Ein Roboter möchte gerne ein Mensch werden. Selber schuld.
Zwei berühmte Autoren ihres Faches, Robert Silverberg und Isaac Asimov schreiben gemeinsam eine Geschichte über einen Maschinenmann, der seine menschliche Seite entdecken möchte. Klingt wie ein Science-Fiction-Bildungsroman, ist aber ein anstrengender Thesenroman.
Englische Originalausgabe: The Positronic Man |
Thesen zum Thesenroman
Das Genre des Thesenromans ist, wenn man es so ausdrücken möchte, „speziell“. Oder mit anderen Worten: sperrig. Der Autor möchte eine oft grundlegende Ansicht – oder was er dafür hält – seinem Publikum nahe bringen, weiß aber, dass Essays nicht gerade ein Verkaufsschlager sind. Also packt er seine Idee(n) in eine Handlung ein, um die Leserzahl zu erhöhen. Das ist keineswegs verwerflich, im Gegenteil. Leider führt es oft dazu, dass dem dabei entstandenen Werk seine essayistische Herkunft deutlich anzumerken ist. Die Geschichte wirkt konstruiert – oder überladen, z.B. durch monologische Redeanteile.
Der Besuch der alten Leier
Gerade dadurch wird das ursprüngliche Ziel – eine breitere Leserschaft – meist ebenso wenig erreicht. Nur wenige Autoren von Thesenromanen bleiben wirklich im Gedächtnis verankert, etwa Aldous Huxley, einer der raren Meister des Genres. Gelegentlich liegt es aber nicht an der faden Konstruktion der Handlung, sondern an der Schlichtheit der zugrunde liegenden These. Das berühmteste Beispiel hierfür ist kein Roman, sondern ein Drama: Friedrich Dürrenmatts Der Besuch der Alten Dame. Geld macht korrupt! Das ist so überraschend wie fast schon tautologisch, aber natürlich deshalb eben auch nicht verkehrt. Und zumindest für jeden halbwegs intelligenten Menschen – etwa ab der dritten Klasse – nachvollziehbar. So verwundert auch nicht der andauernde Erfolg des Stückes.
Über Roboter und Menschen
Doch zu Asimov und Silverbergs Positronischem Mann, einer Ausarbeitung von Asimovs früherer Kurzgeschichte The Bicentennial Man – in deren Kürze wohl eher die berühmte Würze gelegen hat. Nun dient der Roman zweierlei: einmal der Veranschaulichung von Asimovs berühmten Robotergesetzen (die letztlich darauf hinauslaufen, Robotern den Menschen zu unterwerfen, bzw. sie unterworfen zu halten) und zweitens der Geschichte des einen ganz besonderen Roboters, der ein Mensch werden möchte.
Das ist natürlich ein altbekanntes Motiv aus dem Zauberer von Oz und der Klappentext des Taschenbuchs weist selbst auf Pinocchio hin, doch ein Märchen, wie es dort dann völlig absurderweise weiter heißt, ist Der positronische Mann sicher nicht.
Ein Apparat im Justizapparat
Denn dieser Roboter, eigentlich ein Standardmodell für den Haushaltsgebrauch, das aber durch irgendeinen nie erklärten Defekt außergewöhnliche Intelligenz und dadurch enorme Fähigkeiten entwickelt, die ihm den Menschen (seinen mechanischen Kollegen sowieso, die werden im Verlauf der Jahrzehnte eher dümmer – absichtlich) überlegen machen, folgt in seinem Bestreben nach Menschlichkeit nicht irgendwelchen philosophischen Vorbildern oder ähnlichem – nein, er klagt sich durch die Instanzen. Das ist... sehr menschlich, möchte man sagen, insbesondere auf dem nordamerikanischen Kontinent. Nur: sympathisch macht ihn das nicht, auch weil er irgendwann das System von Erpressung und Drohung im Justizsystem durchschaut – und selbst anwendet.
Spannungsvermeidung à la Asimov / Silverberg
Und das ist alles, Verzeihung, einfach furchtbar ermüdend, Plädoyers reihen sich an Plädoyers. Vieles Spannende bleibt unangetastet. So erfindet der Roboter, der immer mehr zu einem Androiden wird, zahlreiche Prothesen, die vor allem den Menschen zugute kommen – auch diese werden dadurch immer mehr zu Androiden. Das wird zwar angedeutet, aber nicht weiterverfolgt. Und die grundsätzlichen Regeln Asimovs, die wie gesagt nichts anderes sind als eine dauerhafte Unterdrückung der Roboter – was dem Ansinnen des Protagonisten naturgemäß völlig zuwiderläuft – werden nicht einmal diskutiert.
Mensch, Mensch
Der Grund dafür ist offensichtlich. An erster Stelle steht hier der Mensch. Warum sollte ein überlegener Androide ein Mensch werden wollen? Genau genommen ist das schließlich nur eine Spielart menschlicher Arroganz – von Menschen ausgedacht. Es fällt den Autoren auch schwer, diesen Wunsch plausibel zu machen, letztlich bliebe als Motiv nur reine Anpassung. Das ist vielleicht nachvollziehbar, aber wiederum erwärmt es einen nicht gerade für den Protagonisten. Einsamkeit wäre auch eine Motivation, aber der Roboter ist eher gefühlskalt – und es liegt ihm auch nicht daran, neue „Kollegen“ zu erschaffen, d.h. die grundsätzliche Position der Roboter zu verbessern.
Noch ein positronischer Mann
Data, der Androide aus Star Trek The Next Generation, hat den gleichen Wunsch wie Andrew Martin, der positronische Mann. Doch erstens liefert er dafür wesentlich bessere Gründe, er möchte die menschliche Natur verstehen – und erleben – können, dazu kann man stehen wie man will, und zweitens gibt es gegen diesen Wunsch des öfteren in der Serie auch kritische Gegenrede – wenn auch zumeist von eher fragwürdigen Figuren. In jedem Fall Data kommt Pinocchio weitaus näher als der humorlose Andrew Martin.
Der positronische Mann liefert, im Gegensatz zu einem gelungenen Thesenroman, keinen bedeutenden Beitrag zu einer Kontroverse, ob spätere Generationen sich an dieses Buch erinnern werden, wenn sie den ersten Androiden bauen, ist eher zweifelhaft. Und eigentlich auch gar nicht wünschenswert.
Isaac Asimov/Robert Silverberg: Der positronische Mann. Roman. Heyne: München 1998.