angriffe zermürbt, geplagt von Hunger und Durst inmitten des Feindgebiets waren die Legionen genötigt, den Rückmarsch unter schwierigsten Bedingungen anzutreten, ständig verfolgt von den nachrückenden Persern. Ungelegener konnte der Tod des jungen Kaisers nicht kommen, der durch eine Lanze verletzt worden war – unbestätigten Gerüchten nach der eines christlichen Soldaten aus den eigenen Reihen.
 

Nur die dritte Wahl: Jovian
 

Die Situation erforderte schnelles Handeln. Zwar war mit Procopius ein geeigneter Kandidat vorhanden, doch dieser befand sich mit einem Entsatzheer noch zu weit weg (dieser wollte später diese verpasste Chance doch noch für sich nutzen und schwang sich unter Valentinian zum Gegenkaiser auf, unterlag jedoch). Die Offiziere einigten sich darum auf Salutius Secundus, einen erfahrenen Mann vor Ort – doch dieser lehnte mit Rücksicht auf seine Familie ab. So fiel die Wahl am 27.Juni 363 auf den Gardepräfekten Jovian, gerade knapp 32 Jahre alt.
 

Der „Schandfriede“ mit den Persern
 

Erste Folge der Politik seines Vorgängers war die Lage, in der dieser das römische Ostheer gebracht hatte: der neue Kaiser Jovian befand sich an der Spitze einer abgekämpften hungernden Truppe, die noch weit entfernt stand von den römischen Gebieten und sich in täglichen Scharmützeln mit den Persern langsam aufrieb. Doch diesen unter ihrem König Schapur ging es nicht viel besser – ihre Verluste waren gewaltig, die Soldaten zwar in der Heimat, aber ähnlich erschöpft wie die Römer. So bot der Perserkönig überraschend Verhandlungen an – und Jovian griff zu.

Ammianus Marcellinus (ca. 330-395), der bedeutendste Chronist seiner Zeit,
war ein scharfer Kritiker Jovians.
Doch Schapur diktierte harte Bedingungen: mehrere römische Siedlungen mussten abgegeben werden, darunter bedeutende Festungen wie Nisibis und Singara, Armenien fiel zu großen Teilen an die Perser. Jovian erreichte immerhin den freien Abzug der dort liegenden Garnisonen und Stadtbewohner auf römisches Gebiet und einen Waffenstillstand auf 30 Jahre. Die Notwendigkeit dieses schnellen Friedens unter diesen Bedingungen war und ist umstritten: der bedeutendste Chronist dieser Zeit, Ammianus Marcellinus, nannte ihn einen voreiligen Schandfrieden.
 

Rückzug nach Nisibis und Tarsus
 

Immerhin brachte Jovian seine Truppen sicher nach Nisibis, dessen Räumung er einleitete, sehr zum Missfallen der dortigen Bevölkerung. Nun erreichten ihn auch die frischen Truppen des Procopius. Der Leichnam Julians wurde weiterbefördert nach Tarsus in Kleinasien – Jovian hatte schon einmal einen toten römischen Kaiser begleitet, seinen Vorvorgänger Constantius II. (351-360), den er sich auch zum Vorbild genommen hatte. Er berief viele frühere Amtsträger aus dieser Zeit zurück, zum 1.Januar 364 übernahm Jovian selbst das Konsulat und begab sich Richtung Konstantinopel.
 

Die Revisionspolitik des Jovian
 

Nicht nur die Berufungen des Jovian deuteten auf eine Revision der Politik Julians und den Versuch einer Konsolidierung hin, Jovianus war auch Christ, der die Kirche größtenteils in ihre früheren Rechte zurückversetzte, wenn er auch insgesamt eine eher tolerante Haltung zu religiösen Themen einnahm. Das berüchtigte Schulgesetz Julians, dass es Christen verbot, Rhetorik und Philosophie zu lehren, das selbst von vielen „Heiden“ – etwa Ammianus Marcellinus – kritisiert worden war, hob er auf. Der neue Kaiser war somit erst einmal damit beschäftigt, die Konsequenzen der Politik seines Vorgängers zu mildern – doch bevor er eigenständige Ansätze zeigen konnte, starb er am 17.Februar 364, vermutlich an einer Erstickung. Sein Nachfolger wurde Valentinian, der eine neue Dynastie begründete.  

Die kurze Herrschaft des Jovian 

Jovian starb mit 33. Seine Regierungszeit war zu kurz, um eine definite Bewertung abzugeben. Die christlichen Historiker beurteilten ihn milde, die Zeitgenossen waren vor allem wegen des nachteiligen Friedens mit den Persern weniger gnädig – beide Urteile sind stark abhängig von der Person seines Vorgängers Julian. Im Gegensatz zu diesem geriet er auch schnell in Vergessenheit, allenfalls als Übergangskaiser zwischen der abtretenden konstantinischen und der aufstrebenden valentianisch-theodosianischen Herrscherfamilie blieb er in Erinnerung.

 

Literatur:

Ingemar König: Der römische Staat II – Die Kaiserzeit. Stuttgart: 1997.

Ingemar König: Die Spätantike. Darmstadt: 2007.

Marion Giebel: Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter. Düsseldorf und Zürich: 2002.

Ammianus Marcellinus: The Later Roman Empire (A.D.354-378). London: 1986.  

 

                              

Dienstag, 23. Mai 2017

Mit Fräulein Annika unterwegs...auf den Liebfrauenberg in Rankweil.


Mit Fräulein Annika unterwegs...auf den Liebfrauenberg in Rankweil.

Nach Rankweil im Rheintal bringt einen die Vorarlberger S-Bahn, ein moderner schnittiger Zug in grau-rot, der von Bregenz meist bis Bludenz, manchmal nur bis Feldkirch, manchmal gar bis Schruns fährt. Wege, die schon seit Urzeiten – und zwar buchstäblich – durch die Voralpen führen, heutzutage eben etwas bequemer. Und zum Glück auch überdacht, denn leider nieselt es und gab man sich der Hoffnung hin, dies möge bis zum Aussteigen abklingen, sieht man sich durch das Gegenteil getäuscht, nun fällt richtiger Regen. Egal, wir haben uns die Reise vorgenommen, also raus aus dem Zug auf die Bahnhofsbaustelle. Rankweil, übrigens Ránkweil, also auf der ersten Silbe betont, präsentiert sich folglich a) bei Regenwetter und b) als lärmende Baustelle. Hervorragende Vorrausetzungen. Fräulein Annika ist das völlig wurscht, ihr Stoizismus ist legendär – und nass wird sie auch nicht. Und dass, obwohl sie im Gegensatz zu ihrer Begleitung nicht einmal Regenschirme verachtet. So sehr, dass dieser sich nicht entschließen konnte, einen herren- oder frauenlosen Knirps, der in der S-Bahn von St.Margrethen lag, mitzunehmen, obwohl sich der Wetterumschwung zum Bösen dort bereits angekündigt hatte.

Aber Stoizismus kann ich auch und so geht es unbeirrt Richtung Liebfrauenberg, der als Orientierungspunkt nicht zu übersehen ist. Dieser seltsame Berg steht recht einsam mitten im Ort, ein Vorposten der Voralpen, der Rankweil, wie man sich leicht denken kann, zu früher Besiedlung prädestinierte. Eine solch günstige strategische Position ließen sich die Kelten nicht entgehen und die auf Effizienz jeglicher Art getrimmten Römer schon gar nicht. Vidomna hieß Rankweil in jenen Tagen und Spuren römischer Besiedlung finden sich heute unter anderem in einem Freilichtmuseum. Einen Posten mit bestem Überblick hatten sich Kelten und Römer auf dem Felsen ebenfalls errichtet, nachvollziehbar, besser ließ sich kaum überwachen, wer denn hier von Nord nach Süd und umgekehrt zieht – das funktioniert noch heute hervorragend (und noch hervorragender bei günstigerem Wetter) und man kann zum Beispiel den Lauf der Bahnlinie verfolgen, mit der man gerade angekommen ist.

Um auf den Liebfrauenberg zu kommen, muss man erst mal durch den Ort, vorbei an Metzgereien namens „Metze“, was den Liebhaber von Sturm-und-Drang-Literatur leicht irritiert, aber hier in Vorarlberg ist nicht nur sprachlich manches ziemlich anders. Rankweil ist, trotz der Nähe zu Feldkirch einer der größeren Orte dieser Gegend und macht heute sogar seinem Titel als Markt Ehre, auch wenn dieser, obwohl es kaum 13 Uhr ist, sich bereits aufzulösen beginnt. Aufgrund des Wetters? Von dem lassen sich allerdings außer Besuchern von außerhalb auch die Einheimischen nicht abschrecken. Es sind erstaunlich viele unterwegs.

Jedoch nicht in Richtung Liebfrauenberg. Da wird’s bald recht einsam. Na gut, hier noch zwei Damen, die offenbar in der Mittagspause hinterm Haus eine rauchen. Aber ansonsten ist der Anstieg von geradezu ehrfurchtvoller Einsamkeit, was zu den Kreuzwegstationen passt, die diesen Weg auf der rechten Bergseite hochbegleiten. Dieser endet nach kurzer Zeit auf einem hinteren Plateau mit Friedhof (I) und einer Kirche (I) bzw. Kapelle. St. Michael, wie eine Tafel verrät, derzeit leider nicht mehr in Gebrauch. Äußerlich spätgotisch (16. Jh.), wurde sie im Innern einst Ende des 19. Jahrhunderts komplett im Nazarenerstil umgestaltet und danach so gut wie nicht mehr benutzt. Egal, ob man diese Stilrichtung nun mag, die ja immer unter dem schnell herbeigeholten Verdacht des religiösen Kitsches steht, schade drum ist es allemal, weshalb man nun nach einer Neunutzung als kultureller Veranstaltungsraum sucht.

Weiß man es nicht sowieso, dann läst sich aus dem Namen leicht erschließen, dass es sich bei dem Liebfrauenberg um eine Wallfahrtsstätte handelt – die größte Vorarlbergs. Selbst dem krudesten Atheisten verrät dies allerdings schon der entfernteste Anblick, oder vielleicht auch erst der Zweitblick, denn an und für sich darf man die Gebäude auf dem Berg mitten im Ort nicht nur bei oberflächlicher Betrachtung für eine Burg halten. Das ist nicht gänzlich verkehrt. Wir hatten ja schon erwähnt, dass die Position des Felshügels strategisch perfekt und seit altersher militärisch genutzt wurde. Das ging auch im Mittelalter so weiter. Zu karolingischen Zeiten saß in Rankweil das Gaugericht, die örtlichen Machthaber bebauten den Berg mit ihren Festungen. Darunter auch das einst am östlichen Bodensee ungemein einflußreichen Geschlecht derer von Montfort – trotz des französisch klingenden Namens ohne Verbindung zur Loire, es ist lediglich die latinisierte leicht verschliffene Form von mons fortis, starker Berg. Die Burgruinen ihrer Frühzeit stehen in der Nachbarschaft.

Die Montfort waren sehr mächtig, ihre Familie groß und verzweigt sowie ihr Gebiet umfangreich. Von Feldkirch über Bregenz reichten ihre Besitztümer bis Langenargen am Bodensee und zum oberschwäbischen Tettnang. Ein stattliches Territorium, nur noch übertroffen von der Fähigkeit der Montforter, stattt noch mehr Land, noch mehr Schulden anzuhäufen. Man sagt den Habsburgern gerne nach, sie, das glückliche (Haus) Österreich, habe seine Länder nicht durch Kriege, sondern durch Heiraten erworben. Das ist nicht verkehrt, doch am Bodensee war dies fast noch einfacher, da musste man nicht einmal die Verwandtschaft opfern, sondern nur warten, bis wieder mal ein Zweig aus dem Montfort-Clan Pleite ging. Da dies gewissermaßen einmal pro Jahrhundert geschah, konnte sich Österreich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, als es schließlich auch noch Tettnang erwischte, jeglichen Montforter Besitz peu à peu einverleiben. Die Gegend um Rankweil traf dies bereits recht früh, 1375.
Fräulein Annika furchtlos auf der Umwehrung der Kirche.

Ob zu diesem Zeitpunkt noch eine Burg auf dem Liebfrauenberg stand, ist unklar. Hinweise deuten darauf, dass diese um 1350 einem Brand zum Opfer gefallen war. Fortan blieb nur die Burgkapelle, die jedoch nach wie vor sehr gut befestigt war – Wachdienst schoben nun die Rankweiler. Was ist nun der Liebfrauenberg seit dieser Zeit? Burgkirche? Nein, denn eine Burg mit Bewohnern bestand ja nicht mehr. Kirchenburg? Irgendwie schon, aber eigentlich stellt man sich darunter ja eher eine Wehrkirche wie in Ostheim vor der Rhön oder anderen ländlichen Gebieten vor. Kirchenfestung klingt recht pompös und nach Vauban, trifft es aber doch immer noch mit am besten. Schließlich läuft man erst einmal auf eine Mauer mit Toranlage zu, um auf den eigentlichen sich Mont-Saint-Michel-artig hochschraubenden bebauten Haupthügel zu gelangen. Dahinter ein kleiner Friedhof (II) mit stattlichen geschmiedeten Kreuzen und auch noch in Gebrauch, wie frische Photos an manchem Grab belegen. Die Hauptgebäude betritt man im Untergeschoss der Kirche (II), ein Gang am Felsgestein, der auf eine Treppe zuführt, bzw. auf zwei Treppen, außerdem zweigen Seitenkapellen (Kirchen III und IV) ab. Kurzum, der Unterbau ist etwas verwirrend.

Der Kirchenberg in Rankweil.
Im Gang sind Grabplatten und ein interessantes Gemälde, auf dass wir gleich zurückkommen werden. Erst einmal begeben wir uns nach links in ein anfangs sehr dunkles Gewölbe, kein Wunder, es hat auch keine Fenster. Dies ist der modernste Teil – in der Gestaltung, vom Bau sicher nicht – heute die jüngst eingeweihte Vorarlberger Landesgedächtniskapelle. Eine sehr gelungene Umsetzung mit viel Symbolik, um an die Toten der Kriege zu erinnern, mal anders als mit dem üblichen Soldatendenkmal. Die ständig herrschende Düsternis ist dem Anlass sehr angemessen. Ein kleines Fenster, ein in den Fels gebohrtes Loch – der Fels bildet hier einen Teil der Wände – gibt es doch, nur fällt das Licht hier lediglich an bestimmten Tagen  ein, um dann auf bestimmte Stellen des Raumes zu fallen, wie gesagt, hier wurde mit viel Symbolik gearbeitet. Das passt ja auch zu solch einem Wallfahrtsort.

Und auch zum direkten gegenüber, sobald man wieder aus der Tür der dunklen Kapelle tritt. Dort ist nämlich schon die nächste: die Fridolinkapelle. Die ist offen und nicht finster, da hier viele Kerzen brennen. An Symbolik fehlt es ebenfalls nicht, doch diese hier ist einige Jahrhunderte alt. In der Nische liegt ein recht seltsam geformter Stein mit zwei Einbuchtungen. Die Geschichte finden wir hinter uns auf dem Gemälde – das sicher kein Besucher übersieht – und zwar nicht wegen dessen relativer Größe. Der namengebende Fridolin, Beiname von Säckingen und im Schwarzwald wohlbekannt, war Begründer des gleichnamigen Klosters am Hochrhein und ein typischer Vertreter der irischen Wandermönche, die den Süden Deutschlands nach Verfall des Römischen Reiches und damit auch des Christentums durchzogen – wir schreiben das 6. Jahrhundert. Fridolin also hatte von einem Grafen Ländereien für sein Kloster versprochen bekommen, die ihm nach dem Tod des edlen Spenders zufallen sollten. Der trat denn auch ein, man wurde ja nicht allzu alt in jenen Tagen, doch der Bruder des Grafen wollte von den Schenkungen nichts wissen. Fridolin muss den Fall vor dem Gaugericht in Rankweil entscheiden lassen, doch da er nur mündliche Zusagen hatte, stand es schlecht im seine Sache. Er betete vor Ort um Rat – man kann sich schon denken, worauf er kniete – und bekam solchen auch: er solle das Grab seines Gönners in der nahen Schweiz aufsuchen. Fridolin tat, wie ihm geheißen und traf dort am Grab – niemand geringeres als den toten Grafen. Der ließ sich nicht lange bitten und kam einfach mit, um seine Versprechen von einst zu bestätigen. Man muss kaum noch anmerken, dass dieser Auftritt Richter und Bruder vollends überzeugt hat. Letzterer schenkte denn selbst seine Güter an Fridolins Kloster. Man wünschte, sämtliche Erbstreitigkeiten ließen sich mit dieser Methode beseitigen. Nun weiß man auch, wer das Skelett auf dem Gemälde ist und warum der Stein diese Einbuchtungen – die Knie des heiligen Fridolin – hat.

Neben der Fridolinkapelle lädt eine Treppe unter der Aufschrift Zur Gnadenkapelle ein, doch wir begeben uns vorerst, die Neugier beherrschend, auf die Stufen zur Hauptkirche. Diese überrascht durch ihre Größe und Helle. Wohl auf das 14. Jahrhundert – Wiederaufbau nach dem Brand – zurückgehend, ist sie durch barocke Umformungen geprägt, die auf die aus Vorarlberg stammende und den ganzen deutschsprachigen Raum südlich der Donau enorm prägende Baumeisterfamilie Beer zurückgehen. Versuchen Sie mal z.B. im Bodenseeraum ein Barockkloster zu finden, an dem kein Beer mitgewirkt hat – viel Vergnügen. Verehrt wurde ein heute noch an zentraler Stelle – über dem Hauptaltar – befindliches romanisches Kreuz, ein Import des 12. Jahrhunderts aus Siena. Die Legende erzählt dazu wiederum eine andere Geschichte, nach der das Kreuz aus den Alpen herabgeschwemmt wurde. Das ergab erneut Schwierigkeiten, da der Fluss die Gemeindegrenze bildete, doch dieses Mal wurde kein Toter herbeigerufen, sondern ein Ochsenkarren, auf den man das Kreuz legte und dann der Willkür beziehungsweise Vorsehung überließ – und die führte die Ochsen auf den Liebfrauenberg. Gut für die Rankweiler, schade für die Nachbarn. Das Kreuz ist heute mit historischen Schmiedearbeiten ummantelt und von einem modernen Engelkranz umgeben, was es nicht minder eindrucksvoll macht, besonders da es in dem kleinen Chorraum große Wirkung entfaltet.

Die Wallfahrt konzentrierte sich allerdings irgendwann im Mittelalter auf das populäre Marienmotiv um – die Kirche heißt ja auch – seitdem – Unserer Lieben Frau zur Heimsuchung. Die Gnadenkapelle ist parallel zum Chor angebaut, da man hier, der Enge der Fläche geschuldet, die Verschachtelung liebt. Ihre Ausstattung ist überbordend oder mit anderen Worten: pures Gold. Kurzerhand hat man den Altar einfach komplett mit dem Edelmetall überzogen, ohne etwas auszulassen, Türen, Engel, Säulen. Jedermanns Ästhetik ist diese Monochromie nicht, dann vielleicht doch lieber quietschbunte Nazarener. Gleichwohl funktioniert dieser strahlende Überglanz, weil nämlich der zentrale Punkt eben nicht übergoldet ist, was einen raffinierten Effekt ausmacht. Das Gnadenbild, eine spätgotische Madonna des Allgäuers Hans Ruel (1460) könnte durch den Prunk drumherum kaum dezenter wirken. Und diese Maria macht auch so einen angenehm freundlichen Eindruck. Das nackte Christuskind hält übrigens eine Walnuss zwischen Fingern – Symbolik des Mittelalters für die Auferstehung: unter der harten Schale des Lebens steckt die Frucht zu neuem Leben.

Wieder im Innenhof besteigen Fräulein Annika und ich noch den Wehrgang, der fast um die Kirche führt – Friedhof III sieht man von hier aus links unten. Das Wetter vermiest uns wieder etwas den Ausblick, obwohl es nicht mehr regnet, aber wir können die Schweizer Alpen gegenüber durchaus erahnen. Wie in unserem Rücken auf der österreichischen Seite geht es hier nach den Hügeln recht rasant auf 2000 m hinauf. Für uns zum Glück – heute – nicht. Wir bereiten uns auf den Abstieg vor, durch den Vorhof am WC und den verschlossenen Buden für den Wallfahrtsbetrieb vorbei, nun auf den Weg hinab, der im Zickzack auf der anderen Seite direkt in Richtung einer Bäckerei führt, die wir von dort schon erblickt haben – und uns herrliche Nusskipferln und damit wieder rein profane Vergnügungen verschafft. Vorher begegnen wir jedoch noch zwei den Berg besteigenden mittelalten Herren, die sich, wie sich herausstellt, als Ungarn und Bettler entpuppen. Ungarn, die in Österreich betteln? Nun gut, wir haben in Strasbourg schon Deutsche mit der Bitte um einen Euro auf den Straßen sitzen sehen und diese pannonischen Herren hier sind wenigstens nicht volltrunken. Frau Annika ist da mal wieder fein raus, denn sie lässt sich ja generell von mir aushalten – doch auch hier ist sie, zugegeben, sehr selbstgenügsam. Sie will nicht einmal eines der Nusskipferl. Die werden auf dem Weg nach Altenstadt verspeist, wohin zu Fuß die nächste Reise geht. Aber das ist schon eine andere Geschichte.