Dienstag, 20. November 2018

Suhrkamps Romane des Jahrhunderts (7) - Hermann Hesse: Narziß und Goldmund.


Hermann Hesse: Narziß und Goldmund. st 2640

 

Einen Roman von Thomas Bernhard oder von Peter Handke anhand des ersten Satzes zu identifizieren, fällt nicht schwer. Auch Hermann Hesse (1877-1962) fällt in diese Kategorie der sprachlichen Eindeutigkeit. Und wäre eben jener erste Satz von Narziß und Goldmund nicht ohnehin gut zwanzig Zeilen lang, man wüsste trotzdem, wer ihn verfasst hat. Wortwahl, Bilderwelten und Inhalt könnten nicht typischer sein. Selbst die gleich zu Beginn angedeutete Thematik verweist auf die oft bei Hesse verhandelten inneren Auseinandersetzungen, erinnern an das bereits vorgestellte Glasperlenspiel, jedoch in zeitlicher Umkehrung, denn Narziß und Goldmund ist vorher – 1930 – entstanden. Gleich zu Beginn wird ein Kastanienbaum, ein vereinzelter Sohn des Südens (7), vor dem mittelalterlichen Kloster Mariabronn beschrieben, fremd und zärtlich ließ der schöne Baum seine Krone überm Eingang zum Kloster wehen, ein zartgesinnter und fröstelnder Gast aus einer anderen Zone, verwandt in geheimer Verwandtschaft mit den schlanken sandsteinernen Doppelsäulchen des Portals und dem steinernen Schmuckwerk der Fensterbogen, Gesimse und Pfeiler, geliebt von den Welschen und Lateinern, von den Einheimischen als Fremdling begafft (7). Adjektive, Diminutive, der Konflikt zwischen Natur und Kultur, zwischen Nahem, Vertrauten und Exotischem, faszinierend Fremden – Hesse in Reinform, auch in der Art, diese Gegensätze scheinbar herauszustellen, nur um anschließend ihre vermeintliche Unvereinbarkeit aufzulösen.

Solcherlei Ambivalenzen bestimmen den Roman – der sich, noch eine Art Diminutiv, bescheiden Erzählung nennt – wie das Klosterleben jener Tage, wo des Volkes Glaube gepflegt, des Volkes Glaube belächelt wurde. Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, Einfalt und Verschlagenheit, Weisheit der Evangelien und Weisheit der Griechen, weiße und schwarze Magie, von allem gedieh hier etwas, für alles war Raum; es war Raum für Einsiedelei und Bußübung ebenso wie für Geselligkeit und Wohlleben (8). Solcherlei Dualismen, im Freiraum des Konventes auslebbar, spiegeln schon die titelgebenden Namen wieder: das Kind Goldmund, vom Vater zur Erziehung und für künftige geistliche Laufbahn in die Klosterschule gegeben, und Narziß, der ebenfalls noch sehr junge, doch hochbegabte Novize, der dort bereits als Lehrer unterrichtet. Hesses Namenswahl ist paradox: der zwar hochmütige, doch fast seherisch empathische Narziß ist eben kein selbstverliebter Jüngling, sondern ein introvertierter, zu sich selbst streng seiender Gelehrter, dem der Zugang zu den Mitmenschen weitaus schwerer fällt als zu seinen Büchern und Theorien. Goldmund dagegen ist nicht der kluge Redner, sondern ein Schwärmer (13), wie ihn Narziß tadelt, seine Verführungskraft liegt nicht in seiner Sprache, sondern seinem Körper und später in seinem künstlerischen Schaffen. Beide sind Außenseiter im Kloster, doch aus verschiedenen Gründen, könnten sie doch selbst kaum verschiedener sein. Narziß ist sich über seinen Weg im Klaren – und er wird in konsequent und erfolgreich voranschreiten – Goldmund irrt umher, wie Narziß ein Denker und Zergliederer, so schien Goldmund ein Träumer und eine kindliche Seele zu sein. Aber die Gegensätze überspannte ein Gemeinsames: beide waren sie vornehme Menschen, beide waren sie durch sichtbare Gaben und Zeichen vor den andern ausgezeichnet, und beide hatten sie vom Schicksal eine besondere Mahnung bekommen (21), Narziß sah Goldmunds Natur, die er trotz ihres Gegensatzes innigst verstand; denn sie war die andere, die verlorene Hälfte seiner eigenen (35).

Sie ziehen sich an und doch bleibt eine Distanz, da Goldmund das Wesen der ihm dargebotenen Freundschaft nicht erfasst, erst als ihn Narziß auf sein Geheimnis – Goldmunds vom Vater verstoßene Mutter (vgl. S. 61) – aufmerksam macht, erkennt dieser seine Ungeeignetheit für das Kloster und bricht spontan mit all seinen Gewohnheiten. Er folgt einer Frau, die ihn verführt und gleich wieder verlässt, er folgt der Sehnsucht (nach) seiner Mutter und beginnt ein Wanderleben als Vagabund. In der Natur geht er der – seiner – Natur nach, auf den Spuren der Unbekannten, der freien Ungebundenen, deren Vision ihm hin und wieder erscheint. Er wird ein Frauenverführer ohnegleichen, was ihm viel Genuss und Verdruss einbringen wird und die Erkenntnis, dass Schmerz und Lust einander ähnlich sein konnten wie Geschwister (137). Goldmund ist unstet, zwischenzeitliche gute Stellungen, als Schreiber auf einer Burg, als Lehrling in einer Bildhauerwerkstatt, setzt er oft leichtfertig aufs Spiel, es hält ihn nicht lange an einem Ort, es drängt ihn weiter, er ist nicht frei von rücksichtslosem Egoismus – viel mehr ein Narziß als Narziß  – dabei ist das Landfahrerdasein kein Zuckerschlecken, oft plagt ihn der Hunger, zweimal mordet er, durchstreift ein von der Pest verwüstetes, mit Toten übersätes Land, gleichzeitig fasziniert und gefährdet, er sucht Grenzsituationen, nichts genügt ihm, um es – das vollendete Kunstwerk – machen zu können, muß ich noch viel erfahren und erleben (190).

Doch Goldmund entkommt dem Dilemma seiner Lebensweise nicht: Von diesem Leben, diesen Wanderungen, von all diesen Jahren seit seinem Auszug in die Welt war bis heute wenig Frucht geblieben (258), es gibt keine Balance zwischen Flüchtigkeit und Dauerhaftigkeit, zwischen freiem Sinnenerleben – Natur – und trockenem Dienst des Unvergänglichen (258) – Kultur. Goldmund kann sich weder zu dem Einen noch zu dem Anderen vollends durchringen, ohnehin scheint ihm die Wahl bald abgenommen, als ihn ein weiteres Liebesabenteuer fast an den Galgen bringt, vor dem ihn ein Geistlicher rettet, ein zufällig anwesender Abt, natürlich Narziß, nun Johannes – wie Chrysostomus, Goldmunds Namenspatron. Narziß bietet seinem alten Freund Asyl im Kloster und tatsächlich scheint sich eine innere Versöhnung der beiden Wesen Goldmunds dort zu vollziehen: als freier, unabhängig vom Klosterleben arbeitender, aber von der dortigen Abgeschiedenheit und Ruhe profitierender Künstler, attestiert ihm Narziß, auf dem Weg durch die Sinne, das Geheimnis des Seins ebenso tief zu erfassen und viel lebendiger ausdrücken, als die meisten Denker es können (305). In Narziß’ späterem Fazit scheint die für Hesses Schaffen und den – nicht nur – damaligen Zeitgeist latente Intellektuellenskepsis durch, wenn er ein Goldmundleben menschlicher und tapferer empfindet als das bequeme Gelehrtenleben im schönen Gedankegarten voll Harmonie (313). Doch ist diese vermeintliche Abschlussbetrachtung wesentlich unklarer, als die oberflächliche Lesart es haben möchte: denn Goldmund, noch immer voll Unrast, verlässt das Kloster wieder. Was wie ein erneuter Aufbruch in die Freiheit wirkt, ist ein vollendetes Scheitern, schon nach wenigen Stunden, noch in Reichweite des Klosters, versagt Goldmunds einstige Verführungskraft, schließlich fällt er vom Pferd, verletzt sich und kommt, zufällig aufgefunden, nur noch als verwirrter, sterbenskranker Mann zurück ins Kloster. In seinen Fiebervisionen aber sieht er sich trotzdem am Ziel angelangt: der Wiedervereinigung mit seiner Mutter. Mehrere Zyklen schließen sich. Zurück bleibt Narziß an seinem Bett, Tag und Nacht, und sah zu, wie er erlosch. Goldmunds letzte Worte brannten in seinem Herzen wie Feuer (328).   
 
Vorgänger Teil (6): Hermann Broch - Die Schlafwandler
                                                                

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