Pierre Louys: Aphrodite.
1896 war dieser Roman ein Bestseller, verknüpfte er doch zwei Fin-de-Siècle-Sehnsüchte auf äußerst geschickte Weise: einen historischen Rahmen mit exotischer Erotik, dazu allerhand Symbolik, die dieser Epoche schließlich ja auch besonders im romanischen Raum den Namen Symbolismus verschaffte. Pierre Louys (1870-1925), bekannt für seine – natürlich an damaligen Verhältnissen gemessenen – freizügigen Schilderungen, traf den Nerv seiner Zeit mit der Geschichte der jungen jüdischen Kurtisane Chrysis, die sich, ihrer betörenden Wirkung auf Männer nur allzu bewusst, auf ein gefährliches Spiel einlässt, als sie zufällig auf den Geliebten der ägyptischen Königin Berenike trifft, den allseits bewunderten Demetrios. Dieser entbrennt naturgemäß sofort für die junge Schönheit, doch anders als sonst und von ihm als selbstverständlich vorausgesetzt zeigt diese sich kühl und abweisend, sogar schroff ihm gegenüber. Hierdurch gewissermaßen in blinde Raserei versetzt, gesteht Demetrios ihr drei Wünsche zu, die er per Eid zu erfüllen verspricht. Er ist anfangs überrascht, dass sich Chrysis lediglich drei Schmuckstücke wünscht – der Haken ist jedoch, dass diese Besitz führender Frauen oder von Tempelstatuen sind. Demetrios, durch Schwur und Liebessehnsucht gebunden, beschafft die drei Gegenstände, was ihm nur durch Verübung von Verbrechen und Gotteslästerung gelingt. Als Chrysis erfährt, dass er ihren Auftrag erfüllt hat, sieht sie sich durch diesen ultimativen Liebesbeweis am Ziel: Doch nun ist es Demetrios, längst ernüchtert, der sich abweisend zeigt. Er verlangt Chrysis nur einen Gegenwunsch ab: Sie solle die geraubten Schmuckstücke in der Öffentlichkeit tragen. Beiden ist bewusst, dass dies Chrysis’ Todesurteil bedeuten würde.
George Bernard Shaw: Falsch verbunden.
Unter dem Titel „Mesallianz“ wurde das Stück in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts aufgeführt, man kann darüber streiten, ob die spätere Umbenennung in „Falsch verbunden“ glücklicher ist, zwar ist die witzige Anspielung auf das Telefon überdeutlich, aber da dieses im Stück buchstäblich keinerlei Rolle spielt und die Redewendung inzwischen wohl ähnlich selten benutzt wird wie der ursprüngliche Name, wirkt beides leicht angestaubt. Bleibt die Frage, ob das auch für Shaws (1856 bis 1950) Stück selbst gilt. Die unglücklichen bestehenden und zukünftigen Verbindungen zwischen den Personen sind bald klar und werden in der üblichen Shaw’schen Manier geistreich-witziger Dialoge vorgeführt, die Handlung ist nur bedingt von Interesse, obwohl es, für die Zeit doppelt spektakulär, sogar einen Flugzeugabsturz auf – bzw. wohl eher neben – der Bühne gibt. Vernunftehe, Liebesheirat oder besser gar keine Beziehung? Sind die Menschen überhaupt für dauerhafte Verbindungen gemacht? Nun, entscheiden Sie selbst… Wie so oft sind es bei Shaw eher starke Frauen, die sich durchsetzen und wesentlich vernünftiger agieren als ihre versnobten, verkalkten oder einfach verweichlichten männlichen Gegenüber. Berühmt wurde das Stück durch einen begleitenden Essay, in dem Shaw sich auf bösartig-sarkastische Weise über Erziehung auslässt. Hier lässt er keinen Zweifel daran, wer falsch verbunden ist: „Eltern und Kinder“.
Gedichte aus Mocambique.
Man darf vermuten, dass dieses Buch nicht wie warme Semmeln über die Theken der Buchhändler gegangen wäre oder wahrscheinlich nur einen idealistischen Kleinstverlag gefunden hätte, wäre es in der Bundesrepublik erschienen. Anders in der DDR, die diesen Anthologie-Band mocambiquischer Lyrik ermöglicht hat, da es sich schließlich, nach damaligem Verständnis, um ein revolutionäres Bruderland handelte, dass sich soeben – das Büchlein erschien 1979 – aus den Fesseln des portugiesischen Imperialismus befreit hatte. Und so verdanken wir diesem heute bereits so fernen Hintergrund eine Sammlung zeitgenössischer Gedichte aus einem Land, über das wir, wenn wir nicht gerade Afrika-Expert:innen sind – vermutlich reichlich wenig wissen. An die portugiesische Kolonialvergangenheit erinnern vor allem noch die Namen der Dichterinnen und Dichter, aber auch die tagesaktuellen, politischen Texte, die einen der Schwerpunkte bilden; was möglicherweise natürlich auch mit den Herausgebern zu tun hat. Gleichwohl, die Lektüre der Gedichte lässt schnell erkennen, das die eigene Situation, die der materiellen Not, eines der Hauptthemen ist, das die Schriftsteller:innen beschäftigt – und mit Sicherheit auch die Bevölkerung. Die Kontraktarbeiter in den südafrikanischen Minen, die Magaicas, sind ein wiederkehrendes Motiv, gedemütigte Handlanger für schlechten Lohn, die in einem afrikanischen Land von einem weißen Regime ausgebeutet werden. Traditionen spielen in die Lyrik mit hinein, auch die Natur, natürlich das Zwischenmenschliche als Dauerthema der Poesie, aber es überwiegen die naturalistischen, politischen Texte, die die aktuelle Situation der Mocambiquaner jener Jahre von 1950 bis 1975 wiedergeben. Eine sehr aufschlussreiche Anthologie, auch weil sie noch immer den Zugang zu sonst sehr schwer erreichbaren Texten ermöglicht.
Pierre Boileau, Thomas Narcejac: In inniger Feindschaft.
Das berühmte französische Krimi-Autoren-Duo (Narcejac 1908-1998; Boileau 1906-1989) verließ mit diesem Roman die üblichen Pfade des Genres und erzählt die Geschichte zweier Schwestern, die auf einem behüteten Altenressort in Frankreich, nicht nur buchstäblich einer kleinen Insel, den Rest ihrer überschaubaren Tage verbringen. Denn beide sind hochbetagt, die ältere, Gloria, geht auf die hundert zu, ihre Schwester Julia ist kaum jünger. Doch sind sie beide trotzdem geistig wie auch körperlich noch ziemlich fit. Julia allerdings hat wieder einmal eine Hiobsbotschaft bekommen: Sie leidet an Krebs, unterzieht sie sich nicht einer Operation, der sie sich verweigert, bleiben ihr nur noch einige Monate. Anders geht es ihrer Schwester: die erhält Nachricht, dass sie, die berühmte Geigerin, der Star der Insel, der alle mit ihren Anekdoten aus ihrer ruhmreichen Weltkarriere unterhält, zum Hundertsten das Kreuz der Ehrenlegion erhalten soll – was sie noch einmal richtig aufblühen lässt. Julia aber schmiedet einen perfiden Plan, um diese Ehrung zu verhindern: Schließlich ist ihre Schwester schuld am abrupten Ende ihrer eigenen Laufbahn, als sie einen Autounfall verursachte, der Julias Hände so verletzte, dass es mit ihren Auftritten als großer Pianistin von heute auf morgen zu Ende war. Als sie nun vom Einbruch bei einer ebenfalls bereits greisen ehemaligen Schauspieldiva liest, die sie einst flüchtig kannte, besucht sie diese und überredet sie schließlich, doch auch auf die viel sicherere Insel zu ziehen – wohlwissend, dass zwischen den beiden Ex-Diven daraufhin ein harter Kampf um Aufmerksamkeit entstehen wird. So kommt es auch, Julias Plan, ihre Schwester durch Bedeutungsverlust zu zermürben, scheint aufzugehen… Recht clever gebauter Thriller, der auch davon lebt, dass ganz nebenbei immer wieder Teile aus Julias Leben eingestreut werden, die darauf hinweisen, dass sie weitaus mehr auf dem Kerbholz hat als nur diesen letzten Kreuzzug gegen ihre Schwester.
Richard Pietraß: Weltkind.
Lyrikband des ostdeutschen Dichters Richard Pietraß (geboren 1946), 1990 bei Reclam Leipzig erschienen. „Weltkind“ versammelt Lyrik in verschiedensten Formen, vom Prosagedicht über sehr kurze, eher aphoristische Texte bis zu fast liedartigen, ironisch intelligenten Gedichten in klassischer Manier, mit Reimen und dadurch sehr eingängig. Manches ist dann sehr gefällig, etwas zu stark auf den Wortwitz ausgelegt, insgesamt aber herrschen Alltagsbetrachtungen vor, die – lyrisch – neue Seiten eröffnen und zur Nachdenklichkeit anregen. Darf alles ruhig mehr Leser:innen finden.
Gaius Valerius Catullus: Gedichte.
Meist nur unter dem Namen Catull (1.Jh. v.Chr) bekannt, war er der sicher bedeutendste Lyriker seiner Zeit. Leider wissen wir wenig über ihn, zumeist nur das, was sich aus seinen Gedichten schließen lässt, denn er war keineswegs nur der innovative Autor der berühmten Gedichte an Lesbia, sondern vor allem auch ein sehr böser Satiriker, der es mit den späteren Meistern Martial und Juvenal in dieser Beziehung durchaus aufnehmen konnte. Freunde und Feinde, darunter nicht wenige Größen seiner Zeit, von Cicero bis – gleich mehrfach – Cäsar bekamen auf, wie wir empfinden würden, äußerst derbe Art ihr Fett weg, in jedem Fall werden diese Gedichte wohl eher nicht für den Lateinunterricht an der Schule genutzt. Auch dem Mythos widmete sich Catull, seine Hauptfelder blieben aber die Satire und die tragische Liebeslyrik, in der er für viele zum Vorbild wurde. Der Band bietet die überlieferten Texte in – schonungsloser – Übersetzung, leider aber nicht zweisprachig, was bei Gedichtbänden immer ein Manko ist. Gleichwohl: Catull lesen ist immer ein großes Vergnügen und hat nach über 2000 Jahren nichts von seinem Reiz verloren.