Freitag, 28. August 2015

Bernhard Schlink: Das Wochenende.

 

Bernhard Schlink: Das Wochenende.

Kammerspiel mit den Resten der Linken

Die kammerspielartige Runde – zusammengesetzt aus den nun fest im so genannten Establishment etablierten früheren Sympathisanten, deren Familien, einem jungen Linksextremen, der Schwester, deren Mitbewohnerin, später noch dem Sohn des Exterroristen – dient dazu, verschiedene Positionen im Umgang mit dem Terrorismus der 70er und 80er Jahre und auch der Haft des Protagonisten zu diskutieren.
Die ältere Generation ist inzwischen distanziert, aber überwiegend versöhnlich, bis auf einen advocatus diaboli, Ulrich, die jüngere in Form des linksextremen Marko uneinsichtig (er möchte denn Kampf auf breiter Front mit neuen Verbindungen zum internationalen Terrorismus weiterführen), unversöhnlich wie der Sohn oder hedonistisch wie die Tochter eines der Ehepaare. Jörg selbst spult die – relativ authentischen – Phrasen der Terroristen ab, spricht von Isolationsfolter, räumt aber immerhin ein, dass sich dies gebessert habe, rechtfertigt das Töten als Krieg, und also habe ich geschossen und getötet und auch auf den Einwand, dass dabei Unschuldige ums Leben kamen, antwortet er stereotyp, daß im Krieg nicht nur Soldaten sterben. Sein Bedauern gilt lediglich der vermeintlichen Tatsache, daß wir ein Projekt verfolgt haben, das nichts geworden ist und beim Begriff Opfer fallen ihm zuerst Holger und Ulrich und Ulrike und Gudrun und Andreas und... ein, die tatsächlichen Opfer dagegen haben sterben müssen, weil die Welt damals so war, wie sie war. Seine Schwester springt ihm bei, alle haben es gewusst, dass Krieg gewesen sei – doch die anderen widersprechen, ich habe niemanden stellvertretend für mich töten lassen – so Ulrich – um das bekannte Argument der avantgardistischen Tat ad absurdum zu führen.

Die nächste Generation an Mördern?

Schlink lässt seinen Protagonisten also tatsächlich so argumentieren, wie es viele der aus der Haft entlassenen RAF-Terroristen getan haben, Marko äußert einmal bewundernd, Die anderen RAF-Leute sind zu Kreuz gekrochen und haben geheult und bereut und sich entschuldigt – du nicht, wobei, wie angemerkt werden sollte, die tatsächliche Anzahl der Freigelassenen die sich entschuldigt haben, in der nicht-fiktiven Welt ja eher verschwindend gering ist.
Als sich das Gespräch einmal ins Anekdotische verliert, erinnert der sich zu erkennen gebende Sohn an die Stammtische alter Weltkriegskameraden: Ihr habt euch über eure Elterngeneration aufgeregt, die Mörder-Generation, aber ihr seid genauso gewesen – so entkräftet er eine der stets genannten Motivationen der Terroristen. Die Rigorosität des manichäischen Weltbilds des linken Extremismus wird mehrfach infrage gestellt, schon früh bekennt Ilse, die gleichzeitig ihre Erlebnisse parallel in einer fiktiven Geschichte niederzuschreiben versucht, Ich hatte immer Angst vor euch. Weil ihr so genau wusstet, was richtig und falsch und was zu tun ist.

Erklärungsversuche für politischen Terrorismus

In Jörg ist diese Sicherheit größtenteils noch immer vorhanden, sie gerät nur bedingt durch die Kritik ins Wanken, unter verschiedenen Vorzeichen scheint sie sich auch in der jungen – männlichen – Generation fortzusetzen, bei Marko in der Übernahme der alten Kategorien, bei dem Sohn in der absoluten Verweigerung. Erklärungsansätze für den Einstieg in den Terrorismus werden ebenfalls versucht, apologetische von der Schwester, etwa die unerfreuliche Kindheit, wären es bei dir Worte geblieben, wenn Du ohne Mutter aufgewachsen wärst? Wenn Du Dich mit anderen Menschen so schwer tätest wie Jörg? Und auch die Uneinsichtigkeit wird von ihr mit altbekannten Mustern aggressiv entschuldigt, mit der Brutalität des Staates – beides stößt bei den skeptischen Diskutanten auf Ablehnung, gar Abscheu.

Terrorismus als Krankheit

Unabhängig und allein für sich entwickelt Margarete eine andere Theorie, was ihr leichter fällt, da sie dem eigentlichen Freundeskreis nicht angehört. Sie hat das Gefühl eines kranken Themas, eines Themas, bei dem über eine Krankheit gesprochen wurde, die damals die Terroristen befallen hatte und nun auch die Sprechenden befiel. Dieses distanzierte metaphorische Erklärungsmuster geht jedoch mehrfach fehl, im Allgemeinen ist das Mitgefühl gegenüber Kranken ja eher groß – und zwar aus dem einfachen Grund, dass eine Krankheit in vielen Fällen unverschuldet ist, ganz anders als bewusster Terrorismus. Würde sich Jörg Margaretes Argument zu eigen machen, dann fiele es seinen Kontrahenten schwer, ihn zu widerlegen, denn in den meisten Fällen ist einer Krankheit durch bloße Vernunft nicht beizukommen.
Und doch taucht das Motiv, nun nicht mehr metaphorisch, erneut auf – denn tatsächlich ist Jörg krank, er leidet an Krebs in einem späten, unheilbarem Stadium. Durch diesen erzählerischen Kniff kurz vor dem Ende greift der Text nicht nur auf Margaretes zweifelhafte Theorien zurück, als deus ex machina wird der Konflikt dadurch zwar nicht gelöst, aber beiseite geschoben, später sogar noch etwas plakativ symbolisiert durch die gemeinsame Menschenkette, die dabei hilft, nach einem Wolkenbruch den voll gelaufenen Keller auszuschöpfen.

Die Moral von der Geschichte

Die Frage des Umgangs mit dem Exterroristen bleibt offen, Daß er vier Leute umgebracht hat... Wenn’s kein Grund ist, die Freundschaft aufzukündigen, dann ist’s aber auch keiner, ihn als Sensibelchen zu betütern. Eine Art Thesenroman ohne These, zumindest keiner, die dem Leser aufgedrückt wird, so ließe sich Das Wochenende umschreiben, sicher nicht Schlinks bester Text, die Figuren wirken, vielleicht der Konstruktion geschuldet, teils recht grob geschnitten (beispielsweise die stets zur Versöhnung und Verständnis für jedermann aufrufende lutherische Bischöfin), doch regt er immerhin durch das Gegenüberstellen verschiedener Positionen zum Nachdenken an, er ist weitaus reflektierter als vieles andere zu dieser Thematik und bleibt unparteiisch. Ein gewisses sympathisches Bedauern klingt nur unterschwellig an, in der berechtigen Frage […], was das linke Projekt erledigt hat. Die Antwort ist schwer von der Hand zu weisen: Es war beides: die Bevormundung und Gängelung der Menschen im Osten und der Terrorismus im Westen.
 
Bernhard Schlink: Das Wochenende. Roman. Diogenes: 2008.