Rechtzeitig zum
Jubiläum 2009 veröffentlichte der Archäologe und Journalist Dirk Husemann sein Buch
über die Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus.
Die schriftliche
Überlieferung der antiken Autoren zur verlustreichen Schlacht der Römer unter
Feldherr Quinctilius Varus ist spärlich. Selbiges lässt sich 2000 Jahre später
kaum noch behaupten, viel Tinte und Druckerschwärze sind geflossen, besonders
im Land der vermeintlichen Nachfolger der Sieger von einst. Das Jahr 2009
brachte noch einmal eine neue Flut an Publikationen, darunter auch das Buch von
Dirk Husemann im Campus-Verlag.
Varus und Siegfried – Dilettant versus
Nationalheld?
Zum Einstieg
macht Husemann sich die Mühe, die historischen Personen unter den bald
einsetzenden Verleumdungen, Verklärungen und Fantasien der zahlreichen
Kommentatoren des natürlich bedeutungsvollen historischen Ereignisses wieder
erkennbar werden zu lassen. Die Quellenlage ist dabei dürftig, nicht immer
vertrauenswürdig und bestimmt von späteren Sichtweisen. Die Römer – und nur von
ihnen liegen Berichte vor – hatten ihre eigenen Interessen an der Deutung der
beteiligten Personen, noch dazu waren nur wenige von ihnen direkte Augen- oder
wenigstens Zeitzeugen. Die Bilder, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden,
setzen sich fest: Varus wurde zum Dilettanten, der durch Unfähigkeit und
überhebliche Provokationen den Untergang der drei Legionen heraufbeschwor. Sein
Gegner Arminius ein gewiefter Held, Vereiniger der sich sonst lieber selbst zerfleischenden
germanischen Stämme, Genie des Guerilla-Kriegs.
Varus und Siegfried – Sündenbock versus
Kurzzeitheld
Beides sind nur
Verzerrungen, Varus hatte sich vorher als kluger, vorsichtiger Statthalter
und bewährter Feldherr erwiesen – doch der Tote war nach der Schlacht nun mal der naheliegendste Sündenbock, noch die Römer selbst stempelten ihn somit zum Versager ab, dem
man so bequem die Niederlage anlasten konnte. Das positive Bild des Arminius'
entstand dagegen wesentlich später, als man im gespaltenen Deutschen Reich nach einer
nationalen Heldenfigur suchte, die Einheit repräsentieren sollte. Dass der von
den Römern ausgebildete Germane durchaus auch als Verräter gelten konnte,
dessen Allianz kaum länger Bestand hatte als das letzte Zucken der toten
Legionäre, und sich die Völkerschaften bald wieder im üblichen gegenseitigen
Totschlagen erprobten, dem letztlich auch Arminius zum Opfer fiel, ließ man
gern beiseite.
Dirk Husemann: Der Sturz des römischen Adlers. |
Die Kampagnen der Römer nach der
Varusschlacht
Ähnlich lange
hielt sich der Glaube, die Niederlage mit dem kompletten Aufreiben dreier
Legionen habe die Römer endgültig von ihrem Ansinnen abgebracht, ihr Reich über
den Rhein hinaus bis an die Weser oder Elbe ausdehnen zu wollen. Sicher, der
Verlust war enorm, etwa 18000 Legionäre plus Hilfstruppen und Tross, vermutlich
22000 Personen insgesamt, mitsamt der enormen Demütigung. Hinzukam, dass die
Etablierung einer Provinz, die, wie neueste Funde nahe legen, bereits weit
fortgeschritten war, abrupt gestoppt wurde. Nicht aber die Feldzüge hinüber
nach Germanien, darunter der berühmte des Drusus', der auch das Schlachtfeld
aufsuchte und die Toten bestatten ließ. Beendet wurden diese durchaus
erfolgreichen Kampagnen erst unter Tiberius, vermutlich, so Husemann, aus
Geldmangel – das Land mit seinen dichten Wäldern versprach zu wenig, um eine
teure Befriedung zu rechtfertigen. Die Grenze am Rhein hatte sich etabliert, im
Norden blieb sie bestehen, weiter im Süden schoben Feldzüge nachfolgender Kaiser sie
weiter nach Germanien hinein, der Limes sicherte später die neuen Provinzen ab.
Die Schlacht im Teutoburger Wald war nicht
im Teutoburger Wald
Arminius, nach
kruder Etymologie eingedeutscht als Hermann, aber war zu einem Nationalhelden
geworden, der Mythos hatte die reale Person verdeckt, nun musste es für jeden
Landstrich eine Ehre sein, den Ort dieser deutschen Urschlacht beanspruchen zu
können. Oberflächlich scheint dieser klar, natürlich fand die „Schlacht im
Teutoburger Wald“ im Teutoburger Wald statt – dummerweise taugt diese scheinbar
logische Begründung nicht. Zwar nennt Tacitus eben jenen Ort, der schließlich
mit Teutoburger Wald übersetzt wurde, nur sagt er wenig über dessen Lage;
irgendwo zwischen Lippe und Ems sei er gelegen. Ein Paderborner Bischof
identifizierte schließlich ein Mittelgebirge als vermeintlichen Ort des Gemetzels
und nannte ihn schnurstracks in Teutoburger Wald um – so kam dieser zu seinem
Namen, aber nicht zu der Schlacht selbst.
Kalkriese – der Favorit unter den
Schlachtorten
Die Forschung
hat nur noch wenig übrig für den eingebürgerten Namen – daher der Begriff
Varusschlacht – und den damit verbundenen Ort. Der ist zwar der prominenteste,
aber bei weitem nicht der wahrscheinlichste, die Zahl summiert sich ohnehin auf
an die 600 Konkurrenten. Kalkriese in Niedersachsen ist seit spektakulären
Funden Mitte der Achtziger Jahre der Hauptverdächtige. Doch wie das so ist mit
Verdächtigen, man muss ihnen die Tat stichhaltig nachweisen – und dies fällt
den Archäologen, Althistorikern und Militärexperten gar nicht leicht. Husemann
beleuchtet Argumente und Gegenargumente, lässt Kritiker und Verteidiger zu Wort
kommen, widerlegt Abstruses, weist aber auch darauf hin, dass fast
ausschließlich Indizien die Theorien befeuern. Eine Schlacht hat bei Kalkriese
stattgefunden, in den späten Jahren der Regierungszeit des Augustus – oder eben
kurz danach. War es der Untergang der Varusheere – oder eine der zahlreichen
blutigen Auseinandersetzungen in den Germanenzügen des Drusus, Germanicus oder
Tiberius? Sicher werden verbesserte Methoden irgendwann weitere Indizien
liefern – ob man auf einen stichhaltigen endgültigen Beweis stoßen wird, bleibt
wohl dem reinen Zufall überlassen.
Ein Resümee vom Autor – und über das Buch
Husemann sieht
das nicht tragisch – im Gegenteil, mit den in Kalkriese etablierten und
verfeinerten Möglichkeiten, die sich die Archäologie erarbeitet und erschlossen
hat, sieht er einen besseren Zweck erfüllt als in der reinen Fixierung des
historischen Ortes, die vielleicht nie gelingen wird. Der Sturz des römischen Adlers ist ein sehr gut lesbares
informatives Buch, das auch viele Seitenaspekte beleuchtet – zwar ist der Autor
manchmal etwas zu verliebt in einen flapsig-journalistischen Ton, der ihn auch
zu Ungenauigkeiten verführt, insgesamt ist das Buch jedoch sehr fundiert und
von ausgewogener Objektivität. Eine Empfehlung für jeden Interessierten an der
Varusschlacht, an den römischen Feldzügen in Germanien, aber auch an der
Mythenbildung zur Figur des Arminius/Hermann oder dem neuen Gebiet der
Schlachtfeldarchäologie.
Dirk Husemann: Der Sturz des römischen Adlers. 2000 Jahre
Varusschlacht. Frankfurt am Main: 2008.