Moritz Schlick war der Kopf des Wiener Kreises, der in Wien die Grundlagen der Analytischen Philosophie legte. 1936 wurde er ermordet. Ein Portrait.
Moritz Schlick war kein gebürtiger Österreicher (er war 1882 in Berlin geboren worden) und doch der Kopf des sogenannten Wiener Kreises, der für eine ganz bestimmte Richtung der österreichischen Philosophie steht, der Beschäftigung mit der Sprache, und der in Folge vor allem im angelsächsischen Raum starke Wirkungen zeigte (was teilweise allerdings den politischen Umständen geschuldet war).
Der Wechsel vom Physiker zum Philosophen
Schlick, Sohn eines Fabrikbesitzers und Nachfahre des Dichters Ernst Moritz Arndt, studierte anfangs Physik bei Max Planck in Berlin und übernahm im Anschluß einen Lehrauftrag an der Universität Rostock. 1922 wechselte er in die österreichische Hauptstadt Wien, wo er eine Stelle an der philosophischen Fakultät bekam. Wiederum zwei Jahre später wurde dort unter seiner Leitung regelmäßig an Donnerstagabenden zu noch informellen Gesprächsrunden eingeladen, aus denen sich dann der erwähnte „Wiener Kreis“ bildete und aus dem auch der „Verein Ernst Mach“ (1928) hervorging.
Der Wiener Kreis und der Verein Ernst Mach
Dieser Zusammenschluß in der Tradition des nach ihm benannten Physikerphilosophen Mach sollte sich vor allem um die Publikmachung der besprochenen Ideen in der Öffentlichkeit kümmern, zu diesem Zweck wurde außerdem eine Zeitschrift herausgebracht. Führende Teilnehmer des Zirkels waren neben Schlick Rudolf Carnap und Otto Neurath, dazu weitere Philosophen und Naturwissenschaftler, aber auch Ökonomen und Juristen.
Das Ende des Vereins und die Ermordung Moritz Schlicks
Trotz der in einem Brief geäußerten Sympathie für das neue austrofaschistische System des Kanzlers Engelbert Dollfuß kann Schlick nicht verhindern, dass der Verein Ernst Mach 1934 aufgehoben wird. Am 22.Juni 1936 wird Moritz Schlick beim Betreten der Universität Wien auf der sogenannten „Philosophenstiege“ von einem ehemaligen Studenten erschossen. Die Motive Mörders bleiben im Dunklen, Geistesgestörtheit, philosophische Differenzen und politische Gründe wurden als Ursachen ins Feld geführt. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im März 1938 auch in Österreich zerstreuten sich die Mitglieder des „Wiener Kreises“ endgültig als Emigranten in alle Welt – was sich, wie erwähnt, immerhin fruchtbar auf die Verbreitung ihrer Ansichten ausgewirkt haben mag, wenn man diesem traurigen Schicksal denn etwas Positives abgewinnen möchte.
Philosophie als positivistische Wissenschaft
Obwohl die Gruppe aus überaus unterschiedlichen Charakteren bestand und auch in ihren Ansichten nicht immer Homogenität aufwies, so einte doch die Mitglieder ein entscheidender Grundzug: die Anti-Metaphysik und daraus resultierend die Schaffung einer Philosophie auf wissenschaftlicher, das heißt auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbarer Basis. Programmatisch festgelegt wurde dies unter anderem in der Zeitschrift „Wissenschaftliche Weltauffassung – Der Wiener Kreis“: die Philosophie habe sich „auf erkenntnistheoretische, logische und sprachkritische Analysen zu beschränken. Ihre Erkenntnisquelle ist die Erfahrung, ihre Methode die der logischen Analyse, ihr Ziel eine Einheitswissenschaft, die sich am Modell der Naturwissenschaft orientiert und von dort auch auf die Sozial- und Geisteswissenschaften übertragen wird. Alle Fragen, die den strengen Sinn- und Verifikationskriterien einer solchen Konzeption nicht genügen, werden aus der Philosophie entfernt“ (nach Kampits – siehe Literaturverzeichnis).
Merkmal dieser neuen Variante der Philosophie, die sich vor allem mit der Sprache auseinandersetzt, ist eine starke Berufung auf die Empirie; Wirklichkeit ist für Schlick das, was wir mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden feststellen können und auch ohne unsere Wahrnehmung existiert (was sich gegen Ernst Mach richtet). Rudolf Carnap geht noch weiter, indem er alle von der Metaphysik behandelten Fragen als Scheinprobleme bezeichnet, die nie einer Verifikation standhalten könnten. Sie entziehen sich jedweder logischen Aussage und gehören somit eher in den Bereich der Poesie und des Lebensgefühls.
Die Kritik Wittgensteins und Poppers
Die ausgeprägte Wissenschaftsgläubigkeit des Wiener Kreises und die radikale Verurteilung der Metaphysik führten zu heftiger Kritik und auch Ablehnung. Wittgenstein, zu dem die Mitglieder, allen voran Schlick, stets Kontakt suchten, da er einige verwandte Ideen hatte, wollte sich nicht auf die einseitige wissenschaftliche Grundlegung der Philosophie einlassen. Der junge Karl Popper, der ebenfalls lose mit dem Zirkel in Verbindung stand, geriet in immer stärkere Opposition zu dessen Denken, indem er der Gruppe vorwarf, mit der Beschränkung auf empirisch lösbare Probleme die unbequemen Fragen nach dem Sinn aus dem Weg zu gehen. Tatsächlich gerät eine Philosophie nach den Kriterien des Wiener Kreises in Gefahr, ihre eigentlichen Grundlagen, nämlich „unsere Lebensfragen“ (Wittgenstein) aus ihrem Bereich zu verbannen und damit zu einer recht blutleeren Philosophiewissenschaft auf Basis empirischer Überprüfbarkeit zu verkommen.
Vereinbarkeit von Logik und Ethik?
Moritz Schlick war nicht konsequent in der reinen Beschäftigung mit Fragen der Logik und Erkenntnistheorie. Nebenbei interessierte er sich seit seiner Jugend für Fragen der Ethik, die er auch in einigen Schriften niederlegte, die einen etwas unzeitgemäß erscheinenden Optimismus offenbaren. Instanz für Handeln und Urteilen soll vor allem das Gefühl sein, sittlich frei ist, wer ohne jeden Zwang nach seinen Wünschen leben kann. Ideal dieses Zustandes ist die Jugend, die der Unschuld größtmögliche Freiheit bietet, „tragische Ironie des Schicksals (…), daß Schlick (…) von einem jungen Menschen ermordet wurde“ – so Peter Kampits.
Literatur:
Moritz Schlick: Fragen der Ethik. Frankfurt/Main: 1984.
Peter Kampits: Zwischen Schein und Wirklichkeit. Eine kleine Geschichte der Österreichischen Philosophie. Wien: 1984.
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