Montag, 8. August 2022

Lektüremonat Juli 2022: Grusel-Spezial.


Wilkie Collins: Ein schauerliches fremdes Bett.


Altmeister Wilkie Collins (1824 bis 1889) gilt gemeinhin als der Begründer des literarisch anspruchsvollen Thrillers, viktorianischer Romane, in denen es von geheimnisvollen Vorkommnissen, verschlungenen Intrigen, bösartigen Gegenspielern und auch schauerlichen Ereignissen wimmelt, so etwa im Klassiker „The Woman in White“. Seine Erzählungen sind etwas stringenter, allerdings fallen sie eher nicht unter das Attribut „Gruselgeschichten“ unter dem sie hier vom Verlag subsumiert werden. Collins bleibt auch hier näher an der Kriminalgeschichte, verbindet diese jedoch gerne mit den von ihm bevorzugten schauerlichen Elementen. So etwa wenn in der Titelerzählung ein Fremder in Paris nachts in einer Spelunke, wo er nach einem hohen Spielgewinn Quartier nimmt, plötzlich bemerkt, dass sich der Himmel seines Bettes auf ihn zu senken scheint. Einen spätmittelalterlichen Fall fehlgegangener Rache schildert „Die Ölbütte“, komödiantische Elemente enthalten „Die verhängnisvolle Wiege“ – buchstäblich eine Verwechslungsgeschichte – und reichlich sarkastisch gibt sich „Der Wermutstropfen“. Als einzige Geschichte mit tatsächlich übernatürlichen Ereignissen kann „Das Traumweib“ gelten, wo die Vision eines Mordes wahr zu werden scheint. Auch wenn folglich der Band an sich nur bedingt zum Bereich der Phantastischen Literatur gehört, ist er äußerst lesenswert, denn eines ist unzweifelhaft: Collins wusste seine Leser:innen zu packen, an der Fähigkeit, Spannung zu erzeugen, kam ihm kaum eine:r  gleich.

 

Roald Dahl (Hg.): Roald Dahls Buch der Schauergeschichten.

Mit seinem Vorwort, in dem er über die Entstehungsgeschichte der Anthologie berichtet, legt Roald Dahl (1916 bis 1990) die Latte ziemlich hoch. In den 1950er Jahren sei ihm der Gedanke gekommen, ob man nicht eine Filmserie begründen sollte, in der Gruselgeschichten von literarischen Größen auf die Leinwand gebracht werden sollten. Dahl, selbst ein bekannter Autor, fand damit bei einem Hollywoodproduzenten sofort Anklang und machte sich nun daran, das Material zu sichten, in dem er Hunderte von Erzählungen sichtete. Er war geradezu konsterniert, von welch minderer Qualität die Produkte waren, insbesondere diejenigen der angesehensten Großschriftsteller. Nur mit Mühe habe er nach der Lektüre von gut 500 Beispielen gut 25 Texte zusammenbekommen, wobei ihn der hohe Anteil weiblicher Verfasserinnen überraschte. Das Filmprojekt ging schließlich aus anderen Gründen in die Binsen, aber Dahl veröffentlichte immerhin einen Teil seiner Auswahl als Buch. Nun ist man entsprechend angefixt, schließlich will Dahl diese Texte in sorgfältiger Auslese aus letztlich fast 750 Erzählungen herausgesucht haben, man darf somit Großes erwarten. Ob diese hohe Erwartung erfüllt wird, liegt wohl im Auge des Betrachters, was wenig überrascht. Dahl ist am Ende auch nur ein Leser, seine Auswahl ist somit Geschmackssache, verrät mehr über seine Vorlieben als über die tatsächliche Qualität der Texte – die durchaus nicht zu beanstanden ist. So scheint Dahl eine Vorliebe für Geschichten über unerkannt wiederkehrende Tote zu haben, ein beliebtes Motiv, in mehreren der Erzählungen kommen bereits Verstorbene zurück – für gewöhnlich unerkannt für ihre Gegenüber – um zu warnen oder sich zu rächen. Das Problem dieser Texte – und vieler anderer des Genres – ist, dass wir Leser:innen bereits früh ahnen, wie die tatsächlichen Verhältnisse sind, anders als die Protagonisten, die ja nicht wissen, dass sie in einer „Schauergeschichte“ agieren. Dies nimmt oft einiges an Spannung. Der Verdienst von Dahls Band, der sich allerdings fast ausschließlich auf Autor:innen des englischsprachigen Raumes konzentriert – ist es, einige unbekanntere Veröffentlichungen zu versammeln, und selbst wenn man nun nach den etwas hochtrabenden Ankündigungen Dahls leichte Enttäuschung verspüren sollte, ein gruseliges Leseerlebnis ist das Buch natürlich trotzdem.   

 

Stefan Grabinski: Der Schatten Satans.

Der berühmte Schriftsteller Pomian schreibt seinen Abschiedsbrief. Doch nicht Selbstmord, wie man zuerst vermutet, sondern ein bevorstehendes Duell bringt ihn dazu. Er hat, wie wir erst später erfahren, seinen Erzfeind zu der Auseinandersetzung auf Leben und Tod provoziert, um ihn endgültig und auf gesellschaftlich akzeptierte, wenn auch risikoreiche Art und Weise zu eliminieren – schließlich ist sein Gegner kein Niemand, sondern der Premierminister des Landes. Seit Kindertagen sind sich die beiden verhasst, Pradera war der kühle Rationalist, aber auch Demagoge, Pomian das Genie voller Talent, aber mit dem Hang zum Mystischen, gewissermaßen Alltagsuntauglichen. Gegenseitig bekämpften sie sich und ihre Weltanschauungen, Pradera mit den Mitteln der Politik, Pomian als Leitfigur der künstlerischen Elite. Als Pradera nun immer autoritärere Züge zeigt, will Pomian ihn beseitigen. Doch Pradera erscheint nicht zum Duell – er wurde kurz vorher ermordet. Die Tat bleibt unerklärlich und ungesühnt, Pradera ist getrieben, den Fall aufzuklären, doch stattdessen geht eine Veränderung in ihm vor, die ihn auf eine ‚Reise‘ gehen lässt. In einer seltsamen Vision, die mittelalterliche Elemente in die Gegenwart projiziert, erotische und hysterische Fantasien, die eine Seuche in der Region und die ekstatische Reaktion der Bevölkerung schildern, geschieht noch mehr Rätselhaftes, bis er plötzlich wieder in der Stadt auftaucht, die von all dem nichts weiß. Dafür findet er einen Brief vor, von Pradera, der ihn nach seinem Tod die Pflicht auferlegt, sich um dessen Frau zu kümmern. Pomian ist verwundert über den Wunsch seines Kontrahenten, übererfüllt aber seine Pflicht – dabei stets im Auge behaltend, dass es sich um eine postume perfide Rache Praderas handeln könnte. Womit er recht hat. Grabinski (1887 bis 1936) ist ein Großmeister der polnischen Phantastik, der leider bei uns viel zu wenig bekannt und übersetzt ist. Der Roman strotzt vor Ideen, ist, wenn man dies so möchte, zugleich sehr polnisch, indem katholische Religiosität eine große Rolle spielt – die allerdings des öfteren bis ins explizit Blasphemische übersteigert wird – und vielerlei Anspielungen auf Politik und Literatur darin versteckt sind. Der gesamte Text ist ein Parforce-Ritt durch Gothic, Thriller und Mystik, trotzdem in einem nüchternen Stil, spannend von Beginn an und für jede:n Leser:in ganz sicher ein Roman, der in Erinnerung bleibt.

 

Hitchcocks Gruselkabinett: Wolfsbrut.

Mit Hilfe der Autorität und Attraktivität des Namens Alfred Hitchcocks (1899 bis 1980) wurden in den USA und dann in Übersetzung auch im deutschsprachigen Raum einige Reihen mit Kriminal-, aber auch Schauerliteratur veröffentlicht, bei denen der Regisseur als vermeintlicher Herausgeber fungierte. Die bekannteste ist sicher die Drei-???-Serie, an der sich das „Gruselkabinett“ auch optisch anschließt, während inhaltlich eher an die Krimi-Reihe angeknüpft wird, deren Reiz in den überraschenden Wendungen liegt, den oft etwas bösartigen Pointen, die der Geschichte noch einmal eine ganz andere Richtung geben. Auch der Hang zum leicht Absurden oder Komödiantischen lässt sich in den Erzählungen des dünnen Bandes finden, der sich im weitesten Sinne mit Gruselgeschichten befasst, in denen Tiere eine prominente Rolle spielen. Ob nun ein vernachlässigter Wissenschaftler Drachen erschafft, die schließlich einen Großteil der Menschheit vernichten, ob wir etwas über die zeitgenössischen Probleme einer kleinbürgerlichen Werwolffamilie in den USA oder die Sorgen pubertierender Vampire erfahren oder darüber, was passiert, wenn man eines Tages morgens als Bernhardiner aufwacht, es dominiert eher das Groteske als das Gruselige. Die beiden letzten Erzählungen laufen dann mindestens unter Etikettenschwindel, zwar spielt in der einen noch ein Hund die Hauptnebenrolle, in der letzten kommt jedoch nicht einmal irgendein Tier vor, beide haben mit phantastischer Literatur selbst im großzügig gefasstesten Sinne nichts zu tun. Das ist dann doch etwas – seltsam.

 

Carolin Bunk, Hans Sarkowicz (Hg.): Akte Mystery.

Abgesehen vom etwas bekloppten und für den renommierten Insel-Verlag auch etwas unwürdigen Titel der Anthologie, versammelt der kurze Band „Unheimliche Geschichten“ (Untertitel) vom 19. Jh. bis in die Gegenwart und aus aller Herren Länder. Dahingehend ist das Buch tatsächlich eine sehr gute Übersicht und Einführung in das Genre, es werden absolute Klassiker von Edgar Allan Poe bis Charles Dickens, von Wilhelm Hauff bis zu einer der bitterbösen Geschichten Maupassants geboten, die deutsche Nachkriegsliteratur ist mit Alfred Andersch und Marie Luise Kaschnitz prominent vertreten, dazu kommen Stephen King und unbekanntere Autor:innen wie A.J.Mordtmann, der eine hervorragenden Seefahrergeschichte beisteuert und der wohl scheußlichste Beitrag, Henry Kuttners „Grabräuber“. Insgesamt wird der Verlag somit seinem Anspruch doch gerecht, trotz des abschreckend anbiedernden Titels.

 

Franz Rottensteiner (Hg.): Gespenstergeschichten aus Österreich.


Wer sonst als der legendäre Franz Rottensteiner (geboren 1942) – jahrelanger Herausgeber der Phantastischen Bibliothek im Suhrkamp-Verlag und auch sonst äußerst verdienstvoller Förderer des Genres – wäre besser geeignet als eine Sammlung von Gespenstergeschichten seines Heimatlandes herauszugeben? Im Rahmen dieser losen Reihe des Fischer-Verlages zu verschiedenen Ländern aus den 1970er Jahren, die tatsächlich nur Erzählungen versammelt, in denen Geister eine Rolle spielen, konnte Rottensteiner einerseits aus dem Vollen schöpfen, da Österreich spätestens seit der Jahrhundertwende Hervorragendes an Phantastik hervorgebracht hat, andererseits war und ist in dieser das Thema Gespenst, wie er selbst betont, dagegen gar nicht so prominent. Gleichwohl kann er mit großen Namen und dementsprechend Qualität aufwarten: Schnitzlers „Die Weissagung“ kommt zwar ohne eigentliches Gespenst aus, gehört aber zu den Meisterwerken der Gruselliteratur, da sie offenlässt, inwiefern man dem seltsamen Geschehen trauen möchte oder nicht. Ludwig Anzengruber schildert die „Teufelsträume“ eines halbdebilen Adligen, Gustav Meyrink die für ihn typischen esoterisch-spiritistischen Erlebnisse eines kuriosen Außenseiters. Die heute vergessenen Paul Busson und Karl Heinz Strobl bieten Beispiele für verführerische weibliche Dämonen, bis wir schließlich mit den Geschichten h.c. artmanns, Hannelore Valencaks und Peter Daniel Wolfskinds in der – damaligen – Gegenwart angekommen sind. Naturgemäß ist die Auswahl Rottensteiner verlässlich gut, hervorzuheben wäre auch noch sein wie zu erwarten bestens informiertes Nachwort, das einen umfassenderen Blick auf die Phantastik in Österreich wirft. 

 

Joachim Körber (Hg.): Abgründe – Die besten Horrorgeschichten.

Der Scherz-Verlag, eigentlich spezialisiert auf Krimis und Thriller, leistete seinen Beitrag zur Riege der Grusel-Anthologien mit einer sehr gelungenen Mischung klassischer und zeitgenössischer ausschließlich angelsächsischer Autoren. Für Kenner:innen des Genres ist die Auswahl nicht gerade überraschend, aber sie werden zustimmen, dass Joachim Körber hier die Crème de la Crème an Autoren insbesondere aus den Vereinigten Staaten versammelt hat: Von Edgar Allan Poe bis Algernon Blackwood, von Ambrose Bierce bis H.P. Lovecraft. E. F. Benson, Bram Stoker und William Hope Hodgson mit einer seiner nie subtilen, sondern stets sofort mit dem blanken Horror einsetzenden Seefahrergeschichten liefern den britischen Beitrag. Dazwischen finden sich die zeitgenössischen Autoren Stephen King, Dean R. Koontz, Clive Barker oder Dan Simmons. Es ist interessant und auch in dieser Hinsicht repräsentativ, wie sich in der US-amerikanischen Variante des Genres – in der Tradition Bierces – der Horror oft aus Kriegstraumata – vom Bürgerkrieg bis Vietnam – oder auch Kolonialverbrechen entwickelt, eine Tendenz, die sich auch in manchen Horrorfilmen wiederfindet. Für mit dem Genre ohnehin Vertraute ein Wiedersehen bzw. -lesen mit guten Bekannten, für Neulinge ein sehr guter erster Einblick in verschiedene Facetten der englischsprachigen Gruselliteratur der letzten beiden Jahrhunderte.       

 


Arthur Machen: Der verborgene Sieg.

Es ist etwas Seltsames um Arthur Machen (1863 bis 1947): Obwohl er von Exponenten der phantastischen Literatur wie H.P. Lovecraft oder Jorge Luis Borges hochverehrt wurde, hat er es im Gegensatz zu diesen nie so recht in die öffentliche Wahrnehmung geschafft – außer vielleicht in seiner Heimat Wales. Er blieb bislang ein Autor für Kenner:innen, woran auch die Gesamtausgabe seiner Werke in einer preiswerten Taschenbuchreihe hierzulande nichts ändern konnte, die natürlich trotzdem ein großes Verdienst des Piper-Verlages ist. Der vorliegende letzte Band ist allerdings typisch und untypisch für Machen zugleich, denn es handelt sich nicht im eigentlichen Sinn um ein Werk der Phantastik, deren Elemente aber trotzdem nicht fehlen. Ambrose Meyrick, in jungen Jahren bereits Waise, wird zu seinem Onkel in eine angesehene Public School geschickt, wo dieser Vizedirektor mit höheren Ambitionen ist. Ambrose aber fügt sich nicht in den Betrieb der Schule ein. Er ist zwar kein schlechter Schüler, aber das gesamte System bleibt ihm fremd, er empfindet die Atmosphäre und die Art der Ausbildung als geisttötend, getrimmt auf Konformität und Mittelmäßigkeit. Mit dieser Haltung verstört er nicht nur seinen Erzieher, sondern auch seine Mitschüler, die vor allem ärgert, dass er nicht auf ihre Versuche, ihn zu mobben, angemessen reagiert. Als er eines Tages von einer einsamen Wanderung zu spät zurückkehrt, wartet sein Onkel bereits genüsslich, um ihn zu bestrafen – mit der von ihm bevorzugten Methode des Prügelns. Und siehe da: Ambrose ändert sich. Er wehrt sich gegen seine Mitschüler, folgt widerspruchslos dem Unterricht, begeistert sich für den Schulsport und scheint endlich der gewünschte Durchschnittsabsolvent zu werden. Doch dieser Erfolg geht keineswegs, wie sein Onkel sich rühmt, auf die ihm verpassten Prügel zurück, sondern auf eine Traumvision Ambroses, die ihn an seine walisische Heimat, deren Mythen und die Lehren seines in der örtlichen Tradition tief verwurzelten Vaters erinnert. Dadurch innerlich gestärkt, baut er die äußerliche Fassade des Musterschülers auf, um diese schließlich umso besser einreißen zu können, nicht ohne hierbei auf verschlungenen Wegen den Sturz seines Onkels gleich miteinzuleiten. Machens auf eigenen Erfahrungen beruhende Kritik am System der Public Schools, aber auch einem geistlosen Spätviktorianismus ist teils bitterböse, aber nicht einseitig plump. Natürlich gehört seine Sympathie dem heimischen Wales und seinen untergründigen Mythen, doch bei aller sarkastischen Verachtung der vermeintlichen englischen Überlegenheit streut er stets Selbstzweifel ein, anerkennt durchaus Leistungen und Ideen seiner Gegenspieler. Dies spiegelt auch der Titel wider: Zwar mag „Der verborgene Sieg“ der persönliche Integrität Ambroses dienen, aber ein Sieg, der von niemanden außer einem selbst wahrgenommen wird, ist letztlich nah an der Niederlage. Das Buch allerdings ist in jedem Fall ein Gewinn, wer zum Beispiel ein Gegengift zu nostalgisch-verklärenden Internatsromanen möchte, wird bestens versorgt.

 

Angelika Feilhauer (Hg.): Die Geisterkutsche.

„Fünf Gruselgeschichten“ versammelt der kurze Band, wobei es sich ausschließlich um Beispiele viktorianischer britischer Schriftsteller:innen handelt, auch wenn dies nicht explizit erwähnt wird. Auch für diese Anthologie gilt, dass unbekanntere Geschichten mit üblicheren Sammelbandvertretern wie Bram Stoker, Arthur Conan Doyle und Charles Dickens kombiniert werden, ihre ähnliche Herkunft bietet damit in gewisser Weise Vorhersehbares, ohne dass dies negativ gemeint ist. Es sind Erzählungen, die wohl am ehesten dem handelsüblichen Verständnis einer Gruselgeschichte entsprechen, was nicht zuletzt eben genau an diesem viktorianischen Flair liegt, dass wir mit einer solchen verbinden: Edle Landhäuser, ehrenwerte Ladies und Gentlemen, gehobenes Ambiente, selbst die Gespenster haben zumeist Tradition, dazu kommt oft ein exotischer Hintergrund durch das Empire. Hinter dieser vornehmen Fassade ist der Grusel oft erstaunlich hart und keineswegs immer subtil. Schockartiges Auftreten ist keine Seltenheit und manche der Geschichten sind in ihrer Wirkung eindringlicher als manch moderner Horrortrip. Die titelgebende „Geisterkutsche“ Amelie Edwards‘ ist ebenso schnörkellos wie spannend, die Pointe überraschend, noch weiter geht Perceval Landon, dessen Protagonist sich als Opfer eines dummen Ulkes wähnt und das vermeintliche Gespenst aus Wut in alle Einzelteile zerlegt…bis dieses beginnt, seine zertrümmerten Knochen wieder einzusammeln. Genau das richtige Buch, um einem geneigten Publikum an einem düsteren Herbstabend daraus vorzulesen – schade nur, dass es sich selbst auf nur fünf Geschichten beschränkt hat. 

 

Cynthia Asquith (Hg.): Schrecksekunden.

Während der Suche nach Material für seine geplante Filmserie beziehungsweise später seine daraus erwachsende eigene Anthologie – siehe oben – wandte sich Roald Dahl unter anderem an Lady Cynthia Asquith (1887 bis 1960). Das ergab durchaus Sinn, denn diese Dame aus dem britischen Hochadel war nicht nur selbst Verfasserin von Geistergeschichten, sondern vor allem mit Sammlungen von ebensolchen äußerst erfolgreich. Eine von diesen liegt hier in der deutschen Ausgabe vor und es verwundert folglich kaum, dass es leichte Überschneidungen mit der Auswahl Dahls gibt. Beide enthalten – unterschiedliche – Geschichten von Asquith selbst, besitzen einen hohen Anteil von Autorinnen und beschränken sich, Asquith noch mehr als Dahl, auf den englischsprachigen Raum. Fast schon erwartbar, wirkt die Anthologie der Lady allerdings noch britisch-gediegener, auch scheint ihre Vorliebe bei einem für die Insel typischen Thema zu liegen: Spukhäusern. Eine außergewöhnliche Variante bietet zu diesem beliebten Thema Collin Brooks „Eigentum bei Fertigstellung“. Hier ist es ein noch recht neues, modern eingerichtetes Durchschnittshaus, das sich seine eigenen Opfer schafft, um damit eben jene unheimliche Tradition erst zu erhalten, die man klischeehaft von einem englischen Wohnsitz erwartet. Von allen bisher vorgestellten Büchern ist Asquiths Sammlung gewissermaßen das Brävste, es sind Kaminfeuergeschichten mit leichtem Gänsehautfaktor, keine Schocker, keine Abseitigkeiten, die einen nächtelang nicht mehr schlafen lassen, sondern gepflegter britischer Grusel.   

 

Die gruseligsten Gruselgeschichten.

Eine Herausgeberin oder einen Herausgeber nennt diese Anthologie des österreichischen Tosa-Verlages, die einer Reihe entstammt, in der es unter anderem auch einen Band mit „unheimlichsten Gespenstergeschichten“ gibt, leider nicht. Von den bisher vorgestellten Sammlungen ist diese die durchwachsendste, was den qualitativen Standard angeht. Vertreten sind hauptsächlich angelsächsische Autor:innen des 19. und des 20. Jahrhunderts, darunter Klassiker wie M.R. James, Algernon Blackwood, Ambrose Bierce und Edgar Allan Poe, Lovecraft und Bloch, hinzu kommen einige Geschichten eher unbekannterer Schriftsteller:innen auch des deutschsprachigen Raumes aus dem letzten Jahrhundert. Das Bemühen um eine weite Bandbreite, fast buchstäblich, ist ehrenwert, aber manche der Erzählungen halten dem Anspruch nicht unbedingt stand. Eine Großwildjagd auf seltsame Wesen in einem versteckten Höhlensystem unterhalb New Yorks ist einfach etwas zuviel an unplausiblen Zusammenstellungen, die Verurteilung eines Professors für Tierversuche kurz nach seinem Tod durch ein Gericht von Affen setzt zu sehr auf den plump erhobenen Zeigefinger. Diese Ausschläge nach unten muss man hinnehmen beim Lesen der sonst soliden Anthologie, die in ihren besten Auswahlstücken ihrem Titel durchaus gerecht wird.    

 

Adrian Baar (Hg.): Die Schrecken der Meere.


Angesichts der Spezialisierung auf „12 unheimliche Geschichten“ mit dem Schwerpunkt Seefahrt stutzt vermutlich jede:r Kenner.In des Genres beim Blick ins Inhaltsverzeichnis über das Fehlen von W. H. Hodgson, dem Altmeister des Meeresgrauens. Aber Herausgeber Adrian Baar (geboren 1927) versteht unter Unheimlichkeit in diesem Falle etwas anderes, beziehungsweise erweitert er seine Schrecken der Meere um Schiffsuntergänge, Hochwasser und Haiangriffe. Alles sicher auch nicht gerade schön und gerade für Landratten womöglich ein Grund mehr, sich darauf zu besinnen, dass Wasser keine Balken hat und man deshalb vielleicht doch lieber mit Bus und Bahn reist. Aber auch erprobte Seebären sind naturgemäß wenig über diese Phänomene erfreut, im Zweifelsfall wird es einem wohl egal sein, ob man auf ein natürliches Phänomen wie einen verheerenden Sturm oder ein übernatürliches wie ein Geisterschiff oder eine anstrengende Nixe trifft. Die Enttäuschung hält sich folglich in Grenzen, spannend sind die Geschichten allemal. Ob man sie für Seemannsgarn oder bare Münze nimmt, darf dann jede und jeder selbst entscheiden, gemütlich im und auf dem Trockenen sitzend. 

 

Martin Gregor-Dellin (Hg.): Die schwarze Kammer.

Zum Abschluss noch einmal eine Anthologie, die durch einen namhafteren Schriftsteller zusammengestellt wurde und den im Untertitel ausgedrückten Anspruch äußert, „unheimliche Geschichten aus aller Welt“ zu vereinen. Beides wird von Martin Gregor-Dellin (1926 bis 1988) durchaus eingelöst, wobei er sichtlich bemüht ist, namhafte Autoren – und es sind tatsächlich nur Autoren – zu präsentieren, von E.T.A. Hoffmann über Turgenjew bis Strindberg, Mörike, Hebbel bis Gogol. Auch die Klassiker des Genres – Poe, Bierce, M.R. James oder Le Fanu – sind vertreten. Die Internationalität wird durch mehrere russische und jeweils vereinzelte Beispiele für ganze Kontinente halbwegs gewahrt, so Akutagawa für Japan respektive Asien, Cortázar für Südamerika, insgesamt liegt der Schwerpunkt aber doch auf der europäisch-nordamerikanischen Literatur. Weiterhin lässt die Formulierung „unheimliche Geschichten“ wie schon bei Baar angemerkt eine große Bandbreite zu, die nicht unbedingt auf phantastische Literatur beschränkt ist, sondern auch zum Beispiel Verbrechergeschichten enthält. Als Überblick mit Mankos – keine Autorinnen und nur bedingt „aus aller Welt“ – durchaus geeignet, Bonus sind die Zeichnungen von Alfred Kubin.