Nahe am Advent ist es durchaus angebracht, sich einmal mit einem Klassiker des Kirchenlieds und dessen Autoren zu beschäftigen. Den dieser, der Jesuit Friedrich von Spee, war weitaus aktiver als nur als Dichter von Messgesängen. Dies zeigt sich exemplarisch in seinem kleinen Meisterstück O Heiland, reiß die Himmel auf:
Der Text des Liedes
O Heiland, reiß die Himmel auf,/Herab, herab, vom Himmel lauf.Reiß ab vom Himmel Tür und Tor,/Reiß ab, wo Schloß und Riegel für.
O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß,/Im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus/Den König über Jakobs Haus.
O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,/Dass Berg und Tal grün alles wird.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,/O Heiland, aus der Erden spring.
Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt,/Darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,/Komm tröst uns hier im Jammertal.
O klare Sonn, du schöner Stern,/Dich wollten wir anschauen gern;
O Sonn, geh auf; ohn Deinen Schein/In Finsternis wir alle sein.
Hier leiden wir die größte Not,/Vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand/Vom Elend zu dem Vaterland.
Ein Klassiker der Adventsmusik
Wer sich zu diesem schlicht erscheinenden Text noch die tiefe und leicht melancholische Melodie hinzudenkt, dem wird das Lied einen tiefen Eindruck hinterlassen. Worin besteht nun die Besonderheit dieses Adventsgesangs, die ihn in eine Reihe stellt mit Tauet, Himmel den Gerechten, Es kommt ein Schiff geladen und dem leider etwas überstrapazierten Macht hoch die Tür’ und ihn doch von diesen völlig unterscheidet?
Mehrerlei Dinge fallen auf. Spees Sprache ist recht drastisch, teilweise gewaltsam, in jedem Falle sehr dynamisch: reiß, brecht, schlag, spring. Kein geruhsames Öffnen von Toren, kein gemächliches Herabtropfen des Taues (eine Metapher für den Gottessohn, vgl. in der römischen Liturgie die so genannten Rorate-Messen), kein Heranfahren eines schwer beladenen Schiffes.
Hexenverfolgung, Pest, Krieg – aber wo ist Gott?
Noch mehr Hintergrund in: Karl-Jürgen Miesen: Friedrich Spee. Priester, Dichter, Hexenanwalt. Düsseldorf: Droste 1987. |
Gegen die Hexenverfolger...
Spee stellte sich seinen Aufgaben in der Heimat und hat ein beeindruckendes Werk hinterlassen. Berühmt ist er noch heute für die einflussreichste Schrift wider die Hexenverbrennungen, Cautio Criminalis, anonym veröffentlicht, doch der Autor wurde bald bekannt – nicht gerade zur Freude seiner Vorgesetzten. Der junge Pater hatte selbst den Prozessen beigewohnt, in Würzburg, einer der Metropolen des ausufernden Wahns. Vorsichtig formulierte er, er könne bei keiner der Beschuldigten mit Sicherheit behaupten, er sei von ihren angeblichen Taten überzeugt. Dezidiert sprach er sich gegen die Anwendung der Folter aus.
... aber für die Gegenreformation
Er wurde in eine kleine rheinische Gemeinde versetzt, um dort gegenreformatorisch zu wirken, auch dieser Aufgabe widmete er sich – nicht ohne Härte aus Überzeugung – mit ganzem Einsatz und Erfolg. Hierdurch machte er sich wiederum keine Freunde, auf dem Weg zwischen den Dörfern seiner Pfarrei wird er eines Tages überfallen und schwer verletzt. Für Friedrich Spee gab es letztlich keinen passenderen Tod, als bei der Pflege von Pestkranken in Kriegszeiten sich selbst zu infizieren, er starb im Alter von 44 Jahren in Trier.
Katholische Barockdichtung
Dieser kurze biographische Abriss erhellt die Sprachverwendung eines Dichters, der neben Angelus Silesius als der einzige bedeutende deutschsprachige Barockdichter des Katholizismus gilt, was ihm einen Auftritt in Günter Grass’ Treffen in Telgte verschafft, einer imaginären Zusammenkunft der deutschen Lyriker des Barock. Spee bedient sich einer Sprache der Gewalt, die ihm aus dem Alltag vertraut ist. Doch versucht er sie gerade gegen diese Welt umzukehren, wie ihm überhaupt daran gelegen ist, der momentanen bekannten und zerbrochenen Ordnung einen Entwurf gegenüberzustellen, der jedoch derzeit unerreichbar weit entfernt scheint.
Aus der Zeit der Verzweiflung
Informative Kurzbiographie: Walter Rupp: Dichter und Kämpfer gegen den Hexenwahn. Mainz: Topos 2011. |
Was Spee so sympathisch macht, ist auch die spürbare Verzweiflung. Hier spricht nicht ein von sich überzeugter Kleriker, der schalen Trost spenden will, besonders in der vierten Strophe ist zu spüren, dass Spee nicht frei war von Gefühlen der Gottverlassenheit, kaum verwunderlich bei den allgemeinen und persönlichen Niederschlägen, die er erleben musste. Beim Lesen und Hören des Liedes hat man oft das Gefühl, der Autor steht auf einer Kippe zwischen absoluter Verzweiflung und einem winzigen Rest von Hoffnung. Der ewig Tod, den er vor Augen sieht, die Angst, ist der Sturz in die ‚Krankheit zum Tode’, wie es Kierkegaard nannte, die Verzweiflung. Spee hofft; vielleicht weil er sich selbst nicht mehr sicher war.
Alle Bewegung geht auf das lyrische Ich zu, gehandelt wird nur von der Seite des angerufenen Gottes – bzw. wird dessen Handeln erwünscht. Das Kommen des Erlösers, es wird nur noch passiv erwartet, in einer Gesellschaft, die versagt hat. Unterschwellig kritisiert Spee auch die Politik, König und Vaterland haben bei ihm nur noch jenseitige Qualität, der Mensch hat sich dieser schutzverheißenden Obrigkeit als nicht würdig erwiesen.
Ein Ausweg?
Friedrich Spee ist einer großen Kleinen, die kaum ins allgemeine Bewusstsein vordringen. Auch die Amtskirche hat daran ihren Anteil: bis heute kam das Seligsprechungsverfahren des Jesuitenpaters nicht zu einem Abschluss. O Heiland, reiß die Himmel auf mit seiner verzweifelten Sehnsucht ist aktueller denn je. Und auch die Antwort, die es geben kann. Wie Spee nicht dem Nihilismus verfallen ist, weil er als gläubiger Katholik darauf vertraute, dass das Versprechen eingelöst wird.