Remarque: Der Feind. |
Das
schmale Bändchen versammelt mehrere teils vorher unveröffentlichte Erzählungen
Remarques (1898-1970) zur Thematik des 1.Weltkriegs. Hervorgehoben ist zumeist
nicht die Konzentration auf das Frontgeschehen, sondern die zerstörerische
Wirkung der traumatischen Erlebnisse für den Einzelnen und damit für die
Gesellschaft insgesamt in der Zeit nach dem Krieg – die warnende Wirkung
Remarques betont er in den Geschichten oft deutlich, sein Anliegen war das „Nie
wieder!“. Gehör fand er damit in seinem Heimatland nicht, wo er zur Hassfigur
der nationalistischen Rechten wurde, die längst den nächsten Krieg
vorbereitete. Es bleibt den folgenden Generationen überlassen, Remarques Erbe
und Haltung zu bewahren.
The
Mammoth Book of Vampire Stories by Women.
Eingeleitet
von niemand Geringeren als der legendären Ingrid Pitt, versammelt dieser Band
der niemals dünnen Mammoth-Reihe englischsprachige Vampirerzählungen
überwiegend des 20. Jahrhunderts aus weiblicher Sicht und Feder. Wie das bei
Anthologien nun mal so ist, schwankt die Qualität: neben Perlen liegt manches
zum Überblättern, insgesamt aber ein sehr guter Überblick zwischen Splatter und
Avantgarde, amüsantem Trash, gehaltvoller und erzählerisch gekonnt umgesetzter
Idee. Gute-Nacht-Lektüre für Schlaflose.
Hans
Herbert Grimm: Schlump.
Ein
Roman, der unter dem Erfolg von Remarques „Im Westen nichts Neues“ gelitten hat
und infolgedessen völlig in Vergessenheit geriet. Hans Herbert Grimms
(1896-1950) Antikriegsbuch kommt, wie schon der Titel suggeriert, anfangs wie
ein Schelmenroman daher, doch der junge Schlump hat diesen Namen ohne sein
Zutun von einem Polizisten erhalten und ebenso ergeht es ihm im Folgenden, als
er – freiwillig – aus Naivität in die absurden Strudel des Weltkriegs
hineingerät, die sich jedoch als zunehmend brutaler und bedrohlicher herausstellen.
Schlump bleibt seltsam außen vor, während die Welt um ihn herum zerbricht, er
rettet sich in Frauengeschichten und kleinere Gaunereien, so dass es ihm
gelingt, auch mehrere Fronteinsätze und Verletzungen zu überleben, Hass auf den
Feind ist ihm komplett fremd. Das in lakonischer Sprache verfasste Buch wurde
nun nach über achtzig Jahren wieder aufgelegt und fügt der Antikriegsliteratur
zum Ersten Weltkrieg ein außergewöhnliches Zeugnis hinzu – mitsamt dem
originalen graphisch genialen Buchumschlag.
Brian
Moore: Katholiken.
Bücher,
die in einer inzwischen vergangenen Zukunft spielen, wirken immer etwas
seltsam. Brian Moores (1921-1999) kurzer Roman erschien im Jahr 1972 und
handelt von einem amerikanischen Priester des Jahres 2000, der im Auftrag Roms
in ein abgelegenes irisches Kloster reist, das sich gegen die Reformen der
Kirche wehrt und auf Wunsch der Bevölkerung an alten Riten und Traditionen
festhält. Moore verhandelt folglich keine Science-Fiction und es fällt auch gar
nicht recht auf, dass es keine Computer und Handys gibt, weil es irrelevant
ist. Stattdessen wird ein zeitloser und schon gar nicht rein religiöser
Konflikt präsentiert, zwischen vermeintlichem Fortschritt und angeblichem
Konservatismus. Moores Kirche ist zwar noch katholisch, aber sehr ökumenisch,
zahlreiche trennende Traditionen wurden im Sinne der Versöhnung abgeschafft.
Die Mönche, keineswegs religiöse Fanatiker, sind überaltert, teils starr, teils
tief im Glauben verankert und verbunden mit den Gläubigen des Umlandes. Sie
verkörpern ein einfaches, bescheidenes Leben. Doch das neue Rom setzt sich mit
subtiler Drohung durch, auch das Kloster wird sich den Zeitläuften nicht
verschließen können. Moores Roman nimmt nicht Partei – der Priester ist
sympathisch, aber setzt er nicht das entkernte Neue selbst doktrinär durch? Und
hat sich das Modell der Mönche nicht tatsächlich überholt? Novizen gibt es
schon lange nicht mehr. Aber liegen sie deshalb mit ihrem Festhalten am
Überlieferten falsch? Sehr nachdenklich machender, kontroverser Text über ein
ständiges Dilemma.
Thomas
Lehr: 42.
Eine
Besuchergruppe überlebt einen Unfall im Genfer CERN – per Zufall sind 70
Menschen in individuelle Zeitblasen eingeschlossen, während die Welt um sie
herum um 12h 47min 42s stehengeblieben ist, das Ausmaß der Katastrophe und ihre
Dauer sind ihnen unbekannt. Doch nach fünf Jahren gibt es eine kurze Bewegung –
für drei Sekunden – und damit Hoffnung auf Befreiung. Thomas Lehr (geb. 1957)
weiß seine erzählerischen Pointen gut zu setzen, seine sprachlichen dagegen
eher nicht. Offenbar aus Angst davor, er käme in Verdacht, reine
Science-Fiction geschrieben zu haben – als ob das verwerflich wäre – erzählt er
in einer angestrengten „literarischen“ Sprache, die das Vergnügen an der
spannenden Geschichte bald abflauen lässt, bis hin zu grotesk plumpen
Wortspielen. Auch inhaltlich wird man der vielen Redundanzen und zweifelhaften
Männerphantasien irgendwann überdrüssig. Fazit: verschenkter Plot, der das
erzählerische und philosophische Potential nicht ausschöpft, man greife besser
zu einem Roman von J.G. Ballard.
Per
Olof Sundman: Die Untersuchung.
Nordschweden
in den 1950er Jahren. Der Gemeinderat und örtliche Vorsitzende des
Temperenzausschusses muss die gesetzlich geforderte Untersuchung wegen
möglichen Alkoholmissbrauches gegen den Bauleiter des neuen Kraftwerkes
durchführen. Obwohl es ihm nicht an Selbstbewusstsein und Indizien fehlt, ist
sich Erik Olofsson unsicher, wie er sich dem Mann nähern soll, der aus einem
ganz anderen Milieu stammt als er: Südschwede, Städter, Akademiker. Soll, muss
oder darf er ihn gerade nicht anders behandeln als die ihm vertrauten
Dorfbewohner? Mit kargen Mitteln erzählte Studie Sundmans (1922-1992), spannend
und atmosphärisch.
Anna
Seghers: Die Hochzeit von Haiti. Karibische Geschichten.
Natürlich
erinnert der Band nicht von ungefähr an Kleists Erzählung „Die Verlobung in St.
Domingo“, deren Hintergrund Anna Seghers (1900-1983) hier gewissermaßen aus
mehreren anderen Perspektiven schildert. In nüchterner Diktion berichtet sie
aus der Sicht einiger Beteiligter vom Scheitern der Sklavenrevolten auf Haiti –
unter dem berühmten Toussaint Louverture – in Guadeloupe und Jamaika und damit
über das Ende der Französischen Revolution in den Kolonien mit ihren Ideen von
der Gleichheit der Menschen. Eine Geschichte des Verrats von Idealen in
Geschichten, die einen leicht resignativen Zug erkennen lassen.
Eine
böhmische Kleinstadt 1966. An der Schule gibt es einen Skandal: Alle
SchülerInnen der 8. Klasse haben bei der Mathearbeit hervorragend
abgeschnitten. Doch dahinter verbirgt sich ein noch größeres Mysterium. Die
naive Mitschülerin Klara hat vorher die Aufgaben gekannt – weil sie ihr
„eingefallen“ waren. Es stellt sich bald heraus, dass Klara noch viele Dinge
„einfallen“, die kurz darauf tatsächlich eintreten. Was ihr ziemlich egal ist,
beschäftigt bald alle Einwohner, die Lottospieler, die Gläubigen und vor allem
die staatlichen Behörden. Dann sagt Klara auch noch ein Erdbeben voraus…
Bitterböse und sehr lustige Satire des tschechischen Autors Pavel Kohout (geb.
1928) – man ahnt, warum er das Land verlassen musste.
Una
Troy: Ein Sack voll Gold.
Die
hochangesehene Industriellenfamilie und die ortsfremden Außenseiter einer
Kleinbürgerfamilie in einem irischen Dorf sind auf ungute Weise enger
miteinander verbandelt, ohne es zu wissen. Komplikationen, Komplikationen.
Unterhaltungsroman von Una Troy (1910-1993), nicht einmal eine gute
Bahnlektüre, da die vorbeiziehende Landschaft meist spannender ist. Wer bis
zuletzt durchhält, darf noch ein bisschen zusätzlich unmotivierten Kitsch
miterleben.
Mario
Giordano: Karakum. Abenteuer in der Salzwüste.
Jugendroman
von Mario Giordano (geb. 1963) nach dem Drehbuch des gleichnamigen Films von
Arend Agthe. Robert soll seinen Vater auf dessen Baustelle in Turkmenistan
besuchen. Doch der kann ihn nicht am Flughafen abholen, sondern schickt den
LKW-Fahrer Pjotr. Gemeinsam mit dessen Neffen geht es durch die Wüste – eine
gefährliche Fahrt. Dann gibt auch noch der LKW den Geist auf und der
zwielichtige Pjotr verschwindet… Spannend, das grundlegende Element der
Verständigungsschwierigkeiten zwischen den beiden Kindern (und deren
Überwindung) geht im Buch allerdings etwas verloren.
Das letzte Buch des Jahres 2017: Renate Welsh - Einmal sechzehn und nie wieder. |
Zum
Glück, möchte man sagen. Was nicht am Buch der österreichischen Autorin (geb.
1937) liegt, sondern an dem Alter, in dem alles so kompliziert und tragisch
überhöht erscheint. Dass wir uns hier im Österreich der 1970er Jahre befinden,
bemerkt man lediglich an einigen politischen Äußerungen und an den Röcken, die
die Mädchen tragen. Ansonsten war die Pubertät damals auch nicht schöner.
Coming-of-Age-Roman für die Jugend.
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