Freitag, 5. Dezember 2014

Rainald Goetz: Kontrolliert. - Ein anderer Blick auf die RAF-Zeit.

Baader ist auch aus München, auch Herr Bachmann, der Attentäter auf Rudi Dutschke. Rainald Goetz monologisiert in dem Roman Kontrolliert von 1988 sein Münchner Studentenleben im Jahr des Deutschen Herbstes und stößt dabei in seinem Gedankenwust immer wieder auf Ambivalenzen wie die genannte, die gemeinsame – örtliche – Herkunft des Links- und des Rechtsextremisten. Was dies über ihre Gemeinsamkeit aussagt? Nichts – aber das ist gerade der Punkt. Aus der Verbindung lässt sich nichts ableiten, der Roman bringt ständig Thesen und Antithesen, oft wild durchmischt, oft undurchschaubar, nur Synthesen gibt es keine.

Hanns-Martin Schleyer: die väterliche Hassfigur

Exemplarisch sind die Kommentare zum entführten Hanns-Martin Schleyer, meist Schleier oder Schiller genannt, auch das schon Distanzierung zur Schwabenlachfigur, damit man nicht das Mitleid kriegt. Immer wieder ruft man sich ins Gedächtnis, dass Schiller die Universität Innsbruck als Untersturmführer der Schutzstaffel von Judenstämmlingen und Miesmachern gereinigt [hat], dann war er Präsident der Arbeiterausbeuter des Staates, eine Hassfigur für den Studenten; Sätze aus Schleyers Videogesprächen und Briefen werden regelmäßig neu gereiht und so in mehrfache Anklagen gedreht, einerseits des Staates, andererseits gegen ihn selbst: Er ist also Opfer der Terroristen und des Staates, doch nicht nur Opfer, denn [w]er einen echten Mensch mit einem Strick aus Zeit erwürgt am Arbeitsband in der Fabrik, der ist ein Mörder. Der ehemalige SSler und spätere Arbeitgeberpräsident ist [g]eschult, prinzipienlos im Augenblick zu tun, was augenblicklich größten Nutzen bringt – also ein karrieristischer Opportunist. Goetz reproduziert hier aber nicht unreflektiert eine Argumentation der RAF er schildert nur seine – damaligen – Gedanken angesichts der aktuellen Bilder; und er bleibt zwiespältig, [i]n den Augen, tief erniedrigt und entkräftet, war ein Flehen, wie er, eher widerwillig, eingesteht, es kostet oft Anstrengung, kein Mitleid aufkommen zu lassen.

Auflehnung gegen den Staat aus Gefühl

Dabei ist für den jungen Studenten im Jahr 1977 die Lage noch eindeutiger, hat die Freude an Schleier mit Politik nicht wirklich viel zu tun gehabt. Die Revolution kommt, das war das Gefühl. Ein lediglich dumpfes Gefühl, kein rationales, das Wissen, daß was herrliches geschieht, möglichst an der Oberfläche gehalten, um nicht ins Grübeln zu geraten, die staatsfeindliche Feindschaft am Leben erhalten zu können, dann wären alle Schweine weg, was man nicht denkt, weil es ausdrücklich gedacht ein Unsinn ist, aber das Gefühl fühlt sich ungefähr so an. Diese Zweifel darf man durch Vertiefung nicht nähren, man gefällt sich in dieser Staatskritik, weil der Schmidtstaat der totalste Staat ist, den man als Deutscher je gesehen hat, Jahrgang vierundfünfzig, der ironische Bruch des Wohlstandskindes wird hier deutlich vorgeführt, das überall der Faschismus lauert ist allgemeiner Konsens, worüber selbstverständlich nicht ein Wort zu reden war, weil alles das eh und sowieso klar war. Nur: Gescheiter als die Leute, die man dauernd agitiert, ist man selber auch nicht.

Bequemlichkeit statt Widerstand

Doch schlussendlich waren wir Sympathisanten, keine Täter, nur in Gedanken, [d]er Zorn redet in einem, meist nicht einmal aus einem raus, schießen tut er nicht, im Park ist man schnell wieder eher von echten poetischen Büchern gefesselt als von der Politik. Der Nichttatmensch analysiert sich selbst noch radikaler als reinen Systemopportunisten: Säße ich heute wirklich als Stammheimer in Haft, wäre das genau so richtig, so wie ich als real existierender sozialistischer Schreiber die Republik verherrlichen würde, wenn ich nicht in Deutschland würde, wo ich lebe, und konsequenterweise demokratisch realistisch Staatskunst mache. Genau genommen liegt darin die Erkenntnis, dass keine Erkenntnis vorliegt – sondern nur Anpassung. Das ist ein resignativer Zug.

Absage an die revolutionäre Gewalt

Denn auf jeden Triumph, die Euphorie, folgt die Einsicht, Macht kaputt, was euch kaputt macht, ist für jeden logisch zu verstehen und vernünftig, hingegen ist der Satz, die Knarre spricht ein Baaderschwachsinn und sonst nichts. Jede mögliche nachvollziehbare Erklärung der RAF, noch so geistig klar geordnet und politisch konsequent, desavouiert sich durch ihre Taten. Das Problem, an dem die ganze raf zerbricht, ist weder der Mercedes, noch der Buback, sondern sein Fahrer Wolfgang Göbel, […] da halfen keine Worte revolutionärer Herrlichkeit und Härte und so werden die Terroristen auch aus Sicht des den Staat verachtenden Erzählers konsequent verurteilt. Es gibt keine revolutionäre Moral, sagt die Geschichte.

Kontrolliert: ein radikales Zeugnis der Selbstbefragung

Rainald Goetz' Geschichte (nicht Roman) ist in ihrer Hypersubjektivität manchmal auf vielerlei Arten schwer erträglich, in der Sprache, in den Parolen, im Umgang mit den Personen und dem Staat, mit seinem Hass, der zu nichts führt und seiner Resignation. Der Erzähler ist manchmal ungerecht, manchmal unverständlich. Aber er hinterfragt sich ständig, seine Skepsis gilt nicht nur dem Staat, den anderen, seine Skepsis gilt vor allen Dingen sich selbst und seinen Ansichten. Das Buch ist sehr ehrlich und bietet deshalb Einsichten. Denen muss man nicht folgen, aber man muss sie respektieren, weil hier nicht zu vertuschen versucht wird. Und das Fazit, das sich an einer Stelle kurz vor Ende des Textes findet, dürfte für jeden nachvollziehbar sein, wo immer seine Sympathien liegen: Nach siebenundsiebzig war nichts mehr wie vorher. Der Staat nicht, die Revolution nicht, die Rolle Deutschlands nicht, und nicht die Stellung des bewaffneten Kampfes im Klassenkrieg, alles war gebrochen.
 
Rainald Goetz: Kontrolliert. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988.
Mehr von Rainald Goetz unter:
http://bene-a-rebours.blogspot.de/2014/11/die-bezahlbarkeit-der-welt-rainald.html