Gerd
Dudenhöfer: Opuscula. Lyrische Gedichte.
In edler Aufmachung im gebundenen Bändchen erschienen die „Werkelchen“ des Gerd Dudenhöfer (geboren 1949), dem breiten Publikum bekannt als Familienvater „Heinz Becker“ und nach dem kürzlich erfolgten Tod von Jochen Senf vielleicht der berühmteste Exponent saarländischen Kulturlebens – zumindest was die Massenwirkung angeht. Unter diese fallen seine Gedichte – vermutlich – eher nicht, schon allein, weil es Gedichte sind. Deren Aufbau ist stets der gleiche: vierzeilige Strophen, nie mehr als fünf, die stets mit der letzten Zeile den hohen Stil des Vorangegangen durch eine banale Bemerkung im saarländischen Dialekt konterkarieren. Das ist nicht brillant, funktioniert aber trotzdem über 100 Seiten erstaunlich gut, lockt eher Schmunzler als brüllendes Gelächter hervor – und erfüllt damit seinen Zweck, nicht mehr, nicht weniger.
Mark
Twain: A Connecticut Yankee at King Arthur’s Court.
Noch
ein „Humorist“, dessen Wirkung aber doch noch ein klitzekleines bisschen weiter
recht als über die Grenzen des Saarlandes hinaus. Twains (1835-1910) berühmte
Zeitreise eines Durchschnittsamerikaners zurück ins 6.Jh., ein Versehen, ist
eine böse Satire auf seine eigene Zeit (und sein Land) am Ende des 19. Jhs.,
gespiegelt an der Artuswelt – nicht an einem historischen Mittelalter also,
sondern der Vorstellung des Mittelalters, wie es das Mittelalter selbst von
sich hatte, auch wenn Twain diese Perspektive nicht immer konsequent beibehält.
Das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten bietet folglich nicht Klamauk,
sonden Kritik an den Zuständen. Die nicht so sehr verschieden sind, wie es
anfangs und äußerlich den Anschein hat – wie allein die Tatsache zeigt, dass
auch in Amerika die Sklaverei erst kürzlich abgeschafft wurde. Der Amerikaner
bringt den Briten des 6. Jhs. die Segnungen seines Zeitalters vom Telefon über
die Republik bis zum Maschinengewehr und zerstört damit deren Lebenswelt.
Twains Roman ist reichlich ambivalent, er lässt keinen Zweifel daran, dass die
feudale Ordnung kein Zuckerschlecken ist, fernab jeglicher Ritterromantik, doch
der Versuch seines Protagonisten, gutwillig für Verbesserung zu sorgen, gelingt
letztlich nur über ein äußerst grausames und fast schon zynisch geschildertes
Massaker. Ein in vielen Abschnitten sehr lustiges Werk mit düsteren Passagen,
manchmal mit Vorsicht zu genießen.
Rodrigo
Hasbún: Die Affekte.
Ein
kurzer Roman des bolivianischen Autors Hasbún (geboren 1981) über einen
Deutschen, der mit seiner Familie nach dem Krieg nach Südamerika flüchtet (er
war ein Kameramann in den Gunsten Leni Riefenstahls), die sich dort mit der
ungewohnten Umgebung auseinandersetzen muss. Während die Mutter bald krank wird
und der Vater sich in neue Abenteuer stützt, Expedition auf der Suche nach
versunkenen Inkastätten im Dschungel, wird aus ihrer Sicht die Entwicklung der
drei Töchter geschildert – unglückliche Ehen, Einsamkeit, Guerillaleben, keiner
gelingt es, sich ein „bürgerlich“ akzeptiertes Leben aufzubauen. Wunderbares Buch
von eindringlicher Lakonie, unbedingt lesenwert!
Raymond
Radiguet: Le bal du comte d’Orgel.
Postum
veröffentlichter Roman des kurz zuvor mit 20 Jahren verstorbenen Radiguet
(1903-1923), dessen mit 17 Jahren veröffentlichter Klassikers Le Diable au Corps („Teufel im Leib“)
wegen des Alters des Autors und der Thematik des Buches ein Skandalerfolg
wurde. Das blieb dem Nachfolger verwehrt, der eine wesentlich gängigere
Eifersuchtsgeschichte im Adels- und Geldmilieu der Hauptstadt Paris schildert. Das
Thema Maskenball als Symbol der sterilen, auf Wahrung des Äußerlichen bedachten
Gesellschaft kommt natürlich nicht von ungefähr. Die Brisanz der Geschichte
wirkt inzwischen an der ein oder anderen Stelle etwas angestaubt, die
Schilderung der Charaktere ist es nicht.
Max
Goldt: Ä.
Max
Goldts (geboren 1953) gesammelte Titanic-Kolumnen von 1995 und 1996. Eigentlich muss man hierzu nichts weiter
schreiben. Einfach nur lesen.
Gabriele
Wohmann: Wanda Lords Gespenster (Hörspiel)/ Rendezvous (Drehbuch)
Kurz
bevor Gabriele Wohmann (1932-2015) starb, äußerte sie sich recht resigniert,
dass dies kaum noch jemand auffallen werde, da die meisten Menschen annehmen
würden, sie sei längst verstorben. Tatsächlich war es in letzter Zeit ruhig
geworden um die Schriftstellerin, die über Jahrzehnte aus der deutschsprachigen
Literaturszene nicht wegzudenken war. Ohne mit einem einzelnen Werk
herauszuragen – was alles andere als despektierlich gemeint ist – hatte
Gabriele Wohmann den Rang einer verlässlichen Größe, eine produktive Autorin,
ohne die lebendige Literatur nicht funktioniert. Fast jeder Schüler und jede
Schülerin der letzten vierzig Jahre dürfte eine von Gabriele Wohmanns
Kurzgeschichten gelesen oder für eine Klassenarbeit interpretiert haben. Die
beiden in dem Bändchen versammelten Stücke – ein Hörspiel und ein Drehbuch –
stehen für die Vielseitigkeit von Wohmanns Schaffen und ihren Blick auf die
Psychologie des Alltäglichen. In „Wanda Lords Gespenster“ führt eine
übermotivierte Interviewerin die Lebenslügen der arrivierten Schriftstellerin
Wanda Lord vor, in „Rendezvous“ zeigt sich, dass auch das Ehebrechen alles
andere als ein frivoles Vergnügen ist.
Samuel
Butler: The Way of All Flesh.
Samuel
Butler (1835-1902) war nie so recht zufrieden mit seinem Roman, weshalb er ihn
jahrzehntelang liegen ließ und nur halbherzig überarbeitete, so dass das Buch
erst nach seinem Tod erschien. Nach der Lektüre kann man seine Bedenken
durchaus verstehen, am Erfolg und der Wirkung des zum Klassiker avancierten
Werkes ändert dies jedoch nichts. Die bahnbrechende Abrechnung mit dem
viktorianischen England würde heute nicht mehr den leisesten Skandal
hervorrufen, doch zu Butlers Zeiten war seine Kritik an der Erziehung, der
Religion, der Geldgläubigkeit und den hohlen Umgangsformen seiner Zeitgenossen ein
Aufreger ohnegleichen. Und so ganz verschwunden sind diese gesellschaftlichen
Unterströmungen keineswegs, Butlers letztlich optimistische Vision einer
gelungenen Emanzipation – die dann doch auch nur durch Geld möglich ist –
scheint eher fragwürdig, heute wie gestern.
Julie
von Kessel: Altenstein.
Roman
in vielen Episoden über das Schicksal einer weitgefächerten Familie von
ostelbischen Adligen von Kriegsende bis kurz nach der Jahrtausendwende. Dreh-
und Angelpunkt ist das brandenburgische Altenstein, einst enteignetes Gut, das
nach der Wende über Umwegen und mit allerlei Streitigkeiten verbunden wieder in
den Besitz der Familie gelangt. Trotz der Bemühungen der Autorin (geboren 1973)
fügen sich die einzelnen Erzählstränge nicht immer zusammen, manches
Nebenereignis bleibt ebenso verloren wie mache Nebenfigur blass, überhaupt
gelingt es von Kessel kaum, echte Sympathien für ihre Figuren zu vermitteln
(vielleicht mit der Ausnahme von Nona, Alexa und Charlotte), man liest das
Geschehen nicht uninteressiert, aber eher ohne große Anteilnahme. Dazu kommen
einige sprachliche Schwächen und Kuriositäten, die einen fragen lassen, was der
Lektor oder die Lektorin an dem Tag wohl so gemacht haben. Sollte es
tatsächlich Menschen geben, die sich mit Büchern beschäftigen, aber nicht
wissen, dass ein Antiquariat etwas anderes ist als ein Antiquitätenladen?
Ursula
Krechel: Nach Mainz!
Ein
Gedichtband aus der Frühzeit der späteren Buchpreisträgerin Ursula Krechel
(geboren 1947), entstanden in den späten 1970ern. Zwar ein zeittypisches
Erzeugnis jener Jahre, getragen von einer gewissen Resignation der verebenden
68er Revolte, sind die oft ironischen, mit zahlreichen klugen
Alltagsbeobachtungen versehenen Gedichte Krechels frei von der Wehleidigkeit
der Neuen Subjektivität oder der Flucht in Esoterik und Dogmatismus. Im
Gegenteil lesen sie sich oft noch immer erstaunlich frisch und machen auf ihre
leise, unaufdringlich daherkommende Art viel Freude – schade eigentlich, dass
das lyrische Talent Krechels kaum größere Resonanz fand, eine Wiederentdeckung
sei absolut empfohlen!
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