Geheimnisvolle
Höhlen, ungelöste Rätsel, ein tragisches Ende, das Ganze eingebettet in eine
wunderschöne Landschaft am Seeufer. Was wie der Plot für einen guten
Unterhaltungsroman klingt, ist die Geschichte der Heidenhöhlen, früher
Heidenlöcher genannt, am Bodensee, genauer am Überlinger See zwischen eben
dieser Stadt und dem Nachbarort Sipplingen. Grund genug für uns, sich dorthin
aufzumachen, geleitet von der uns eigenen natürlichen Neugier. Wer jemals
diesen kurzen Abschnitt mit dem Auto oder der Bahn gefahren ist – letzteres
besonders hübsch, da man direkt am Wasser entlang, gewissermaßen über den
Strand, gleitet, übrigens das einzige mal auf der den ganzen See umrundenden
Bahntrassen – dem fallen die bizarren Felsformationen auf, die sich hier sehr
steil hochschwingen, sehr schnell vom Wasserniveau auf gut 400 Metern sich
teils bis auf über 600 Meter. Das hier zutage tretende Gestein ist die für den
Bodensee typische Molasse, was ein bisschen nach Knetmasse klingt, womit man
gar nicht so falsch liegt, handelt es sich doch um zusammengepressten Matsch
des einst hier vor sich hin plätschernden Urmeers – lange vor dem Bodensee und
etwas größer den gesamten heutigen Alpenraum bedeckend – der sich später
verhärtet hat zu Sandstein. Allerdings ist verhärtet leicht übertrieben, manch
andere Gestein könnte darüber nur lachen, wenn es lachen könnte, denn die
Molasse ist vergleichsweise weich. Übrigens: im Gegensatz zum Ufer gegenüber –
dem Bodanrück – setzt sich der Fels unter Wasser nicht in die Tiefe fort, so
imposant die durchfurchten Steilwände oberhalb aussehen, so sanft gleiten sie
unterhalb der Wellen hinein in den See – und verstecken dort zumeist die nicht
sichtbaren Überreste von Pfahlbauten.
Die Molassefelsen zwischen Sipplingen und Überlingen - mit einem der Heidenlöcher. |
In früheren Zeiten wirkten diese Felsen um einiges beeindruckender, denn sie reichten bis an das Wasser heran, eine Straße zwischen Sipplingen und Überlingen gab es nicht bis Mitte des 19. Jahrhunderts, wer von hier nach dort – so wie wir – und zurück wollte, musste sich mit einem schmalen und nicht ungefährlichen Trampelpfad auf einem Teilstück begnügen, der noch dazu bei Hochwasser unpassierbar wurde oder über das Hinterland den offiziellen Fahrweg nutzen, mitsamt Auf- und Abstieg. Das war natürlich ein Problem, insbesondere für die selbstbewusste Reichsstadt Überlingen, aber man hatte für Transporte immerhin auch den See direkt vor der Haustür. Gleichwohl wollte man sich später mit der umständlichen Situation nicht mehr abfinden – mit bösen Folgen, wie noch zu berichten sein wird. Wer heute auf dieser Strecke entlang läuft, kann sich dies kaum mehr vorstellen, zwar geht es hinter Sipplingen noch über Wiesen unterhalb der Molassefelsen vorbei, doch dann sehr lange und unangenehm direkt an der nun vorhandenen Uferstraße, der vielbefahrenen B31, mit der Garantie auf viel Auspuffgase für die Lungenzüge. Fräulein Annika ist da feinstaubmäßig mal wieder fein raus.
Enge Felsengänge in Goldbach enthalten die höhlenartigen Felsenkeller. |
Unheimlich wirken die "Fenster" der Höhlenkeller im Dorf Goldbach. |
Kurz darauf, auf
dem eigentlichen Abschnitt der Goldbacher Heidenhöhlen, müsste nun die erste –
westliche – Abteilung der Höhlen auftauchen, doch sind diese noch mehr
verschwunden als die Katharinenkapelle. Nur von einem Plan kennen wir ihre
etwas seltsamen Grundrisse. Beides, Kapelle und westliche Höhlen, wurde beim
Bau der Uferstraße anno 1846/47 komplett gesprengt, dazu gleich mehr. Was wir
anschließend noch sehr vereinzelt als Öffnungen oben im Fels sehen können, sind
die spärlichen Überreste der östlichen Abteilung. Diese Räume sind etwas besser
dokumentiert, sie waren auch strukturierter angelegt – hier fand sich unter
anderem die Felskapelle mit den frühgotischen Merkmalen, zum Beispiel
Relieffriesen – und hatten größtenteils Kreuzgratgewölbe. Schon die halb
legale, halb illegale Nutzung als Armenhäuser dürfte ihnen massiv geschadet
haben, wie gesagt, Molasse ist ein sehr weiches Gestein, man kann leicht darin
herumritzen. Dies taten dann zudem die Touristen, die sich einst auf gleiche
Art verewigten, wie es 200 Jahre später „Tobi & Luisa 2017“ noch immer zu
tun pflegen. Manch Bodenseeliebhaber von nah und fern protestierte zwar gegen
das Vorhaben des neuen badischen Staates, das enorm teure, weil aufwändige
Projekt einer Uferstraße von Ludwigshafen nach Überlingen nach langer
Diskussion endlich durchzuführen. Doch die ökonomischen Interessen überwogen und
so fielen 1846/47, wie erwähnt, die Katharinenkapelle und die westlichen Höhlen
völlig, die östlichen teilweise dem Straßenbau zum Opfer. Die böse Ironie der
Geschichte ist, dass die Fahrten nun zwar bequemer waren, dies wirtschaftlich
aber der Stadt Überlingen, die so sehr darauf gedrängt hatte, gar nichts
brachte, denn inzwischen hatte die Eisenbahn den Güterverkehr übernommen – und
an diese ließ sich Überlingen aufgrund seiner Lage noch schwerer schwer
anschließen. Man konzentrierte sich immer mehr auf den Tourismus – hatte nun
aber eine der Hauptattraktionen kurzerhand wegsprengen lassen. Daran änderte
auch der dann doch noch erfolgte Bahnbau nichts mehr – der störte zwar die
verbliebenen Heidenhöhlen nicht, da er, wie erwähnt, direkt am Rand des Sees verlief
– kam aber erst um 1900, viel zu spät für einen industriellen Aufschwung (zum
Glück, muss man sagen, so blieb Überlingen eine wunderschöne mittelalterliche
Stadt, nur halt leider ohne Heidenhöhlen
Die Höhlen im Dorf Goldbach vermitteln noch einen Eindruck von den einstigen Heidenlöchern. |
Trotzdem machten
Straße und Bahntrasse den letzten Heidenhöhlen auf lange Sicht den Garaus. Eine
Besichtigung war weiterhin möglich, aber doch sehr beschwerlich. Treppchen und
Geländer mussten angelegt werden, das Interesse war noch immer groß, immerhin
war ja zum Beispiel die Felskapelle unbeschadet geblieben. Doch hatten diese
Besucher den unschönen Nebeneffekt, dass sie buchstäblich in der Molasse ihre
Spuren hinterließen. Umrisse und Innenausstattung der Heidenhöhlen litten und
verformten sich, Stützmaßnahmen der Felsen mussten unternommen werden. Auf der
anderen Seite waren Restaurierungsmaßnahmen sehr kostspielig und oft nur von
begrenzter Auswirkung. 1960 dann die Katastrophe: die Kapelle stürze nach einem
Sturmwetter in sich zusammen. Von den Behörden wurde beschlossen, die
restlichen Heidenhöhlen abzusprengen. Nach vielen Jahrhunderten waren die
einzigartigen Kulturdenkmäler bis auf spärlichste und nicht mehr zugängliche
Überreste für immer verschwunden. Schlimm und unverzeihlich genug, hatte man
sich vorher nicht einmal die Mühe gemacht, die Höhlen vor der Sprengung zu
dokumentieren. Noch 1846 war man schlauer gewesen als 1960, wo man nicht einmal
auf einen Photographen geschweige denn archäologische Expertise zurückgriff.
Darin liegt vielleicht eine – deshalb trotzdem inakzeptable – Gedankenlosigkeit
einer an Monumenten überreichlich gesegneten Kulturlandschaft.
An der Sylversterkapelle Goldbach. |
Schmuckstück am Bodenseeufer: die Sylversterkapelle in Goldbach - eines der ältesten Kirchengebäude am See. |
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