Fernand
Pouillon: Singende Steine.

Maarten
‘t Hart: Ein Schwarm Regenbrachvögel.
Und
wieder mal ein Niederländer, der sich – zu Recht – auch bei uns großer
Beliebtheit erfreut. Wie vermutlich schon mehrfach erwähnt, ist die
zeitgenössische niederländische Literatur eine sehr facettenreiche mit vielen
großartigen Autor*innen. Kein Wunder also, dass sie hier immer wieder
auftauchen. ‘T Harts (geboren 1944) Roman ist eine ziemlich melancholische
Rückschau – mit autobiographischen Elementen – eines einsamen jungen Mannes,
der mit dreißig zwar bereits angesehener Biologieprofessor geworden ist, sich
aber nie von den Vorgaben seiner isolierten Kindheit auf dem Land mit
religiösen Eltern befreien kann, die ihn in Bruchstücken stets wieder einholt.
Am sichtbarsten und schmerzlichsten zeigt sich dies in seiner Sehnsucht nach
Frauen, denen er sich nie offenbart, weshalb sie ihm schließlich entschwinden. Zurück
bleibt ein immer mehr vereinsamender Mensch. Traurige Geschichte, glänzend
geschrieben – dank ‘T Harts freundlich-ironischer Erzählhaltung verfällt man
deshalb zum Glück beim Lesen nicht gleich vollends der Depression.
Isabel
Allende: Fortunas Tochter.

Herbert
Rosendorfer: Die Goldenen Heiligen oder Columbus entdeckt Europa.
Der
Altmeister der literarischen Satire Rosendorfer (1934-2012) nimmt sich in seinem
Roman aus den 1990er Jahren die New-Age-Welle vor, in gewohnt brillanter und
sehr lustiger Manier. Doch das Buch hat viele unterschwellige Strömungen
dystopischer Natur – denn die 1992 bei Paderborn landenden Außerirdischen sind
keineswegs die von den Esoterikjünger*innen erhofften Erlöser, sondern nichts
anderes als um das Heil der Menschen reichlich unbesorgte Besatzer. Sich die
Erde untertan zu machen fällt ihnen allerdings nicht schwer, denn diese ist
nach dem Zusammenbruch ohnehin quasi einfach nur am immer weiter
zusammenbrechen, Religion und Rechtsstaat sind längst Esoterik und der
Drogenmafia gewichen. Nach dem typischen rosendorferschen ersten Teil des
Romans hat man manchmal den Eindruck, dass der Autor im Folgenden etwas über
die Stränge schlägt, dahinter verbirgt sich jedoch – darauf macht der Titel nur
zu deutlich aufmerksam – eine böse Kritik am Kolonialismus, aber auch am
menschlichen Opportunismus, denn natürlich gibt es auch Personen, die mit den
Besatzern kollaborieren und noch jede Untat verklären. Rosendorfer trägt, wie
gesagt, manchmal dick auf, aber man verzeiht es ihm schnell angesichts der für
ihn so charakteristischen Schilderungen der Alltagsabsurditäten und seiner skurrilen
Einfälle – welchen Tribut fordern die Außerirdischen von den Menschen?
Holländische Holzschuhe. Warum? Wir werden es nie erfahren.
Marguerite
Duras: Emily L.
Erneut
ein kurzes Buch der französischen Schriftstellerin (1914-1996) und wie gewohnt
ist es geprägt von hoher sprachlicher Kunst und nicht einfacher Zugänglichkeit.
Die Szenerie ist einfach: in der Hafenkneipe eines kleinen französischen Ortes
am Meer treffen ein sich trennendes Paar aufeinander, das zufällig Ohrenzeige
eines anderen Paares wird – drei sehr unterschiedlich verlaufende
Liebesgeschichten sind ineinander verschachtelt, alle von der Tragik menschlicher
Beziehungen bestimmt. Duras‘ Romane und Erzählungen mit ihrer eigenwillige
Umsetzung sind wahrscheinlich nicht jedermanns liebste Lektüre, aber auch in
„Emily L.“ zeigt sie sich in Höchstform.
Peter
Shaffer: Five Finger Exercise/Shrivings/Equus.
Und
gleich noch ein bereits Bekannter: Der Band versammelt – etwas willkürlich –
drei Stücke des britischen Dramatiker Peter Shaffer (1926-2016), von denen
„Equus“ schon besprochen wurde. „Five Finger Exercise“ (von 1958) ist ein
typisches Familiendrama, in der ein aus Deutschland eingeladener Tutor, ein
junger Mann, der vor seinen Nazieltern geflohen ist, Trost und Geborgenheit bei
einer englischen Familie sucht, die alles andere zu bieten hat als genau dies.
Der Hausherr ist ein Kaufmann und Materialist, seine Frau trauert ihrer
Herkunft aus gebildetem französischem Milieu nach, die Tochter ist eine
pubertäre Träumerin und der Sohn ein perspektivloser Student, der mit seinen
künstlerischen Ambitionen, die vom Vater verachtet werden, nichts anzufangen
weiß. Die Ankunft des Tutors bringt die Konflikte erst recht an die Oberfläche.
Immer noch tolles Stück mit geschliffenen Dialogen. Mit „Shrivings“ war Shaffer
selbst unzufrieden, weshalb er es später noch einmal umschrieb – diese Version
von 1970 atmet noch mehr den Geist der Zeit. Ein zynischer Dichter, dessen
Erfolge längst zurückliegen, besucht seinen Mentor in dessen zurückgezogenem
Refugium, wo dieser sich für den radikalen Pazifismus engagiert. Vor Ort wohnen
noch die Sekretärin der Organisation, eine junge Amerikanerin, und der von ihm
entfremdete Sohn des Dichters. Letzterer versucht durch eine Wette den
Philosophen davon zu überzeugen, dass sein Vorhaben einer friedlichen
Existenz, der Nachsicht und Vergebung eine Lebenslüge ist, in dem er seinen
Hinauswurf provozieren möchte. Somit setzt er alles daran, seine Wette zu
gewinnen und beginnt sein Zerstörungswerk… Man könnte nicht behaupten, dass
Shaffer in „Shrivings“ (überarbeitet oder nicht) auf dem Höhepunkt seiner
Schaffenskraft ist, zum Glück enthält der Band ja die beiden anderen Stücke.
Will
Berthold: Der Krieg, der nie zu Ende ging.
Mal
was ganz anderes: Der gebürtige Bamberger Will Berthold (1924-2000) war einer
der auflagenstärksten Autoren der Bundesrepublik, sowohl als Sachbuchautor –
hauptsächlich zu Themen des Zweiten Weltkriegs und der NS-Zeit – als auch für
seine populären Romane, die sich zwischen Fiction und Faction ansiedelten. Ein
typischer Bahnhofsbuchhandlungsautor. „Der Krieg, der nie zu Ende ging“ ist ein
deutsch-deutscher Agententhriller aus dem Mauerbaujahr 1961, der im Titel
genannte nie endenwollende Krieg ist dabei einerseits der Kalte, anderseits
jedoch derjenige der alten Naziseilschaften, die in Ost und West noch immer
ihre ganz eigene Zusammenarbeit pflegen. Kann man mal lesen…
Judith
Hermann: Alice.


Cees
Nooteboom: Roter Regen. Leichte Geschichten.
Ein
Band mit zahlreichen kurzen (fast immer) autobiographischen Erzählungen aus der
Feder des niederländischen – schon wieder! – Großmeisters Cees Nooteboom
(geboren 1933). Leichte Geschichten sind es, weil Nooteboom hier sozusagen
unbeschwert Episoden aus seinen Erfahrungen als Reiseschriftsteller als
Ergänzungen zu seinen eigentlichen Reportagen – aber auch zu seinen Romanen –
berichtet, über seine Nachbarn auf Menorca, über seine Kochversuche, über
Krankheiten, Haustiere und Gartenkunst. Und leichte Geschichten sind es auch,
weil sie sich wunderbar lesen lassen. Nooteboom eben.
V.S. Naipaul: The Mimic Men.
Und
noch ein Autor von Reisereportagen und Romanen, nur ein Jahr jünger als
Nooteboom: der Literaturnobelpreisträger (2001) V.S. Naipaul, geboren 1932 auf
Trinidad und Tobago. „The Mimic Men“ lässt einen bereits mit vierzig Jahren
gescheiterten Politiker eines karibischen Inselstaates auf seine Londoner
Studienzeit in ärmlichen Verhältnissen, seine Rückkehr auf die heimatliche
Insel und die dortigen Konflikte der Familie – sein Vater verlässt diese, um
eine Sekte zu gründen – seine kurze Karriere als Politiker und seine
unglückliche, mit Scheidung endende Ehe zurückblicken, Umstände, die ihn wieder
nach London zurückzwingen, nun als Exil. Klingt interessant? Ist es aber
nicht. Unglaublich dröger Roman, quälend zäh zu lesen.
Otto
Knopf: An geheimnisvollen Orten.
Band
mit Erzählungen des oberfränkischen Heimatforschers Otto Knopf (1926-2005) in
erwartbar traditionellem Stil, mehr oder minder geschickt das zeitgenössische
Leben im Frankenwald mit Sagenmotiven der Region verbindend. Durchaus mit
eigenem Reiz, sind die Geschichten im Großen und Ganzen eher etwas für
Liebhaber*innen der ostoberfränkischen Heimat. Zu lesen am besten bei
Kachelofenfeuer in langen Winternächten.
Henry
Mackenzie: The Man of Feeling.
In
der Einleitung des Romans wird eine Aussage von 1788 zitiert: „A Rousseau will
ever be esteemed in France – a Goethe in Germany – and a Fielding and a
Mackenzie will be admired whilst the English language is understood.“ Der Autor
des Vorworts, Brian Vickers, nennt diese Prophezeiung mit freundlichem
britischen Understatement „unlucky“. Gleichwohl war das Buch des Schotten
Mackenzie (1745-1831) ein von Leser*innen und Kolleg*innen gleichermaßen geschätzter
seinerzeitiger Bestseller und ist unzweifelhaft ein Klassiker der
englischsprachigen Literatur. Dass er sich heute – und schon einige Jahrzehnte
nach Erscheinen – anders als Rousseau, Goethe und Fielding nicht mehr der
großen Gunst des Publikums erfreute, lag eher an der allgemeinen Abwendung vom
Genre des sogenannten „sentimentalen Romans“, dessen Hauptexponenten Samuel
Richardsons „Pamela“ und eben Mackenzie darstellten – und das schon bald zur
Parodie herausforderte, unter anderem der genannte Fielding veröffentlichte einen Roman namens
„Shamela“. Warum, wird jedem heutigen Leser und jeder heutigen Leserin schnell
klar: es wird unendlich viel geweint auf diesen Seiten, kein Wunder, erfährt
der Protagonist Harley seine „sentimentale Erziehung“ doch durch die Begegnung
mit allerlei Personen, denen unschuldig übelst mitgespielt wurde. Und so können
er und seine Leidensgenoss*innen sich menschlich bewähren und wir die
Taschentücher auspacken.
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