Mittwoch, 9. Mai 2018

Lektüremonat April 2018.

 

Gerd Dudenhöfer: Opuscula. Lyrische Gedichte.  

In edler Aufmachung im gebundenen Bändchen erschienen die „Werkelchen“ des Gerd Dudenhöfer (geboren 1949), dem breiten Publikum bekannt als Familienvater „Heinz Becker“ und nach dem kürzlich erfolgten Tod von Jochen Senf vielleicht der berühmteste Exponent saarländischen Kulturlebens – zumindest was die Massenwirkung angeht. Unter diese fallen seine Gedichte – vermutlich – eher nicht, schon allein, weil es Gedichte sind. Deren Aufbau ist stets der gleiche: vierzeilige Strophen, nie mehr als fünf, die stets mit der letzten Zeile den hohen Stil des Vorangegangen durch eine banale Bemerkung im saarländischen Dialekt konterkarieren. Das ist nicht brillant, funktioniert aber trotzdem über 100 Seiten erstaunlich gut, lockt eher Schmunzler als brüllendes Gelächter hervor – und erfüllt damit seinen Zweck, nicht mehr, nicht weniger.

 
Mark Twain: A Connecticut Yankee at King Arthur’s Court.

Noch ein „Humorist“, dessen Wirkung aber doch noch ein klitzekleines bisschen weiter recht als über die Grenzen des Saarlandes hinaus. Twains (1835-1910) berühmte Zeitreise eines Durchschnittsamerikaners zurück ins 6.Jh., ein Versehen, ist eine böse Satire auf seine eigene Zeit (und sein Land) am Ende des 19. Jhs., gespiegelt an der Artuswelt – nicht an einem historischen Mittelalter also, sondern der Vorstellung des Mittelalters, wie es das Mittelalter selbst von sich hatte, auch wenn Twain diese Perspektive nicht immer konsequent beibehält. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten bietet folglich nicht Klamauk, sonden Kritik an den Zuständen. Die nicht so sehr verschieden sind, wie es anfangs und äußerlich den Anschein hat – wie allein die Tatsache zeigt, dass auch in Amerika die Sklaverei erst kürzlich abgeschafft wurde. Der Amerikaner bringt den Briten des 6. Jhs. die Segnungen seines Zeitalters vom Telefon über die Republik bis zum Maschinengewehr und zerstört damit deren Lebenswelt. Twains Roman ist reichlich ambivalent, er lässt keinen Zweifel daran, dass die feudale Ordnung kein Zuckerschlecken ist, fernab jeglicher Ritterromantik, doch der Versuch seines Protagonisten, gutwillig für Verbesserung zu sorgen, gelingt letztlich nur über ein äußerst grausames und fast schon zynisch geschildertes Massaker. Ein in vielen Abschnitten sehr lustiges Werk mit düsteren Passagen, manchmal mit Vorsicht zu genießen.
 

Rodrigo Hasbún: Die Affekte.

Ein kurzer Roman des bolivianischen Autors Hasbún (geboren 1981) über einen Deutschen, der mit seiner Familie nach dem Krieg nach Südamerika flüchtet (er war ein Kameramann in den Gunsten Leni Riefenstahls), die sich dort mit der ungewohnten Umgebung auseinandersetzen muss. Während die Mutter bald krank wird und der Vater sich in neue Abenteuer stützt, Expedition auf der Suche nach versunkenen Inkastätten im Dschungel, wird aus ihrer Sicht die Entwicklung der drei Töchter geschildert – unglückliche Ehen, Einsamkeit, Guerillaleben, keiner gelingt es, sich ein „bürgerlich“ akzeptiertes Leben aufzubauen. Wunderbares Buch von eindringlicher Lakonie, unbedingt lesenwert!
 

Raymond Radiguet: Le bal du comte d’Orgel.

Postum veröffentlichter Roman des kurz zuvor mit 20 Jahren verstorbenen Radiguet (1903-1923), dessen mit 17 Jahren veröffentlichter Klassikers Le Diable au Corps („Teufel im Leib“) wegen des Alters des Autors und der Thematik des Buches ein Skandalerfolg wurde. Das blieb dem Nachfolger verwehrt, der eine wesentlich gängigere Eifersuchtsgeschichte im Adels- und Geldmilieu der Hauptstadt Paris schildert. Das Thema Maskenball als Symbol der sterilen, auf Wahrung des Äußerlichen bedachten Gesellschaft kommt natürlich nicht von ungefähr. Die Brisanz der Geschichte wirkt inzwischen an der ein oder anderen Stelle etwas angestaubt, die Schilderung der Charaktere ist es nicht.
 

Max Goldt: Ä.

Max Goldts (geboren 1953) gesammelte Titanic-Kolumnen von 1995 und 1996.  Eigentlich muss man hierzu nichts weiter schreiben. Einfach nur lesen.
 

Gabriele Wohmann: Wanda Lords Gespenster (Hörspiel)/ Rendezvous (Drehbuch)

Kurz bevor Gabriele Wohmann (1932-2015) starb, äußerte sie sich recht resigniert, dass dies kaum noch jemand auffallen werde, da die meisten Menschen annehmen würden, sie sei längst verstorben. Tatsächlich war es in letzter Zeit ruhig geworden um die Schriftstellerin, die über Jahrzehnte aus der deutschsprachigen Literaturszene nicht wegzudenken war. Ohne mit einem einzelnen Werk herauszuragen – was alles andere als despektierlich gemeint ist – hatte Gabriele Wohmann den Rang einer verlässlichen Größe, eine produktive Autorin, ohne die lebendige Literatur nicht funktioniert. Fast jeder Schüler und jede Schülerin der letzten vierzig Jahre dürfte eine von Gabriele Wohmanns Kurzgeschichten gelesen oder für eine Klassenarbeit interpretiert haben. Die beiden in dem Bändchen versammelten Stücke – ein Hörspiel und ein Drehbuch – stehen für die Vielseitigkeit von Wohmanns Schaffen und ihren Blick auf die Psychologie des Alltäglichen. In „Wanda Lords Gespenster“ führt eine übermotivierte Interviewerin die Lebenslügen der arrivierten Schriftstellerin Wanda Lord vor, in „Rendezvous“ zeigt sich, dass auch das Ehebrechen alles andere als ein frivoles Vergnügen ist.
 

Samuel Butler: The Way of All Flesh.

Samuel Butler (1835-1902) war nie so recht zufrieden mit seinem Roman, weshalb er ihn jahrzehntelang liegen ließ und nur halbherzig überarbeitete, so dass das Buch erst nach seinem Tod erschien. Nach der Lektüre kann man seine Bedenken durchaus verstehen, am Erfolg und der Wirkung des zum Klassiker avancierten Werkes ändert dies jedoch nichts. Die bahnbrechende Abrechnung mit dem viktorianischen England würde heute nicht mehr den leisesten Skandal hervorrufen, doch zu Butlers Zeiten war seine Kritik an der Erziehung, der Religion, der Geldgläubigkeit und den hohlen Umgangsformen seiner Zeitgenossen ein Aufreger ohnegleichen. Und so ganz verschwunden sind diese gesellschaftlichen Unterströmungen keineswegs, Butlers letztlich optimistische Vision einer gelungenen Emanzipation – die dann doch auch nur durch Geld möglich ist – scheint eher fragwürdig, heute wie gestern.
 

Julie von Kessel: Altenstein.

Roman in vielen Episoden über das Schicksal einer weitgefächerten Familie von ostelbischen Adligen von Kriegsende bis kurz nach der Jahrtausendwende. Dreh- und Angelpunkt ist das brandenburgische Altenstein, einst enteignetes Gut, das nach der Wende über Umwegen und mit allerlei Streitigkeiten verbunden wieder in den Besitz der Familie gelangt. Trotz der Bemühungen der Autorin (geboren 1973) fügen sich die einzelnen Erzählstränge nicht immer zusammen, manches Nebenereignis bleibt ebenso verloren wie mache Nebenfigur blass, überhaupt gelingt es von Kessel kaum, echte Sympathien für ihre Figuren zu vermitteln (vielleicht mit der Ausnahme von Nona, Alexa und Charlotte), man liest das Geschehen nicht uninteressiert, aber eher ohne große Anteilnahme. Dazu kommen einige sprachliche Schwächen und Kuriositäten, die einen fragen lassen, was der Lektor oder die Lektorin an dem Tag wohl so gemacht haben. Sollte es tatsächlich Menschen geben, die sich mit Büchern beschäftigen, aber nicht wissen, dass ein Antiquariat etwas anderes ist als ein Antiquitätenladen?
 

Ursula Krechel: Nach Mainz!

Ein Gedichtband aus der Frühzeit der späteren Buchpreisträgerin Ursula Krechel (geboren 1947), entstanden in den späten 1970ern. Zwar ein zeittypisches Erzeugnis jener Jahre, getragen von einer gewissen Resignation der verebenden 68er Revolte, sind die oft ironischen, mit zahlreichen klugen Alltagsbeobachtungen versehenen Gedichte Krechels frei von der Wehleidigkeit der Neuen Subjektivität oder der Flucht in Esoterik und Dogmatismus. Im Gegenteil lesen sie sich oft noch immer erstaunlich frisch und machen auf ihre leise, unaufdringlich daherkommende Art viel Freude – schade eigentlich, dass das lyrische Talent Krechels kaum größere Resonanz fand, eine Wiederentdeckung sei absolut empfohlen!                    

              

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