Die unsichtbare Flagge nannte
Peter Bamm seinen Bericht über seine Erlebnisse als Militärarzt im Zweiten
Weltkrieg.
Genaugenommen sollte die Flagge,
die Peter Bamm als unsichtbar bezeichnet, mehr als deutlich sichtbar sein: es
ist das Zeichen des Roten Kreuz, auch in Kriegszeiten ein zumindest
theoretischer Schutz gegen Willkürakte des Militärs und Ausdruck der
Neutralität. Trotzdem ist der Titel des Buches gut und bewußt gewählt: im
negativen Sinn wurde auch diese Flagge unsichtbar, das heißt sie verschwand
unter der Grausamkeit des Krieges und verlor ihre behütende Funktion, auch
Krankenhäuser, Lazarette und Sanitätswagen wurden angegriffen. Im positiven
Sinne aber – und dies ist das Hauptaugenmerk, auf das der Humanist Bamm Wert
legt – verband sich unter internationalen Flagge noch immer ein Ausdruck der
Solidarität die über die feindlichen Armeen und Länder hinwegsah. Und die für
manche deutschen Armeeangehörigen auch eine Art Gegenflagge war gegen die
offizielle, die ebenfalls ein Kreuz trug.
Literarische Distanz zu den Schrecken des Krieges
Zweierlei machen die Erlebnisse
des Militärarztes Curt Emmrich (1897-1975), die er unter seinem literarischen
Pseudonym Peter Bamm veröffentlichte, für die Leser – aber auch ihn selbst
erträglich. Einerseits bewahrt sich Bamm eine gewisse
medizinisch-wissenschaftliche Distanz zu den oft grausamen Verwundungen, die
ihm unter das Messer kommen; oft erklärt er in durchaus auch für den Laien
verständlicher Sprache, sein Vorgehen, er hält sich fern von blutigem
Voyeurismus. Andererseits bewahrt er sich einen leichten, manchmal recht
lockeren Ton, auch dies eine Art Schutzmechanismus gegen die Scheußlichkeiten,
aber auch die Absurditäten und Bösartigkeiten, die der Krieg im Großen und
Kleinen bietet – und denen alle lebensbedrohlich ausgeliefert werden. Wobei die
Bedrohungen Freund und Feind betreffen, aber auch von Freund und Feind kommen.
Das Dilemma der Humanisten in Uniform
Es ist einer der Vorzüge von
Bamms Buch, dass er dies – unter seiner unsichtbaren neutralen Flagge – erkennt
und bekennt: naturgemäß ist der offizielle Feind der Sowjetrusse, aber kann
sich der Arzt und Humanist Bamm wirklich den Sieg des Nationalsozialismus
wünschen? Für ihn bleibt das – solange ein Sieg der Deutschen noch realistisch
erscheint – ein Dilemma, eine Wahl zwischen zwei totalitären anti-humanen
Systemen. Tapferkeit ohne Gerechtigkeit
ist ein Hebel des Bösen, zitiert Bamm Ambrosius von Mailand, ist der Krieg
an und für sich schon fragwürdig, so noch mehr, wenn man weder der feindlichen
noch der eigenen Seite den Sieg wünschen kann. Bamm entkommt diesem Dilemma
nicht, doch in seiner Position als Arzt kann er es für sich persönlich
abmildern, in dem er keinen Unterschied macht zwischen verwundeten Deutschen
und verwundeten Russen.
Der Bildungsbürger im Krieg
Peter Bamms Bericht – so der Untertitel – der sich über die gesamte Zeit des
Feldzugs gegen Rußland erstreckt, ist trotz aller Unverblümtheiten und des
Einsatzes direkt hinter der Front keine Schilderung von Erlebnissen aus den
Kampfhandlungen der Schützengräben und Panzerlöcher; es sind die Schilderungen
eines erfahrenen – Bamm war bereits Leutnant im Ersten Weltkrieg – und
kultivierten Bildungsbürgers, worauf er auch immer wieder mit Verweisen auf die
klassische Antike hinweist. Eine Kriegsromantik oder gar -nostalgie kommt
trotzdem – oder gerade deswegen – nicht auf. Im Gegenteil, das barbarische (!)
Werk, in dessen Dienst man selbst steht, wird dadurch nur noch unfaßbarer.
Überleben – aber wie?
Die unsichtbare Flagge des
humanistischen Gedankens, für den das Rote Kreuz steht, und der innerlich
bewahrte kulturelle Schatz würden Bamm nicht vor dem alltäglichen Schicksal des
Todes im Krieg bewahren – oft ist es nur eine gewisse Non-Chalance, das Eintreten
eines Kameraden oder einfach purer Zufall. Letztlich bleibt er ausgeliefert,
den Feinden auf der russischen Seite, den Anderen
und dem Regime des primitiven Mannes
auf der deutschen Seite, Bamms Verklausulierungen für Hitler und die
Nationalsozialisten. Trost ihm die Kameradschaft – ein bekanntes Motiv aus
Kriegsromanen – doch weiß er auch: wie
grotesk ist eine Argumentation, die damit, daß im Krieg nicht alles schändlich
ist, den Krieg verteidigen will.
Peter Bamm: Die unsichtbare Flagge. Ein Bericht. Frankfurt/Main: Fischer 1958.