Freitag, 12. Juni 2015

Petra Henschel, Uta Klein: Hexenjagd.

In der Kriminalstatistik sind sie eine Minderheit, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht: Frauen, die ein Gewaltverbrechen begehen. Zwischen den tatsächlichen Taten und dem Anteil an der Berichterstattung klafft eine deutliche Diskrepanz – und dies ist nicht die einzige der erstaunlichen Erkenntnisse des Buches von Petra Henschel, einer Pädagogin, die in Haftanstalten arbeitet, und von Uta Klein, Soziologin an der Universität Münster sowie ihren Autorenkolleginnen. Denn es sind keineswegs nur die üblichen Verdächtigen aus der Regenbogenpresse, die an diesem verzerrten Bild mitgearbeitet haben und dieses bis in die Gegenwart weitertradieren.

Warum mordet „die“ Frau? Kulturelle Stereotypen

Offenkundig besteht in der Öffentlichkeit, wie sie von den Medien – worunter vorerst der umgangssprachliche Begriff zu verstehen ist, der die Presse in ihren verschiedenen Formen umfasst – bedient oder hergestellt wird, ein besonderes Interesse an der mordenden Frau. Dies geht auf den generellen Grundsatz zurück, dass für den Journalisten naturgemäß das Spezielle, das Sensationelle interessanter ist als das Alltägliche, wenn man nun den tötenden Mann so nennen will, wozu allenfalls die Statistik berechtigt. Ein Mann, der seine Frau umbringt, erregt Sensation überwiegend nur in der lokalen Presse, sofern er nicht besonders bestialisch zu Werke geht. Eine Frau hat, wie der Band mehrfach belegt, deutlich bessere „Chancen“ bundesweites Aufsehen zu erregen.

Die Angst vor dem blutrünstigen Heimchen

Die liebevolle Gattin – tatsächlich geschehen die meisten Morde durch Frauen in Beziehungen – die zur Waffe greift, scheint erschreckender, vielleicht auch gefährlicher, jedenfalls ihr Verstoß gegen die Konvention größer als der des Mannes. Gleichzeitig hat das Interesse etwas Voyeuristisches, es erstaunt, wie sehr sexuelle Motive unterstellt werden, wie wichtig auch das Auftreten der Angeklagten oder Verdächtigten in der Berichterstattung wird, bis hin zu detaillierten Schilderungen der Kleidung. Es gehört seit Anbeginn der Kriminalwissenschaft zu den Stereotypen, dass die Frau starken geschlechtlichen Schwankungen unterworfen ist, die sie generell empfänglicher machen für bestimmte Gewalttaten. So sehr uns diese Theorien vom Ende des 19.Jahrhunderts absurd erscheinen mögen – das Vorurteil sitzt tief im kulturellen Gedächtnis. Auch hier liefern die Beiträge Dutzende Belege.

Maria Rohrbach und Monika Weimar – falsche Mörderinnen

Aufschlussreiche Aufsätze dokumentieren die von Kristin Makac und Uta Klein analysierten berühmt gewordenen Fälle Maria Rohrbach aus den 1950er und Monika Weimar aus den 1980er Jahren. Beide Frauen geraten nicht nur schnell in Verdacht, ihren Gatten beziehungsweise ihre Kinder umgebracht zu haben, die Berichterstattung beeilt sich, die oft einseitigen Untersuchungen der Polizei wohlwollend zu kommentieren. Maria Rohrbach, die auch noch dem Klischee der Giftmörderin zu entsprechen scheint, einer heimtückischen Art des Tötens, die angeblich von Frauen bevorzugt wird (siehe den Beitrag von Inge Weiler), wird ebenso wie später Monika Weimar ein ausschweifendes Sexualleben unterstellt – beides ist nicht nur aufgebauscht, sondern steht, worauf jeder kritische Beobachter hinweisen müsste, nicht in direktem Zusammenhang mit irgendeiner Form von Gewaltneigung. Nur zu deutlich wird, dass der Verstoß hier gegen ideologische Barrieren stattfand, die Gefährlichkeit der Frauen lag aus Sicht vieler Berichterstatter eher in ihrem selbstbestimmten Wesen und Handeln, in der fehlenden Unterordnung unter den – übrigens selbst oft gewalttätigen – Ehemann. Beide Frauen wurden – unter Zustimmung der Presse – verurteilt, beide waren unschuldig, wie spätere Gerichtsverfahren feststellten. Ein Interview mit Monika Weimar macht die Wirkungen der Berichterstattung, jedoch auch der Haft, noch deutlicher.

Wo Grenzen zwischen Opfern und Tätern bewusst verschwinden

An Untersuchungen zu den Fällen der vermeintlichen Terrorpatin Monika Haas und der von ihrem Mann ermordeten ehemaligen Grünen-Chefin Petra Kelly weisen die Autoren auf weitere Muster der Verzerrung hin, den vielleicht aufschlussreichsten Beitrag liefert Dagmar Oberlies mit ihrer genauen Analyse des Medienrummels um den Mord des berühmten Berliner Boxers Gustav „Bubi“ Scholz an seiner Ehefrau Helga Scholz. Nicht ein Boulevardblatt, sondern der „Spiegel“ schafft es hierbei, aus dem geständigen Täter Scholz ein Opfer seiner eigenen Tat zu erschaffen. In dem er sie umbrachte, habe er sich seiner großen Liebe und Stütze beraubt, er sei geradezu bemitleidenswert. Es fällt einem schwer, dieser Art von Logik zu folgen. Dem Gericht dagegen offenbar nicht, die Strafe fiel recht mild aus, das wohlwollende Einverständnis des Publikums durfte man voraussetzen. „Bubi“ war ja eine Ikone.
Henschel, Klein: Hexenjagd.
 

Bilder von gewalttätigen Frauen in Film und Literatur

In der Hinwendung zu den nicht-journalistischen Medien Spielfilm und Literatur betreten die beiden letzten Beiträge Neuland. Maria Schmidt untersucht so genannte Women-in-Prison-Filme (WiP), ein Subgenre, das vor allem in den Siebzigern blühte, und leistet hiermit Pionierarbeit. Von ernsthafteren frühen Versuchen in den 1950er Jahren abgesehen, verkamen die Filme schnell zu voyeuristischen Fantasien, die überwiegend männlichen Gehirnen entsprangen und bald nur noch trashige Schemata wiedergaben. Frauen im Gefängnis reduzierten sich zu sexsüchtigen gewalttätigen Lesben, die in jeder Hinsicht unschuldige Neuinsassinnen missbrauchten. Erst in den Achtziger nahmen sich Regisseurinnen selbst des Themas an und schufen wieder Porträts, welche die Situation der eingesperrten Frauen zu analysieren suchten. Rachel Giora vergleicht die Entwicklung von Frauenfiguren in Romanen und Dramen vor und nach der feministischen Wende, wobei sie feststellt, dass auf fiktionaler Ebene eine Entwicklung der Protagonistinnen von Autoaggressivität, also Selbstmord hin zu aktiver, selbstbewusster Gewalt gegen den Unterdrücker stattfindet.

Gefahren des medialen Einflusses durch Verzerrungen

Die Artikel des Sammelbandes verhandeln nicht die kriminalistischen Fälle, nicht die juristische Frage der Schuld, wie auch der Beitrag eines Mordes durch ein Damentrio in Franken von Petra Henschel unterstreicht, deren Täterschaft unbestritten ist. Gerade dieser Fall fasst jedoch die Intention des Buches exemplarisch zusammen, das Fehlen objektiver Berichterstattung über gewalttätige Frauen anzuprangern. Der mediale Fokus verschob sich schnell auf die teils homosexuellen Beziehungen der drei Damen, Zusammenhänge wurden hergestellt, die vermeintliche Abartigkeit mit Neigung zur Gewalt suggerieren, das voyeuristische Element verdeckte Hintergründe, (männliche) Fantasien von der Lesbenliebe kolportieren die bereits genannten Stereotypen und diskreditieren jegliche Formen selbstbewussten Andersseins.
Das Buch besitzt an mancher Stelle einen polemischen Impetus, der sich jedoch gut begründen lässt, weil er auf Ungerechtigkeiten hinweist, die einerseits sonst wenig Kenntnisnahme und wenig FürsprecherInnen finden, eine Problematik, die andererseits in einem propagierten Informationszeitalter immer mehr an Wichtigkeit gewinnt. Es wäre zu wünschen, dass der Band mehr Leser und Leserinnen findet, um deren Aufmerksamkeit gegenüber der Berichterstattung zu schärfen – längst nicht nur über gewalttätige Frauen.
 
Petra Henschel, Uta Klein (Hg.): Hexenjagd. Weibliche Kriminalität in den Medien. Frankfurt am Main: (Suhrkamp) 1998.

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