Hermann
Hesse: Narziß und Goldmund. st 2640
Einen Roman von
Thomas Bernhard oder von Peter Handke anhand des ersten Satzes zu
identifizieren, fällt nicht schwer. Auch Hermann Hesse (1877-1962) fällt in
diese Kategorie der sprachlichen Eindeutigkeit. Und wäre eben jener erste Satz
von Narziß und Goldmund nicht ohnehin gut zwanzig Zeilen lang, man
wüsste trotzdem, wer ihn verfasst hat. Wortwahl, Bilderwelten und Inhalt
könnten nicht typischer sein. Selbst die gleich zu Beginn angedeutete Thematik
verweist auf die oft bei Hesse verhandelten inneren Auseinandersetzungen,
erinnern an das bereits vorgestellte Glasperlenspiel, jedoch in
zeitlicher Umkehrung, denn Narziß und Goldmund ist vorher – 1930 –
entstanden. Gleich zu Beginn wird ein Kastanienbaum, ein vereinzelter Sohn
des Südens (7), vor dem mittelalterlichen Kloster Mariabronn beschrieben, fremd
und zärtlich ließ der schöne Baum seine Krone überm Eingang zum Kloster wehen,
ein zartgesinnter und fröstelnder Gast aus einer anderen Zone, verwandt in
geheimer Verwandtschaft mit den schlanken sandsteinernen Doppelsäulchen des
Portals und dem steinernen Schmuckwerk der Fensterbogen, Gesimse und Pfeiler,
geliebt von den Welschen und Lateinern, von den Einheimischen als Fremdling
begafft (7). Adjektive, Diminutive, der Konflikt zwischen Natur und Kultur,
zwischen Nahem, Vertrauten und Exotischem, faszinierend Fremden – Hesse in
Reinform, auch in der Art, diese Gegensätze scheinbar herauszustellen, nur um
anschließend ihre vermeintliche Unvereinbarkeit aufzulösen.
Solcherlei
Ambivalenzen bestimmen den Roman – der sich, noch eine Art Diminutiv,
bescheiden Erzählung nennt – wie das Klosterleben jener Tage, wo des
Volkes Glaube gepflegt, des Volkes Glaube belächelt wurde. Gelehrsamkeit
und Frömmigkeit, Einfalt und Verschlagenheit, Weisheit der Evangelien und
Weisheit der Griechen, weiße und schwarze Magie, von allem gedieh hier etwas,
für alles war Raum; es war Raum für Einsiedelei und Bußübung ebenso wie für
Geselligkeit und Wohlleben (8). Solcherlei Dualismen, im Freiraum des
Konventes auslebbar, spiegeln schon die titelgebenden Namen wieder: das Kind
Goldmund, vom Vater zur Erziehung und für künftige geistliche Laufbahn in die
Klosterschule gegeben, und Narziß, der ebenfalls noch sehr junge, doch hochbegabte
Novize, der dort bereits als Lehrer unterrichtet. Hesses Namenswahl ist
paradox: der zwar hochmütige, doch fast seherisch empathische Narziß ist eben
kein selbstverliebter Jüngling, sondern ein introvertierter, zu sich selbst
streng seiender Gelehrter, dem der Zugang zu den Mitmenschen weitaus schwerer
fällt als zu seinen Büchern und Theorien. Goldmund dagegen ist nicht der kluge
Redner, sondern ein Schwärmer (13), wie ihn Narziß tadelt, seine
Verführungskraft liegt nicht in seiner Sprache, sondern seinem Körper und
später in seinem künstlerischen Schaffen. Beide sind Außenseiter im Kloster,
doch aus verschiedenen Gründen, könnten sie doch selbst kaum verschiedener
sein. Narziß ist sich über seinen Weg im Klaren – und er wird in konsequent und
erfolgreich voranschreiten – Goldmund irrt umher, wie Narziß ein Denker und
Zergliederer, so schien Goldmund ein Träumer und eine kindliche Seele zu sein.
Aber die Gegensätze überspannte ein Gemeinsames: beide waren sie vornehme
Menschen, beide waren sie durch sichtbare Gaben und Zeichen vor den andern
ausgezeichnet, und beide hatten sie vom Schicksal eine besondere Mahnung
bekommen (21), Narziß sah Goldmunds Natur, die er trotz ihres
Gegensatzes innigst verstand; denn sie war die andere, die verlorene Hälfte
seiner eigenen (35).
Sie ziehen sich
an und doch bleibt eine Distanz, da Goldmund das Wesen der ihm dargebotenen
Freundschaft nicht erfasst, erst als ihn Narziß auf sein Geheimnis – Goldmunds
vom Vater verstoßene Mutter (vgl. S. 61) – aufmerksam macht, erkennt dieser
seine Ungeeignetheit für das Kloster und bricht spontan mit all seinen
Gewohnheiten. Er folgt einer Frau, die ihn verführt und gleich wieder verlässt,
er folgt der Sehnsucht (nach) seiner Mutter und beginnt ein Wanderleben als
Vagabund. In der Natur geht er der – seiner – Natur nach, auf den Spuren der
Unbekannten, der freien Ungebundenen, deren Vision ihm hin und wieder
erscheint. Er wird ein Frauenverführer ohnegleichen, was ihm viel Genuss und
Verdruss einbringen wird und die Erkenntnis, dass Schmerz und Lust einander
ähnlich sein konnten wie Geschwister (137). Goldmund ist unstet,
zwischenzeitliche gute Stellungen, als Schreiber auf einer Burg, als Lehrling
in einer Bildhauerwerkstatt, setzt er oft leichtfertig aufs Spiel, es hält ihn
nicht lange an einem Ort, es drängt ihn weiter, er ist nicht frei von
rücksichtslosem Egoismus – viel mehr ein Narziß als Narziß – dabei ist das Landfahrerdasein kein
Zuckerschlecken, oft plagt ihn der Hunger, zweimal mordet er, durchstreift ein
von der Pest verwüstetes, mit Toten übersätes Land, gleichzeitig fasziniert und
gefährdet, er sucht Grenzsituationen, nichts genügt ihm, um es – das
vollendete Kunstwerk – machen zu können, muß ich noch viel erfahren und
erleben (190).
Doch Goldmund
entkommt dem Dilemma seiner Lebensweise nicht: Von diesem Leben, diesen
Wanderungen, von all diesen Jahren seit seinem Auszug in die Welt war bis heute
wenig Frucht geblieben (258), es gibt keine Balance zwischen Flüchtigkeit
und Dauerhaftigkeit, zwischen freiem Sinnenerleben – Natur – und trockenem Dienst
des Unvergänglichen (258) – Kultur. Goldmund kann sich weder zu dem Einen
noch zu dem Anderen vollends durchringen, ohnehin scheint ihm die Wahl bald
abgenommen, als ihn ein weiteres Liebesabenteuer fast an den Galgen bringt, vor
dem ihn ein Geistlicher rettet, ein zufällig anwesender Abt, natürlich Narziß,
nun Johannes – wie Chrysostomus, Goldmunds Namenspatron. Narziß bietet seinem
alten Freund Asyl im Kloster und tatsächlich scheint sich eine innere
Versöhnung der beiden Wesen Goldmunds dort zu vollziehen: als freier,
unabhängig vom Klosterleben arbeitender, aber von der dortigen Abgeschiedenheit
und Ruhe profitierender Künstler, attestiert ihm Narziß, auf dem Weg durch
die Sinne, das Geheimnis des Seins ebenso tief zu erfassen und viel
lebendiger ausdrücken, als die meisten Denker es können (305). In Narziß’
späterem Fazit scheint die für Hesses Schaffen und den – nicht nur – damaligen
Zeitgeist latente Intellektuellenskepsis durch, wenn er ein Goldmundleben
menschlicher und tapferer empfindet als das bequeme
Gelehrtenleben im schönen Gedankegarten voll Harmonie (313). Doch ist
diese vermeintliche Abschlussbetrachtung wesentlich unklarer, als die
oberflächliche Lesart es haben möchte: denn Goldmund, noch immer voll Unrast, verlässt
das Kloster wieder. Was wie ein erneuter Aufbruch in die Freiheit wirkt, ist
ein vollendetes Scheitern, schon nach wenigen Stunden, noch in Reichweite des
Klosters, versagt Goldmunds einstige Verführungskraft, schließlich fällt er vom
Pferd, verletzt sich und kommt, zufällig aufgefunden, nur noch als verwirrter,
sterbenskranker Mann zurück ins Kloster. In seinen Fiebervisionen aber sieht er
sich trotzdem am Ziel angelangt: der Wiedervereinigung mit seiner Mutter.
Mehrere Zyklen schließen sich. Zurück bleibt Narziß an seinem Bett, Tag und
Nacht, und sah zu, wie er erlosch. Goldmunds letzte Worte brannten in seinem
Herzen wie Feuer (328).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen