Donnerstag, 28. November 2019

Peter Bamm: Die unsichtbare Flagge.




Die unsichtbare Flagge nannte Peter Bamm seinen Bericht über seine Erlebnisse als Militärarzt im Zweiten Weltkrieg.

Genaugenommen sollte die Flagge, die Peter Bamm als unsichtbar bezeichnet, mehr als deutlich sichtbar sein: es ist das Zeichen des Roten Kreuz, auch in Kriegszeiten ein zumindest theoretischer Schutz gegen Willkürakte des Militärs und Ausdruck der Neutralität. Trotzdem ist der Titel des Buches gut und bewußt gewählt: im negativen Sinn wurde auch diese Flagge unsichtbar, das heißt sie verschwand unter der Grausamkeit des Krieges und verlor ihre behütende Funktion, auch Krankenhäuser, Lazarette und Sanitätswagen wurden angegriffen. Im positiven Sinne aber – und dies ist das Hauptaugenmerk, auf das der Humanist Bamm Wert legt – verband sich unter internationalen Flagge noch immer ein Ausdruck der Solidarität die über die feindlichen Armeen und Länder hinwegsah. Und die für manche deutschen Armeeangehörigen auch eine Art Gegenflagge war gegen die offizielle, die ebenfalls ein Kreuz trug.

Literarische Distanz zu den Schrecken des Krieges

Zweierlei machen die Erlebnisse des Militärarztes Curt Emmrich (1897-1975), die er unter seinem literarischen Pseudonym Peter Bamm veröffentlichte, für die Leser – aber auch ihn selbst erträglich. Einerseits bewahrt sich Bamm eine gewisse medizinisch-wissenschaftliche Distanz zu den oft grausamen Verwundungen, die ihm unter das Messer kommen; oft erklärt er in durchaus auch für den Laien verständlicher Sprache, sein Vorgehen, er hält sich fern von blutigem Voyeurismus. Andererseits bewahrt er sich einen leichten, manchmal recht lockeren Ton, auch dies eine Art Schutzmechanismus gegen die Scheußlichkeiten, aber auch die Absurditäten und Bösartigkeiten, die der Krieg im Großen und Kleinen bietet – und denen alle lebensbedrohlich ausgeliefert werden. Wobei die Bedrohungen Freund und Feind betreffen, aber auch von Freund und Feind kommen.

Das Dilemma der Humanisten in Uniform


Es ist einer der Vorzüge von Bamms Buch, dass er dies – unter seiner unsichtbaren neutralen Flagge – erkennt und bekennt: naturgemäß ist der offizielle Feind der Sowjetrusse, aber kann sich der Arzt und Humanist Bamm wirklich den Sieg des Nationalsozialismus wünschen? Für ihn bleibt das – solange ein Sieg der Deutschen noch realistisch erscheint – ein Dilemma, eine Wahl zwischen zwei totalitären anti-humanen Systemen. Tapferkeit ohne Gerechtigkeit ist ein Hebel des Bösen, zitiert Bamm Ambrosius von Mailand, ist der Krieg an und für sich schon fragwürdig, so noch mehr, wenn man weder der feindlichen noch der eigenen Seite den Sieg wünschen kann. Bamm entkommt diesem Dilemma nicht, doch in seiner Position als Arzt kann er es für sich persönlich abmildern, in dem er keinen Unterschied macht zwischen verwundeten Deutschen und verwundeten Russen.

Der Bildungsbürger im Krieg

Peter Bamms Bericht – so der Untertitel – der sich über die gesamte Zeit des Feldzugs gegen Rußland erstreckt, ist trotz aller Unverblümtheiten und des Einsatzes direkt hinter der Front keine Schilderung von Erlebnissen aus den Kampfhandlungen der Schützengräben und Panzerlöcher; es sind die Schilderungen eines erfahrenen – Bamm war bereits Leutnant im Ersten Weltkrieg – und kultivierten Bildungsbürgers, worauf er auch immer wieder mit Verweisen auf die klassische Antike hinweist. Eine Kriegsromantik oder gar -nostalgie kommt trotzdem – oder gerade deswegen – nicht auf. Im Gegenteil, das barbarische (!) Werk, in dessen Dienst man selbst steht, wird dadurch nur noch unfaßbarer.

Überleben – aber wie?

Die unsichtbare Flagge des humanistischen Gedankens, für den das Rote Kreuz steht, und der innerlich bewahrte kulturelle Schatz würden Bamm nicht vor dem alltäglichen Schicksal des Todes im Krieg bewahren – oft ist es nur eine gewisse Non-Chalance, das Eintreten eines Kameraden oder einfach purer Zufall. Letztlich bleibt er ausgeliefert, den Feinden auf der russischen Seite, den Anderen und dem Regime des primitiven Mannes auf der deutschen Seite, Bamms Verklausulierungen für Hitler und die Nationalsozialisten. Trost ihm die Kameradschaft – ein bekanntes Motiv aus Kriegsromanen – doch weiß er auch: wie grotesk ist eine Argumentation, die damit, daß im Krieg nicht alles schändlich ist, den Krieg verteidigen will.   

Peter Bamm: Die unsichtbare Flagge. Ein Bericht. Frankfurt/Main: Fischer 1958.    

  

 

 

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