Mittwoch, 14. Dezember 2016

Sandalenfilme nach der Jahrtausendwende (III): Centurion.


Centurion

Centurion UK/F 2010 95 min

Regie: Neil Marshall

Drehbuch: Neil Marshall

DarstellerInnen: Michael Fassbender (Quintus Dias), Dominic West (Titus Flavius Virilus), Olga Kurylenko (Etain), Noel Clarke (Macros), Liam Cunningham (Ubriculius „Brick“), David Morrissey (Bothos), Riz Ahmed (Tarak), JJ Feild (Thax), Dimitri Leonidas (Leonidas), Imogen Poots (Arianne), Paul Freeman (Agricola), Ulrich Thomsen (Gorlacon), u.v.m.

 

Nachdem in der Letzten Legion Aurelius und seine Mitstreiter urplötzlich zu Ausgestoßenen geworden waren, scheint sich der Film in ein bekanntes Schema zu fügen. Früher nach einem gewissen Kinderlied benannt, ergibt sich ein Abzähl- oder genauer ein buchstäbliches Countdown-Prinzip: eine klar umrissene Gruppe weniger Personen wird durch äußere Umstände verschiedenster Natur jeweils bis zum Ende hin peu à peu reduziert, bis nur noch ein Pärchen, der oder die Protagonistin oder in der sehr pessimistischen Variante niemand mehr übrig bleibt. Diese Struktur ist besonders im Horrorfilm äußerst beliebt, im Sandalengenre jedoch eher selten anzutreffen – tatsächlich verliert Aurelius von seiner Truppe nur ganz zu Beginn und kurz vor dem Ende jeweils einen Mitstreiter, insgesamt bleibt die Kerngruppe intakt. Anders dagegen verhält es sich in Centurion, ebenfalls einer hauptsächlich britischen Produktion, die einige Parallelen zu ihrem Vorgänger besitzt, mit ihren Hauptfiguren allerdings weitaus weniger glimpflich umgeht.

            Die nördliche Provinz Britannien zum Ende der Regierungszeit Kaiser Trajans. Zwar hat man Teile des heutigen Schottlands ebenfalls besetzt und mit Garnisonen versehen, doch fehlt der entscheidende Erfolg, um auch diesen Rest der Insel endgültig der Provinz einverleiben zu können. Ein von den einheimischen Pikten des Häuptlings Gorlacon geführter Guerillakrieg zermürbt die Besatzungstruppen, weshalb der römische Statthalter Agricola beschließt, durch den Einmarsch der 9. Legion unter deren General Virilus dem Treiben unwiderruflich ein Ende zu setzen. Geführt von der stummen piktischen Fährtenleserin Etain finden die Legionäre den Zenturio Quintus Dias, Überlebender eines Überfalls auf ein Kastell, der Gorlacon entkommen ist. Etain allerdings erweist sich als Verräterin, welche die Legion in einen Hinterhalt mitten im Feindesland geführt hat: in einer Mulde im nebligen Wald werden  die Römern vernichtend geschlagen, nur wenige entkommen dem Gemetzel, darunter Quintus Dias mit sechs Gefährten. Nachdem sich herausgestellt hat, dass der General nicht getötet, sondern in Gorlacons Dorf verschleppt wurde, entschließt sich die kleine Resttruppe zu einem Befreiungsversuch. Dieser scheitert, bestimmt jedoch fortan das Schicksal der sieben Legionäre: einerseits gibt der General Quintus Dias den Befehl, die Männer sicher zurück auf römisches Gebiet zu führen, andererseits tötet einer der Soldaten den Sohn Gorlacons, der daraufhin Blutrache schwört und Etain beauftragt, mit mehreren Kriegern die flüchtigen Römer zu verfolgen und umzubringen. Es beginnt ein Wettlauf zwischen den Pikten und den Römern, die sich in unbekanntem Gebiet und bei widrigen Wetterverhältnissen bis zur Grenze durchschlagen wollen. Dort wird am Ende nur Quintus Dias ankommen. Hinter dem im Bau befindlichen Hadrianswall erfährt er im Quartier des Statthalters nicht nur, dass das Projekt Eroberung des Nordens inzwischen aufgegeben wurde, sondern er entgeht nur knapp einem Mordanschlag Agricolas, der verhindern möchte, dass man ihm in Rom das Versagen der 9. Legion vorhält. Quintus Dias flieht zurück auf piktisches Gebiet zu der Außenseiterin Arianne, die den Römern auf der Flucht Schutz gewährte – somit ist der letzte Zeuge des Untergangs der 9. Legion doch noch wie sie selbst verschwunden.

            Dieses Mal sind folglich die Männer der 9. Legion alles andere als in den Ruhestand getreten. Tatsächlich ist der Mythos um diese Armee im populären Gedächtnis bei den Briten ähnlich präsent wie in Deutschland vielleicht die Varusschlacht, die andererseits weit weniger Leinwandpräsenz hatte. Die Legion wurde letztmals 108 nachgewiesen, anschließend hat sich ihre Spur im wahrsten Sinne des Wortes verloren – die Behauptung des Regisseurs und Drehbuchautors Neil Marshall (der nebenbei aus Newcastle upon Tyne stammt, also vom östlichen Ende  des Hadrianswalles), die Ansicht, die Armee wurde bei einem Einsatz im Norden komplett aufgerieben sei historisch widerlegt, but the legend is better than the truth, ist so nicht ganz richtig. Diese Theorie war einst die ursprüngliche, doch schien sie durch Erkenntnisse, dass die Legion oder größere Teile von ihr nach Germanien an den Rhein verlegt worden waren, entkräftet. Eine nicht unbedeutende Fraktion jüngerer Forscher hält heute allerdings den Untergang bei einer gescheiterten Nordexpedition um 120, der ungefähren Zeit kurz vor der Errichtung der Befestigungslinie aufgrund der neuen defensiven Strategie Hadrians durchaus für möglich. Die gelehrte Diskussion ist alles andere als abgeschlossen.

            Wie Die letzte Legion und der Adler der Neunten Legion liefert Centurion ergo einen Beitrag zum Mythos. Der Beginn des Filmes hebt sich nicht von vielen Vorgängern ab: Blick auf eine Karte mit lateinischen Namen, die Ausgangssituation wird durch Texteinschübe vorgestellt. Das dritte klassische Einstiegsmittel, die Erzählerstimme aus dem Off, in diesem Fall des Zenturios Quintus Dias, wird später nachgereicht. Dazwischen liegt jedoch ein außergewöhnlicher Bruch zum Genre. Dieses ist, Folge der historischen Vorgaben, zumeist im erweiterten Mittelmeerraum angesiedelt, südlich-sonnig. Die auf den kurzen Prolog folgenden Einstellungen präsentieren jedoch keineswegs eine Sand-, sondern eine Schneewüste: in minutenlangen Fahrten bzw. Flügen schwebt die Kamera über vereiste und raue Gebirgslandschaften, bevor ein winziger Mensch sichtbar wird, vereinzelt und holprig sich fortbewegend. Im Vorgriff auf späteres Geschehen sieht man den entflohenen Gefangenen Quintus erstmals auf der Flucht. Die Aufnahmen versinnbildlichen gleich mehrere Kontraste. Inmitten der weiten und leeren Landschaft wirkt der Mensch nicht nur verloren, sondern auch ausgeliefert, ein sichtbarer Fremdkörper; dies wird dreifach symbolisch unterstrichen. Quintus ist verletzlich, noch immer von den erlittenen Folterungen gekennzeichnet; er ist unfrei, da er noch immer die Handfesseln trägt; und er ist buchstäblich ein Fremdkörper, der sich halbnackt durch die feindliche Umgebung schlägt. Ein Schicksal, das sich für ihn und seine Kameraden später wiederholen wird. Die Römer haben hier nicht nur die Menschen – die Pikten – sondern auch die Natur als Gegner. Wobei nicht vergessen werden darf, dass es nur die Menschen sind, die töten. Keiner der Figuren im Film wird Opfer der Natur, nur der Mitmenschen.

            In Centurion fällt der Versuch auf, möglichst authentisch wirken zu wollen. Auf die Ausstattung und ihre Akkuratheit wurde sehr viel Wert gelegt, was wohltuend von den üblichen Mischmasch- oder Phantasie-Uniformen und -Gerätschaften abweicht: die Rüstungen, Waffen, die Kleidung, aber auch die halbprovisorischen Kastelle – aus Holz und mit Zelten als Innenbauten – sowie das Piktendorf orientieren sich an den historischen Vorgaben. Sicher, es gibt auch hier diesen oder jenen Mangel, so trugen die Legionäre im Westen und Norden des Reiches zumeist die leichtere Kettenhemdenausrüstung statt der schweren lorica segmata, und die Offiziere nicht ständig ihre Auszeichnungen auf der Brust, doch im Großen und Ganzen kommt man den Originalen recht nahe. Ein liebevolles Detail ist beispielsweise, dass Quintus im verlassenen Nordkastell zum Anzünden eines umgestürzten Wagens eine Öllampe in antiker Form ausgießt. Die überlieferten Zeitabläufe werden ebenfalls grob eingehalten. Umso erstaunlicher ist eine frappierende Auffälligkeit: der Name des Statthalters Agricola. Zwar war ein Mann dieses Namens Statthalter in Britannien, doch gut vierzig Jahre früher. Wir kennen ihn und seine Amtszeit im Norden ziemlich genau, denn er hatte einen berühmten Schwiegersohn, der seine Biographie verfasst hat: Tacitus. Der historische Agricola war auch keineswegs ein reiner intriganter Schreibtischstratege, sondern als Feldherr Sieger gegen die Nordstämme in der berühmten Schlacht am Mons Graupius 83 oder 84 n.Chr. – an der auch die 9. Legion teilnahm. Die Völker des Nordens nannte man damals auch noch nicht Pikten, sondern zusammenfassend Caledonier, der erstere Begriff taucht erst im 4. Jahrhundert nach Christus auf. Das Piktische, das im Film gesprochen wird, ist aufgrund mangelnder Kenntnisse über diese Sprache schottisches Gälisch, dafür jedoch tatsächlich akkurat, d.h. die Schauspieler sprechen auf Gälisch die in den Untertiteln übersetzten Sätze.

            Auch dies verweist darauf, dass man sich viel Mühe gemacht hat, die erwähnte Authentizität herzustellen. Nicht in geringem Umfang gehört hierzu, dass in Schottland gedreht und dabei keinerlei Rücksichten auf die Befindlichkeiten der Schauspieler genommen wurde, was Wetterverhältnisse und die Umgebung anging – die Darsteller mussten in ihrer Kleidung bzw. Rüstung ins Wasser oder in den Dreck, wenn dies erforderlich war. Frost, Regen und Schneefall sind tatsächlich überwiegend Frost, Regen und Schneefall. Einen seltsamen Kontrast zu diesem Realismuskonzept bieten deshalb die sehr auffälligen Kampf- und Folterszenen. Hier wird nicht an Übertreibungen gespart. So sehr es dem Film gelingt, etwa das langwierige und zermürbende Warten der Soldaten abzubilden, ihren Frust über das Verweigern der Pikten, sich in eine offene Feldschlacht zu begeben, und so sehr lobenswert es ist, dass die Grausamkeit nach der Schlacht gezeigt wird, wenn Quintus und die wenigen Überlebenden gänzlich unheroisch zwischen den vielen verstümmelten Toten hindurchgehen – ein im Sandalenfilm selten gezeigtes Bild – so übertrieben brutal wirken die jeweiligen Kampfszenen. Es gibt kaum Gliedmaßen, die nicht irgendwann irgendwem abgetrennt werden und keine Waffe vom Pfeil bis zum Metzgerbeil, die nicht irgendwann irgendwem in den Körper fliegt, dem Zuschauer bleibt kaum etwas erspart. Während die vorher erwähnten Szenen in ihrem Bemühen, das wenig romantische Bild der antiken Kriegsführung hervorzuheben, neue Wege gehen, wirkt diese Liebe zum Splatter zu plakativ. Erklärbar ist sie vermutlich aus der Herkunft des Regisseurs vom Horrorfilm, wo er sich mit solchen Szenarien einen Namen gemacht hatte – negative, aber konsequente Folge: in Deutschland trug dies dem Film ein FSK-Urteil 18 ein.

            Anders als bei solch einem cineastischen Vorleben des Autorenfilmers Marshall möglicherweise erwartbar, hält sich Centurion ebenfalls wohltuend (fast) von jeglichem metaphysischen Überbau fern. Übernatürliches, Mystisches oder den christlichen Einschlag zahlreicher Streifen des Genres sucht man vergebens – im Gegenteil. Dort wo es aufzutreten scheint, wird jeweils eine rational-nüchterne Gegenerklärung mitgeliefert. So werden die beide stark kontrastierenden Frauengestalten Etain und Arianne zwar als eine Art schamanische Zauberin präsentiert: Etain erweist sich als untäuschbare Verfolgerin, die auch gewisse Riten vollzieht, Arianne ist das positive Gegenbild, welches medizinische Kenntnisse besitzt und die Natur, in der sie lebt, um sich herum beherrscht. Genau dies ist bereits die Erklärung: beide Figuren ziehen ihre Vorteile lediglich aus genauer Kenntnis der Natur, die Riten Etains sind nur Bei- oder Blendwerk. Ihre Eigenschaft als hervorragende Fährtenleserin hat nichts Übernatürliches, sondern beruht auf genauer Beobachtung, auch wenn dies den Legionären unheimlich vorkommt, die sie als demon und part-wolf beschreiben. Angemerkt sei, dass sie ihr die Spurensuche kaum sehr schwer machen: nicht nur lassen sie das getötete Wild offen in der Landschaft liegen, mehrfach laufen sie mitten durch freie Schneeflächen, dadurch deutliche Schneisen hinterlassend.

 
            Etain und Arianne sind trotzdem bezeichnend für das – wieder einmal – eher eindimensionale Frauenbild des Sandalenfilms auch im 21. Jahrhundert. Immerhin wird der historische Befund, der von einer hohen Stellung der Frau unter den Pikten ausgeht, wiedergegeben, denn Etain führt das Verfolgungskommando an und unter den Kriegern gibt es auch Frauen; gehandelt wird gleichwohl nach dem Willen Gorlacons. Olga Kurylenkos Rolle bleibt zwiespältig: sie ist, wie schon Mira in der Letzten Legion, eine Art weibliche Actionheldin, allerdings negativer Art. Sie ist auch nicht reine Täterin, sondern wie Gorlacon, Opfer römischer Gewalt, als deren Konsequenz sie ihre Familie und ihre Zunge verloren hat, weshalb sie stumm ist. Ihr Selbstbewusstsein beruht folglich auf einem unversöhnlichen Rachegedanken – einem persönlichen Feldzug gegen die Römer. Zwar ist sie eine starke Figur, wenn man so möchte, doch unweigerlich auch die böse, rein emotional angetriebene Hauptgegnerin. Humanität in irgendeiner Form ist von ihr nicht zu erwarten. Dies fällt naturgemäß insbesondere durch ihr Gegenstück auf: Arianne, kein Opfer der Römer, sondern ihres eigenen Volkes, wirkt weiblich, was sich unter anderem in ihrer Kleidung ausdrückt, sie ist keine Kriegerin, sondern übernimmt traditionell frauliche Aufgaben: Kochen und Heilen. Statt Verfolgung gewährt sie Zuflucht, so dass Quintus sich am Ende wieder in diese Geborgenheit zurückbegibt. Es gibt noch eine dritte weibliche Person von Bedeutung in dem Film, die Frau des Statthalters Agricola. Sie macht den Vorschlag, den heimgekehrten Quintus zu töten und sie war es auch –  wie eine geschnittene Episode belegt – die das ganze Vorhaben des Feldzugs gegen die skeptischen Generäle überhaupt durchgesetzt hatte. Am Anfang des gesamten unglücklichen Verlaufes steht folglich eine Frau. Keine der drei Figuren weicht von gängigen Schemata ab.

            Ein weiteres gängiges Schema wurde bereits im Verhalten der Frau Agricolas angedeutet. Sein Beweggrund, endgültig den Sieg über die Pikten herbeizuführen, ist weder politisch noch militärisch, sondern eigennützig: kurz vor seinem Aufbruch nach Rom möchte er dort einen Erfolg aufweisen, um sich für höhere Ämter zu empfehlen. Skrupel, dieses egoistische Motiv vor Virilus, dem Kommandanten der 9. Legion, zuzugeben hat er nicht, beruft er sich doch auf seine Befehlsgewalt. Dieser hält ihm anschließend den geradezu klassischen Satz entgegen: Governor, you’re the politician, I’m just a simple soldier. Erneut trifft der intrigante, korrupte und ränkeschmiedende Politiker auf den ehrlichen und einfachen Soldaten, der diesem als Spielball dient. Dass hier der zeitgenössische Hintergrund der Entstehung des Filmes mitspielt, macht auch ein Satz Quintus’ deutlich, den er angesichts der neuen Politik Hadrians äußert, sich hinter eine starke defensive Position zurückzuziehen: Then we fought for nothing. Der Soldat erscheint ein weiteres Mal nur als Schachfigur von Verhältnissen, die er nicht durchblickt und die ihm unsinnig erscheinen – dementsprechend lässt Agricola am Ende das Symbol der 9. Legion auf seiner Generalstabskarte, eine Reiterstatue, buchstäblich von der Bildfläche verschwinden.

            Die Charakterisierung der Legionäre geht folgerichtig nicht über das gewohnte Maß an Kameraderie, Männlichkeitsritualen und zotigem Humor hinaus. Abgott der Soldaten ist ihr General: scholar, father, brother, god, wird er halbironisch genannt und in der Beschreibung, er sei ein ruthless, reckless bastard liegt nicht Verachtung, sondern Faszination: and I’d die for him without hesitation. Dies markiert den schwächsten Punkt des gesamten Filmes: selbst der stets melancholisch-nachdenklich wirkende Quintus, der nicht dem Ideal eines unreflektierten Haudraufs entspricht, werden ungemein plumpe Sätze in den Mund gelegt wie My father – nebenbei: ein berühmter Gladiator – taught me that in life, duty and honour matter above all things. Das möchte man nicht hoffen. Grotesk auch seine pseudophilosophischen Gedanken auf der Flucht: These men are the best I’ve ever seen. Am I worthy to lead them? Der erste Teil ist offensichtlich ein krasses Fehlurteil: unter ihnen befinden sich Nörgler wie Macros, der sich nur widerwillig den Anweisungen Quintus fügt, ein zwar sympathischer, aber doch kaum unter soldatischen Anforderungen als the best I’ve ever seen zu betrachtender Koch aus dem Tross und der Verräter und Verursacher der derzeitigen Misere Thax. Über wenig mehr als Phrasenhaftes erheben sich die Dialoge des Filmes leider kaum.

            Mit der verheerenden Niederlage im Wald, von der man sich vermutlich durch die Varusschlacht hat inspirieren lassen, beginnt das anfangs erwähnte Abzählschema. Die wenigen Überlebenden sind ab diesem Zeitpunkt Freiwild für die siegreichen Pikten, die Jagd auf dem Gemetzel entkommene Legionäre machen. Dieser Suche entkommen die sieben Soldaten unter dem Kommando Quintus’ zwar – sie sind eine gelungene Repräsentation der Größe des Römischen Reiches mit Mitgliedern aus allen drei damals bekannten Kontinenten – doch setzt sie das misslungene Vorhaben der Befreiung des Generals einer erneuten, nun noch zielstrebigeren Verfolgung aus. Der Grund hierfür ist jedoch ein neuer: in einer seltsam schwammigen Schlüsselszene tötet der Legionär Thax heimlich den Sohn Gorlacons. Undeutlich bleibt die Szene, weil es erst so wirkt, als würde Thax den Jungen, der ihn in der Hütte des Häuptlings zufällig aufstöbert, versehentlich beim Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, erwürgen. Den eigentlichen Tötungsakt sieht man nicht. Als er die Hütte verlässt, schickt er dem nun toten Kind ein for the Ninth hinterher – was wiederum nach vorsätzlicher Rache klingt. Da er außerdem vorher bereits als nicht gerade sympathischer Charakter eingeführt worden ist, der sich grob sexuell an Etain herangemacht hat, und aufgrund seines späteren Verhaltens wird eine negative Lesart zwar eindeutig bevorzugt, aus der Szene selbst geht sie jedoch nicht unbedingt hervor. Wie auch immer, die Folgen sind klar: Gorlacon will Rache an den verantwortlichen Römern. Deren ständige Flucht wird verkörpert durch das Laufen. Wenn sie sich nicht gerade ausruhen, sind sie in Bewegung, Sinnbild ihrer Unfreiheit. Selbst das geschnitzte Pferd, das Quintus als Geschenk Arianne hinterlässt, ist in einem Moment der Bewegung festgehalten. We are the prey, so Quintus, und die Großaufnahmen der nun sieben Männer in menschenverlorenen Landschaften wiederholen sich. Dass sie hierbei zunehmend ihre römische Identität verlieren, zeichnet sich auch an der Transformation ihrer Kleidung ab: nach der Schlacht legen sie ihre schweren Rüstungen ab, vor dem Sprung ins Wasser weitere Teile, bis sie sich äußerlich immer mehr ihren Feinden angepasst haben – für Bothos am Ende eine tödliche Entwicklung. Römischen Boden betreten kann der letzte Überlebende Quintus nur, nachdem er wieder seine traditionelle Tunika trägt.                         

            Es gibt ein interessantes wiederkehrendes Motiv in dem Film, das noch dazu im Widerspruch steht zum erwähnten Männlichkeitskult, der unter den Soldaten herrscht und den der Film sonst relativ ungebrochen transportiert. Dreimal werden Personen beim stehenden Urinieren gezeigt: zu Beginn der Quintus übergeordnete Zenturio, der sich auf der Kastellmauer erleichtert und deshalb als leicht erkennbares Ziel als erster den Tod beim Überfall der Pikten erleidet. Der gefangene Quintus wird der Folter des Waterboarding unterzogen, wobei Gorlacon als zusätzliche Demütigung vorher in das Fass pinkelt. Und drittens schlägt Quintus selbst frühmorgendlich sein Wasser in den Fluss ab, bevor er bemerkt, dass gleich neben ihm Arianne dort Fische fängt. Auch wenn letzterer Moment für einen der wenigen entspannenden comic reliefs liefert, ist es interessant, dass in allen drei Fällen dieses machistische Symbol für Quintus einen Moment der Demütigung und der Unsicherheit beinhaltet. Der Tod des Zenturio ist der Beginn seiner Dauerflucht und persönlichen Misere, die Folter ist ein buchstäblicher, das Ertapptwerden am Fluss im übertragenen Sinne ein peinlicher Moment. Das Urinieren – passiv und aktiv – geht stets einher mit Schutzlosigkeit.

            Darin deutet sich ein grundlegender Zug des gesamten Filmes an. Centurion basiert auf einer durch und durch pessimistischen Weltsicht. Etwas plakativ formuliert gilt hier Murphys Gesetz in voller Konsequenz: was schief gehen kann, geht schief. Egal welche Motivation die einzelnen Personen haben, ob gute oder schlechte, ihre Vorhaben sind nicht von Erfolg gekrönt. Die Intrigen Agricolas, erst der anvisierte prestigeträchtige Sieg, dann die Beseitigung Quintus’: gehen schief. Virilus ungewollter Feldzug: endet in einer desatrösen Falle. Quintus Befreiungsversuch des Generals: scheitert und führt zu neuem Unglück durch die Tötung des Kindes. Gorlacons Sieg über die Römer hat indirekt den Tod seines Sohnes zufolge, sein Auftrag der Blutrache wird den gesamten Verfolgungstrupp das Leben kosten, aber sein Ziel letztendlich trotzdem verfehlen: Quintus überlebt (vermutlich). Dieser wiederum erfüllt den Auftrag des Generals nicht: er bringt keinen der ihm anvertrauten Legionäre zurück auf römisches Gebiet. Statt Lohn erwartet ihn dort ein Mordanschlag. Auch ist so gut wie niemand in diesem Universum unschuldig: zwar sind die Pikten dank ihrer Vorgeschichte als Opfer römischer Unterdrückung keineswegs rein böse Gestalten, Gorlacons Motive sowie Etains Rachsucht werden dadurch jedoch trotzdem auf rein persönliche Ursachen reduziert – wie Agricola seinem Ehrgeiz, dienen folglich auch sie nicht der höheren Sache – Befreiung vom römischen Joch – sondern nutzen diese, um eigene Ziele zu instrumentalisieren. Nicht einmal das getötete Kind ist unschuldig – es hat sich vorher an der Folterung des Virilus’ beteiligt. Dem entspricht auch der Schluss. Zwar wird Ariannes Hütte auf ihrer Lichtung am rauschenden Fluss, wo selbst der Schneefall noch sonnendurchleuchtet ist, wie ein Idyll präsentiert und explizit sanctuary genannt, doch ist dieser Zufluchtsort prekär. Arianne ist eine Außenseiterin, von Gorlacon gezeichnet und verstoßen, und für Quintus gilt dasselbe, er wurde von seinem Volk im wahrsten Sinne des Wortes ausgegrenzt. Die Hütte ist alles andere als ein sicherer Schutzort – doch es ist ohnehin nicht klar, ob Quintus überlebt hat: schwerverletzt fällt er vor Arianne vom Pferd.

Diese wenig erbauliche Weltsicht, der damit einhergehend abwesende metaphysische Überbau sowie das erwähnte Bemühen um eine gewisse Authentizität machen Centurion trotz aller erwähnten und teils groben Mängel, Stereotypen und fragwürdiger Ideologie zu einem ungewöhnlichen Exempel innerhalb des Sandalenfilmgenres. Hinzukommt, dass der Kernplot, d.h. Geschichte und Ursachen der Flucht, durchaus Plausibilität und eine nachvollziehbare Logik besitzen, was ja nicht unbedingt zu den hervorstechendsten Eigenschaften solcher Filme gehört. Den fatalistischen Grundzug seines Werkes unterstreicht Regisseur Neil Marshall zusätzlich durch eine ironische Brechung, indem er selbst die Rolle des römischen Legionärs auf dem Hadrianswall übernimmt, der den freudig heranreitenden Bothos aufgrund eines Missverständnis per Bogenschuss tötet. So wenig die Charaktere durch Tiefe oder Fähigkeit zum Wandel auffallen, so sehr nutzt das hervorragend besetzte Schauspielerensemble das geringe Potential der ihnen vorgegebenen Figuren. Eine schöne Pointe ist, dass auch Agricolas immanentes Vorhaben, das Schicksal der 9. Legion vergessen zu machen, auf der externen Metaebene zum Scheitern verurteilt ist – durch Filme wie Centurion.