Donnerstag, 29. März 2018

Das Zitat zum Donnerstag.


"Vaterland nennt sich der Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen."

 
Friedrich Dürrenmatt, Romulus der Große
(1949, Fassung 1980)


 
Mehr zum Buch findet sich hier!
 

Dienstag, 20. März 2018

Wanderererfahrung.

 
Auch wenn es etwas holprig formuliert ist, was womöglich ebenfalls der Wanderererfahrung geschuldet ist, dürfte es nicht nur denen so gehen, die (ganz allein) an dieser Tafel im Dichterwald zwischen Kalter Küche und Schildwiese an der thüringisch-bayerischen Grenze auf dem Rennsteig vorbeilaufen...   
 
 
 


Mehr Wanderererfahrungen vom Rennsteig und anderswo demnächst in gedruckter Form!

Dienstag, 13. März 2018

Lektüremonat Februar 2018.

 
Rose Tremain: Melodie der Stille.


Die Jahre 1629/30 am dänischen Königshof, wo der melancholische Träumer Christian IV. regiert, der einerseits von Ideen beseelt ist, die er – wie seine Schlossbauten – in die Tat umsetzt, andererseits politisch wie privat unglücklich agiert, er verliert gegen die katholische Liga im Reich, er ruiniert den Staatshaushalt, er deckt die Betrügereien seiner Gattin auf. Rose Tremain (geboren 1943), Britin, verwebt persönliche Schicksale um Christians Hof auf äußerst kunstvolle Weise in ihrem klugen historischen Roman, der seinem Titel alle Ehre macht, denn er widmet sich den Ereignissen auf ruhige, trotzdem spannende Art, in der die liebevoll geschilderten Personen – selbst die bösartigeren – bei Leser und Leserin Sympathie erwecken. König Christian liebt es, seine Gäste durch indirekte Musik zu verblüffen. Rose Tremain verblüfft durch ihr stilles Schreiben, hinter dem großes Können nicht nur zu erahnen ist.  

Marie Hermanson: Muschelstrand.

Was soll man über Marie Hermanson (geboren 1956) schon sagen? Marie Hermanson ist Marie Hermanson ist Marie Hermanson. Oder anders: eine literarische Göttin. Die Schwedin besitzt die Fähigkeit, unglaublich Spektakuläres im positiven Sinne unglaublich unspektakulär zu erzählen. Schreckliche, groteske und bizarre Ereignisse treten in den Alltag der Gegenwart, ständig kommt es zu verblüffenden Wendungen, unerklärlichen Vorkommnissen, traurigen Ereignissen und doch verfallen Hermansons Geschichten nie dem plump Sensationellen oder der billigen Kolportage. Dies liegt an den zahlreichen Künsten der Autorin, die eine äußerst genaue Beobachterin (und Beschreiberin) ist, in deren Texten selbst die abseitigste Nebenbemerkung ihren genauen Platz hat, wo alles mit allem verknüpft ist, aber nichts mit oberflächlichen Erklärungen abgehandelt wird, wo die Figuren mit Sympathie geschildert werden, wie seltsam sie sich auch verhalten mögen. Dies alles gilt naturgemäß auch für „Muschelstrand“, Hermansons berühmtestem Roman. Ulrika, eine Ethnologin, reist mit ihren beiden Kindern zu den Sommerhäusern, wo sie einst die Sommer ihrer Kindheit und Jugend verbrachte. An besagtem Muschelstrand finden sie durch Zufall ein menschliches Skelett. In Rückblenden erinnert sich Ulrika an die Ferien vor gut 25 Jahren, als bei der Nachbarsfamilie ein Kind verschwand. Doch dieses ist nicht das Skelett – denn das Kind kehrte auf mysteriöse Weise wieder. Als mit Hermanson Vertrauter ist man etwas überrascht, dass die Parallelgeschichte, Kristinas Biographie, die Erklärung für dieses Geschehen zu liefern scheint. Was natürlich – es ist eben doch ein Hermanson – nicht der Fall ist. Aber die Pointen sollen nicht verraten werden. Marie Hermanson gehört zu den Schriftsteller*innen, zu denen man greift, wenn man verlässlich intelligent und extrem spannend auf hohem Niveau unterhalten werden will. Suchtfaktor.

 
Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil.

Wie schreibt man über die fortschreitende Alzheimerkrankheit des eigenen Vaters? Zahlreiche Gefahren tun sich auf: weinerlich-sentimentale Betroffenheitsprosa, ein Ratgebertonfall, der Bescheidwissen vorgaukelt, oder eine Distanzierung in nüchternem, quasi-klinischem Ton. Hinzukommt bei solch einem persönlichen und sehr intimen Thema (ähnlich wie in der Tagebuch- und Briefliteratur) ein möglicher Voyeurismus – noch dazu, wenn man eine öffentliche Person ist wie Arno Geiger (geboren 1968), immerhin der erste Träger des Deutschen Buchpreises. Gerade weil Geiger ein reflektierter Schriftsteller ist, entgeht er diesen Fallen, weder schreibt er einen dokumentarischen Bericht, noch ein Tagebuch des Verfalls, keinen nostalgischen Rückblick auf das Leben des Vaters – auch wenn sein Buch naturgemäß durchaus solche Elemente enthält, entzieht sich die Schilderung der Wirkung der seit vielen Jahren voranschreitenden Krankheit gängigen Mustern. Geiger beschönigt nichts, dramatisiert aber auch nicht, er schreibt eine äußerst liebevolle Hommage an den Vater, ohne zu verklären, weder die alten noch die krankheitsbedingten Konflikte werden verschwiegen. Und auch ratgeberhaft ist das Buch nicht, da Geiger eine an und für sich banale, aber oft übersehene Erkenntnis betont: da Alzheimer das Gehirn und damit den Sitz unserer Persönlichkeit angreift, lassen sich – anders als etwa bei Leberkrankheiten – keine allgemeinen Aussagen treffen. Auch bei Geiger ist die immer umfassender werdende Betreuung des Vaters schwierig, doch die ursprüngliche Persönlichkeit August Geigers, die durch die Reduktion teils geradezu verstärkt wird, seine Selbstgenügsamkeit, seine fast buchstäbliche Bodenständigkeit und seine mit Humor gepaarte Gelassenheit ermöglichen auch eine neue Verbundenheit – ein tröstlicher Effekt, der die entfremdete Familie wieder enger zusammenschweißt. Wie gesagt, die Verläufe sind verschieden, auch Geigers Vater hat Momente des Verdämmerns, der Aggression, aber Geigers Buch mahnt dazu, sich auf die neue Welt des Erkrankten einzulassen, zu begreifen, dass hier etwas Neues, Unumkehrbares entsteht, dass in aller Unzugänglichkeit und Fremdheit akzeptiert werden muss, um den zugegeben schwierig Umgang miteinander zu ermöglichen. Und so wenig man es angesichts des Themas glauben mag, das Buch besitzt auch einen – sicher etwas traurigen, aber deutlichen vorhandenen – Humor. „Der alte König in seinem Exil“ ist ein großes Werk, ein wichtiges Buch, das jedem empfohlen sei zu lesen.

 
Carlos Ruiz Zafón: Der Schatten des Windes.

„Der Schatten des Windes“ mutierte kurz nach seinem Erscheinen 2001 sehr schnell zu einem internationalen Bestseller mit Millionenauflage. Kein Wunder, vereint der Spanier Zafón (geboren 1964) doch gekonnt den klassischen Schauerroman mit Kolportage und Thriller. Deswegen erleben wir hier alles, was man erwarten darf: ein mysteriöses Buch im Buch mit geheimnisvollem Autor, skurrile Figuren, verfallende Villen, Särge in versteckten Krypten, einen ultrabösen Schurken, eine Liebesgeschichte, Kapitel, die mit der Ankündigung des eigenen Todes enden, schöne Frauen, hässliche Intrigen, großstädtisches Flair – und was nicht noch alles, was hier nicht verraten werden darf. Nun, wenn es so einfach wäre, würden wir alle Beststeller nach diesem Rezept schreiben – natürlich gehört ein ordentliches Talent dazu, diese Elemente zu verknüpfen und das Ganze auf einem sprachlich lesbaren Niveau zu erzählen. Ohne Zweifel ist dies Zafón gelungen. Sein Roman ist ein flüssiges, ungemein spannendes Buch mit vielen Wendungen, Rätseln und Figuren zum Gernhaben (und Hassen). Das Frauenbild ist etwas altbacken – sie sind nur Ergänzungsfiguren zu den handelnden Männern – und der politische Hintergrund des Spanischen Bürgerkrieges bleibt reichlich diffus. Die spanische Literatur wird das Buch nicht revolutionieren, aber ein unterhaltsamer Lesespaß ist es allemal.

 
Jack London: König Alkohol.

Es steht Roman auf dem Umschlag, doch eigentlich ist „König Alkohol“ ein autobiographischer Großessay. London (1876-1916) schildert seine Erlebnisse mit dem Alkohol seit Kindertagen, als er – mit fünf Jahren – seinen ersten versehentlichen Vollrausch hatte. Das Buch ist sein Plädoyer gegen den verderblichen Einfluss des Alkohols, dem er sich selbst nie entziehen konnte – nun war aber London keineswegs ein Schweralkoholiker, diesen Fall (hervorragend geschildert in Hans Falladas „Der Trinker“) hält er nicht ganz zu Unrecht, weil klinisch, auch für nicht repräsentativ, sondern London war ein Gesellschaftstrinker, der oft sehr lange abstinente Phasen hatte, in denen er nicht nur keinen Tropfen anrührte, sondern ihm das Verlangen danach völlig abging. Die Gefahr und die Macht des Alkohols sah London also in dessen Fähigkeit, sozial verbindend zu sein, vereinfacht gesagt: beim gemeinsamen Gläschen sitzt es sich angenehmer, man kommt leichter ins Gespräch, man hat etwas Verbindendes. Erst später tritt auch bei London der Spezialfall auf, dass er glaubt, ohne das tägliche Pensum mangele es ihm an kreativer Kraft – er bezieht das allerdings auch auf körperliche Kräfte, wenn etwa der Alkohol schwere Arbeit erträglicher macht. London sah nur eine Hoffnung: die Frauen. Sie allein hielt er für fähig, die Prohibition durchzusetzen. Dass diese letztlich ebensowenig Erfolg haben würde, musste London nicht mehr erleben: er starb vierzigjährig. Über die Todesursache bestehen bis heute Zweifel – dass der Alkohol dabei eine Rolle gespielt haben könnte, wird man wohl kaum in Abrede stellen können.

 
Martina Hefter: Zurück auf Los.

Man sollte Klappentexten nicht allzu viel Vertrauen schenken, aber der Buchrücken der Taschenbuchausgabe von Martina Hefters (geboren 1965) Roman ist doch recht aufschlussreich. „Eine junge Frau durchlebt, an der Rezeption eines Hotels sitzend, die Nacht, in der ihr Freund seine Sachen packt und sie verläßt.“ Dies und nicht mehr steht dort – und dem ist inhaltlich auch nichts hinzuzufügen. Nun, beigefügt ist dem ganzen noch ein Halbsatz aus der NZZ, verkündend, das dieses Buch „brillant mit der Sprache operiert“, was man von eben jenem Halbsatz nicht behaupten kann. Erfahrene Klappentextleser*innen wissen, dass eine lobende Kritik der NZZ ähnlich wie eine enthusiastische Rezension der FAZ für gewöhnlich ein Buch charakterisiert, das solides Handwerk mit zäher Langeweile vereint. Quod erat demonstrandum.

 
F. Scott Fitzgerald: Der letzte Taikun.

Die etwas befremdliche Form des Titels – im Original: "The Last Tycoon" – geht auf die frühe und auch an anderer Stelle oft mehr als fragwürdige Übersetzung zurück; allen Ernstes wird dort beispielsweise „grandfather clock“ mit „Großväteruhr“ übersetzt. Fitzgeralds (1986-1940) Roman blieb Fragment, nur der Beginn ist ausgearbeitet, der weitere Verlauf anhand von Entwürfen und Konzepten halbwegs rekonstruierbar. Und das ist ein Verlust. Zwar klingt es nach gar nicht wenig, wenn man weiß, dass immerhin gut 180 Seiten vollendeter Text vorhanden sind, doch auf diesen hat die Handlung erst einigermaßen Fahrt aufgenommen, um die späteren teils sehr spektakulären Ereignisse vorzubereiten. Monroe Stahr ist der letzte Tycoon, eine Art Wunderkind im untergehenden Hollywood der großen Studiofilme, Produzent mit intuitivem Gespür, mit Übersicht und Respekt vor dem was er tut und den zahlreichen Mitarbeitern, die ihn vielleicht nicht unbedingt lieben, aber achten. Doch auch der Herrscher über seine Firma hat nicht die Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten wie einen Film, wo er geradezu allmächtig ist. Er ist – mit 35 – bereits todkrank und Witwer, seine neue Liebe entgleitet ihm. Und wo Erfolg ist, sind Neider. Fitzgeralds geradezu genialer Coup ist es, dass Leben Stahrs aus der Sicht der Tochter seines Erzfeindes schildern zu lassen, die unglücklich in ihn verliebt ist. Leider werden wir nie mehr erfahren, wie die Geschichte weitergeht…        

Januar 2018