Dienstag, 26. Mai 2020

Zeugnis einer mutigen Frau: Ricarda Huchs Brief an die Sektion für Dichtkunst.


Am 14. Februar 1933 hatte Heinrich Mann einen Aufruf zur Bildung einer sozialistischen Einheitsfront aus KPD und SPD zur Bekämpfung der neuen deutschen Regierung Hitler unterzeichnet. Er tat dies als engagierter Schriftsteller, nicht in seiner Funktion des Vorsitzenden der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, doch lieferte er damit eben jener Regierung den Vorwand, ihn aus dieser Position zu entfernen.
Die Aufsicht über diese - noch junge, erst 1926 gegründete - Institution hatte nämlich, da es sich um eine staatliche Einrichtung handelte, das preußische Kulturministerium, zu diesem Zeitpunkt unter kommissarischer Leitung des Nationalsozialisten Bernhard Rust. Die Mitglieder der Sektion, schon immer gespalten in einen konservativ bis völkischen und einen progressiven, republikanischen Teil, setzten dem Druck von oben, Heinrich Mann zum Rück- und Austritt zu bewegen, den dieser auch vollzog, keine einheitliche Position entgegen, man schwankte zwischen Akzeptanz, Aussitzen und - in der Minderheit - Protest. Die laue Positionierung führte schlußendlich zum Austritt weiterer Mitglieder, darunter Heinrichs Bruder Thomas Mann, ein enormer Verlust für das Ansehen der Akademie. Dass Unterbinden einer scharfen Protestnote ging vor allem auf das Betreiben von Gottfried Benn zurück, der sich auch im Folgenden als die maßgebliche Figur in der vorweggenommenen Gleichschaltung der Sektion für Dichtkunst erwies, dabei unterstützt vom Präsidenten der Gesamtakademie, dem Komponisten Max von Schillings. 
Benn formulierte eine Erklärung in der Art einer Ergebenheitsadresse, die von den verbliebenen Mitgliedern der Sektion einzeln unterzeichnet werden sollte: "Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage." Der Wortlaut dieser Mischung aus selbstauferlegtem Maulkorb und Anbiederung an das Regime sollte naturgemäß auch dazu dienen, unliebsame Mitglieder möglichst elegant loszuwerden, von denen man im Voraus annehmen konnte, dass sie sich weigern würden, solch eine Erklärung abzugeben. 18 Ja-Antworten trafen ein, manche aus Überzeugung, manche (wenige), in der Hoffnung, damit erst einmal eine erste Phase der Unruhe überstehen zu können, Hermann Bahr war zu krank, um zu antworten, Rudolf Pannwitz und Thomas Mann erklärten ihre Ablehnung und ihren Austritt, Alfons Paquet lehnte ebenfalls ab und wurde daraufhin ausgeschlossen, René Schickele wollte nähere Erläuterungen, trat dann aber ebenfalls aus. Jakob Wassermann hatte wie auch Alfred Döblin - berechtigte - Zweifel, ob seine Mitarbeit aufgrund seiner jüdischen Herkunft überhaupt erwünscht sei, letzterer erklärte die Niederlegung seiner Mitgliedschaft. Dem unschlüssigen Wassermann wurde die Entscheidung abgenommen, als er wie alle anderen verbliebenen jüdischen Mitglieder kurz darauf der Akademie verwiesen wurde. Leonhard Frank, über dessen - ablehnende - Haltung kein Zweifel bestehen konnte, beantwortete das Schreiben nie, worauf man ihn ebenfalls hinauswarf.
Und dann war da noch Ricarda Huch. Sie lehnte die Loyalitätserklärung ebenfalls ab, was die Akademieführung ähnlich schmerzte wie der Abgang Thomas Manns. Anders als bei diesem glaubte man aber bei der tendenziell konservativen, wenn auch in jeder Hinsicht unabhängigen Ricarda Huch, damals fast 70 Jahre alt, womöglich einen Stimmungsumschwung herbeiführen zu können. Akademiepräsident Max von Schillings schrieb ihr dreimal, doch änderte dies nichts an Huchs Haltung. Ihr letzter Brief ist ein großes Zeugnis einer mutigen Denkerin, die sich von niemandem vereinnahmen lassen wollte, und der im Tonfall und im Inhalt nichts an Klarheit zu wünschen übrig ließ. Er steht für eine der wenigen aufrechten Bekenntnisse jener Tage, verfasst am 16. März 1933:                         

"Lassen Sie mich zuerst Ihnen danken für das warme Interesse, das Sie an meinem Verbleiben in der Akademie nehmen. Es liegt mir daran, Ihnen verständlich zu machen, warum ich Ihrem Wunsche nicht entsprechen kann.
Daß ein Deutscher deutsch empfindet, möchte ich fast für selbstverständlich halten; aber was deutsch ist, und wie Deutschtum sich betätigen soll, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, der Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll. Bei einer so sehr von der staatlich vorgeschriebenen abweichenden Auffassung halte ich es für unmöglich, in einer staatlichen Akademie zu bleiben. 
Sie sagen, die mir von der Akademie vorgelegte Erklärung werde mich nicht an der freien Meinungsäußerung hindern. Abgesehen davon, daß 'eine loyale Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage' eine Übereinstimmung mit dem Programm der Regierung erfordert, die bei mir nicht vorhanden ist, würde ich keine Zeitung oder Zeitschrift finden, die eine oppositionelle Meinung druckte. Da bleibt das Recht der freien Meinungsäußerung in der Theorie stecken.
Sie erwähnen die Herren Heinrich Mann und Dr. Döblin. Es ist wahr, daß ich mit Herrn Heinrich Mann nicht übereinstimmte, mit Herrn Dr. Döblin tat ich es nicht immer, aber doch in manchen Dingen. Jedenfalls möchte ich wünschen, daß alle nichtjüdischen Deutschen so gewissenhaft suchten, das Richtige zu erkennen und zu tun, so offen, ehrlich und anständig wären, wie ich ihn immer gefunden habe. Meiner Ansicht konnte er angesichts der Judenhetze nicht anders handeln als er getan hat.
Daß mein Verlassen der Akademie keine Sympathiekundgebung für die genannten Herren ist, trotz der besonderen Achtung und Sympathie, die ich für Herrn Dr. Döblin empinde, wird jeder wissen, der mich persönlich aus meinen Büchern kennt. 
Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Akademie."

Ricarda Huch zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, blieb aber in Deutschland und überlebte trotz Nöten und Repressalien das "Dritte Reich" und den Krieg. 
Die zurückgetretenen Mitglieder*innen wurden durch völkische, rechtsnationale und konservative Autor*innen ersetzt, die heute alle fast vollständig und zurecht vergessen sind. Nicht nur wegen ihrer damaligen Haltung, sondern vor allem auch wegen ihrer bestenfalls mediokren literarischen Leistungen. Dies gilt nicht für Gottfried Benn, der für seinen intriganten Kurs, seine öffentliche Parteinahme für den Nationalsozialismus und seine lautstarke Verunglimpfung emigrierter Kolleg*innen vom Regime keinewegs, wie erhofft, zur geistigen Führungskraft erkoren, sondern später selbst fallengelassen und als krankhafter Autor geschmäht wurde. Zu ihm hat Klaus Mann letztlich alles gesagt, was zu sagen ist. 
      
Der Brief ist zitiert nach:
Inge Jens: Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste dargestellt nach Dokumenten. München: 1979, S. 211. 
            

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