Amos Oz: Im Lande Israel.
Im
Jahr 1982, im Libanon herrschte gerade ein Bürgerkrieg, in den auch Israel
involviert war, reist Amos Oz (1939-2018) durch sein Heimatland und sprach mit
vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft und politischer Einstellung. Die
Gespräche fasste er zusammen, veröffentlichte sie erst nach und nach in einer
israelischen Zeitung und schließlich im vorliegenden Buch. Oz‘ Anliegen war,
möglichst viele Seiten der Gesellschaft zu repräsentieren, dies ungefiltert,
wobei etwas problematisch war, dass er selbst als öffentlich bekannte Person
und wahrgenommen als linker Intellektueller, bei seinen Gesprächspartner*innen
bereits Reaktionen hervorrief – die er ebenfalls ungefiltert dokumentierte. Er
besuchte junge jüdische Siedler im Westjordanland, Palästinenser im
Gazastreifen, orthodoxe, streng religiöse Juden, gemäßigte Mitglieder einer
arabischen Zeitungsredaktion, Einwanderer aus den Tagen vor der Staatsgründung
und einige mehr. Die Tendenz ist deutlich: die israelische Gesellschaft ist
stark fragmentiert, sie liebt es zu politisieren, spitzt aber ihre Positionen
oft so scharf zu, dass Unversöhnlichkeit entsteht – nicht bei allen –, was sich
auch darin zeigt, dass kaum einer der Beiträger*innen, wie Oz in einem Nachtrag
offenlegt, sich von ihm richtig wiedergegeben sieht. Zwar ist der Hintergrund
eines gerade herrschenden Krieges zu berücksichtigen und die leisen
Hoffnungstöne dürfen nicht überhört werden, doch die Uneinigkeit der Israelis
untereinander und der Konflikt mit den Palästinensern bildeten bereits damals den
Kern, der das Alltagsleben aller Bewohner ohne Aussicht auf baldige Lösungen
bestimmte. Dies hat sich auch nach gut vierzig Jahren nicht geändert.
Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten.
Es gibt eine Szene in Hermann Kestens (1900-1996) Portaitbuch, in der er im Exil gemeinsam mit Joseph Roth und Heinrich Mann an der südfranzösischen Küste in einem Café sitzt. Heinrich Mann erkundigt sich nach dem Verbleib des Schriftstellerkollegen Jakob Wassermann, Kesten und Roth müssen ihm etwas verlegen berichten, dass Wassermann bereits seit einigen Jahren tot sei. Mann fallen noch einige Bekannte ein, von denen er länger nichts mehr gehört habe, jedesmal und jedesmal mit größerem Zögern müssen Kesten und Roth eingestehen, dass auch diese tot seien. Selbst Magnus Hirschfeld, den Kesten zu seiner Erleichterung noch gestern angetroffen hatte, ist in der vergangenen Nacht, so Roth, verstorben. Konsterniert verlässt Heinrich Mann das Café. Die Szene ist zwar stark stilisiert, erkennbar durch den immergleichen Ablauf der Fragen, Kesten hat jedoch sicher nur ein echtes Erlebnis auf dieses eine Gespräch konzentriert, das die traurige Situation der Exilant*innen zusammenfasste. Und es ist gewissermaßen auch die Situation seines Buches. Denn der doppeldeutige Titel ist einerseits eine Hommage an verdiente Vorbilder – im kürzeren zweiten Teil – vor allem aber eine lebendige Schilderung der tatsächlichen Freundschaften Kestens mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus der schreibenden Zunft – von denen die meisten Exilant*innen und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung längst tot waren. Physisch und oft auch im Gedächtnis der Leser*innen. Was sich für uns heute liest wie eine Literaturgeschichte der klassischen Moderne von den Gebrüdern und Klaus Mann über Tucholsky, Toller, Feuchtwanger, Kästner, Döblin bis Stefan Zweig und Joseph Roth, musste oft erst wieder neu entdeckt werden zu Zeiten von Kestens Buch. Und er war gut geeignet, diese Aufgabe zu übernehmen, eben aufgrund seiner genauen Kenntnis von Autor*innen und ihrer Werke, wie seine durchaus mitunter auch kritischen, aber doch stets liebevollen Artikel bezeugen. Ärgerlich an dem Band ist nur, dass er – obwohl es sich um eine „Werkausgabe“ handelt, die genau das Gegenteil nahelegt – eine nicht geringe Zahl an Portraits weglässt und dann, wie um uns auch noch gesondert aufzuzeigen, was wir verpassen werden, die gestrichenen Autor*innen – und es sind keineswegs vernachlässigbare! – vorher anführt. Allerdings scheint Kesten selbst hierzu – leider – seine Zustimmung gegeben haben. Wir hätten gern mehr statt weniger gelesen.
Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels.
Richard Ford: Verdammtes Glück.
Der
Vietnam-Veteran Harry Quinn ist in eine mexikanische Stadt gereist, wo er
versuchen soll, den Bruder seiner Ex-Freundin, der wegen Drogenschmuggel im
Gefängnis sitzt, möglichst aus diesem herauszubekommen. Nun, nach gut einem
Monat, scheint sich endlich eine Chance zu bieten, mit Hilfe eines heimischen
Rechtsanwaltes, der mit den im Hintergrund laufenden, undurchschaubaren
Prozessen und Besonderheiten des mexikanischen Systems und vor allem der Unterwelt vertraut ist. Rae,
Harrys Ex-Freundin, soll mit einem Geldbetrag aus den USA einfliegen, mit dem Quinn ihren Bruder freikaufen kann, der im Knast zunehmend unter die Räder
kommt. Doch nichts läuft wie geplant: Rae bringt zwar das Geld, doch nun wird
alles immer komplizierter, gewalttätiger und undurchdringlicher. Die örtlichen
Drogenbosse kommen mit ins Spiel, weil sie Sonny, den Bruder, in Verdacht
haben, einen Teil des Schmuggelgutes beiseite geschafft zu haben. Es ist aber
nicht klar, an wen man sich wenden muss, um dieses „Missverständnis“
auszuräumen, mehrere Gestalten tauchen auf, die irgendwie verwickelt zu sein
scheinen, aber wer hat wirklich etwas zu sagen? Und auf welcher Seite steht
eigentlich der Rechtsanwalt? Sonny wird im Gefängnis malträtiert, aber ihm kann man
ebenso wenig vertrauen wie den restlichen Mitspieler*innen. Und hängen die
Gewalttaten in der zunehmend unsicheren Stadt mit den Drogengeschäften
zusammen? Harry Quinn versucht, Klarheit und Übersicht und zu be- auch an
seinem Auftrag festzuhalten, aus noch immer vorhandener Liebe zu Rae. Aber
nichts läuft so wie erhofft. Sehr hartes Frühwerk von Richard Ford (geboren
1944), kaum verwandt mit seinen späteren Romanen, eher etwas für
Liebhaber*innen von anspruchsvoller hard-boiled-Literatur.
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