Freitag, 31. Juli 2015

Ulrike Meinhof - Ein Leben im Widerspruch, eine Biographie der Terroristin von Mario Krebs, scheitert an eben diesen Widersprüchen.

1988 legte Mario Krebs in der Reihe rororo-aktuell seine Biographie Ulrike Meinhof – Ein Leben im Widerspruch vor, ein Text, der es sich laut Vorwort zur Aufgabe gemacht hat, Ulrike Meinhof aus dem Zugriff des öffentlichen Feindbildes ein Stück weit zu lösen, was den Leser nicht nur aufgrund der sprachlichen Holprigkeit zumindest vorsichtig machen sollte.

Krebs’ Versuch einer neuen Herangehensweise

Gemeint ist, dass Krebs die Beweggründe für das Handeln Ulrike Meinhofs vor allem aus ihren Texten verständlicher machen möchte. Bis zu einem gewissen Punkt gelingt ihm dies durchaus, die gut ersten zweihundert Seiten der Biographie (von knapp 270) widmet er der engagierten Jugendlichen und späteren Kolumnistin, deren Analysen oft scharf formuliert waren und Zustände in der jungen Bundesrepublik ankreideten, die auch dem heutigen Leser unerträglich vorkommen würden.
Krebs’ Versuch, Sympathie auf die Protagonistin zu erwecken, lässt ihn in Turbulenzen geraten, als sich Ulrike Meinhof der RAF anschließt, bzw. diese mitbegründet. Deshalb wird von vorneherein – und bis zum Schluss – mehrfach betont, dass ihre Teilnahme an der Baader-Befreiung und in der Folge ihr Engagement für den Terrorismus Zufallsprodukt einer verunglückten Aktion gewesen sei, weder vorgesehen noch vorbereitet, ja gezwungenermaßen – und wer sich dann fragt, von wem gezwungen, der bekommt die so üblichen wie einfach gestrickten Antworten ebenfalls mitgeliefert: diese massive Reaktion der Gegenseite, die Ulrike Meinhof völlig geschockt habe, zweifellos trägt auch das Verhalten von Politikern und Medien dazu bei, dass es für sie kein Zurück mehr gibt.

Die Analyse der RAF-Schriften

Krebs kritisiert den Inhalt und teilweise die Sprache der RAF-Schriften Meinhofs, doch von vornherein liefert er die vermeintlichen Erklärungen mit, die dafür gesorgt haben müssen, dass der einstigen Gesellschaftsanalystin Meinhof ihr Blick auf die Realitäten so offenkundig verloren ging. Schuld ist das Dilemma, eine Praxis begründen zu müssen, die nicht zu begründen ist, letzteres ist so richtig wie das erstere verkehrt, denn ein Zwang, falsche Taten zu begründen besteht wohl nur für jemanden, der diese Taten für richtig hält. Eine andere Verteidigungslinie ist altbekannter, es sind die Haftbedingungen. Ulrike Meinhofs Haftbedingen zu Beginn ihres Gefängnisaufenthalts vor allem in Köln-Ossendorf waren zugegeben grenzwertig, doch nach langen Schilderungen, dass die Inhaftierte geradezu keinerlei klaren Gedanken mehr habe fassen können, vermerkt Krebs im Widerspruch dazu, [u]m die Isolationshaft durchstehen zu können, versucht Ulrike Meinhof im Herbst 1972 zu schreiben.
Nun geht Krebs nicht so weit, die krude Argumentation zu unterstützen oder das teilweise vulgäre Vokabular nicht zu kritisieren, doch verantwortlich für die sprachliche und gedankliche Engführung – ein recht netter Euphemismus – sind wiederum die Haftbedingungen. Dafür muss man allerdings alle früheren Texte beginnend von der Erklärung zur Baader-Befreiung konsequent ignorieren, die vor der Haft verfasst wurden, umso viel sagender ist das Fehlen des berühmten Interviews mit Michèle Ray, in dem der berüchtigte Nachsatz „und natürlich darf geschossen werden“ fiel, gerade in einem Buch, das die Texte Meinhofs heranziehen möchte, um ein neues Bild der Person zu etablieren.

Der Prozess in Stammheim

Bei der Schilderung des Stammheimer Prozesses befürwortet er das Vorgehen der Angeklagten und vor allem ihrer Anwälte, die Taten der RAF als Reaktion auf den amerikanischen Vietnamkrieg zu sehen, doch seine Übernahme der argumentativen Linie der RAF wird geradezu absurd, als er nicht bemerkt, dass die Aussagen Gudrun Ensslins und Brigitte Mohnhaupts, die RAF habe den Anschlag auf das Springergebäude in Hamburg 1972 nicht gewollt, Ulrike Meinhof erkennbar zu demütigen, sondern er nimmt diese als Beleg dafür, dass sie an der Tat nicht beteiligt war – was längst nachgewiesen und den anderen RAF-Mitglieder ja offenbar klar ist. Gründe für eine solche demonstrative Demontage Meinhofs durch ihre Kameradinnen liegen sowieso nicht vor, die kolportierten Auseinandersetzungen innerhalb der Truppe, nur das persönliche Verhältnis untereinander betreffend, so Krebs treuherzig, seien übertrieben gewesen, kleinere Spannungen allenfalls verständlich aufgrund der Haftbedingungen, verantwortlich auch hierfür sind die zuständigen Behörden.

Selbstmord oder nicht?

Deshalb, auch das überrascht nun nicht mehr, ist es, so wörtlich, abwegig, hieraus auch noch Gründe für einen Selbstmord abzuleiten – der dann naturgemäß auch höchstwahrscheinlich keiner war, denn es gab auch keine plausiblen Motive. Nach der ‚Isolationsfolter’ nun also auch noch die ‚Staatsmordtheorie’ mit der obligatorischen Berufung auf das Gutachten der ‚Internationalen Untersuchungskommission’. Richtig überzeugt scheint Krebs selbst allerdings doch nicht, am Ende seines Buches rudert er leicht zurück, [a]ngenommen, Ulrike Meinhof sei am 9.5.1976 tatsächlich von eigener Hand zu Tode gekommen, dann war es trotzdem Mord und zwar – aufgrund der Haftbedingungen.

Ein Biograph verheddert sich

Sicher das krudeste Argument, von dem außer plumper Rechtfertigung schon gar nicht mehr klar ist, worauf es abzielt, liefert Krebs mit dem Satz Die Haftzeit, die Ulrike Meinhof schließlich bis zu ihrem Tod 1976 verbringt, wird doppelt so lang sein wie jene Zeit eines „bewaffneten Kampfes“, mit dem man ihren Namen später in Verbindung bringt. Abgesehen davon, dass der Ausdruck ‚in Verbindung bringen’ eine falsche Unterstellung seitens der Öffentlichkeit suggeriert und das Setzen der Bezeichnung ‚bewaffneter Kampf’ in Anführungszeichen dies noch viel mehr als Behauptung der Behörden unterstreicht, muss man sich ehrlich fragen, was der Autor eigentlich sagen möchte: immerhin forderten die von Ulrike Meinhof unzweifelhaft unterstützten, geförderten und verteidigten terroristischen Aktivitäten mehrere Menschenleben. Deren Tod bewusst in Kauf genommen wurde. Jeder Mord dauert nur wenige Sekunden bis Minuten – aber das Strafrecht funktioniert nicht nach einem zeitlichen Ausgleichsprinzip. Und Ulrike Meinhof war bereits wegen der Beteiligung an der Baader-Befreiung verurteilt, wie Krebs vorher selbst kurz berichtet. Der Satz zeigt lediglich, wie sehr der Biograph jegliche kritische Distanz bereits verloren oder aufgegeben hat.
Und so klafft das Buch regelrecht auseinander; nach zweihundert Seiten, die trotz gelegentlich bereits vorgreifender apologetischer Einflechtungen ein durchaus sympathisches Bild einer unangepassten Persönlichkeit wiedergeben, kommt Krebs mit dem Bruch in Ulrike Meinhofs Leben offensichtlich nicht zu Rande. Der Versuch, das positive Bild unbedingt aufrechtzuerhalten scheitert an den Gegebenheiten, Meinhofs Taten und Schriften. So überrascht es nicht, dass der Herausgeber der Buchreihe, Freimut Duve, sich in einem Nachwort von dem Werk deutlich distanzierte.
 
Mario Krebs: Ulrike Meinhof. Ein Leben im Widerspruch. Reinbek bei Hamburg: 1988.

Eine Besprechung zu einer anderen - gelungeneren - Biographie über Ulrike Meinhof gibt es hier zu lesen: http://bene-a-rebours.blogspot.de/2015/02/alois-prinz-uber-ulrike-meinhof-lieber.html

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