Ian McEwan: Nussschale.
Jüngeres Werk aus der Feder des etablierten Altmeisters McEwan (geboren 1948), in dem er einen literarischen Kniff versucht: Erzählt wird aus der Perspektive eines ungeborenen Kindes im Bauch seiner schwangeren Mutter, die gerade dabei ist, ein Intrigennetz zu spinnen, um ihren Noch-Ehemann zugunsten ihres Liebhabers aus dem Weg zu schaffen. Die Loyalitäten des Kindes werden dadurch auf die Probe gestellt, doch seine Mittel, dem scheinbar nichtsahnenden Vater eine Warnung zukommen zu lassen, sind naturgemäß begrenzt, eher schon wäre es ihm möglich, die Mutter von dem Vorhaben abzuhalten, schließlich sind seine eigenen Aussichten für die Zukunft als Kind mit Stiefvater nicht unbedingt glücksverheißend. Doch ohnehin ist nichts so, wie es anfangs schien, was kaum an der naturgemäß eingeschränkten Wahrnehmung des Babys liegt. Nette Spielerei, aber man ertappt sich doch ziemlich oft dabei, wie man innerlich überprüft, ob das Kind wirklich wissen kann, was es uns da erzählt. Möglicherweise ist dies die falsche Heransgehensweise oder eine déformation professionelle, in jedem Falle wirkt dieser Perspektivenversuch überanstrengt und kaum durchhaltbar, wenig helfen dabei die zwar sympathischen, aber ähnlich aufgesetzten Kommentare zum aktuellen Zeitgeschehen. Sicher, es liest sich recht gut, ist spannend und hat ein paar nette Wendungen, aber an der Grundidee liegt dies nicht.
Yann Queffélec: Barbarische Hochzeit.
Teenager Nicole hat sich in einen jungen amerikanischen GI verliebt, der im nahen Lager beim Dorf dient und sie mit seinen Versprechungen begeistert. Auch ihre Eltern sind durchaus angetan, der Amerikaner ist ein Junge mit Zukunft, zuhause, wohin er bald zurückkehren wird, wartet eine Farm mit umfangreichem Landbesitz auf ihn. Wahr ist daran allerdings nichts. Als er Nicole zum vorläufigen Abschied eines Abends auf seine Baracke im Lager einlädt, wird sie von ihm und einigen Kumpels mehrfach vergewaltigt. Damit ist nicht nur der USA-Traum geplatzt, die Schande vergrößert sich noch durch eine daraus entstandene Schwangerschaft. Ludo, das Kind, wird erst im Haus versteckt, in einem Kämmerchen gehalten, von seiner Mutter und den Großeltern verleugnet und gehasst. Er entwickelt, wenig überraschend, ein geradezu autistisches Verhalten, gleichzeitig sehnt er sich nach seiner Mutter, deren Liebe er zu gewinnen sucht, ohne auf Resonanz zu stoßen. Als sich wider Erwarten ein Bräutigam einfindet, der sogar bereit ist, sich um Ludo zu kümmern, scheint eine Besserung bevorzustehen, da dieser tatsächlich echte Zuneigung zu dem Kind zeigt – anders als die Mutter. Diese beharrt weiterhin auf einer Einweisung Ludos in ein Heim. Als es auf ein ‚er oder ich‘ hinausläuft, wird er dorthin abgeschoben, Besuch erhält er nur von seinem Stiefvater, was ihn nicht hindert, weiter an seine Mutter zu glauben, bis er schließlich das Heim in Brand steckt und sich zu ihr auf den Weg macht in dem Glauben, bereits sehnsüchtig erwartet zu werden. Yann Queffélecs (geboren 1949) Roman lebt von der liebevollen Betrachtung seines einerseits naiven, kindlichen und dann wieder raffinierten und fantasiereichen Protagonisten, der zwar keineswegs ein Unschuldslamm ist, aber doch von Beginn an unschuldig an seinem Schicksal, das er schließlich – wenn auch unter falschen Vorstellungen – selbst in die Hand nehmen möchte. Über die Härte des Geschehens hilft die ironisch-naive Erzählweise hinweg, die aber nichts beschönigt, vor allem nicht das selbstsüchtige Verhalten der Erwachsenen. Seinerzeit ein großer Erfolg – zurecht.
Alex Capus: Königskinder.
Selbst schuld: Das junge Pärchen Max und Tina haben entgegen der Warnungen und der eigenen Erfahrung eine eigentlich gesperrte Schweizer Alpenpassstraße befahren und werden nun genau mit dem bestraft, was die Sperrung hätte verhindern sollen. Irgendwo dort oben auf der Strecke bleiben sie im heftigen Schneefall stecken. Während sie langsam einschneien – in dem Wissen, dass in einigen Stunden eine Räummaschine vorbeifahren und sie befreien wird – unterhält Max seine Frau mit einer von der Umgebung inspirierten und angeblich authentischen Geschichte über einen jungen Kuhhirten im 18. Jh., der von seinem Bauern vom Hof gejagt wird, nachdem er sich in eine der Töchter verliebt hat. Beide versprechen sich zu warten, der Hirte meldet sich zum französischen Militär und erlebt in der Endphase des Ancien Régime einen unerwarteten Aufstieg, als die spleenige Schwester des Königs einen Bauernhof im Park von Versailles errichten lässt, für den sie geeignetes Personal braucht, zum Beispiel jemand, der sich mit Schweizer Rindvieh auskennt. Tatsächlich gibt es so jemanden in der Armee… Nach vielen, vielen Jahren kann der ehemalige Hirt schließlich auch seine Braut aus der Eidgenossenschaft an den Hof kommen lassen, doch das Idyll liegt in den letzten Zügen, die Revolution ist bereits ausgebrochen. Intelligente Unterhaltung, schnörkellos, amüsant und spannend erzählt.