Peter
Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. st 2777
Es gehört zu den
Rätseln der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur mit gewissen tragischen
Zügen, dass Peter Weiss (1916-1982), der mit Theaterstücken wie „Die
Ermittlung“ und „Marat“ die Bühne äußerst erfolgreich revolutioniert hat,
dessen Prosaband „Abschied von den Eltern“ zur Schullektüre wurde und der sich
gesellschaftlich stark engagierte, im Bewusstsein der Öffentlichkeit anders als
seine Zeitgenossen Martin Walser, Günter Grass oder Siegfried Lenz, über einen
kleinen Kreis hinaus nicht vorhanden ist. Dies gilt – leider – nicht minder für
sein großes Romanprojekt, das in drei Teilbänden 1975, 1979 und kurz vor seinem
Tod 1981 erschien: Die Ästhetik des Widerstands. Wer sich von dem zwar
etwas spröden, doch zugleich ebenso treffenden wie faszinierenden Titel oder
gar dem Umfang von fast exakt 1200 Seiten abschrecken lässt, begeht einen
enormen Fehler – die Leser*innen der Ästhetik des Widerstands mögen
nur ein kleiner Kreis sein, für sie aber wurde der Roman das, was heute mit dem
inflationären Begriff „Kultbuch“ belegt wird. Wenn die Schüler sie fragen
würden, ob ein Buch einen Menschen wirklich zum Handeln bringen könne, würde
sie all die Bücher aufzählen, die es fertiggebracht hatten, in einem
Menschen den Drang nach Handlung zu wecken (1156), eine Hoffnung,
die Weiss sicher auch mit seinem Buch verband.
Wie in seinen
Theaterstücken auch, leicht macht Weiss den Leser*innen den Zugang nicht. Zwar
bedient er sich einer realistischen Erzähltechnik, doch ist der Text absatzlos
fortlaufend, nur hin und wieder tritt ein erkennbarer Abschnitt ein, die
Dialoge sind äußerlich nicht unterscheidbar von den Beschreibungen. Auch
inhaltlich scheint Weiss sofort hohe Hürden aufzubauen, indem er mit einer
Diskussion über Kunst und sogenannter Ekphrasis beginnt, detailreicher
Beschreibung eines Kunstwerks – natürlich ist dies programmatisch, der Titel
muss, in diesem Falle auf dem vorderen Teil betont, immer als Leitmotiv im
Gedächtnis bleiben. Trockene Gelehrtenprosa ist Weiss’ Sache gleichwohl nicht,
er setzt sofort sein Hauptanliegen in Sprache um, indem er die
Auseinandersetzung und Betrachtung um den Pergamon-Fries in Berlin drei junge
Arbeiter führen lässt – drei kommunistisch geprägte Männer um die Zwanzig
(11), die 1936 aus dem antiken Kunstwerk Rückschlüsse ziehen wollen auf ihre
Aufgabe: den Widerstand gegen Nationalsozialismus. Wer dies für eine absurde
Verbindung hält, dem wird Weiss vorführen, wie falsch er mit solchem
Schnellschluss liegt, wie kurz gedacht solch ein Abtun ist – und er wird es
mehrfach, an zahlreichen Kunstwerken, die eben für ihn eine Ästhetik des
Widerstandes verkörpern, manchmal mal als der dahinterstehende Künstler, von
neuem belegen. Es gehört zu seiner grundlegenden Motivation, die Kunst und
Literatur als vermeintlich Elitäres, nur dem Gebildeten, dem Akademiker
Zugänglichen aus dieser oft bewusst errichteten Nische herauszuführen, sie der
Allgemeinheit zurückzugeben und gegen Vorurteile auch von Seiten der
arbeitenden Schichten zu verteidigen – deshalb hat es, wie erwähnt, etwas
geradezu Tragisches, dass Weiss selbst, wie man eingestehen muss, es nicht
geschafft hat, selbst eine breitere Wirkung zu entfalten.
Einmal hatten
wir uns wütend davon losgesagt, dass die Lektüre eines Buchs, der Besuch einer
Kunstgalerie, eines Konzertsaals, eines Theaters für uns mit zusätzlichem
Schweiß und Kopfzerbrechen verbunden wäre. Inzwischen gehörten die Versuche,
der Sprachlosigkeit zu entkommen, zu den Funktionen unsres Daseins, was wir
dabei fanden, waren erste Artikulierungen, es waren Grundmuster, von denen aus
das Verstummen überwunden und die Schritte in einen kulturellen Bereich
vermessen werden konnten (67), durch die Schwere der Arbeit und des Alltags
wollen sie sich nicht mehr durch die Eliten – und deren überlegene
Möglichkeiten – vom eigenständigen Denken abhalten lassen, sie argumentieren
gegen das Klischee vom sinnlosen Beschäftigen mit der Kunst, Kultur wird ihnen
zur schwer erkämpften Erkenntnismöglichkeit gegen das Elitäre – um es zu
entlarven. Und dies gerade in Zeiten der Bedrohung: Selbst wenn unsere
Gespräche dann alltäglich schienen oder sich zu sammeln begannen, immer waren
sie beschwert durch die Nähe einer tödlichen Gefahr (33). Gesucht wird das
Widerständige auch in scheinbar längst auserklärten, dem Bildungsbürger
vertrauten, ihn beruhigenden Klassikern wie dem erwähnten Pergamonfries, dem
„Floß der Medusa“ von Géricault oder, einem Leitmotiv des Romans, der Figur des
Herakles. Während die Aristokraten ihre Denker zu immer größeren
Anstrengungen trieben, um sich die fernen Taten des Herakles zu ihrem Vorteil
ausmalen zu lassen, sprachen die Eigentumslosen von ihm als dem ihren (29)
– das hohe Reflexionsniveau des Buches, das skeptische Hinterfragen der eigenen
Erkenntnisse und Entwicklung, wiederum ein Hauptkennzeichen des Werkes, zeigt
sich auch unter anderem daran, dass diese Positionen nicht festgeschrieben
werden; steckt unter der Erzählung über Herakles wirklich die Geschichte eines
Aufbegehrens oder ist dieser nur ein Inspirator des Kolonialismus (391),
ein Ehrgeizling, der den Göttern und Kaufleuten gar zu pass kam, die ihn
schließlich aufnahmen beziehungsweise zu ihrem Schutzherrn erkoren? Gestaltet
und geschult werden die Fragen aber nicht nur in der Betrachtung vergangener
Kunstwerke, sondern – im zweiten Band – auch bei der aktiven Verfertigung,
beispielhaft bei der Entstehung eines Stückes von Brecht.
Ein Stück, das
nie vollendet werden wird. Weiss lässt keinen Zweifel daran, wie notwendig die
Ästhetik des Widerstands ist, dass sie eine Sinngebung für das geistig integere
Überleben darstellt – doch ebenso wenig Zweifel lässt er daran, wie ambivalent
dieses Vorhaben ist, wie undurchschaubar, teils hoffnungslos und in der Mehrheit
der Fälle zum Scheitern verurteilt. Eine genaue Lektüre allein der allerersten
Seite des Romans, Beginn der Beschreibung des Pergamonfrieses, offenbart eine
Fülle an Wendungen der Verletzbarkeit, des Gebrochenen und Besiegten: zu
Fragmenten zersprengt, Torso, geborstnen Hüfte, verschorften Brocken, hier und
da ausgelöscht, ein zerschundnes Gesicht, mit klaffenden Rissen, leer
starrenden Augen, nah seinem verwitterndem Ende, mürbe Bruchstücke, raue
Stümpfe, zu rohem Oval gespaltener Kopf, zerstückelten Hände, im stumpfen Fels
ertrinkenden Flügel (alle 9). Dies ist programmatisch. Selbst die drei
zugrundeliegenden historischen Ereignisse der jeweiligen Bände spiegeln diese –
vermeintliche – Vergeblichkeit wider: die Niederlage gegen den Faschismus im Spanischen
Bürgerkrieg, die ständige Bedrohung mit Ausweisung im schwedischen Exil und der
Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes sowie die Entdeckung der Widerstandsgruppe
„Rote Kapelle“ und die folgende Hinrichtung ihrer Mitglieder – deren
Beschreibung uns Weiss in seiner akribischen Manier nicht erspart, ein
unglaublich eindringliches Stück Literatur. Zwar Endet der Roman mit der
Niederlage der Nazis, wirft aber den Blick voraus auf den Kalten Krieg,
billigen Trost spendet er nicht.
Ebenso wenig wie einfache Erklärungen und
Denkmuster. Der Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg wird nicht geprägt von den
äußeren Kämpfen, sondern von den Querelen innerhalb der Internationalen
Brigaden. Diese ziehen sich durch den gesamten Text, liegt doch die Schwäche
des Widerstandes nicht nur in der geringen Anzahl der Mutigen, sondern auch in
deren Uneinigkeit, geprägt durch die Vorgaben aus Moskau, das dem Protagonisten
statt Orientierung nur Verwirrung verheißt. Die Stalinschen Säuberungen, die
Sabotage der Volksfrontbestrebungen, die Anbiederung an den Hitlerstaat durch
den Nichtangriffspakt 1939, die ständige Denunziation verdienter Genossen,
deren Verschwinden, Selbstmord oder offenkundige Ermordung, ein Klima der
Unfreiheit selbst im kleinen Kreis, Misstrauen musste dem begegnen, dessen
Ansichten nicht mit dem bestimmten Muster übereinstimmten (277). So wie
Weiss für eine Ästhetik des Widerstandes schreibt, so schreibt er auch gegen
die Umdeutung, das Kaschieren und Klittern, was wir festhalten wollten, war
bereits von einem dichten Gewebe lügenhafter Geschichtsschreibung umhüllt, die
Vorgänge standen im Begriff, zwischen Mythen unterzugehen, und es galt dies für
beide Seiten, die unsre und die des Gegners (636). Dem setzt Weiss sein
eigenes, subjektives, aber um Objektivität bemühtes dichtes Gewebe entgegen,
das uns das Negative nicht erspart, sondern dieses in das Projekt, am
Widerstand festzuhalten, mit integriert, denn eines hat immer zu gelten: Allen
war die Fähigkeit gegeben nachzudenken (419).
Vorgänger (Teil 17): Max Frisch - Homo Faber.
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