Endlich ist es soweit: die Bundesregierung und die deutschen Geheimdienste veröffentlichen ihren Bericht zu den brennenden Fragen der aktuellen Lage, zur NSA-Affäre, zu ihrer Rolle im NSU-Verfahren, zu den Waffengeschäften mit Halb- und Ganzdiktaturen, etc. pp.
Hier exklusiv das Titelbild dieses aufsehenerregenden Buches, das alle Fragen unbeantwortet lässt, die nie gestellt wurden:
Zur Erinnerung an Berlin eines meiner Lieblingsgedichte
Paul Boldt: Auf der Terrasse des Café Josty
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen - bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
Paul Boldt (1885-1921), Auf der Terrasse des Café Josty entstand 1912.
Auch wenn der arme Paul Boldt heutzutage leider - und zu Unrecht - fast völlig vergessen ist, obwohl er einst dank seines Gedichtbandes Junge Pferde! Junge Pferde! eine lebende Legende war, haben sich hier Menschen die Mühe gemacht, Interpretationen für den Handgebrauch zu erstellen; dort ist auch ein Bild des erwähnten Café Josty zu sehen.
Wie bin ich vorgespannt
Den Kohlenwagen meiner Trauer!
Widrig wie eine Spinne
Bekriecht mich die Zeit.
Fällt mein Haar,
Ergraut mein Haupt zum Feld,
Darüber der letzte Schnitter sichelt.
Schlaf umdunkelt mein Gebein.
Im Traum schon starb ich,
Gras schoß aus meinem Schädel,
Aus schwarzer Erde war mein Kopf.
Die Bezeichnung Post-Grunge
tauchte Mitte der Neunziger Jahre auf. Eine Analyse anhand von Candlebox’ Far Behind.
Mit Candlebox beginnt der
Übergang der ersten Grunge-Generation um Alice in Chains, Nirvana, Soundgarden,
Mudhoney und Pearl Jam zur zweiten, die erst mit dem allgemeinen Bekanntwerden
und Erfolg der neuen Richtung ins Rampenlicht trat, respektive überhaupt durch
das Entstehen neuer Bands deren Etablierung und Fortführung begründete. Candlebox,
ein weiterer Spross Seattles aus dem Jahr 1991, verschwand jedoch nach großem
Debüt mit dem gleichnamigen Album (Candlebox,
1994) nach zwei nur noch Kennern bekannten Platten (Lucy, 1995; Happy
Pills, 1998), wieder von der Bildfläche, auch hierin vielen Vorbildern
folgend. Ende der 2000er Jahre erfolgte schließlich – ebenfalls analog zu
vielen anderen Bands – ein Comeback.
Far Behind – Hymne und Chartstürmer des Post-Grunge
Abgesehen vom teilweise auch
kommerziellen Erfolg der frühen Jahre - der von den Gralshütern der Bewegung
äußert misstrauisch beäugt wurde -, war es der Gruppe gelungen, mit dem Lied Far Behind eine der paradigmatischen
Hymnen des Post-Grunge zu veröffentlichen, die stellvertretend für den Rest
ihres Schaffens und aufgrund ihres Herausragens hier in einer eigenen Analyse
besprochen werden soll.
Zwischen Mitleid, Selbstmitleid und Hilflosigkeit
Der Einstieg in das Lied
gibt mit den ersten drei Versen ein Programm vor, das das verzweifelte
Selbstmitleid und den Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit als typische Elemente
des Grunge auf eine erweiterte Ebene hebt:
Now maybe
I didn’t mean to treat you bad
But I did it anyway
Diese Aussage ist in
mehrerlei Hinsicht geprägt von einem abgrundtiefen Pessimismus und der
Einsicht, zu eigenem, selbstkontrollierten Handeln nicht mehr fähig zu sein.
Was bleibt ist die Selbstreflexivität, die allerdings keine Konsequenzen mehr
hervorbringt und schon ins Unsichere abdriftet. Now maybe, das Unwägbare, das Verschwommene und buchstäblich
Unfassbare dominiert das Denken. Die folgenden Zeilen sind zutiefst resignativ:
I didn’t mean to treat you bad/ But I did
it anyway. Das Ich besitzt nicht mehr die Kraft, sich gegen sein Verhalten
zu wehren, das es jedoch als ein bösartiges und verletzendes erkannt hat. Der
daraus entstehende Schaden betrifft nun auch nicht mehr nur es selbst in seiner
Schwäche, sondern auch seine Umwelt.
Von der Aggression zur eigenen Schuld
Während in vielen Texten das
Ich vorwiegend Opfer der feindlichen - oder als feindlich wahrgenommenen -
Umwelt geworden ist, wird es hier selbst zum Teil der Aggression, wenn auch als
Folge der äußeren Einwirkungen. Roland Barthes nennt unter dem Stichwort Exil in seinen Fragmenten einer Sprache der Liebe, den wahren Akt der Trauer nicht den Verlust
des Liebesobjekts, sondern eines Tages auf der Haut der Beziehung jenen
winzigen Fleck festzustellen, der dort aufgetaucht ist wie das Symptom eines
sicheren Todes: zum ersten Male tue ich dem, den ich liebe, ein Leides an, zwar
ohne es zu wollen, aber ohne den Kopf zu verlieren. Far Behind schildert natürlich eine mitmenschliche Beziehung - die
keine erotische sein muss - die an einen Scheidepunkt geraten ist. Trifft
Barthes’ Feststellung von der ungewollten Verletzung genau den Punkt, so jedoch
hier nicht mit der ignoranten Konsequenz, Far
Behind handelt zwar vom eigenen Fehlen, aber daraus entsteht immerhin noch
die verzweifelte Klage über die eigene Hilflosigkeit - und nicht
Gleichgültigkeit.
Wie man den Untergang eines Freundes beschleunigt
Das Ich steht dem Niedergang
eines Anderen, eines Freundes hilflos gegenüber, offenkundig auch in dem
Bewusstsein, selbst einen Beitrag zu diesem Verfall geleistet zu haben. Der
andere wird dabei zu einer christusgleichen Person, der in der Stunde des äußersten
Leides verlassen ist. Some would say your
life was sad/ But you lived it anyway, die Freunde stehen um ihn herum, they watch your crumble/ As you falter to
the ground. Sie greifen nicht ein, so wie sie vorher den Erfolg
begutachteten, betrachten sie nun in zynischer Weise den Absturz, they watch you suffer, auf die Hilferufe
reagieren sie nicht. Was dem Ich bleibt, das ebenfalls stillsteht, ist eine
jenseitige Hoffnung, But then some day we
could take our time/ To brush the leaves aside so you can reach us, doch
vorerst ist eine Leere entstanden, das Gegenüber ist verschwunden und das Ich
zurückgelassen, But you left me far
behind. Die Solidarität hat sich diesseitig nicht bewährt, sie ist hinter
dem hilflos-verletzenden Schweigen verschwunden. Geblieben sind Einsichten, die
den anderen als den besseren Menschen erkennen lassen - nach dem Verlust. Now maybe some would say you’re left with
what you had/ But you couldn’t share the pain, der Verlorene war der
Humanere, der Sensiblere, dem das Leid unerträglich geworden war. Bei späteren
Wiederholungen wird dieser Satz noch durch ein klagend-bestätigendes No, no, no unterstrichen, einerseits
Verstärkung der Negation des couldn’t,
andererseits aber auch Ausdruck der Verzweiflung über die eigene
Uneinsichtigkeit des Ich.
Das eigene Versagen und das Versagen der anderen
Couldn’t share the pain besitzt jedoch eine doppelte Qualität. Das Leid der
anderen kann nicht ertragen werden, doch auch das eigene Leiden kann nicht
mitgeteilt und geteilt werden. They watch
you suffer ist Vorwurf und Eingeständnis der Hilflosigkeit zugleich.
Deshalb fehlt dem Satz zu Beginn der zweiten Strophe das Personalpronomen, an
dessen Leerstelle könnte statt dem vorherigen You auch ein ‘I’ oder ‘We’ stehen. Weiter konjunktivisch - now maybe - reflektiert das Ich über
sein eigenes Versagen, I could have made
my own mistakes/ But I live with what I’ve known. Das Selbstbewusstsein ist
hier wieder deutlich betont, aber kaum mehr als positives zu werten, da es auch
Bewusstsein der verfehlten Vergangenheit, des - bewussten - Nicht-Handelns und
Falsch-Handelns ist. Kontrapunkt zum dreifachen No, no, no ist das einfache und unauffällige Yes, dem das charakteristische maybe
folgt. Wiederum wird auf eine mögliche Zukunft, eine bessere verwiesen. Und
wiederum befindet diese sich außerhalb der diesseitigen Reichweite. We might share in something great.../ But
then someday comes tomorrow holds a sense of what I feel for you in my mind,
das Unsichere und Konjunktivische prägt auch diese Hoffnung.
Verschobene Hoffnungen
Immerhin eröffnen sich dort Perspektiven des ehrlichen Umgangs
ohne Verletzungen, die Stiftung einer Sinnmöglichkeit. Dies unterscheidet sich
offenkundig fundamental vom derzeitigen Zustand, der Blick auf das momentane
Erleben ist ein resignierter, ein fragender - ohne Fragezeichen, da er Zustände
beschreibt: But won’t you look at where
we’ve grown/ Won’t you look at where we’ve gone. Das Ende der Strophe
verweist kurzzeitig auf konkretere Ereignisse, auf das Ereignis des Todes des
Anderen, As you trip the final line/ And
that cold day when you lost control, an dem die Grenze überschritten wurde.
Die Art und Weise dieses Übertritts bleibt ungenannt - Selbstmord scheint
nahezuliegen - relevant ist das Ergebnis, das Fehlen. Das Ich wird in seiner
Trauer ein weiteres Mal auf sein Versagen verwiesen.
Selbsterkenntnis der falschen Seite
Sein Zögern, sein ihm selbst
unerklärlich gewordenes Verhalten gegenüber dem dahinsiechenden Freund
wird/wurde durch Vertrauensentzug beantwortet, die Freundschaft hat versagt, Shame you left my life so soon you should
have told me/ But you left me far behind. In die Trauer mischt sich eine
verzweifelte Bitterkeit, die jedoch selbstverschuldet ist und eher dem eigenen
Trost über das Versagen hinweghelfen soll. Schließlich hat das Ich den
Niedergang seines Freundes beobachten können, sich vorsichtshalber aber der
schweigenden Mehrheit angeschlossen und direkte Hilfe verweigert und dadurch
seinen Beitrag zur Misshandlung geleistet. Vom Leidenden auch noch die Bitte um
Hilfe zu erwarten, was als demütigend erfahren werden kann, war ein
egoistisches Handeln, mit dessen zynischen Folgen der Zurückgelassene nun zu
leben hat.
Die eigene Schwäche ist die Stärke der Zyniker
1820 schrieb Charles Robert
Maturin in seiner Gothic Novel Melmoth
the Wanderer über die Freude am Leiden des Anderen: It is a species of feeling of which we never can divest ourselves - a
triumph over those whose sufferings have placed them below us, and no wonder -
suffering is always an indication of weakness - we glory in our impenetrability.
Diese Äußerung eines ausgesprochenen Sadisten, der sich im Roman am Hungertod
eines Liebespaares erfreut, spiegelt auch die Einsichten in Far Behind wieder, naturgemäß ohne deren
inhumane Grundlage. Die eigene Sicherheit und gefühlte Unverletzlichkeit
richtet sich am Untergang des Anderen auf, I
said times have changed your friends/ They come and watch you crumble to the
ground/ They watch you suffer. In der Berührung mit dem wie aussätzig
gewordenen Unglücklichen liegt die Gefahr der Ansteckung, die „Freunde“ ziehen
sich hinter eine Pseudo-Moralität zurück, some
would say you’re left with what you had, entziehen sich ihrer Verantwortung
und werden zum Teil und Beschleuniger des Verfalls, they hold you down, sie verwehren die Reintegration. Auch sie
scheinen der Meinung, dass Leid und Leiden selbstverschuldete Schwäche seien.
Dem gegenüber nimmt das Ich eine zwiespältige Rolle als einerseits Erkennender,
andererseits Verweigender ein. Trotz seiner Einsichten, die möglicherweise erst
nach dem Tod des Anderen ihre volle Erkenntniskraft in Form von Schuldgefühlen
entfaltet haben, ist es nicht fähig gewesen einzugreifen, eindeutig Position zu
beziehen. Maybe brother, maybe love,
die höchsten Werte zwischen- und mitmenschlichen Zusammenlebens haben versagt.
Der Teufelskreis der Krankheit zum Tode
Die Erkenntnis des I didn’t mean to treat you bad, die am
Ende mit dem resignierten Ruf But you
left me far behind ausklingt, der die Unmöglichkeit der Wiedergutmachung
und das Erreichen einer höheren Menschlichkeit des Verstorbenen (in jeglicher
konnotativer Hinsicht), ist, wie schon betont, eine tief verzweifelte. Das
Wissen um die bewirkte Verletzung, die hier schreckliche Folgen nach sich zieht
und doch trotz aller Einsicht nicht verhindert werden kann, lässt für das
eigene Handeln, dessen Herr man nur noch in der Möglichkeit zu sein scheint,
keinerlei Hoffnung. Der Ausweg führt in einen menschenverachtenden Zynismus wie
ihn die „Freunde“ repräsentieren oder eine konjunktivisches Jenseitspostulat,
von dem das Ich jedoch weit entfernt ist, Far
Behind gelassen, von dem entwichenen Anderen.
Hommage an den Freund und Absage an das selbstbestimmte Ich
Das Lied ist auf
vordergründiger Ebene eine elegische Hommage an einen toten Freund, hinter der
sich jedoch ein pessimistischer Abgesang auf die Souveränität des individuellen
Ichs verbirgt. Dieses ist nicht nur unfähig, das Leid der anderen rechtzeitig
zu erkennen und sein eigenes Leid - und sei es nur auf der Stufe des Selbst-Mitleids
- zu ertragen (als charakteristisches Grunge-Thema), die Selbstschwäche führt
nun auch noch zur Vergrößerung des allgemeinen Leidens, zur Vernichtung
anderer. Vom Unterdrückten wird man ohne Zutun, ohne es zu wollen, zum
Unterdrücker. Eine völlig determiniert erscheinende Welt, zu deren Rädchen der
Einzelne geworden ist, lässt jegliche Schwäche in gnadenloser Weise zur Schuld
werden. Far Behind klingt an eine
weitere Hymne der Grunge-Bewegung, Tools Sober,
und knüpft damit auf einen resignativen Strang an, dessen Konsequenzen
ausweglose Verstrickungen des Ichs bedeuten müssen, anders als noch in den
individuellen Aufbäumungen etwa Pearl Jams oder Soundgardens, die in ihrer
bewussten Vergeblichkeit wenigstens noch die Camus’sche Revolte symbolisieren.
Da das Konzert bereits heute Abend stattfindet, hier noch einmal das wunderbare Plakat der Grungeveteranen von Mudhoney. Für ihre Tournee zum 25-Band-Jubiläum gibt es individuell gestaltete Meisterwerke für jeden europäischen Spielort.
Für Berlin diese Hommage an den Jugendstil, eine gelungene Kombination aus Franz von Stuck, Alphonse Mucha und Edvard Munchs "Madonna" - und Mudhoney selbst, natürlich.
Wer also die kurzentschlossene Gelegenheit nutzen möchte, sollte das Konzert nicht verpassen. Daten auf dem Plakat.
Unter den bauchigen Himmeln, die schwer,
Über den Totenacker der Felder gelegt,
Auf hohen Bergen aus Schutte bewegt
Sich die Wandrung der Menschen langsam einher,
Dicke Rücken, große Hüte, unförmlich und alt,
Manchmal behutsam ein riesiger Bauch.
Und hinter ihnen, groß, und verlassen vom Rauch,
Starret der Schornsteine schwarzer Wald.
Über verregnete Wege und Lachen voll Widerschein
Morschen Gewölkes setzen sie hinten ihr Storchenbein,
Ferner, in leere Fernen, und werden klein.
Hier und da, auseinander, wie Striche fein,
Irrend im öden Abend herum.
Und die Löcher der Wolken stehen wie Höhlen rundum.
geschrieben im Oktober 1911
(es existiert ein zweites Gedicht von Georg Heym mit dem Titel "Der Sonntag" vom Juli desselben Jahres, das allerdings keine frühere Version, sondern ein eigenständiges Sonett darstellt).
"L'immense catastrophe financière de ces temps derniers vient de prouver d'une facon définitive (ce dont on se doutait un peu, d'ailleurs, depuis pas mal d'années) que la probité est en train de disparaître. C'est à peine si on se cache aujourd'hui de n'être point un honnête homme, et existe tant de moyens d'accommoder la conscience, qu'on ne la reconnaît plus. Voler dix sous est toujours voler ; mais faire disparaître cent millions n'est point voler."
Da wird sich Volker Kauder aber freuen, in Europa spricht man tatsächlich Deutsch und macht das Unwort des Jahres 2011 zum internationalen Bestseller - offenbar ein Beitrag zum Versuch der Regierung, die Deutschen wieder zum unbeliebtesten Volk in Europa zu machen. Man mag sich erinnern, dass eine türkische Zeitung vor kurzem ebenfalls eine deutsche Titelschlagzeile trug, dank des sehr geschickten Vorgehens des Münchner Gerichts im NSU-Prozess.
So gesehen ist diese Kampagne sehr erfolgreich, auch unterstützt durch die opportunistische Weigerung der Regierung, sich am Verbotsverfahren gegen die NPD zu beteiligen, die im Ausland sicher nicht weniger zweifelhaft erscheint als für jeden klar denkenden Menschen innerhalb dieses Landes...
Man mag sich also ebenfalls erinnern, dass die Deutschen nicht und sicher nicht identisch sind mit "der besten Regierung seit der Wende"...
Grabinschrift für eine Römerin aus der Familie der Claudier, um 120 vor Christus
Fremder, was ich sage, ist wenig: bleib stehen und lies! Hier steht das nicht schöne Grabmal einer schönen Frau.
Mit Namen nannten sie die Eltern Claudia, mit ganzem Herzen liebte sie ihren Mann.
Söhne hat sie zwei geboren. Von ihnen läßt sie einen auf Erden zurück, den anderen hat sie unter der Erde geborgen. Von anmutiger Unterhaltung, dann auch noch biegsam im Gang, hat sie das Haus gehütet, Wollarbeiten verrichtet. Ich habe gesprochen. Gehe weiter!
Für eine Grabinschrift ziemlich lang und trotzdem liegt in der Kürze genug Würze, jedenfalls ist es ganz interessant und anschaulich, wie der Verfasser mit den wenigen durch den beengten Raum bedingten Worten ein Bild der Verstorbenen entwirft. Und welche Akzente er dabei setzt: traditionelle wie der Verweis auf die Kinder und ihre brave Zuneigung zum Gatten und überraschende wie die ihren biegsamen Gang und ihre offenbare Begabung für Wollarbeiten - beides, wie es scheint, sehr charakteristisch; und tatsächlich hinterlassen gerade diese kurios anmutenden Bemerkungen einen merk-würdigen Eindruck, was für einen Grabstein, der erinnern soll, wohl das Beste ist, was man über ihn sagen kann.
Überraschend auch das fast abrupt unhöfliche "Ich habe gesprochen (und damit meine Pflicht gegenüber der Toten erfüllt). Gehe weiter!" Der Pragmatismus der Römer lässt nicht zu, so liebevoll verfasst die Inschrift auch sein mag und unterschwellig die Trauer der oder der Hinterbliebenen verrät, sich lange der Verzweiflung hinzugeben. Gehe weiter!
lässt sich Bertolt Brechts 1940 verstehen, wobei nicht davon ausgegangen werden muss, dass er Vallejos Text kannte (was aber nicht unmöglich ist).
Brechts Gedicht mit seinem schlichten, aber durch den gewählten Zeitpunkt - acht Jahre nach Vallejos Tod - brisanten Titel stellt ähnliche Fragen, wobei er die Perspektive des Vaters wählt, der Rat sucht für seinen jungen Sohn, in einer Zeit, in der dieser nicht mehr rein abstrakt ist, sondern Teil einer Überlebens-Frage.
Macht es noch Sinn, Mathematik, Französisch oder Geschichte zu studieren, in einer Zeit des Hungerns, der Verfolgung und des durch Krieg ständig bedrohten Lebens? - Brecht überlässt, anders als Vallejo, dem Leser allerdings nicht die Antwort auf diese Fragen, die nur oberflächlich rhetorisch erscheinen.
Die - vielleicht überraschende - Pointe ist die klare Antwort:
Ja, lerne Mathematik, sage ich lerne Französisch, lerne Geschichte!
Sie interessieren sich nicht für Wintersport? Gut. Schon mal beste Voraussetzungen für eine gediegene Karriere als Sportjournalist. Denn wichtig ist nur, sich auf den Beginn der Rüchrunde zu konzentrieren, der Rückrunde in der Fußballbundesliga, wie sich von selbst versteht.
Wenn sich das für Sie noch nicht von selbst versteht, machen Sie etwas verkehrt. Erfolgreicher Sportjournalist wird man nur in der Konzentration auf das Wesentliche. Das Wesentliche hat einen Namen: Fussball.