Wolfgang
Ecke’s Kriminalmagazin 1
…ist
eine Anthologie von fünf Geschichten klassischer britischer Krimiautoren:
Agatha Christie, Edgar Wallace, G.K. Chesterton und Dorothy Sayers. Geschichte
Nummer fünf stammt vom Herausgeber Wolfgang Ecke (1927-1983) selbst, einem der
erfolgreichsten Kriminalschreiber – für Jugendliche. Der vorliegende Band
richtet sich allerdings vorwiegend an Erwachsene – und hier wiederum an die
Liebhaber*innen herkömmlicher, insgesamt etwas angestaubter Krimikost, die,
stets Gefahr dieses Genres, mal mehr, mal weniger an ihrer Konstruiertheit
leidet, besonders auffällig in diesem Fall bei Dorothy Sayers. Als schnelle
Urlaubslektüre trotz des grammatikalisch fragwürdigen Titels gerade noch so
erträglich…
Roald
Dahl: Danny oder die Fasanenjagd.
In
jüngerer Zeit sind einige von Roald Dahls (1916-1990) Jugendbüchern sehr
erfolgreich auf die Leinwand zurückgekehrt, darunter „Der fantastische Mr. Fox“
und „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Ob dies auch „Danny oder die
Fasanenjagd“ widerfährt, ist dagegen eher fraglich. Die Geschichte eines
neunjährigen Jungen, der allein mit seinem Vater in einem alten Zirkuswagen wohnt
und die gemeinsam eine Tankstelle mit Werkstatt betreiben, weist zwar das
übliche Inventar an mehr oder weniger kleinen Bizarritäten auf, doch wirkt das
Hauptthema, des Vaters heimliche Leidenschaft für Fasanenwilderei – die er seit
Generationen mit den Dorfbewohnern vom Polizisten bis zum Pfarrer teilt –
ebenso altbacken wie der Humor, der so dezent ist, dass er fast verschwindet,
und die klischeehafte Zeichnung der einzelnen Figuren. Übertroffen wird das
Ganze nur noch von der ebenso naiven wie überflüssigen Moral am Ende der
Geschichte. Insgesamt dröge.
Monika
Sperr: Treffpunkt Froschweiher.
„…oder
die Sache mit dem Fahrrad.“ Was in Titel und Untertitel so harmlos klingt, ist
die Geschichte eines 15jährigen, der aufgrund der Verkettung mehrerer Umstände
einige Wochen im Jugendstrafvollzug der JVA München-Stadelheim zu verbringen
hat. Pubertärer Übermut, Verdruss zuhause, falsch verstandene Solidarität auf
der einen, eine glückliche erste Liebe, verständnisvolle Lehrerinnen und ein
Gutteil Einsicht prägen das Leben des Mitläufers Maxi, das Monika Sperr
(1941-1984) in ihrem kurzen Roman beschreibt. Auch hier könnte man sich fragen,
ob nicht das ein oder andere etwas zu stark dem Klischee zuneigt – böser Vater,
falsche Freunde – doch basiert der Text größtenteils auf den Unterlagen und den
Recherchen eines Originalfalles. Ob das Zusammenleben und vor allem der
Zusammenhalt unter den Insassen des Jugendknasts tatsächlich so vergleichsweise
harmonisch ist, sei dahingestellt, vielmehr ist es zu begrüßen, dass Monika
Sperr eben nicht versucht, das inzwischen übliche Bild größtmöglicher Drastik
zu zeichnen, sondern sie sich für ihre Charaktere interessiert, die weder Unschuldslämmer
noch verwahrloste Monster im Frühstadium sind. Deshalb gibt es am Ende auch ein
entsprechendes Urteil. Unser Urteil: immer noch lesenswert!
Anna
Katharina Hahn: Am schwarzen Berg.
Es
gibt bestimmte Themen, über die man eigentlich nie etwas lesen möchte. Ganz
oben auf dieser imaginierten Liste steht das Leben der oberen Mittelschicht in
einer gediegenen Stuttgarter Vorortsiedlung, Lehrer und Ärzte mit ihren Frauen,
alle kurz vor der Pensionsgrenze. Zum Beispiel. Aber vielleicht ist das ein böses
Vorurteil und wir werden überrascht – insbesondere wenn sich eine bewährte
Schriftstellerin wie Anna Katharina Hahn (geboren 1970) des zweifelhaften
Themas annimmt. Zumindest verfällt sie nicht der wohlfeilen Versuchung, aus dem
Ganzen eine Satire zu machen. Stattdessen setzt sie allerdings auf einen
Hyperrealismus, also eine sehr kleinteilige Beschreibung, die Markennamen statt
Gattungsbegriffe verwendet (Zewa statt Küchenrolle etc.), jeden Weg akkurat à
la Stadtplan beschreibt, jeder Straßenname, jedes Gebäude wird exakt benannt,
zudem jede körperliche Scheußlichkeit vom Eiterpickel bis zum Speichelfaden
genauestens geschildert. Das kann, muss man aber auf Dauer nicht mögen – und
nervt vor allem in den Ortsbeschreibungen. Der Plot ist simpel: Der erwachsene
Sohn der einen Nachbarsfamilie kehrt verwahrlost zurück, alle rätseln, warum,
es stellt sich schließlich heraus: Frau und Kinder haben ihn verlassen. Dabei
fand „Peterle“ doch Mörike toll, hat sich für Stuttgart-21 engagiert,
beziehungsweise dagegen, und ist ein freigeistiger Heilpraktiker. Nur einem
bestimmten Stuttgarter Milieu kann es da vermutlich tatsächlich unbegreiflich
vorkommen, warum man so einen Kerl, der nun vor sich hinmüffelnd in
Selbstmitleid zerfließt, nicht lieben kann. Anna Katharina Hahn aber ist es
gelungen, alle unsere Vorbehalte diesem Milieu gegenüber zu bestätigen. Falls
sie dies mit ihrem Roman erreichen wollte, dann ist er ein Meisterwerk.
Achim
Bröger: Flammen im Kopf.
Der
erfahrene Jugendbuchautor Achim Bröger (geboren 1944), sonst Experte für die
Schilderung erster Liebeserfahrungen, widmet sich in seinem kurzen Roman dem
Thema Schuld. Gemäß alter Tradition versuchen fünf Jugendliche, das Osterfeuer des
Nachbardorfes vor dem eigentlichen Termin abzufackeln – was ihnen auch gelingt.
Allerdings gerät dabei einer der Wachposten der feindlichen Dorfjugend in die Flammen und
verbrennt. Die fünf Kinder sind fortan auf der Flucht – vor der Polizei, der
Rache der Dorfbewohner, der Angst vor den Eltern und der eigenen Tat. Nachdem anfangs
einer der Jugendlichen etwas „turbostark“ findet – ein Ausdruck, den
wahrscheinlich noch nie jemals irgendwann ein Teen verwendet hat – fürchtet man
schon, in einen dieser Jugendromane geraten zu sein, wo erwachsene Autoren
besonders cool erscheinen wollen. Doch weit gefehlt, Brögers Buch entwickelt
sich zu einem spannenden Roman mit verschiedenen Perspektiven, Einblick in die
Gruppendynamik, Interesse an den Figuren und immer wieder der Frage, welches
Handeln das Richtige (gewesen) wäre.
Frederik
Hetmann, Harald Tondern: Die Nacht, die kein Ende nahm.
Weiter
geht’s in der legendären Rotfuchs-Reihe, der schon die Bücher Dahls, Sperrs und
Brögers entstammten. Dem Jugendroman des Autorenduos Hetmann
(1934-2006)/Tondern (geboren 1941) merkt man die Entstehung Anfang der 1990er
Jahre deutlich an, als die Gewalt von Rechts erkennbar anstieg und in Rostock,
Mölln und Solingen traurige Höhepunkte erfuhr. „In der Gewalt von Skins“, so
der Untertitel, befindet sich eine Berliner Schulklasse eine ganze Nacht in einem
Mecklenburger Ferienheim. Formal ist das Ganze zwar ausgeglichen – die
Perspektiven wechseln zwischen Schüler*innen, Lehrern, aber auch den Skins –
insgesamt jedoch etwas bemüht, auch nah am Plakativen. Ein Vorwurf ist dies
letztens nicht – das Berichtete basiert auf einem realen Vorfall. Hoch
anzurechnen ist den Autoren auch, dass sie keine Heldengeschichte erzählen,
sondern auf die Ignoranz, aber auch die Hilflosigkeit vieler ihrer Figuren
eingehen. Trotz Schwächen eine wichtige Lektüre.
Joachim
Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war.
Der
Untertitel von Meyerhoffs (geboren 1967) Nachfolgeroman zu seinem Amerika-Buch
„Alle Toten fliegen hoch, Teil 2“ scheint eine Fortsetzung anzudeuten und beim
Lesen dann eher ein Prequel zu sein, ist aber weder das eine noch das andere
und doch beides. Der Untertitel ist trotzdem nicht falsch, denn schon die
ersten Zeilen deuten an, dass es hier keineswegs nur um die Kindheitserlebnisse
des jungen Joachim gehen wird, wie gewohnt vordergründig leichthändig, locker
und lustig erzählt, sondern um die traurigen Ereignisse jener Tage, den Tod des
Bruders, des Hundes und des Vaters. Letztere ist die Figur, die – neben dem
Erzähler – den Angelpunkt des Textes darstellt, auch wenn der Roman mehr ist
als nur eine Hommage an den schwer fassbaren Vater, sondern ein
Familienportrait in äußerst ungewohnter Umgebung. Berufsbedingt wohnt die
Familie nämlich im zentralen Gebäude innerhalb einer psychiatrischen Anstalt.
Das gibt Anlass zu zahlreichen Anekdoten, die sich keineswegs über die
Deformationen der Insassen lustig, aber für den Leser das in vielen Fällen doch
sehr tragische Geschehen im Leben der Patient*innen und der Familie
erträglicher machen. Der Text hat nichts von der Faszination des Erstlings
verloren, ist ein leicht süchtig machender Roman, der auf (zum Glück bereits
erfolgte) weitere Texte Meyerhoffs sehnsüchtig warten lässt.
Stefan
Heym: Nachruf.
Stefan
Heym (1913-2001) macht, was so manchem von uns wahrscheinlich auch lieb wäre:
er schreibt seinen Nachruf einfach selbst, auf nicht weniger als 850 Seiten.
Der Titel – über dessen Grund auf den letzten Seiten berichtet wird – ist weit
weniger makaber, als es den Anschein hat – schließlich ist jede Autobiographie
mehr oder weniger ein Nachruf auf sich selbst, mit der Tendenz, das eigene
Erleben erfolgreicher darzustellen, als es vielleicht war – das Dilemma des
Genres schlechthin. Ganz entkommt dem auch der große Schriftsteller Heym nicht,
aber unzweifelhaft hat er anders als manch andere*r einiges aus seinem Leben
zu erzählen. Jüdischer Herkunft, als Gymnasiast wegen eines kritischen Gedichts
von der Schule geflogen, von den Nazis
gehasst, nach deren Machtübernahme verfolgt, nach Prag, dann in die USA
geflüchtet, dort schwierige Zeiten, dann ein erster Romanerfolg – Heym schreibt
zeitlebens die meisten seiner Bücher, auch in der DDR, erst auf Englisch –
amerikanischer Staatsbürger, Eintritt in die Armee, Dienst bei der
Psychologischen Kriegsführung in Europa, McCarthyismus in den Staaten, erneute
Flucht durch Osteuropa, Ansiedlung in der DDR, ständige Konflikte mit der
Staatsführung, Rauswurf aus dem Schriftstellerverband. Heyms Nachruf erschien
1988, es fehlen folglich – leider – seine Auftritte während der Wende, sein Einzug
1994 in den Deutschen Bundestag als Alterspräsident, begleitet von Skandalen, sein
Rücktritt ein Jahr später. Ein Leben im 20. Jahrhundert, das durch die
politischen Lagen und Lager geprägt war, aufgeschrieben von einem der
wichtigsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Mehr kann man nicht
wollen.
Dave
Zeltserman: 28 Minuten.
Suhrkamp-Krimi
des amerikanischen Erfolgsautors Dave Zeltserman (geboren 1959), der miese
Voraussetzungen mitbringt. Schon der Plot ist denkbar unglaubwürdig: vier alternde
arbeitslose Programmierer planen einen Banküberfall – in Zeiten der
Cybercrimes, die klassischen Raubüberfällen längst das Wasser abgegraben haben,
erscheint es doch mehr als unwahrscheinlich, dass sich gerade IT-Experten auf
dieses altmodische Geschäft einlassen sollten. Nun gut, einer von ihnen hat das
Alarmsystem der Bank entworfen und dabei einen Fehler entdeckt: eine
routinemäßige Sicherheitswartung dauert nicht wie vorgesehen 28 Sekunden, sondern 28 Minuten.
Hieraus entwickelt er einen minutiösen Plan, für dessen Durchführung er seine
früheren Kollegen benötigt. Es folgen weitere Krimi-Clichés: es kommt anders
als man denkt, Streit nach (halb) erfolgreichem Überfall, Verbrechen lohnt sich
nicht, Russen- und italienische Mafia, kluger Einzelgängerpolizist, doofe
Bundesbehörden (FBI in diesem Fall). So weit, so schlimm, könnte man denken,
würde Zeltserman aus all dem nicht trotzdem einen extrem spannenden Thriller
basteln, der vielleicht nicht gerade brilliert, aber insgesamt bestens
unterhält. Krimipflicht erfüllt.
Marie
Hermanson: Das englische Puppenhaus.
Ungewöhnliches
aus der Feder der schwedischen Großmeisterin Marie Hermanson (geboren 1956) –
gut, das würde man ja ohnehin erwarten. Ungewöhnlich ist hier das Formale, denn
es handelt sich um eine Sammlung von kurzen Erzählungen Hermansons, die meisten
hiervon aus den 1980er Jahren. Das dürfte einer der Gründe sein, warum die
Texte eher wie Vorstufen zu den späteren Romanen wirken, als ein Ausprobieren
und Herantasten. Im Gegensatz zu den Romanen konzentriert sich Hermanson in den
Geschichten hier auf ein oft langsames, stilles Ineinanderfließen von
Realitäten, oft ist es der Einbruch eines einzigen Ereignis in den Alltag, der
allerdings selbst oft schon träumerische oder leicht bizarre Züge hat. So
verschwindet eine Mitschülerin in einem Diorama des alten, bereits
geschlossenen Naturkundemuseums, tauscht die Protagonistin den Platz mit dem
Dienstmädchen des von ihr geliebten Puppenhauses, entsteht in einer
Schneelaterne ein Zwergenkönigreich, das am nächsten Tag verschwunden ist. Vieles
deutet sich nur an, das Geschehen wird nüchtern berichtet, wer die Romane
Hermansons kennt, mag vielleicht auf den ersten Blick, nach der ersten Lektüre
leicht enttäuscht sein, weil das Spektakuläre hier versteckter, unaufgeregter
daherkommt – aber gerade das ist schließlich auch eine Kunst.
Charles
Bukowski: Aufzeichnungen eines Außenseiters/Kaputt in Hollywod/Fuck Machine.
In
diesem Monat fanden sich ja besonders viele Jugendromane in unserem Repertoire; nun Charles Bukowski (1920-1994) wird für gewöhnlich der Jugend nicht gerade
empfohlen, von ihr aber sicher nicht minder gerne heimlich gelesen, umgibt ihn
doch der Hauch des Verruchten. Die drei zusammen editieren
Kurzgeschichtensammlungen sind denn auch die von Bukowski erwartbare verfickte
Scheiße, um es mal in seinem Tonfall zu sagen. Der gebürtige, früh ausgewanderte Andernacher ist
bei einem Publikum beliebt, dass die eigene Postpubertät nicht abgelegt hat und
sich in dem Pseudorebellentum toll findet, das Bukowski verachtet, und dass
nicht tiefer blickt als auf die oberflächlichen Obszönitäten, die den Dichter
zum Bürgerschreck machten – eine Attitüde, die ihn längst hätte ihn
Vergessenheit geraten lassen, weil dies heute keine müde Maus mehr hinter dem
Ofen hervorlocken würde. Bukowskis Radikalität liegt tiefer und ist gekonnter
in ihrer Form, was schon daran ersichtlich ist, dass sein scheinbar äußerst
beschränktes Themenfeld – Sex, Saufen und Gewalt in aller Drastik – zur eigenen
Überraschung der Leser*innen nicht ermüdend wird, wie dies etwa Pornographen
fast unausweichlich geschieht. Bukowski lebt Phantasien ungefiltert und ohne
Eigenzensur aus, weiß aber, dass dies nur Konstruktion ist – Konstruktion für
die Leser*innen. Wunderbar ironisch führt er dies nicht nur dadurch vor, dass
er selbst meist der Protagonist seiner Geschichten ist, sondern auch auf der
beliebten Metaebene in der Geschichte „Zwölf fliegende Affen, die nicht richtig
kopulieren wollen“ (in „Fuck Machine“).
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