Bertolt Brecht: Dreigroschenroman. st 2804
Wirtschaftskrimis sind in der Weltliteratur ein eher spärlich gesätes Phänomen. Zolas Börsenroman „Das Geld“ könnte man dem Genre zuordnen, vielleicht aus sein „Das Paradies der Damen“, doch drängt sich bei beiden dieses Etikett nicht primär auf. So gesehen ist Brechts (1989-1956) Dreigroschenroman nicht nur innerhalb seines eigenen Gesamtwerkes als einziger längerer Prosatext ungewöhnlich, sondern auch als Literaturform, die sonst selten die Gipfel der Höhenkammliteratur erklimmt, wo man die Sprache den Zahlen vorzieht. Diese kommen allerdings in Brechts Text so gut wie nicht vor, dort geht es, was nicht weniger trocken klingt – ein weiteres Kriterium, das Autor*innen von diesem Genre abschrecken mag –, um die tieferliegenden Strukturen des modernen Kapitalismus. Es braucht dann vermutlich auch einen Autor vom Range Brechts, um diesen Stoff in spannende Handlung zu überführen. Dass er sich dazu eines Kniffes bedient, nämlich sich auf seine äußerst erfolgreiche „Dreigroschenoper“ (1928) zu beziehen, ist schon ein erster sehr cleverer Schachzug. Verbindungen sind zwar vorhanden – etwa in Form übernommener Gedichte als Kapiteleinleitungen – die erzählte Geschichte ist jedoch eine andere.
Der Roman, 1936 im Exil verfasst, spielt im Großbritannien, besser im London des Burenkrieges. Dieses Datum war – und ist – so gut wie beliebig, Brecht brauchte zwar als Hintergrund einen Krieg, aber einen solchen gibt es ja bis heute immer und mehrfach irgendwo auf der Welt; man muss als Staat auch nicht mehr aktiv in ihn verwickelt sein – durch Entsendung von Truppen wie im Roman –, heutzutage sind schließlich nicht wenige vermeintlich friedliebende Länder durch Waffenverkäufe an weit entfernten Konflikten beteiligt. London war das Symbol des englischen Empires, bei Brecht naturgemäß gleichzusetzen mit imperialistischem Kapitalismus, schon damals Banken- und Finanzzentrum, aber auch hiermit nicht sonderlich verschieden von irgendeinem globalisierten Wirtschaftszentrum unserer Tage. Es verwundert kaum und drängt sich regelrecht auf, dass ein Absatz aus dem Dreigroschenroman zu einem der häufigsten Zitate seit der Finanzkrise 2008 wurde. Ich denke nicht daran, zu sagen, dass er [sein Beruf] seinem inneren Wesen nach veraltet wäre. Das wäre zu weit gegangen. Nur der Form nach, Grooch, ist er zurückgeblieben. Sie sind ein kleiner Handwerker, damit ist alles gesagt. Das ist ein untergehender Stand, das werden Sie mir nicht bestreiten. Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was, mein lieber Grooch, ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes? (244). Der Beruf, den Macheath für überholt hält, wenn auch nur in der ineffizienten Art der Ausführung im Kleinformat, ist der des Einbrechers – er selbst kommt aus dieser Berufssparte und geht den von ihm vorgeschlagenen Weg: er wird nicht nur Großhändler, sondern auch Direktor einer Bank. Man benutzt heute friedlichere Methoden. Die grobe Gewalt hat ausgespielt. Man schickt, wie gesagt, keine Mörder mehr aus, wenn man Gerichtsvollzieher schicken kann. Wir müssen aufbauen, nicht niederreißen, das heißt, wir müssen beim Aufbauen den Schnitt machen (245). Brechts Methode, den Zynismus des modernen Geschäftsdenkens als Selbstverständlichkeit zu präsentieren, wird hier überdeutlich. Er nimmt nicht den Umweg, zu behaupten, der moderne Kapitalist verhalte sich wie ein Verbrecher, er nimmt von vorneherein Verbrecher als Protagonisten.
Macheath ist der eine, einst Einbrecher, nun Besitzer zahlreicher Billigwarenläden, die er mit gestohlenem gut zu Dumpingpreisen bestückt, sein anfänglicher Gegenpart ist Peachum, der ein Geschäftsmodell eröffnet, in dem die Elendsten der Elenden sich jenes Aussehen erwerben konnten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach (23), ein nach den modernsten Errungenschaften der Bürokratie organisiertes Monopol, Bettler, die sich immer mehr in Angestellte verwandelten, nach strenger Eignungsprüfung in fachgemäßem Zittern, Blindgehen etc. unterrichtet (24f.), stets bemüht, sich durch Fortbildung zu qualifizieren (24). Während Peachums bestens ausgebildete Bettlerbrigaden Angestellte des Hire-and-Fire-Prinzips sind, die nach dem Rauswurf nun nicht einmal mehr auf der Straße landen können, weil da ihre Kolleg*innen arbeiten, sind Macheaths Einbrecherbanden und Hehler schon weiter, sie pochen auf einen Mindestlohn, der ein festes Einkommen garantiert, eine Art Beamtendasein ist ihnen lieber, sie wollen nachts gut schlafen und nicht Sorgen haben müssen, dass am Ende des Monats das Geld für die Miete nicht im Haus ist (149), gutbürgerlich also. Macheath presst dieses Geld den Besitzern seiner Läden ab, denen er Selbständigkeit als Einzelhändler und Warenzufuhr erspricht, die er dann aber über diverse Firmenverflechtungen, an denen er führend beteiligt ist, selbst abwürgt, um sich einen Dumpingpreiskampf gegen die Konkurrenz leisten zu können. Da sie – die Ladenbesitzer – von den Agenten des Herrn Macheath an die Luft gesetzt worden waren, war ihre S e l b s t ä n d i g k e i t noch gestiegen. Ihre U n a b h ä n g i g k e i t hatte ein schier unerträgliches Maß erreicht, sie waren nicht einmal mehr an feste Wohnungen gebunden. Durch e i g e n e T ü c h t i g k e i t waren sie bis zu Körpergewichten von 100 Pfund abgemagert (196). Was Brecht seinerzeit für überspitzen Sarkasmus hielt und übertrieben darzustellen glaubte, ist heute gängiges Geschäftsmodell: Organisierte ausbeuterische Bettlerbanden, Franchise-Unternehmen, Scheinselbständige, undurchschaubare Firmenkonglomerate und Discountmärkte, die waren unter Preis anbieten, um der Konkurrenz zu schaden.
Das ganze System
wird gedeckt durch einen neoliberalen Idealstaat. Die Regierung handelt
nicht; sie weiß, dass das Geld im Lande bleibt. U n t e r B r ü d e r n
w i r d n i c h t g e h a n d e l t. Es ist gleich, ob das Geld
der eine hat oder der andere. Die Regierung und ihre Geschäftsleute, das ist
eine Familie (38), oder wie es ein korrupter Staatssekretär aphoristisch
zusammenfasst: Politik ist die Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln
(173). Leider sind nicht alle so verlässlich wie der Staat. Die von Brecht in
ihrer Komplexität äußerst akribisch recherchierte Handlung, der wirtschaftliche
Machtkampf der beiden Herren Peachum und Macheath, die privat noch durch die
als verschiebbare Ware charakterisierte Tochter Peachums verbunden sind, ist
ein Intrigenspiel, das lange keinen Gewinner kennt, weil jeder stets einen
Schritt schlauer agiert als der andere, aber dann doch wieder zu seinem
Nachteil. Zugrunde gehen dabei aber letztlich die anderen. Andere Leute zu
betrügen, das konnte wirklich die ehrliche Absicht eines Geschäftmanne sein
(46), nur schade, dass dies für den Konkurrenten eben auch gilt. Gleichwohl
trifft man sich am Ende im Einverständnis wieder. Die Regierung ist ohnehin
keine Gefahr, noch weniger aber die Kunden, Man rechne nie genug mit der
Dummheit der Leute! Diese Leute – in jenem Fall patriotische
kriegsversehrte Soldaten – ohne Arme und Beine und Augen sind immer noch für
den Krieg! Dieses Kanonenfutter hält sich wahrhaftig für die Nation! Es ist
phantastisch! Mit denen kann man noch viel machen, glauben sie mir! (299).
Noch besser sind aus der Sicht Peachums allerdings Menschen, die noch tiefer
gesunken, bereits ganz unten abgekommen sind, Ich habe oft darüber
nachgedacht, wie man dieses Elend, das wahre Elend, zu irgendeiner Wirkung
bringen könnte. Es müsste ein unglaubliches Geschäft sein! (168). Wer ganz
unten ist, wird sich gegen seine Vermarktung kaum wehren, wer noch wagt zu
hinterfragen, wird mit Patriotismus abgefüttert, und damit kritisches Denken
erst gar nicht einreißt, entwickelt Peachum am Ende eine neue Geschäftsidee mit
hübschem Etikett: B i l d u n g […], ich meine Bücher, ich denke an
billige Romane, solche Sachen, die das Leben nicht grau in grau, sondern in
lichteren Farben malen, die dem Alltagsmenschen eine höhere Welt vermitteln,
ihn mit den feineren Sitten der höheren Schichten bekannt machen, der so
erstrebenswerten Lebensweise der gesellschaftlich Bevorzugten (373),
nicht so destruktives Gefahrgut wie den Dreigroschenroman.
Vorgänger (19): Hermann Hesse - Der Steppenwolf.
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