Mittwoch, 27. Dezember 2023

Der Höhepunkt im "Hohlspiegel" 2023.

Wie gewohnt zum Jahresabschluss die journalistische Stilblüte aus dem vergangenen "Spiegel"-Jahr, das in dieser Hinsicht allerdings nicht sehr ergiebig war.welche Gründe dies hatte - sicher nicht eine verbesserte Qualität der Überprüfung, denn die Masse wurde keineswegs geringer, sondern lediglich die Originalität - entzieht sich meiner Kenntnis. 

 Umso schöner, dass in der Ausgabe 22 vom 27. Mai 2023 gleich ein Doppelschlag gelang: Die beiden Beispiele standen nicht nur direkt untereinander, sondern machen es auch schwer, eine Entscheidung zu fällen, wer den Preis mehr verdient hätte - weshalb es somit zwei Gewinner gibt.

 Die "Braunschweiger Zeitung" machte auf ein ganz spezielles Angebot aufmerksam: 

"Donnerstag nur Damensauna, an Donnerstagen, die auf einen Freitag fallen, ist gemischte Sauna."

 Wer keine Zeit zum Schwitzen hat, für den lohnt sich vielleicht ein Besuch im Hamburger Zoo, wo es laut "Morgenpost" etwas ganz besonders - leider noch immer nicht - zu bestaunen gibt:

"Hamburgs Eisbärbaby: Geschlecht steht fest - doch wann ist es endlich zu sehen?"

 


 

 

 

 

 

 

  

Mittwoch, 20. Dezember 2023

Lektüremonat November 2023.

 

Ellery Queen: Japanische Kriminalgeschichten.

Was dieser Band im Jahr 1983 versucht hat, lässt ihn immer noch sehr aktuell erscheinen: Die japanische Krimikultur in Europa – und ursprünglich natürlich in den USA – bekannt zu machen. Denn dass dieser damalige Versuch sehr erfolgreich war, kann nicht behauptet werden. Während sich viele andere Aspekte der japanischen Kultur auch bei uns längst großer Beliebtheit erfreuen, genannt seien und Comics und Horrorfilme, führt der Krimi aus Fernost noch immer ein Nischendasein. Die Anthologie, nun auch schon ihre vierzig Jahre alt, versammelt Kurzgeschichten, die eher von europäischen Vorbildern inspiriert sind. Dank der hilfreichen Einführung zur Geschichte des Genres – das tatsächlich keine sehr lange Vergangenheit aufweist – stellt sich die Frage, ob diese offensichtliche Nähe nun ein Vorteil oder ein Hindernis für eine hiesige Leser:innenschaft darstellt. Von den Schauplätzen und ein paar kulturellen Besonderheiten abgesehen trifft man auf bekannte Schemata des „kriminellen“ Erzählens, hier existiert keine wahrnehmbare Barriere – vielleicht ist dies aber wiederum der Grund, warum die japanische Kriminalliteratur keinen zusätzlichen Extrareiz ausstrahlt. Wobei natürlich gleich gefragt werden muss, ob das heute noch immer so ist – und wie sehr damals schon die Auswahl im Hinblick auf westliche Leser:innen vorsortiert hat. Wie auch immer, spannend ist das Bändchen in jedem Fall und als Ausgangspunkt für weitere Expeditionen in dieses nur spärlich besuchte Reich der Literatur Japans durchaus gelungen.      

 


Caritas Führer: Die Montagsangst.

Womöglich hat auch manchne:r Arbeitnehmer:in Montag Angst, vermutlich jedoch eher ein Gefühl starker Unlust. Das wird nicht selten auch für Schüler:innen gelten, aber die Protagonistin von Caritas Führers (geboren 1957) kurzer Erzählung hat allen Grund, sich vor dem Betreten der Lehranstalt zu fürchten. Doch es sind weder schlechte Noten – ganz im Gegenteil – noch mobbende Mitschüler:innen, sondern, wenn man so möchte, ein mobbendes System. Denn das Mädchen entstammt einer protestantischen Pastorenfamilie und geht auf eine Schule in der DDR. Dort wird sie in allem als Außenseiterin markiert und von den üblichen Aktivitäten ausgeschlossen, worauf sie einerseits mit Bedauern, zumeist aber mit stolzem Trotz reagiert. Am Beispiel ihrer Schwestern, die jeweils mit sehr guten Leistungen brillieren, denen aber stets im letzten Moment das Weiterkommen, also zum Beispiel ein Studienplatz, verweigert wird, kann sie ihr eigenes Schicksal bereits ablesen. Zuhause herrscht eine Stimmung der Resignation – immer von neuem versucht der Vater vergebens, durch Eingaben seinen Kindern Zugang zur Universität zu verschaffen – und des möglichst unauffälligen Stillhaltens. Als das Mädchen in einem Anfall von Wut über eine verlogene Propaganda-Aussage an der Wandzeitung ein Blatt abreißt, worauf einige Mitschüler:innen in einem Taumel von Zerstörungswut den Rest der Plakate zerstören, scheint sie endgültig abgestempelt – denn natürlich wird sie als Urheberin ausgemacht und als bequemer Sündenbock von ihren Schulkamerad:innen im Stich gelassen. Dann trifft auch noch ein Brief aus einem Berliner Ministerium ein. Mit Bangen öffnet der Vater das Schreiben. Anknüpfend an das Schülerromangenre, in der die Perspektive des Kindes eingenommen wird, weicht die Erzählung aber durch das spezifische Thema der DDR-Erziehung vom Üblichen ab. Am bedrückendsten ist dabei der Opportunismus – ist er bei den Mitschüler:innen noch erwartbar, so zeigt er sich bei den Erwachsenen, insbesondere den Lehrer:innen, in all seiner duckmäuserischen Grausamkeit, der hilft, das System aufrechtzuerhalten.

 

Siri Hustvedt: Die Verzauberung der Lily Dahl.


In dem schäbigen Hotel gegenüber hat sich ein Maler einquartiert, der sonst wenig Umgang mit den Städtern pflegt, aber Lily fasziniert, die ihn von ihrer kleinen Wohnung aus bei der Arbeit beobachtet. Sie selbst stammt aus dem Ort, arbeitet im selben Haus unten in der Kneipe, und hat keine richtige Vorstellung von ihrer eigenen Zukunft. Sie ist hier verwurzelt, engagiert sich in der lokalen Theatertruppe, hat Freunde und Freundinnen, aber kann es das gewesen sein? Aus einem ihr selbst nicht unbedingt bewussten Drang heraus präsentiert sie sich eines Nachts nackt an ihrem Fenster, als der Maler zufällig in ihre Richtung blickt. Kontakt ist damit hergestellt – und Lily geht kurz darauf eine Liebesbeziehung mit dem etwas älteren, wohl auch verheirateten Mann ein, der psychologische Portraits manch ihrer Mitbewohner malt. Ihr macht er dieses Angebot nicht, stattdessen ihrer alten Zimmernachbarin, mit der sie sich langsam angefreundet hat. Währenddessen gebärdet sich einer ihrer Stammkunden aus der Kneipe immer seltsamer. Auch er hat eine Rolle in dem Theaterstück und lässt ihr rätselhäfte Hinweise zukommen, von denen er offenkundig meint, dass sie sich Lily erschließen würden, was jedoch nicht der Fall ist. Trotzdem ist ihre Neugier geweckt, je weniger sie sich einen Reim darauf machen kann. Das gilt mehr und mehr auch für das Verhalten des Malers. Gibt es gar einen Zusammenhang? Sehr spannender Roman Siri Hustvedts (geboren 1955), der von der Zeichnung der einzelnen Charaktere lebt und natürlich dem Rätselcharakter. Dass die vielen Fragen keineswegs alle beantwortet werden, versteht sich von selbst.

 


Davide Longo: Die jungen Bestien.

Bei Bauarbeiten werden Skelettreste gefunden. Da sich schnell herausstellt, dass es sich nicht um archäologische Zeugnisse, sondern um gleich mehrere Tote jüngeren Datums handelt, wird die örtliche Kriminalpolizei unter Commissario Arcadipane erst hinzu-, dann bald wieder abgezogen. Eine Sondereinheit nimmt sich des Falls an, der als Fund im Umfeld des Zweiten Weltkrieges deklariert wird. Solche verscharrten Leichen von hingerichteten Partisanen, massakrierten Juden oder gelynchten Wehrmachtssoldaten sind keine Seltenheit, weshalb diese Spezialtruppe eingerichtet wurde. Doch Arcadipane geht das alles zu schnell, ohne genau sagen zu können warum, macht ihn das Vorgehen stutzig. Statt froh zu sein, den Fall los zu werden, lässt er heimlich und illegal eine Analyse von ihm entwendeter Knochen durchführen, die seinen Verdacht bestätigt. Die Überreste stammen aus den 1970er Jahren und sind von jungen Menschen. Der Commissario bringt sie mit einem nie aufgeklärten Fall eines Brandanschlages auf den Sitz einer rechtsextremen Partei in Verbindung, bei dem ein Mann, vermutlich entgegen der Absicht der Täter, in den Flammen starb. Zwar schien die Polizei damals kurz davor, das Verbrechen aufzuklären, die vermuteten Täter waren aber spurlos verschwunden. Mit Hilfe seines pensionierten Lehrmeisters, der einst an den Ermittlungen beteiligt war, und einer strafversetzten  jungen Kollegin, macht sich Arcadipane auf die Suche nach den Hintergründen. Bald werden sich Abgründe damaliger Politik auftun, deren Einfluss bis in die Gegenwart reicht. Obwohl auch dieser Roman dem inzwischen etwas arg durchgekauten Klischee des psychisch angeknacksten Kommissars mit zerrütteter Familie huldigt – was nebenbei für den Verlauf der Handlung wenig Bedeutung hat –, ist dies aufgrund der ansonsten spannenden Geschichte mit viel Hintergrundkolorit und der sprachlichen Kunst Davide Longos (geboren 1971) vernachlässigbar und dem Buch nicht sonderlich abträglich. Somit auch für nicht Krimi-Liebhaber:innen eine Entdeckung!