Oscar
Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. st 2732
Erschienen ist
Oscar Wildes (1854-1900) aus einer Erzählung hervorgegangener einziger Roman Das
Bildnis des Dorian Gray im Jahr 1890. Er ist folglich streng genommen kein
„Roman des Jahrhunderts“, jedenfalls nicht des Zwanzigsten. Nimmt man jedoch
nicht das Datum seiner Publikation, sondern seiner Wirkung, ist dieses Attribut
mehr als gerechtfertigt. Nicht unbedingt, weil der Text einen maßgeblichen
Einfluss auf das literarische Wirken der Jahre danach gezeitigt hätte – dafür
war er zu typisch für sein Zeitalter des Fin de Siècle, von dem sich die
folgende Generation in ihren Mitteln und Inhalten erst einmal scharf abgrenzte
–, sondern weil er, was schließlich nicht jedem ambitionierten Roman gegeben
ist, zu einem großen Publikumserfolg und letztlich einem der meistgelesenen
englischsprachigen Bücher überhaupt wurde. Je nach Leserschaft wohl auch
aufgrund der Biographie seines Autors – oder in manchen Kreisen, gerade den in
Wildes Texten oft charakterisierten und karikierten, trotz eben dieses
öffentlichen Lebens.
Wilde selbst
ließ einmal die Bemerkung fallen, er habe sich in allen drei Hauptpersonen
verewigt, dem Maler Basil Hallward, dessen aristokratischem Freund Lord Henry
Wotton und dem jungen Dandy-Lehrling Dorian Gray, auch er Spross eines
altehrwürdigen Adelsgeschlechtes. Den Leserinnen und Lesern werden jedoch vor
Beginn einige Warnungen als Rezeptionsanweisungen vorgegeben, die sowohl
textextern als auch textimmanent verstanden werden können – und sollen: Die
Kunst zu offenbaren und den Künstler zu verstecken ist die Aufgabe der Kunst
(7), was sich auf den Schriftsteller ebenso bezieht wie auf den Maler. Alle
Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche geht, tut es
auf eigene Gefahr (8). Noch heute ist Wilde für solch Aphorismen berühmt
und für Kalendersprüche und Internetzitate verwendbar, insbesondere aufgrund
der oft – scheinbar – paradoxen Aussagen. Ein Meister dieser geistreichen,
zumeist widersprüchlich in Chiasmen angeordneten Repliken ist Lord Wotton, Um
eines Epigramms willen opferst du jeden Menschen, Harry (263), eine
Bemerkung, die den blasierten Zyniker bestens umschreibt, dem die Lust an
Gesuchtheit, Wohlklang und Formulierung seiner Aussagen, die stets eine
ungefährdete Provokation darstellen, wichtiger ist als der letztlich folgenlose
Inhalt. Schönheit in der Sprache dient ihm lediglich wie in allen seinen
Tätigkeiten nur zur Vermeidung des aus seiner Sicht größten Übels: der
Langeweile.
Dorian Gray, der
anfangs noch so unbedarfte Jüngling, der dem Maler Basil Hallward als
Inspiration Modell sitzt, durchschaut diese gefährliche Oberfläche nicht, im
Gegenteil. Anders der Maler, der sogleich ahnt, welchen fatalen Einfluss der
wortgewandte Lord auf den aufnahmebereiten Jungen haben muss, doch die
Begegnung nicht unterbinden kann. Gleich zu Beginn impft Wotton Dorian Gray den
Abscheu vor dem Alter ein, wenn alte Leute überhaupt zu einer Gemütsbewegung
fähig sind (10), vor allem die
Furcht vor dem Verlust der Schönheit, weil Sie die entzückendste Jugend
haben, und es gibt ein Ding, das sich zu haben lohnt: Jugend (34), doch was
die Götter geben, nehmen sie schnell wieder. Sie haben nur ein paar Jahre, in
denen Sie wahrhaft, vollkommen, völlig leben können. Wenn ihre Jugend
dahingeht, verlässt Sie auch ihre Schönheit (35), eine Ungerechtigkeit, wie
der Lord konstatiert, Die gemeinen Wiesenblumen welken, aber sie blühen
wieder (36), wir bekommen nie wieder unsere Jugend (36). Dorian
verinnerlicht diese Sicht, mit der ihm Wotton zu gleich Angst macht und ihm
schmeichelt: Ein neuer Hedonismus – das ist es, was unser Jahrhundert
braucht. Sie könnten sein sichtbares Symbol sein (35) und sie wird ihm am
deutlichsten durch das meisterhafte Portrait, das Hallward von ihm angefertigt
hat. Nur im allerersten Augenblick herrscht Begeisterung, Der Eindruck
seiner eigenen Schönheit kam wie eine Offenbarung über ihn. Er hatte ihn nie
zuvor gehabt (38), schnell jedoch begreift er, dass nach dem ihm soeben
Gesagten dieses Bild ein ständiges Menetekel sein wird. Ich werde alt und
grässlich und widerwärtig werden, aber dieses Bild wird immer jung bleiben. Es
wird nie älter als dieser Junitag heute (39), worauf er eine Art Fluch und
Bitte zugleich ausspricht: Wenn es nur umgekehrt wäre! Wenn ich immer jung
bleiben könnte und dafür das Bild immer älter würde! Dafür – dafür – dafür gäbe
ich alles! Ja, es gibt nichts in der ganzen Welt, was ich nicht dafür gäbe! Ich
gäbe meine Seele dafür! (39).
Dorian Gray
schließt einen klassischen Teufelspakt – nur ohne Teufel. Es ist nicht klar, an
wen sich seine Bitte richtet, Religion ist nur eine der vielen inhaltsleeren
sinnlich-ästhetischen Erfahrungen, und weder der Maler noch Lord Wotton, der
schließlich am ehesten dem Verführer gleichkommt, verfügen im eigentlichen Sinn
über transzendente Fähigkeiten. Im Gegenteil, Hallwards von Gray geradezu tranceartig
inspirierte Schöpferkraft ist mit der Anfertigung dieses Meisterwerkes am Ende,
wodurch er zudem seinen Einfluss auf sein Modell verliert. Diesen übernimmt
vorerst Wotton, der Dorian Gray in die seichte Welt der amüsanten Vergnügen,
des spitzfindigen Gesprächs mit Esprit und des ausgefeilten Geschmacks
einweiht, gemäß seinem erwähnten Ziel, ihn zum Bannerträger des Hedonismus zu
formen. Selbst dieser Zyniker ahnt, dass er hier mit einem Schicksal spielt,
aber ihm ist das Spiel immer noch wichtiger als das Leben: Der Himmel über
ihm war wie eine verwelkte Rose. Es gemahnte ihn an das ganze feuerfarbene
Leben seines Freundes, und die Frage kam ihm: Wie würde das enden? (81)
Dorian kommt
nicht über den Einfluss von Oberflächen hinaus, wie ihn ja das Portrait
versinnbildlicht. Als er sich Hals über Kopf in eine junge Schauspielerin
verliebt, kann er nicht zwischen ihren Rollen und ihren echten Gefühlen
unterscheiden. Die Äußerungen des Lebens interessieren ihn nicht, nur ihre
ästhetische Form – brüsk bricht er mit ihr, die daraufhin Selbstmord begeht.
Durch die Ansichten Lord Wottons bestärkt, sieht Dorian Gray darin lediglich
eine recht unschöne Störung seines über den Alltäglichkeiten erhabenen
verfeinerten Empfindens. Dorian bleibt schön und äußerlich jung. So hat es den
Anschein. Die Veränderung geht in dem Portrait vor, es barg das Geheimnis
seines Lebens und erzählte seine Geschichte. Es hatte ihn gelehrt, seine eigene
Schönheit zu lieben. Sollte es ihn lehren, sich vor der eigenen Seele zu ekeln?
(122), das Bild, ob verändert oder unverändert, sollte ihm das sichtbare
Wahrzeichen des Gewissens sein (123). Dorian hat nicht seine Jugend und
Schönheit eingetauscht, sondern, was gerne vergessen wird, seine Seele, die nun
im Bild enthalten ist – dieses zeigt ihn nicht altern, sondern grausamer
werden. Ein Künstler sollte schöne Dinge schaffen, sollte aber nichts von
seinem eigenen Leben hineintun (21f) hatte Basil Hallward noch verkündet,
doch Dorian Gray hat einen Teil seines Lebens in das Bild ausgelagert – seine
Menschlichkeit. Skrupel- und gefühllos kann er den Freitod der Schauspielerin
ebenso hinnehmen wie er den Mord an dem Maler begeht, dessen Spuren durch
Erpressung beseitigen lässt und ihm der Unfall seines Verfolgers James Vane als
Glücksfall erscheint. Ist sein Leben als blasierter Dandy à la des Esseintes
zwar frei von Gewissensängsten, doch auch seelenlos; der Versuch, diese innere
Leere durch das genaue Gegenteil, dem Besuch im schmuddeligen Rotlichtviertel, lebendiger
als all die graziösen Formen der Kunst, die Traumschatten der Poesie (240),
zu bekämpfen, schlägt fehl. Dorian glaubt, sich nur noch durch die Zerstörung
des Bildes – mit eben jenem Messer, mit dem er seinen Freund Hallward ermordet
hat – retten zu können. Es sollte dieses ungeheuerliche Leben der Seele
töten, und wenn diese grässlichen Zeichen der Drohung nicht mehr wären, hätte
er Frieden (285). Ganz unrecht hat er damit nicht, wie das anschließend
wiederhergestellte Portrait belegt, doch wer das Leben der Seele tötete,
wer seine eigene Menschlichkeit unwiederbringlich beseitigt, begeht
Selbstmord.
Vorgänger (Teil 15): Robert Walser - Geschwister Tanner.
Vorgänger (Teil 15): Robert Walser - Geschwister Tanner.
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