"Es ist komisch, dass Menschen mit Familie an einem bestimmten Arbeitsplatz einen anderen Menschen ermorden, der ihnen nichts getan hat."
György Konrad (geboren 1933), Der Komplize
Mit
15 wird die aus bescheidenen Verhältnissen stammende Catilina trotzdem nicht
ganz freiwillig mit dem aufstrebenden General Andrés Ascencio verheiratet. Eine
gute Partie, trotz eklatanten Altersunterschieds, denn der Militär strebt nach
höheren politischen Weihen und braucht hierfür eine vorzeigbare Familie samt
fügsamer Ehegattin. Doch Catilinas Gefühle ihrem Mann gegenüber sind stets
ambivalent: naive Bewunderung für sein Selbstbewusstsein, Verachtung für seine
Skrupellosigkeit, Angst vor seiner Hartherzigkeit, Gleichgültigkeit gegenüber
seiner Gleichgültigkeit. Mit der Zeit pendelt sich zwischen den beiden ein
Gleichgewicht von Distanz, Respekt und Misstrauen ein, das an der Oberfläche
gut funktioniert. Beide pflegen ihre Liebschaften und Intrigen, doch
unterschwellig bleibt Andrés der Tonangebende, der nicht nur politische Gegner,
sondern hin und wieder auch einen der Liebhaber seiner Frau beseitigen lässt.
Und doch ist er ihr am Ende nicht gewachsen: ähnlich kaltblütig vergiftet sie
ihn gemächlich, ohne die Folgen tragen zu müssen. Erzählt aus der Perspektive
der Frau, schuf die mexikanische Schriftstellerin Angeles Mastretta (geboren
1949) zwei komplexe Charaktere, die sich ständig umkreisen, belauern, nicht
lieben, nicht hassen, aber auch nicht voneinander lassen können.
Der
junge Lehrer Christian wird in ein Eifeldorf an die Grundschule versetzt, in
dem er als kleiner Bursche während einer Ehekrise seiner Eltern schon einmal
ein paar Wochen verbracht hatte. Nach ruhigem Beginn, während er eine nette
Lehrerkollegin kennenlernt, bemerkt Christian, dass das gesamte Dorf unter dem
Bann der Familie des Birkenhofes und dieser wiederum in dem der 17jährigen Sina
steht. Die „Dorfprinzessin“ betreibt bald ein perfides Verführungsspiel mit
Christian, dem er schließlich machtlos unterliegt. Die Gerüchte über Sina sind
widersprüchlich wie ihr Verhalten: für die einen ist sie lolitahafte
Dorfmatratze, für die anderen unschuldiges Opfer undurchschaubarer Vorgänge in
der Vergangenheit. Christian heiratet trotz mancher Zweifel Sina, doch kann
auch er die Bruchstücke der verschiedenen im Umlauf befindlichen Erzählungen
nicht zusammensetzen, erst recht nicht, als ihm die Eifersucht zunehmend den
Blick verstellt. Diese führt zur Katastrophe, Sina stirbt bei einem Autounfall
den Hirntod. Doch wider alle medizinische Wahrscheinlichkeit erwacht sie wieder
aus dem Koma. Doch ist es wirklich Sina? Gewohnt spannend, wandelt sich
Hammesfahrs (geboren 1951) Buch zunehmend zum Mysterythriller, wobei die Anfänge
etwas stärker sind. Trotzdem mit der üblichen Sogwirkung der Hammesfahr-Romane.
Man
könnte mit gutem Grund diesen Beitrag für sinnlos halten. Erstens, weil es
ziemlich unmöglich ist, Dostojewskis (1821-1881) letzten Roman in wenigen
Zeilen zusammenzufassen und dies nicht nur, weil er selbst in der
Dünndruckausgabe über die tausend Seiten hinausgeht. Und zweitens, weil er
keine Leseempfehlung benötigt – natürlich sollte jede*r dieses Meisterwerk als
grundlegenden Text unserer Kultur gelesen haben. Nun, versuchen wir es mal
nicht mit mehreren Seiten, sondern einer einzigen Zeile. Die drei sehr
unterschiedlichen Brüder Aljoscha, Mitja und Iwan fragen sich nach dem Mord an
ihrem ebenso tyrannischen wie egoistischen Vater, wie sehr sie schuld am Tod
ihres Erzeugers sind. Der Mörder ist übrigens keiner der drei – obwohl einer
von ihnen vor Gericht gestellt und verurteilt wird. Dostojewski verhandelt
einmal mehr eines seiner Leib- und Magenthemen: die menschliche Schuld. Und
diese Diskussion geht tief – weit über die bloße Frage nach dem Täter hinaus.
Wann wird ein Mensch schuldig? Gibt es gute Gründe, schuldig zu werden? Oder
sind alle Menschen unschuldig, weil die Verantwortung bei Gott liegt? Aber was
für eine Art Gott ist es, der Menschen – bewusst – schuldig werden lässt? Oder
sogar Unschuldige bestraft? Dostojewksis berühmte Episoden über leidende Kinder
und den am Großinquisitor verzweifelnden wiedergekehrten Christus gehören zu
den großen ungelösten moralischen Fragen der Weltliteratur. Dass von Michail
Bachtin an Dostojewskis Romanen erarbeitete – und später auf anderen Gebieten
reichlich überstrapazierte – Prinzip der Dialogizität, der Vielstimmigkeit, die
gleichwertig unterschiedliche Positionen nebeneinanderstellt, ist in den
„Brüdern Karamasow“ zur Vollendung geführt. Die Leser*innen werden nicht
bevormundet, sondern werden Teil des Dialogs. Der Roman ist eine
Herausforderung in vielem, aber vor allem zum Denken.