Sonntag, 17. Februar 2019

Utopien und Dystopien in der Literatur. Eine kleine Auswahl.



Von der Utopie zur Dystopie entwickelten sich die Zukunftsvorstellungen in der Literatur. Ein Blick in die Geschichte mit Beispielen.


Die Utopie und ihr späteres Gegenstück, die Dystopie, sind Literaturformen in Zeiten des Umbruchs. Dabei dient sie nicht dem Eskapismus, sondern reagiert auf die Mißstände der Zeit mit den Mitteln der Fiktion (Staatsroman, Satire). Die klassische Utopie verlagert den „Nicht-Ort“ räumlich auf Inseln oder an unzugängliche Orte, die Dystopie verschiebt - und gewinnt dadurch an Brisanz - den Akzent auf die Zukunft. Die der Gattung immanente „Realisierungsmöglichkeit“ (Ernst Bloch), die sie von anderen Genres (Science Fiction) unterscheidet, dient der Belehrung und der Besserung der eigenen Gegenwart, wird jedoch in der Form dystopischen „Linienverlängerung“ (T.W. Adorno) auch zur Warnung vor der bereits eingeschlagenen (Fehl-) Entwicklung.     


Thomas Mores Utopia und Francis Bacons New Atlantis

Der gattungsgründende Roman Utopia (1516) des englischen Humanisten Sir Thomas More setzte für Jahrhunderte die Maßstäbe des Genres: ein Schiffsreisender landet unvermutet auf der Insel der Utopier, die ihm ausführlich ihr Staatswesen, ihre Kultur und Lebensphilosophie im Dialog erläutern. Die glückliche Welt Utopias ist dabei das positive Gegenbild zum England des jungen 16. Jahrhunderts, dessen Zustände More in einer Rahmenerzählung schildert. Kommunismus, Friedliebigkeit, Religionsfreiheit, Ende der Armut, Bildungszugang für alle, gehören zu den Errungenschaften der Utopier und auch der Bewohner von Neu-Atlantis, die der Philosoph Francis Bacon nach ähnlichem Schema wie More 1624 in einem Fragment vorstellt. Die herausragende Rolle der (Natur-) Wissenschaften und die Einführung einer maßgeblichen Elite auf Neu-Atlantis wirken ebenfalls stilbildend.


H.G.Wells und die Wende 

Fortschrittsoptimismus und Elitarismus verbinden sich bei H.G. Wells im Fin de Siècle zu widersprüchlichen Zukunftsvisionen. Während mit The Time Machine (1895) die erste Dystopie der Weltliteratur erscheint, die der Menschheit eine fatale Entwicklung in der Zukunft prophezeit, in der sich die Klassengegensätze und die Bequemlichkeiten des technischen Progresses zu einer Horrorvision verschärfen, kreiert Wells zehn Jahre später eine Art Meta-Utopie: A Modern Utopia (1905). Der Erzähler reagiert nicht nur auf vorhandene utopische Konzepte, er ruft stets die Fiktionalität seiner Gedanken in Erinnerung - ohne jedoch deren Notwendigkeit zu bezweifeln. A Modern Utopia - mit anderen optimistischen Werken Wells - war auch aufgrund seiner Forderung nach einer Elite und eugenischer Auslese der eigentliche Ansatzpunkt für die Kritik der englischen Dystopien.  


Aldoues Huxley: Brave New World 

In Aldous Huxleys Zukunftsstaat, der Brave New World (1932), sind die Ideale H.G. Wells, Elite und Auslese, verwirklicht, die entindividualisierten Menschen durchaus zufrieden und glücklich - da sie durch Konditionierung keine anderen Gedanken zu fassen in der Lage sind. Alle Störfaktoren eines unbeschwerten Lebens sind abgeschafft: Kultur, Armut, Versorgungsmängel, Religion. Gefährlichste Bedrohung des staatlichen Gemeinwesens ist ein Übermaß an Individualität, wie es noch in einigen Reservaten vorkommt, die nicht in den Weltstaat integriert wurden. Huxleys Zukunftsvision ist abwägend: die Aufgabe des Individuellen ist verbunden mit einem sorglosen Glück, das Festhalten führt in Konsequenz zum Unglück und Scheitern.    


George Orwell: 1984 

Individualität ist auch in George Orwells noch stärker totalitärem Staat aus dem Jahre 1984 (1948) ein destruktives Verbrechen. Stärker beeinflußt von den Entwicklungen des Faschismus und Stalinismus, setzt sich hier die Entmachtung des Einzelnen durch Überwachung und Bedrohung durch. In dem Terrorstaat, der auf die Brechung des Willens bis tief ins Bewußtsein aus ist, wird schon eine Liebesbeziehung zum anarchistischen Aufbegehren, das der Staat mit Folter und Gehirnwäsche - erfolgreich - bekämpft. Der direkte Eingriff in das Denken und die ständige Manipulation der Außenwelt – vor allem. mit Hilfe der Sprache Newspeak - ermöglichen die Unterwerfung des Individuums. Als totalitäre Herrschaftsvision wurde Orwells berühmtestes Werk geradezu sprichwörtlich.

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