Eveline
Hasler: Die Wachsflügelfrau.
Die
„Geschichte der Emily Kempin-Spyri“ (Untertitel) beginnt in der Basler
Psychatrie - und das ist ein symptomatischer Auftakt für dieses Frauenportrait in
Romanform der Schweizer Schriftstellerin Eveline Hasler (geboren 1933). Emily
Kempin-Spyri (1853-1901), heute kaum mehr im Gedächtnis, war die erste
promovierte Juristin des deutschsprachigen Raumes überhaupt, die für diese
Pioniertat viel riskiert und viel verloren hat. Die Nichte der „Heidi“-Autorin
Johanna Spyri aus altehrwürdigem Zürcher Geschlecht kämpft früh mit den
gesellschaftlichen Widerständen, die bis weit in ihre Familie hineinreichen.
Ihr Vater, ehemaliger reformierter Priester und nun Ratsherr der Stadt, hält
wie viele seiner männlichen Zeitgenossen wenig davon, dass die Universität
Zürich als erste deutschsprachige Hochschule überhaupt Frauen Zugang zum
Studium gewährt, er hält auch wenig von Frauenbadeanstalten und Frauenrechten
generell – schlimm für ihn, dass ausgerechnet seine Lieblingstochter diesen aus
seiner Sicht so falschen Weg gehen wird. Schon die Heirat mit einem jungen
Theologenkollegen, der solche Tendenzen auch noch unterstützt, missbilligt er;
als Emily dann tatsächlich sich für Jura an der Uni einschreibt, bricht er den
Kontakt zu ihr ab – lebenslang. Doch Emily promoviert – soweit setzt sie sich
durch, bis ihr die Gesetze Grenzen setzen. Frauen sind zu juristischen Berufen
in der Schweiz nicht zugelassen. Sie kann weder Anwältin werden, noch an der
Uni verbleiben – auch Dozenturen für Frauen gibt es nicht. Da auch ihr Mann
Probleme in der Pfarrei hat – die nicht wenig darauf zurückzuführen sind, dass
er aus Sicht der Gemeindemitglieder seine ‚aufsässige‘ Frau verteidigt – fasst
die Familie mit drei Kinder einen tollkühnen Entschluss: man wird nach Amerika
auswandern und dort reüssieren. Für Emily geht dieser Wunsch langsam und zäh,
aber stetig in Erfüllung. Sie kommt bald in Kontakt mit angesehenen Frauen, die
sich für ihre Rechte – und das Recht auf Recht – engagieren, Emily wird in New
York bekannt, man gründet erst private Jurakurse für Frauen, später wird Emily
tatsächlich eine Dozentur an der Uni angeboten. Doch ihr Mann und zwei ihrer
Kinder kommen in der Neuen Welt nicht zurecht, sie gehen nach einiger Zeit in
die Schweiz zurück. Emily blüht zwar in New York weiter auf, doch als ihr Sohn
in Zürich erkrankt, bricht auch sie wieder in die Heimat auf, um dort zu bleiben.
Anerkannt bei den aufstrebenden Frauenrechtlerinnen in Deutschland kann sie
sich zwar öffentlich viel Gehör verschaffen, aber in der heimatlichen Schweiz
werden ihr mehr und mehr Steine in den Weg gelegt, trotz Unterstützung
progressiver Kreise. Eine Dozentur wird ihr weiterhin verweigert, ebenso die
Ausübung des Anwältinnenberufes – immer auf der Gegenseite: ihr Vater. Finanzielle
und familiäre Probleme kommen hinzu, ihr Mann kommt offensichtlich nicht mehr mit
seiner Rolle als von seiner Frau abhängiger, in seinen Ambitionen gescheiterter
Gatte zurecht. Ihre zwischenzeitlichen Erfolge gehen über Emily hinweg:
Vorlesungen an der Uni als Vertretung werden ihr verboten, ihre Familie
zerbricht, in Berlin kommen radikalere Kräfte in der Frauenbewegung an die
Spitze, die sie für zu zögerlich halten. Nach einem Nervenzusammenbruch kommt
Emily Kempin-Spyri in eine Heilanstalt, wird noch nach Basel überwiesen und die
Mauern der Psychiatrie nie mehr verlassen. Sie stirbt dort mit 47 Jahren. Es
ist dieser – aus dem Lebenslauf nachvollziehbare – trotz aller Erfolge
resignative Grundton, der Eveline Haslers Roman ausmacht, dieses Bild einer für
ihre Rechte kämpfenden Frau, die darüber ihre Familie und letztlich auch ihre
Freiheit verliert, die Grundlagen geschaffen hat, die sie selbst nicht mehr
nutzen konnte. In ihrer ruhigen, mitfühlenden Art zu (be)schreiben, die die
Ungerechtigkeit viel tiefer spüren lässt als oberflächliche Polemik, hat
Eveline Hasler einmal mehr ein großartiges Portrait einer Frau geschaffen, die
erst langsam wieder ins allgemeine Gedächtnis zurückkehrt. Unbedingt
lesenswert!
Émile
Ollivier: Seid gegrüßt ihr Winde.
Der
auf französisch schreibende kanadische Schriftsteller mit Wurzeln auf Haiti
Émile Ollivier (geboren 1940) schreibt über ein Thema, das seltsam vertraut
vorkommt – obwohl der Roman aus dem Jahr 1994 stammt: es geht um Fluchtversuche
aus dem Elend oder vor Diktatur. Seltsam vertraut, weil noch immer ungelöst,
beziehungsweise noch immer außerhalb routinemäßiger Sonntagsreden ignoriert.
Und so entstehen Fluchtbiographien, die Heimatlose erzeugen, wie sie Ollivier
anhand von zwei Beispielen aufzeigt. Da
sind die Menschen, die von ihrer Karibikinsel zu fliehen versuchen, indem sie
ein Schiff bauen, denn hier haben sie nichts mehr zu erwarten, ständige
Naturkatstrophen vernichten ihre Ernten und ihre Arbeitsmöglichkeiten, vom Rest
des Landes scheinen sie ohnehin längst vergessen worden zu sein. Anders der
Kubaner, der schon vor Jahrzehnten entflohen ist, scheinbar arriviert in Kanada
lebt und doch plötzlich unerwartet nach Florida aufbricht, in die Nähe zur
nicht mehr erreichbaren Heimat – oder gibt es andere Gründe für dieses
undurchschaubare Verhalten? Was auch immer die Sehnsüchte waren, die sich
aufeinander zu bewegen, hier an der Südspitze eines vermeintlich gelobten
Landes treffen sie aufeinander, um bitter zu scheitern. „Prophetisch“ ist das
Buch nicht, es fasst einfach nur in sprachlich sehr schöne Form Beobachtungen,
die man bereits vor über 25 Jahren machen konnte und die Ollivier mutig
anspricht – man hätte nur auf ihn hören und sich Gedanken machen müssen. So
wirkt das Buch, als sei es gestern erst erschienen – und bietet damit
wenigstens jetzt die Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen.
Arnold
Zweig: Novellen um Claudia.
Dieses
Frühwerk Arnold Zweigs (1887-1968) ist ein zu einem kurzen Roman
zusammengefasster Novellenzyklus um die gutbürgerliche Claudia, selbstbewusste
Tochter der Zeit um die Jahrhundertwende und ihre verschiedenen Verwicklungen
in Künstler- und Intellektuellenkreise jener Epoche. Tochter deshalb, weil der
Text auch ihre Suche nach Unabhängigkeit von der Mutter beschreibt, die anfangs
wenig Begeisterung zeigt für den erwählten Verlobten und späteren Bräutigam,
dem umständlichen Doktor Walter Rohme. Zweigs Anliegen ist das Aufzeigen der
Missverständnisse, die zwischen den Personen herrschen, das letztlich niemals vollends
Ergründbare des Gegenübers, das zu Konflikten führt, gravierenden, aber auch
banalen. Deutlich geschult an Thomas Mann, auch mit dessen ironischem Unterton,
versetzt sich Zweig hier tief und subtil in die Psyche seiner
Protagonist*innen, deckt deren innere Geheimnisse auf, die direkt oder
verändert an die Oberfläche drängen. Möglich ist ihm dies auch durch die vielen
Perspektivenwechsel, zumeist widmet sich eine der Novellen einer der Figuren, die
äußere Handlung bewegt sich zwar vorwärts, spielt aber an und für sich keine
größere Rolle. Wer solches Zergliedern von Innenleben, das Zweig ohne Zweifel
perfekt beherrscht, zu schätzen mag, kommt auf seine Kosten, auf alle anderen
wirkt der Roman inzwischen wohl doch etwas arg zäh und bereits leicht angestaubt,
obwohl die psychischen Abläufe zeitlos sind.
Rene
Oth (Hg.): Das Lächeln der Gioconda.
Zwei
Außerirdische landen heimlich auf der Erde, um Sklaven für ihre Heimatwelt zu
rekrutieren.
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