Edgar
Allan Poe: Arthur Gordon Pym.
Poes
(1809-1849) einziger längerer Roman ist ein Reißer reinsten Wassers, der
Kolportage mit dem in der Hochliteratur sonst ja eher seltenen Abenteuergenre
vereint. Zur Ruhe kommen lässt Poe seine Leser*innen nur in den kurzen
Momenten, wo er sich erklärenden Beschreibungen widmet. Ansonsten geht es von
Beginn an Schlag auf Schlag: der junge Arthur Gordon Pym steigt als
abenteuerlustiger blinder Passagier heimlich in eine Brigg, wo ihn ein Freund
in einem Versteck im Lagerraum unterbringt, um ihn – so der Plan – nach einigen
Tagen zu erlösen. Doch der Freund taucht nicht mehr auf, das anfangs recht
bequeme Plätzchen wird zum Gefängnis, die Nahrung geht aus und der freundliche
Schiffshund wird zur aggressiven Bedrohung. Kurz vor dem Verdursten taucht der
Freund doch noch auf – doch besser wird es dadurch nicht: an Bord hatte eine
Meuterei stattgefunden, die Aufständischen haben das Kommando übernommen. Doch
die brutale Gruppe ist zunehmend gespalten über das weitere Vorgehen: Piraterie
oder nicht? Ein zweiter Kampf findet statt, die Freunde um Pym gewinnen zwar,
doch die wenigen Überlebenden haben bald damit zu kämpfen, dass ein Sturm ihr
Schiff nach und nach in seine Einzelteile zerlegt und wiederum die Lebensmittel
knapp werden – was sie zu drastischen Maßnahmen greifen lässt…und so fort. Wie
gesagt, Poe lässt nichts aus, um die Leser*innen wie seine Protagonisten in
Dauerstress zu halten – dafür braucht er nicht einmal die bei ihm ansonsten
nicht seltenen Gruselmomente. Großartig ist schließlich auch der Schluss, der
Poe einmal mehr als frühen Meister der Moderne ausweist.
Pat
Barker: Die Lockvögel.
Dieser
frühe Roman der später insbesondere durch ihre fulminante Regeneration-Trilogie
über den Ersten Weltkrieg bekannt gewordene britischen Schriftstellerin Pat
Barker (geboren 1943) wurde vom Fischer-Verlag ins seine Reihe mit dem kuriosen
Titel „Frauenkrimis“ aufgenommen – was immer man darunter zu verstehen hat.
Mehr als die Tatsache, dass die Bücher von Frauen verfasst wurden, dürfte sie
kaum verbinden, was hervorzuheben bestenfalls belegt, dass Vermarktung über
Schablonendenken nicht hinauskommt. Würde jemand auf die Idee kommen, Agatha
Christie oder Patricia Highsmith als Frauenkrimiautorin zu qualifizieren? Wie
auch immer, in Pat Barkers Roman spielen Frauen tatsächlich die Hauptrolle, ihr
Text handelt vom Alltag professioneller Gelegenheitsprostituierter, sprich
Frauen zumeist der Arbeiterschicht, die selbstorganisiert – sprich ohne
(offiziellen) Zuhälter sich ihr täglich Brot oder zusätzliches Taschengeld
hinzuverdienen. Es ist eine schäbige Welt, die Barker schildert, in der selbst
die latent vorhandene Solidarität der Frauen untereinander nicht immer verlässlich
ist. Hinzukommt nun noch ein Serienmörder, der sich seine Opfer unter ihnen
sucht, die recht hilflose Polizei hofft darauf, die Nutten als Lockvögel zu
benutzen, um den Täter zu fassen. Eine Idee, die auch manchem möglichem Opfer
kommt. Und tatsächlich scheint dieser Plan aufzugehen. Aber wurde tatsächlich
der Richtige ausfindig gemacht? Barker taucht tief ein ins Milieu, teils sind
ihre Schilderungen, insbesondere der Mord an einer Prostituierten aus Sicht des
Täters nur schwer erträglich. Ihre auf den Dialogen aufbauende Erzähltechnik
ist allerdings noch nicht so ausgefeilt wie in späteren Werken, das Buch hat
auch seine Mängel, insgesamt noch nicht die Pat Barker, deren Bücher man in
wenigen Stunden verschlingt.
Martin
Suter: Der Koch.
Der
Tamile Maravan arbeitet in einem Schweizer Edelrestaurant. Doch obwohl er ein
kulinarisches Naturtalent ist, darf er dort nur als verachtete Küchenhilfskraft
schuften. Nur die Kollegin Andrea hat ein gutes Wort für ihn, so dass sie aus
Trotz seine Einladung zu einem Abendessen annimmt. Dieses kostet letztlich
beide den Job, doch Maravan bekommt Andrea immerhin ins Bett – sehr zu ihrem
eigenen Erstaunen, denn sie ist stocklesbisch. Auf Druck gibt Maravan sein
Geheimnis preis: er hat ein aphrodisisches Rezept seiner Großmutter benutzt, um
Andrea – erfolgreich – zu verführen. Nach verrauchtem Ärger über dieses
Geständnis entwickelt sie hieraus eine Geschäftsidee, fortan bieten beide gegen
gutes Geld erotische Kulinarik an. Arbeiten sie anfangs noch mit einer
Sexualtherapeutin zusammen – auch um ihr Gewissen etwas zu beruhigen – lassen
sie sich später aufgrund von Geldnöten auf die Zuarbeit für einen Escortservice
für höhere Gehaltslagen ein. Mit Folgen, da sie dadurch in die Nähe
zwielichtiger politischer Geschäfte geraten. Selbst wenn Martin Suter (geboren
1948) nur irgendwelche Rezepte (die man dank Anhang sogar nachkochen kann) mit
Zutaten, von denen man noch nie gehört hat, schildert, bleibt er ein Meister
des fesselnden Schreibens, auch er beherrscht die Kunst des Aufbereitens
bestens. Ein bisschen Politikskandal, Hintergründe über das Leben der Tamilen
in der Schweiz, eine bei dem Thema sogar eher erstaunlich kleine Prise Erotik,
fertig ist der Roman. Es liest sich bekömmlich, vielleicht kein 5-Sterne-Menü
des Geistes, aber literarisch sättigend.
Marga
Minco: Das bittere Kraut.
Gibt
man diesen Titel in die Suche der örtlichen Universitätsbibliothek ein, taucht
kein Treffer auf. Das würde einem in den Niederlanden sicher nicht passieren,
dort ist Marga Mincos (geboren 1920) Erzählung ein Klassiker, der mit riesiger
Auflage in zahlreichen Büchereien, als Schullektüre und als Bearbeitung für das
Theater allerorten aufzufinden ist. Die Geschichte aus der Sicht eines jungen
Mädchens, dessen jüdische Familie nach der Besetzung der Niederlande durch die
deutschen Truppen vom Abtransport erst in das Ghetto, dann die Sammel- und
schließlich die Konzentrationslager bedroht wird, ist in einem äußerst
lakonischen und leicht naiven Stil verfasst, der einerseits zwar das Denken des
Kindes mit seiner Mischung aus Unwissen und Nichtbegreifen widerzuspiegeln
scheint, aber andererseits aber auch die mangelnde Vorstellungskraft der
Erwachsenen wiedergibt, die trotz aller gegenteiligen Anzeichen nie recht
erfassen können, was das so kultivierte Nachbarvolk mit ihnen vorhat und wie
ernst sie es damit meinen. Später verkörpert die Lakonie dann eher eine stille
Resignation, die das Geschehen zwar nicht akzeptiert, aber das Eigentliche
immer noch ausblendet, um den Willen zum Überleben nicht zu verlieren. Das
Mädchen überlebt schließlich als einziges Mitglied der engeren Familie. Sollte
auch in jeder deutschen Bibliothek stehen und tausendfach gelesen werden.
Doron
Rabinovici: Andernorts.
Ethan
Rosen, international erfolgreicher Gelehrter, antwortet auf einen Zeitungsartikel
eines österreichischen Kollegen, dem er einen unzulässigen intellektuellen
Angriff auf Israel vorwirft – dumm nur, dass sich er Verfasser dabei auf das
Zitat eines ungenannten Experten stützt, von dem sich bald herausstellt, dass
es niemand anders ist als Rosen selbst. Es kommt noch schlimmer: der Schreiber
konkurriert mit Rosen zudem um eine feste Anstellung an der Uni Wien. Doch bald
geht die Konkurrenzsituation noch weiter, jener Mann – Rudi Klausinger taucht
plötzlich nicht nur in Israel auf, wohin sich Rosen erst einmal zurückgezogen
hat, um bei seinem kranken Vater
zu sein, sondern bald im engsten Familienkreis. Er hält sich für einen illegitimen Sohn des Kranken – und dieser gesteht dies ein. Dass Verhältnis der beiden „Brüder“ schwankt zwischen nun noch größerem Kampf und versuchter Annäherung. Ein streng orthodoxer Rabbi, der ein genetisches Projekt zur Wiederkunft des Messias durchführen möchte, kommt auch noch ins Spiel – doch durch ihn kommt es zu einer ganz anders gearteten Offenbarung. Doron Rabinovici (geboren 1961) ist ein verdienter österreichischer Schriftsteller mit großem öffentlichen Engagement, der Text kann da leider nicht so recht mithalten. Die Geschichte um Identitäten wirkt letzten Endes so überkonstruiert und die Hauptfigur Ethan Rosen in ihren Handlungen oft kaum nachvollziehbar, was ihn nicht unbedingt sympathisch macht, so dass man als Leser*in nicht in ausreichendem Maß Anteil nimmt und einen sowohl das akademische Gezänk als auch die Aufdeckung der Familiengeheimnisse letztlich kalt lassen. Schade.
zu sein, sondern bald im engsten Familienkreis. Er hält sich für einen illegitimen Sohn des Kranken – und dieser gesteht dies ein. Dass Verhältnis der beiden „Brüder“ schwankt zwischen nun noch größerem Kampf und versuchter Annäherung. Ein streng orthodoxer Rabbi, der ein genetisches Projekt zur Wiederkunft des Messias durchführen möchte, kommt auch noch ins Spiel – doch durch ihn kommt es zu einer ganz anders gearteten Offenbarung. Doron Rabinovici (geboren 1961) ist ein verdienter österreichischer Schriftsteller mit großem öffentlichen Engagement, der Text kann da leider nicht so recht mithalten. Die Geschichte um Identitäten wirkt letzten Endes so überkonstruiert und die Hauptfigur Ethan Rosen in ihren Handlungen oft kaum nachvollziehbar, was ihn nicht unbedingt sympathisch macht, so dass man als Leser*in nicht in ausreichendem Maß Anteil nimmt und einen sowohl das akademische Gezänk als auch die Aufdeckung der Familiengeheimnisse letztlich kalt lassen. Schade.
Michael
Marano: Dawn Song.
Boston
1990. Der homosexuelle Lawrence flüchtet vor seiner Familie und seinem
Ex-Freund aus der Provinz in die Großstadt für einen Neuanfang. Doch dort
lauern andere Gefahren unter anderem spielt sich ein Kampf ab zwischen
verschiedenen Höllenkräften, nachdem ein junger Sukkubus beauftragt wurde, die
Herrschaft über die Stadt zu erobern – dafür muss sie jedoch noch mehrere
Seelen erobern, um die nötige Kraft zu haben. Derweil macht ihr ein Abgesandter
eines anderen dämonischen Fürsten ihren Auftrag schwer. Marano (geboren 1964) versucht
einen modernen Horrorthriller zu schreiben, in dem auch der politische
Hintergrund, der Golfkrieg gegen Saddam Hussein miteinfließt. So richtig
gelingen will dies nicht. Durchaus faszinierend ist das gesellschaftliche
Panorama, das Marano mithilfe verschiedener Personen langsam zusammenführt. Die
Zwischenpassagen aus Sicht des Sukkubus mit ihrer esoterischen Prosa wirken da
zunehmend wie eine Bremse, vor allem aber fügt sich das Ganze nicht so recht
zusammen, auch der Endkampf bleibt blass. Letzten Endes wirkt gerade der
schauererregende Teil fast schon überflüssig – er dient mehr oder weniger nur
zur Motivation bestimmter Gewalttaten. Das ist natürlich kein so günstiges
Urteil für ein Buch, das gehobenen Horror etablieren möchte. Sehr kurios ist
auch, dass die Dämonin stets überkorrekt „Sukkuba“ genannt wird, was reichlich
wenig Sinn ergibt; sicher, die us-Endung ist männlich, aber ein Sukkubus per
Definition immer weiblich, schließlich ist ihre Aufgabe die (hetero-)sexuelle
Verführung von Männern (das Gegenstück für Frauen ist der Incubus). „Sukkuba“
ist also ähnlich logisch wie etwa er „Frauin“. Richtig gruselig ist dagegen das
Vorwort von Dietmar Dath, dem deutlich das Bemühen des Intellektuellen
anzumerken ist, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, weil er einem
vermeintlich niederrangigen Vergnügen frönt. Um trotzdem akademisch
satisfaktionsfähig zu sein, wird dann sehr viel pseudotiefgründiges Geschwurbel
mit reichlich Pathos in die Welt gesetzt. Der Roman sollte der Auftakt zu einer
New-Gothic-Reihe bei Suhrkamp werden, von der man (leider) auch nie mehr gehört
hat. Vielleicht war Marano nicht unbedingt der beste Einstieg.
Ida
Jessen: Das Erste, woran ich denke.
Nach
einer gescheiterten Beziehung sucht Birgitte die ländliche Ruhe Dänemarks und
nimmt die Einladung einer alten Freundin, die sie länger aus den Augen verloren
hatte, an, ein paar Tage bei ihr im Pfarrhaus zu verbringen. Man hat viel zu
reden und so bleibt Birgitte auf Drängen der Pastorin und ihrer Familie noch
länger. Doch dann geschieht ein Unglück: der kleine Sohn der Pfarrerin wird mit
dem Fahrrad angefahren, der Verursacher flüchtet. Wieder wird Birgitte gebeten
zu bleiben, es vergehen Tage des Hoffens, doch das Kind stirbt. Und erneut kann
Birgitte nicht abreisen, obwohl sie selbst nicht weiß, ob sie hier eher Hilfe
oder zusätzliche Last ist, geschweige denn, wie sie mit der Trauer der
befreundeten Familie umgehen soll. Diese steht selbst vor allerlei Prüfungen,
der Frage nach eigener Schuld, aber auch, wie sie zu der Suche nach dem noch
immer flüchtigen Täter steht. Es kommt zu Zerreißproben in den verschiedenen
Verhältnissen, Misstrauen und Unverständnis, aber auch der Sehnsucht, einen Weg
zu finden, mit der Situation klarzukommen – bei allen Beteiligten. Ein sehr
einfühlsamer, klar erzählter Roman der dänischen Autorin Ida Jessen (geboren
1964), der nicht nach dem Sensationellen hascht, sondern die widersprüchlichen
Gefühle seiner Protagonisten auf unaufdringliche Weise in den Mittelpunkt
stellt. Großartiges Buch.
Simone
de Beauvoir: Das Blut der anderen.
Jean
und Hélène sind ziemlich unterschiedliche Charaktere: der reflektierte, selbstkritische
Abkömmling aus gutem Hause ist selbstbewusst und unsicher zugleich, auf der
Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit, weshalb er sich vom bequemen,
vorversorgten Leben im Elternhaus losmacht und Eigenständigkeit wagt. Hélène,
dagegen ist sich ihrer Sache sicher – was sie möchte, ist Jean, obwohl sie noch
mit Paul, dessen Freund, zusammen ist. Beide verfolgen konsequent ihren Weg,
Hélène nach vielen Widerständen zu Jean, dieser, indem er sich politisch
engagiert, ohne dabei auf seine Menschlichkeit zu verzichten. Er erkennt die
Opfer an, die Hélène für ihn bringt, und gibt ihr nach, ohne sie wirklich zu
lieben. Vielmehr beschäftigt ihn die Frage, wie man ein Leben führen kann, dass
nicht auf dem Rücken der anderen ausgetragen wird –
deshalb lehnt er auch den Krieg ab. Doch der in Europa um sich greifende Faschismus, dem letzten Endes auch sein Land zum Opfer fällt, lässt ihn umdenken. Vielleicht liegt der Sinn doch darin, dass „Blut der anderen“, eigentlich Unschuldigen, aber auch das eigene fließen lassen zu müssen, um überhaupt das Überleben von vielen garantieren zu können. Es wird sich zeigen, dass die scheinbar so egoistische Hélène diese Lektion längst gelernt hat. Als Jean dies begreift und er sich eingestehen muss, dass er sie liebt, liegt sie im Sterben. Paradigmatischer Roman Simone de Beauvoirs (1908-1986), der die großen Themen dessen behandelt, was man dann als Existentialismus verstand. Was ist sinnvolles und menschliches Handeln unter unsinnigen und unmenschlichen Umständen, aber nicht nur unter diesen, sondern auch im Alltag. Wie kann überhaupt gehandelt werden, ohne das Leid entsteht und wann muss ich Leid in Kauf nehmen, um noch größeres Leid zu verhindern. Das Ganze nicht als dröger Thesenroman mit abstrakten Problemen, sondern als dialogreiche tiefsinnige Erzählung vor konkretem Zeithintergrund.
deshalb lehnt er auch den Krieg ab. Doch der in Europa um sich greifende Faschismus, dem letzten Endes auch sein Land zum Opfer fällt, lässt ihn umdenken. Vielleicht liegt der Sinn doch darin, dass „Blut der anderen“, eigentlich Unschuldigen, aber auch das eigene fließen lassen zu müssen, um überhaupt das Überleben von vielen garantieren zu können. Es wird sich zeigen, dass die scheinbar so egoistische Hélène diese Lektion längst gelernt hat. Als Jean dies begreift und er sich eingestehen muss, dass er sie liebt, liegt sie im Sterben. Paradigmatischer Roman Simone de Beauvoirs (1908-1986), der die großen Themen dessen behandelt, was man dann als Existentialismus verstand. Was ist sinnvolles und menschliches Handeln unter unsinnigen und unmenschlichen Umständen, aber nicht nur unter diesen, sondern auch im Alltag. Wie kann überhaupt gehandelt werden, ohne das Leid entsteht und wann muss ich Leid in Kauf nehmen, um noch größeres Leid zu verhindern. Das Ganze nicht als dröger Thesenroman mit abstrakten Problemen, sondern als dialogreiche tiefsinnige Erzählung vor konkretem Zeithintergrund.
José
Saramago: Alle Namen.
Sr.
José ist ein unbedeutender Amtsschreiber im streng hierarchischen Zentralen
Personenstandsregister, einer monumentalen Behörde, die einerseits riesige unübersichtliche
Aktenbestände verwaltet, in der andererseits jedoch alles klaren Regeln und Strukturen
unterliegt. Sr. José, bislang unauffällig, frönt einer geheimen Leidenschaft:
er sammelt Daten über Berühmtheiten, die er sich nachts aus der Behörde beschafft.
Dieser harmlose Regelverstoß wird problematisch, als er eines Tages
versehentlich das Datenblatt einer Frau mitentführt. Dieser Zufall lässt ihn
nicht mehr los: er will mehr über das Schicksal dieser ihm völlig unbekannten
Person erfahren, die ihm der Zufall zugespielt hat. Dafür verlässt er immer
mehr seine geordneten Bahnen: er stellt mit gefälschten Dokumenten eigene
Nachforschungen an, bricht schließlich sogar in das Archiv einer Schule ein.
Ständig muss er die Entdeckung fürchten, auch weil er bei der Arbeit durch
Nachlässigkeit und Krankheit auf- und ausfällt. Doch sein sonst so unnahbarer
und autoritärer Chef benimmt sich nicht minder seltsam, zum Neid der Kollegen
scheint er ganz untypisch eine Art persönlicher Fürsorge für Sr. José zu entwickeln.
Dessen Suche schreitet nur mühsam voran – bis er ein trauriges Geheimnis
entdeckt. Ist seine Suche damit gescheitert? Noch dazu ist ihm sein Chef auf
die Schliche gekommen. Das Ende ist unerwartet. Ein bisschen Kafka, ein
bisschen Borges, viel José Saramago (1922-2010) – der Roman des portugiesischen
Nobelpreisträgers besticht durch Spannung, eine schöne Sprache, Menschlichkeit und
großes Einfühlungsvermögen in seine Hauptfigur.
Albert
hat große Pläne. Doch ein Studienaufenthalt in Rom endet im Disaster – oder
anders gesagt: in einem Polizeiwagen. Wieder zurück in Berlin läuft es auch mit
dem Kunstgeschichtsstudium nicht in gewünschten Bahnen. Trost findet er in
einer zwar ungemütlichen, auch sonst etwas seltsamen italienischen Bar um die
Ecke. Deren Hauptattraktion: die wunderschöne, aber leider unnahbare
Barkeeperin Elena. Nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hat, sie
vorsichtig nach einem Date zu fragen, sagt sie zu seinem Erstaunen zu. Das
Rendez-Vous nimmt einen ähnlich unerwarteten, aber dann doch nicht so ganz
glücklichen Verlauf. Trotzdem kommen Albert und Elena irgendwann zusammen. Und
wieder entstehen große Pläne, gemeinsam ziehen sie nach Sardinien. Eine
italienische Idylle sieht jedoch anders aus, der alte deutsche Traum vom
Musenstudium unter südlichem Himmel nimmt für Albert – mal wieder – die übliche
Wendung. Hans-Ulrich Treichel (geboren 1952) schafft es mit der ihm eigenen
sanften Ironie nicht nur abseitiges Spezialwissen aus der Kunsthistorie ganz
unklugscheißerisch interessant zu vermitteln, sondern ein Scheitern ohne
oberflächliche Tristesse zu erzählen und damit dem ewigen Thema Italien der
deutschen Literatur gekonnt ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.
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