Helmut
Eisendle (Hg.): Triest – Die Stadt zwischen drei Welten.
Aus
der Anthologie, zusammengestellt vom österreichischen Schriftsteller Helmut
Eisendle (1939-2003), der selbst einige Jahre in der Stadt gelebt hatte, haben wir bereits Milo Dor kurz zitiert. Die drei Welten, die hauptsächlich
italienische Bevölkerung der Stadt, das vorwiegend slawisch-slowenische Umland
und die jahrhundertelange Zugehörigkeit zur österreichischen Donaumonarchie,
der Triest einst den Aufstieg zu einer der wichtigsten Hafenstädte Europas
verdankte, haben neben der Grenz- und Randlage die Geschichte mit viel Auf und
Ab, Einwohner*innen und naturgemäß die Literatur geprägt. Örtliche Größen,
deren Ruhm kaum über die Region hinausging, Autor*innen, die jeweils im Land ihrer Sprache Berühmtheiten, darüber hinaus jedoch kaum bekannt sind, aber letztlich auch internationale Beiträger zur Weltliteratur aus Triest wie Italo Svevo – von dem auch in dieser Anthologie die besten Texte stammen – oder James Joyce, der als Sprachlehrer hier die Grundlage für so gut wie alle seine Bücher legte, sie alle sind mit Triest verbunden und dementsprechend in der Sammlung vertreten. Wie in allen Anthologien finden sich Perlen neben Durchschnittlichem, Altbekanntes neben Entdeckungen, Kleinräumiges neben Weltweisendem, wie es schließlich besonders gut zu einer Stadtbeschreibung mit viel Fassaden und Facetten passt, die mal für Weltläufigkeit, mal für abgeschiedenen Niedergang stand und stets auch dank ihrer inneren Rivalitäten und Widersprüchlichkeiten Interessantes hervorgebracht hat.
deren Ruhm kaum über die Region hinausging, Autor*innen, die jeweils im Land ihrer Sprache Berühmtheiten, darüber hinaus jedoch kaum bekannt sind, aber letztlich auch internationale Beiträger zur Weltliteratur aus Triest wie Italo Svevo – von dem auch in dieser Anthologie die besten Texte stammen – oder James Joyce, der als Sprachlehrer hier die Grundlage für so gut wie alle seine Bücher legte, sie alle sind mit Triest verbunden und dementsprechend in der Sammlung vertreten. Wie in allen Anthologien finden sich Perlen neben Durchschnittlichem, Altbekanntes neben Entdeckungen, Kleinräumiges neben Weltweisendem, wie es schließlich besonders gut zu einer Stadtbeschreibung mit viel Fassaden und Facetten passt, die mal für Weltläufigkeit, mal für abgeschiedenen Niedergang stand und stets auch dank ihrer inneren Rivalitäten und Widersprüchlichkeiten Interessantes hervorgebracht hat.
Aleksandar
Tisma: Die Schule der Gottlosigkeit.
Vier
Erzählungen des serbischen Schriftstellers (1924-2003), die alle mit der
Erfahrung des 2. Weltkrieges zusammenhängen. In den beiden Geschichten
„Schneck“ und „Die Wohnung“ sind es die Wirkungen der Kriegserlebnisse auf die
unmittelbare Gegenwart der Protagonisten, in „Die schlimmste Nacht“ und „Die
Schule der Gottlosigkeit“ sind wir einmal Augenzeugen eines Opfers, einmal
eines Täters. „Die schlimmste Nacht“ ist die Nacht vor der Gewissheit des
jüdischen Familienvaters, mitsamt Frau und Tochter am nächsten Morgen von der
deutschen Besatzungsmacht ins KZ abtransportiert zu werden. Was sind die
Optionen? Widerstand, Flucht, Selbstmord…? Noch bevor er sich zu einem
Entschluss durchringen kann, wird es Tag. Ist diese Erzählung schon hart genug,
dann gehört die Titelgeschichte sicher mit zum verstörendsten, was die
Weltliteratur zu bieten hat. In nüchterner Sprache und aus der Perspektive des
noch jungen Folterers lässt uns Tisma teilhaben an dem brutalen Verhör eines
Mannes durch die ungarische Geheimpolizei des faschistischen Regimes. Dabei
verfällt Tisma nicht in irgendwelche voyeuristischen Grausamkeiten oder das
Abdriften in Splatter, sondern schildert die Vorgänge in so eindrücklicher
Brutalität, dass es schwerfällt, das Buch nicht beiseitezulegen. Der junge
Folterer ist Unmensch und Mensch zugleich, unsicher, abgelenkt von seinem Sohn,
der schwerkrank zuhause liegt und um den er sich sorgt. Doch gerade dies und
der Druck, sich vor Kollegen und Vorgesetzten zu bewähren, führt nur zu einer
verstärkten Wut auf sein Opfer, über das wir wenig erfahren, außer dass es,
bereits schwer misshandelt, schweigt. Obwohl es nicht mehr nötig ist – ein Mitgefangener
hat inzwischen gestanden – kann sich der Folterer nicht von seinem Opfer lösen,
eine Art sexueller Faszination, aber auch eine verquere Identifikation mit dem
Sohn lassen ihn jegliches Maß verlieren und wie im Rausch den Wehrlosen qualvoll
töten. Doch Tisma geht weiter – nicht nur ist dieser Tod sinnlos, es gibt für
den Leser und die Leserin keinen Trost. Selbst der Folterer glaubt, zur Sühne
für seine Untat würde nun wohl sein Kind sterben müssen – in einer Art perversem
Ausgleich. Doch ein Anruf zuhause versichert ihm, dass es dem Sohn sogar besser
geht. Der Folterer ist erleichtert: es gibt keinen Gott, keine höhere
Gerechtigkeit. Und was macht der Text mit uns? Eine Geschichte von
unglaublicher Wirkung, schwer zu ertragen, abgrundtiefe Literatur auf seltener
Höhe!
David
Vann: Dreck.
Der
22jährige Galen lebt noch immer bei seiner alleinerziehenden Mutter auf einer
einsamen Walnussfarm irgendwo in der amerikanische Provinz, ziellos und sich
von ihr aushalten lassend, was ihn nicht hindert, sie zu verachten und mies zu
behandeln. Nicht angenehmer ist der Umgang mit dem Rest der Familie, der
dementen Großmutter, seiner zynischen Tante mit ihrer nymphomanischen
17jährigen Tochter, auf die der sexuell frustrierte Galen scharf ist – und die
ihn benutzt und gewähren lässt. Dies liest man so vor sich hin und fragt sich,
warum man sich mit diesen unsympathischen Charakteren, die sich in einem fort
streiten, beschäftigen soll. Der Kniff des Erzählers ist, nach gut 150 eine
Extremsituation heraufzubeschwören, in der klar wird, dass Galen, dessen
Perspektive wir einnehmen, nicht nur einen Spleen hat – er ist
leidenschaftlicher Esoteriker, der sich ständig in Meditationen und Visionen
hineinsteigert –, sondern ein ausgewachsener Psychopath ist, der nun daran geht,
seine Mutter, die ihn ins Gefängnis bringen will, quälend langsam zu ermorden. Das
kann man für literarisch raffiniert halten, aber sei es aufgrund von
persönlichen Vorlieben oder auch der vorherigen Lektüre von Tismas Texten, so
recht Gefallen mag sich an der Inszenierung von Brutalität zu
Unterhaltungszwecken nicht einstellen. Und mehr ist es auch nicht, weder wird
sprachlich brilliert, noch geht das Ganze allzu sehr in die Tiefe. Dass
esoterische Selbstsuche und Ichversunkenheit Egozentriker und nicht unbedingt
Mitmenschlichkeit hervorbringen, ist keine welterschütternde Neuigkeit. David Vann (geboren 1966) ist mit seinen
Romanen sehr erfolgreich – in Deutschland wird er immerhin bei Suhrkamp verlegt
– es wird ihm also egal sein, dass wir von diesem Erfolg wenig halten.
Andrew
Sean Greer: Die Nacht des Lichts.
Am
Ende seines Romans dankt Andrew Sean Greer (geboren 1970) unter anderem einem
Freund, der ihm die Idee zum Titel überließ. Man denkt sich dann ein bisschen,
„naja, so mördermäßig toll ist der Titel nicht“, nur um dann festzustellen,
dass das Buch im Original durchaus originell
„The Path of Minor Planets“ heißt, während man, warum auch immer, offenbar
glaubte, für die deutsche Übersetzung auf das biedere Pseudoparadoxon
zurückgreifen zu müssen. Nun ist es ja stets wohlfeil, sich über misslungene
deutsche Titel aufzuregen – es gibt zahlreiche hervorragende Gegenbeispiele –
aber in diesem Falle hat das Original einfach den Vorteil, dass es wesentlich
besser gepasst hätte, denn es geht vordergründig um einen gut alle sechs bzw.
zwölf Jahre wiederkehrenden Meteoriten, zu dem der einstige Entdecker einen
Freundes- und Kollegenkreis einlädt, um eben jenes Ereignis der Rückkehr des
kleinen Himmelskörpers und der weitesten Entfernung zu feiern. Die eigentlichen
kleinen Planeten, um die sich alles dreht, sind die Personen, die dann wieder
auf der Insel versammelt sind, wo der Komet am besten zu beobachten ist – und
es ist der Pfad von deren Leben, den wir verfolgen. Greer verwebt die
verschiedenen Lebensläufe gekonnt, unspektakulär und doch spannend, dieses und
jenes klärt sich in Nebensätzen erst Jahre oder Jahrzehnte auf, manche
Zusammenhänge werden einem erst klar, dann aber als falsch entlarvt. Und wie
bei dem Kometen stellt sich für die Teilnehmer stets von Neuem die Frage, ob er
wiederkommt oder ausbleiben wird, so wie der Kreis der Beobachter letztlich
kleiner wird und mancher auf immer verschwindet. Ein kluges, ein gutes
Buch.
Régis
Debray: Der Einzelgänger.
Ein
autobiographischer Roman von Régis Debray (geboren 1940) – der, nebenbei, im
Original „L’Invisible“ heißt, womit nun jede*r selbst über den deutschen Titel
urteilen möge – verspricht viel: Debray war nicht nur Wegbegleiter Chè
Guevaras, dafür im Gefängnis inhaftiert, guter Bekannter der ersten
RAF-Führung, Berater von Salvador Allende und später Francois Mitterand,
nebenbei begründete er mit der Mediologie einen eigenen Wissenschaftszweig und
schrieb nicht wenige sehr einflussreiche theoretische, journalistische und eben
auch literarische Werke. „Der Einzelgänger“, 1975 auf Französisch, 1979 auf
Deutsch erschienen, behandelt die Probleme des Guerillakampfes aus der
Innensicht der Gruppen, geschildert von einem Schweizer Sympathisanten, der
sich auf deren Seite engagiert. Das ist auch mehr oder weniger die Handlung,
sofern man von einer solchen überhaupt reden möchte. Ein paar wenige Aktionen
und etwas Liebesgeplänkel geben lediglich den Hintergrund ab für seitenlange
Gespräche und Reflexionen über das Versagen des Guerillakampfes und die daran
Schuldtragenden. Kann sein, dass man so etwas Mitte der Siebziger Jahre
begierig verschlungen hat, für eine*n heutige*n Leser*in gilt: Debrays Roman ist
wie das Fleisch der Affen, das die Guerilleros im Dschungel aus der Not heraus
essen: sehr zäh.
René
Barjavel: Ravage.
René
Barjavel (1911-1985) gilt als der Urvater und sein 1943 erstmals erschienenes
Buch „Ravage“ („Verwüstung“) als der Gründungsroman der französischen
Science-Fiction. Liest man den ersten Abschnitt von vieren, könnte man glauben,
man befinde sich inmitten einer klassischen Liebesintrige vor futuristischem
Hintergrund: ein junges Mädchen wird vom einflussreichen Medienmogul als
zukünftiger Star ausgemacht; als der Nachbarsjunge Francois Deschamps aus dem
Dorf ebenfalls in Paris auftaucht, setzt der mächtige Konkurrent alle seine
Möglichkeiten erfolgreich in Bewegung, um dessen Start in der Großstadt
scheitern zu lassen. Dies alles vor dem Hintergrund der 2050er Jahre, wobei der
Roman hier wie viele frühe Werke der SF etwas daran krankt, zuviel an
Erstaunlichem beschreiben zu wollen und darüber die Handlung zu
vernachlässigen. Ab dem zweiten Abschnitt ändert sich dies jedoch, wie
überhaupt der ganze Roman einen Umschwung erfährt. Südamerika erklärt
Nordamerika den Krieg und kurz darauf wird Paris – und, wie sich herausstellt,
das gesamte Land – von einem Stromausfall betroffen. Fatal für eine
Gesellschaft, die völlig von der Elektrizität abhängig ist. Was so
fortschrittlich erschien, wendet sich nun gegen die Menschen: ohne Strom funktioniert
rein gar nichts mehr, es gibt kein Wasser mehr, keine Medizin, kein irgendwas. Alle
Transportfahrzeuge, die sich inzwischen in der Luft bewegen, stürzen ab, die
eingefrorenen Toten tauen auf und verursachen Krankheiten, der nutzlose
Technikmüll in den Straßen verursacht Brände. Barjavel zeichnet mehr und mehr
ein Horrorszenario, das der New-Wave-SF der 60er Jahre in nichts nachsteht,
insbesondere, da sich nun die Menschen auf der Suche nach Nahrung bald
gegenseitig in die Haare geraten. Nicht genug, lässt Barjavel schließlich erst
Paris, dann das gesamte Land in einem riesigen Feuerbrand untergehen. Eine
kleine Gruppe um das Mädchen und verschiedene Überlebende unter Führung
Francois Deschamps‘ suchen den mühsamen Fluchtweg Richtung Süden ins Gebirge.
Dabei werden sie dezimiert und auf primitive Praktiken zurückgeworfen – auch
was das Ausschalten der Konkurrenz angeht. Am Ende gelingt es der kleinen Anzahl,
eine neue Gemeinschaft in einem Bergtal zu gründen, doch die Sehnsucht der
Menschen, sich das Leben durch Technik zu erleichtern, ist trotz der
katastrophalen Folgen nicht ausgestorben. Das letzte Kapitel ist etwas stark
vom Zeitgeist abhängig ein Lob des Tatmenschen Francois, schon vorher eine
nicht unproblematische Figur. Insgesamt jedoch besonders im Mittelteil ein
furioses Werk, das bis heute als eines der besten französischen Science-Fiction-Romane
gilt.
Edzard
Schaper: Der letzte Advent.
Edzard
Schaper (1908-1984) war ein in der Frühzeit der Bundesrepublik äußerst
erfolgreicher, heute etwas in Vergessenheit geratener Autor, was wohl daran
liegt, dass er sich gerne Themen um religiöse Grundfragen widmete. Dies gilt
auch für „Der letzte Advent“, ursprünglich 1949 erschienen, der Geschichte
eines orthodoxen Priesters, der, nachdem beim Einsturz seiner baufälligen
Kirche in Estland neben weiteren Gemeindemitgliedern sein direkt neben ihm
stehender Kollege erschlagen, er aber verschont wurde, in eine tiefe Sinnkrise
gerät. Er zieht sich in ein Kloster zurück, doch der Abt dort beauftragt ihn,
sich heimlich in die stalinistische Sowjetunion zu begeben, um dort die
versreuten und unterdrückten Christen zu betreuen. Dies geht nicht lange
gut, die kleine Gemeinde wird aufgespürt und gerät in die Verhörkeller der
Sowjets. Hat man sich an die leicht, aber nicht übertrieben pathetische Sprache
gewöhnt, entwickelt der Text nach einiger Zeit durchaus seinen eigenen Sog, der
von den diversen Gewissenskonflikten der Figuren lebt – schließlich werden hier
zeitlos gültige Fragen verhandelt. Noch spannender ist nur das Leben Schapers
selbst, eines Schulabbrechers, der sich mit diversen Berufen in
verschiedenen Ländern durchschlug, bis er ab den 1930er Jahren quasi auf der
Dauerflucht vor den politischen Verhältnissen war, es sogar zu der damals nicht
gerade hilfreichen Ehre brachte, in Abwesenheit sowohl von der Sowjetunion als
auch von den Nazis zum Tode verurteilt zu werden, der für Finnland spionierte
und kämpfte, um dann doch noch ein angesehener Schriftsteller zu werden. Es
wird sich folglich auch lohnen, eine Biographie über ihn zu lesen.
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