Dienstag, 20. April 2021

Lektüremonat März 2021.

 

Otto Rombach: Der junge Herr Alexius.


Alexius Hilleson hat in Bologna, der führenden Universität auf diesem Gebiet, Jura studiert und soll nun im Auftrag der Großen Ravensburgischen Companie, in der sein Vater eine wichtige Rolle spielt, in Italien wichtige Aufträge ausführen, um dann in die Heimat zurückzukehren. Doch der junge Student hat ganz andere Pläne, trotz des ihm beigegeben Faktors Michel Apenteger ignoriert er die Befehle aus Ravensburg und begibt sich auf die Suche nach einer Italienerin, in die er sich verliebt hat, und die er auf den ägäischen Inseln wiederzusehen hofft. Doch es geht alles schief, erst geraten er und Apenteger auf Rhodos in Gefangenschaft, nach ihrer Flucht müssen sie feststellen, dass die gesuchte Isabella längst wieder weg ist, stattdessen kommt es zu Wirren aufgrund der Feindschaft Genuas und Venedigs. Diese ermöglichen es Alexius aber zugleich, durch glücklichen Zufall einen äußerst ertragreichen einen Abschluss zu tätigen, der die Grundlage seines Erfolges als Kaufmann bilden wird. Nachdem er auch noch ein zweites sehr gewagtes Geschäft trotz zahlreicher Bedenken durchzuziehen vermag, wird er in Venedig zum angesehenen Patron, der in einem Palast wohnt. Nach Ravensburg, wo die biederen Kaufleute und allen voran sein Vater ihn – wie seinen glückloseren Bruder Konrad – als halsbrecherischen Abenteuer sehen, zieht es ihn nicht zurück. Doch das Glück ist wankelmütig, Alexius verliert einen Teil seines Vermögens und auch die wiedergefundene Isabella. Sein neuer Traum: Indien. Das echte, nicht das soeben neuentdeckte ‚Indien‘ Columbus‘. Doch seine Aufgabe wird letztlich eine andere werden: In der Heimat versöhnt er die die verfeindeten Handelskompanien, gründet eine Familie und steigt nun selbst in leitender Funktion in der Großen Companie ein. Dies trägt ihm die Feindschaft seines Vaters ein – und ist auch das Ende seiner Indienträume. So scheint es. Aber die Reise des jungen Herrn Alexius ist noch lange nicht zu Ende und sie bleibt weiterhin dem Auf und Ab des Lebens ausgeliefert. So wenig geradlinig Otto Rombach (1904 bis 1984) das Schicksal seines Protagonisten verlaufen lässt, so wenig geradlinig sind seine Charaktere. Und dies ist die große Stärke dieses Romans. Rombach ist ein langsamer, manchmal langatmiger, aber nie langweiliger Erzähler, der sich die Zeit nimmt, lebensnahe, schwankende Figuren zu schaffen, Alexius ist nur eine von ihnen, Wagemut und Ungeduld, Naivität und Neugier bringen ihm Erfolg, aber auch Tiefschläge, er ist gutmütig und durchdacht, aber auch egoistisch und stur. Die Kunst Rombachs in der Figurengestaltung liegt in deren Ambivalenzen, nie kann man sich völlig auf den Charakter einer Person verlassen, zugleich aber findet er immer wieder auch Erklärungen und sucht Verständnis für deren Handeln, auch das negative. Diese Wandlungsfähigkeit erzeugt fast die größere Spannung als die eigentliche Handlung. Rombach, der in der Weimarer Republik das Schreiben begann und während des Nazi-Regimes im Land blieb, hatte mit dieser sehr durchdachten, aber inzwischen bedächtig wirkenden Erzählkunst seinerzeit große Erfolge erzielt, auf die man sich heute erst wieder einlassen muss. Sie ist es aber absolut wert.   

 

Arno Geiger: Alles über Sally.


Sally und Alfred, beide Anfang Fünfzig, seit gut dreißig Jahren verheiratet, sind im traditionellen England-Urlaub, als sie erfahren, dass in ihr Wiener Haus eingebrochen wurde. Dort angekommen, müssen sie feststellen, dass die Täter eher daran interessiert gewesen zu sein scheinen, Chaos anzurichten und ihrer Zerstörungswut freien Lauf zu lassen, als wirklich Wertvolles zu entwenden. Während Sally sich bald in das Geschehene fügt, kommt Alfred mit diesem buchstäblichen Einbruch in ihr arriviertes Leben ganz und gar nicht zurecht, er wird lethargisch, unsicher und ist kaum noch zu bewegen, freiwillig das Haus zu verlassen. Der Unterschied liegt auch daran, dass Sally ebenjene Arriviertheit, eigenes Häuschen, gute Stellung – sie als Lehrerin, er als Kurator an einem Museum drei Kinder, fast selbst alle schon erwachsen, im Grunde nie akzeptiert hat, beziehungsweise noch immer an einem Antispießerleben festhalten möchte. Und so gibt sie sich einer Affäre mit dem Mann ihrer besten Freundin hin, ganz pragmatisch, aber auch aufregend zugleich, vordergründig eine reine Sexgeschichte, aber auch eine sich selbsteingestandene frische Verliebtheit. Und man kann es verstehen, da der Mann daheim wehleidig und mit Stützstrumpf auf der Couch sitzt und es seine Hauptbeschäftigung ist, sein eintöniges Leben in Tagebücher einzutragen. So wie man Sally, deren Perspektive wir zumeist folgen, ohne großes Nachdenken verzeiht, dass sie gerade ihren Mann und ihre beste Freundin gleichzeitig betrügt, so sehr sehen wir auch Arno Geiger (geboren 1968) nach, dass er – scheinbar – Alfred als allzu pantoffeligen Weinerling darstellt. Beides beweist nur einmal mehr die große Erzählkunst des Österreichers und seine Raffinesse, denn ein innerer Monolog Alfreds zum Ende hin wirft ein ganz anderes Licht auf ihn und die gesamte Situation. Dadurch wird Alfred sympathischer, ohne Sally unsympathischer werden zu lassen. Die Unaufgeregtheit des Erzählens, in auch sprachlich schöner Form, macht den Roman zum Leseerlebnis, ganz weit entfernt von überpsychologisierten Selbstbespiegelungen.

 

Stephen King: Skeleton Crew.


Früher als Massenschreiberling billiger Horrorliteratur für den Bahnhofsbücherstand verschrien, was seinem Erfolg hierzulande und im Rest der Welt gleichwohl kaum abträglich war, hat sich das Bild vom Schriftsteller Stephen King (geboren 1947) auch bei der akademischen Literaturkritik inzwischen gewandelt, er wird, wie andere Autor*innen der Phantastischen Literatur als genretypischer Zeitdiagnostiker anerkannt, der inhaltlich durchaus mehr zu bieten hat als nur Blutdurst und Splatter. Sicher – und mit Recht – wird er nie zum neuen Edgar Allan Poe erklärt werden, aber in seinen besten Büchern und Erzählungen darf man ihn zumindest in eine Tradition mit etwa einem Sheridan le Fanu einreihen. „Skeleton Crew“ – der Titel ist zwar ein nettes Wortspiel, hat aber mit dem Inhalt eigentlich nichts zu tun – versammelt Erzählungen Kings aus der Zeit vor 1985. Darunter sind Klassiker wie „The Mist“ oder „The Raft“, stringent und deshalb sehr spannend erzählter purer Horror, der bestens unterhält ohne nun allzu große literarische Ansprüche zu stellen – und deshalb sehr gerne und sehr schlecht verfilmt wurde. Ausflüge ins Science-Fiction-Genre stehen neben einigen wenigen Gedichten und kürzeren Geschichten aus dem kriminellen Milieu. Ein wiederkehrendes Motiv in Kings Erzählungen – und in vielen seiner Romane – ist die zentrale und, wenn man so möchte, mediale Rolle von Kindern, wie in „The Monkey“, „Here there be Tygers“ oder „Word Processor oft he Gods“. Am gelungensten in diesem Band ist sicherlich „Mrs. Todd’s Shortcut“, die sich tatsächlich liest wie eine in die amerikanische Gegenwart versetzte Geschichte M.R. James', über eine Frau, die es liebt, mit dem Auto Abkürzungen zu finden. So verkürzt sie die Strecke zwischen ihrem Sommerhaus und der nächsten Großstadt mehr und mehr – bis sie Zeiten erreicht, die technisch und geographisch eigentlich unmöglich sind. Als sich ihr zweifelnder Hausmeister einmal überreden lässt, mitzufahren, um sich von ihren Fähigkeiten als Finderin kaum glaubhafter Abkürzungen zu überzeugen, wird ihm das Geheimnis ihrer besonderen Streckenführung klar. Und nicht nur das… 

                                                                          

                                                                                      

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