Einer der klügsten Zeitgenossen, die wir hatten, ein Intellektueller, der sich mit klarer Meinung nicht aus aktuellen Debatten heraushielt,
Quelle unerschöpflichen Wissens, der lustigste und lesbarste Theoretiker, bei dem Kant neben den Schlümpfen, C.S.Peirce neben Playmobil auftauchte, der über Derrick genau so gut Bescheid wusste wie über irgendeinen obskuren Scholastiker des 12. Jahrhunderts,
der den wohl einflussreichsten Roman der Achtziger geschrieben hat, der letzte große Semiotiker
und der Mann, der uns beigebracht hat, wie man mit einem Lachs verreist oder sich mit Occams Rasiermesser kastriert. Adieu, Eco!
Das Wort "Palimpsest" leitet sich aus dem Griechischen ab, wobei die Etymologie nicht völlig eindeutig ist; sowohl gr. palim ‘wieder’, als auch gr. palin ‘zurück’ sind für den ersten Teil des Kompositums denkbar, gr. psestos ‘abgeschabt’ eindeutiger für den zweiten.
Pergament – ein wertvolles Material
Das Palimpsest ist also ein wiederbeschreibbares Schriftstück, welches durch Abschabung eines früheren Textes erneut nutzbar gemacht wurde. Selten handelt es sich hierbei um Papyros, sondern in den überwiegenden Fällen um Pergament, welches als Material wertvoller und widerstandsfähiger war. Der ursprüngliche Text wird durch „Waschen, Auslaugen mit Milch oder Reiben mit Bimsstein getilgt“ (so Jeanette Moser), da das Interesse an ihm verloren gegangen und Pergament für eine einmalige Nutzung zu kostbar ist.
Das Verfahren wurde bereits in der Antike angewandt, erreichte aber seinen Höhepunkt in der Konstitutionszeit des frühmittelalterlichen Christentums, also einer Epoche kulturellen Umbruchs (8./9. Jahrhundert), als man begann, vor allem spätantike Texte zu überschreiben (in der Mehrzahl heidnische Autoren auf Pergamenten des 4.-7. Jahrhunderts). Dabei waren auch mehrfache Überschreibungen nichts Außergewöhnliches.
Die Renaissance des verschwundenen Textes
Ab dem 17. Jahrhundert nahm das Interesse an den ursprünglichen Texten wieder zu, die oftmals noch erkennbar, aber nicht mehr lesbar waren. Erst der naturwissenschaftliche Fortschritt zwei Jahrhunderte später erlaubte es, mit Hilfe chemischer Mittel die überschriebene Textschicht wieder sichtbar zu machen, allerdings nicht ohne das Pergament stark zu schädigen.
Innovative Mönche im Kloster Beuron retten die Texte
1912 wurde in der Benediktinererzabtei Beuron an der Donau das Deutsche Palimpsest-Institut unter Leitung von P. Alban Dold OSB gegründet, welches 1920 eine Methode der ultravioletten Bestrahlung erfand, die den vormals ausgelöschten Text wieder sichtbar macht, dabei jedoch das Pergament nicht angreift. Das Beuroner Institut hat seine Arbeit inzwischen aber eingestellt. Anzumerken ist die nicht unironische Note, dass die Beuroner Mönche viele Texte wieder lesbar gemacht haben, die von ihren Ordensvorgängern abgeschabt worden waren.
Vieles bleibt Fragment
Trotz der ausgereiften Methoden bleiben viele der Palimpsesttexte Fragmente, einerseits weil nur Teile der einzelnen Pergamente aufgefunden wurden, andererseits da diese selbst durch die Jahrhunderte hindurch Schaden genommen haben oder die Überschreibung nicht vollständig rückgängig gemacht werden kann.
Gérard Genette und das Palimpsest
Der englische Romantiker Thomas de Quincey hatte den Begriff des Palimpsestes als Metapher für das menschliche Gedächtnis wiederbelebt, doch geriet diese Idee selbst in Vergessenheit. Im Jahr 1982 wurde er vom französischen Erzähltheoretiker Gérard Genette jedoch erneut und konsequenzenreich in den kulturwissenschaftlichen Diskurs eingeführt. In seinem narratologischen Werk Palipmseste. Die Literatur auf zweiter Stufe (frz. 1982, dt. erstmals 1993) dient das Bild des überschriebenen Pergaments als Metapher der Intertextualität.
Hypo- und Hypertext nach Genette
Ein vorhandener Text (Hypotext) wird ‘neu’ geschrieben, so dass ein Hypertext entsteht, der ohne seinen Vorgänger nicht denkbar wäre. Ein einfaches Beispiel stellt die Parodie dar, deren Reiz und Witz allein auf dem Wissen um den Hypotext besteht, aber natürlich auch die Wiederkehr eines Motivs wie in den zahlreichen Faustdichtungen oder der Wiederaufnahme antiker Stoffe und Mythen.
Dabei kann noch zwischen inhaltlichen und formalen Kriterien unterschieden werden: Der Titel von James Joyce Ulysses und die in der Erstausgabe gestrichenen Kapitelüberschriften weisen auf inhaltliche Anleihen hin, während er aber auch ein ganzes Kapitel als Streifzug durch die englische Literaturgeschichte enthält, die den Stil der Autoren nachahmt, d.h. ein so genanntes Pastiche an das andere reiht.
Gegen das Vergessen
Das Genette’sche Palimpsest ist also ebenfalls ein Werkzeug gegen das Vergessen, der Neubearbeitung eines Textes „kommt das spezifische Verdienst zu, die alten Werke ständig in einen neuen Sinnkreislauf einzuspeisen“ (Genette). Der Hypertext erinnert an seinen Vorgänger und macht im besten Falle dessen Wiederlektüre notwendig, wodurch dieser ebenfalls am (literarischen) Leben erhalten wird.
Karriere eines Begriffes – Palimpseste in der Kulturtheorie...
Genettes Palimpsestbegriff ist sehr eng gefasst, die Intertextualität beruht bei ihm auf der Wiederverwendung und Wiedererkennung, d.h. zwischen Hypo- und Hypertext besteht eine sehr starke Abhängigkeit und die beiden sind untrennbar miteinander verknüpft. Die strengen Maßstäbe, die Genette festgelegt hat, wurden jedoch in der Rezeption, vor allem mit dem Übergang in andere Kulturwissenschaften aufgeweicht - und dies nicht unbedingt zu ihrem Schaden. Dies kommt auch der metaphorischen Verwendung näher, da nicht vergessen werden darf, dass der überschriebene Text auf einem Pergament gerade eben keinerlei Bezug zu seinem Nachfolger hat, im Gegenteil die Auslöschung ja wegen des völligen Desinteresses an diesem vorgenommen wird, also ein Akt des Vergessens im Gegensatz zur Genette’schen Wiedererinnerung.
...und in anderen Wissenschaften
Die Erweiterung des Palimpsestbegriffs drängt die Wiederaufnahme eher in den Hintergrund und forciert das Wiedererkennen eines früheren Zustands, die Lektüre des überschriebenen Textes wird also relevanter. Beispiele aus den verschiedensten Disziplinen sind hier aufführbar, es seien zwei angeführt, die recht weit von den Kulturwissenschaft entfernt sind, um das Spektrum anzudeuten.
In der geologischen Forschung weist etwa das Vorhandensein von Moränen in Vorgebirgslandschaften auf eiszeitliche Überformungen hin, die Landschaft ist folglich als Palimpsest lesbar. Architektonische Neuverwendungen von Gebäuden erzeugen ebenfalls Palimpseste, profanierte Kirchen beispielweise verlieren zwar ihre inhaltliche Bestimmung, sind aber formal oftmals noch als solche erkennbar.
Literatur:
Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Suhrkamp: Frankfurt/ Main: 3.Auflage 2001.
Jeanette Moser: Das Palimpsest und seine Variationen (Intertextualität) in Martin Walsers Werk ‘Das Einhorn’. Konstanz: Magisterarbeit 1991.
Buch: Jez und
Tom Butterworth; nach dem gleichnamigen Roman und unter Mitarbeit vonValerio Massimo Manfredi
DarstellerInnen:
Colin Firth (Aurelius), Ben Kingsley (Ambrosinus/Merlin), Thomas
Sangster (Romulus), Aishwarya Rai (Mira), Kevin McKidd (Wulfila),
Alexander Siddig (Theodoros Andronikos), John Hannah (Nestor),
Peter Mullan (Odoaker), Robert Pugh (Kustennin) u.v.m.
Das weströmische
Reich kurz vor seinem Untergang: Aurelius, gerade von einem Feldzug aus Afrika
zurückgekehrt, wird mit seinen Soldaten zum Schutz des neugekrönten römischen
Kaisers Romulus Augustulus, einem Kind, abkommandiert, kann jedoch einen
Überfall der germanischen Verbündeten unter deren Oberhaupt Odoaker nicht
verhindern, wobei die Eltern des jungen Kaisers getötet, und dieser selbst
gefangengenommen wird. Durch Einschreiten seines Erziehers Ambrosinus wird
Romulus zwar durch den neuen Herrscher Odoaker vor der Hinrichtung verschont,
doch werden beide auf die Inselfestung Capri verbannt. Von dort wird er durch
Aurelius und den spärlichen Rest von dessen Truppe dank der Unterstützung des
Senators Nestor und Ostroms, das die Offizierin Mira beisteuert, befreit,
jedoch hat sich das Blatt nach der geglückten Rückkunft gewendet: Rom und
Byzanz haben sich inzwischen mit Odoaker arrangiert, der junge Kaiser ist nun
lästig und soll beseitigt werden. Der Verrat misslingt, doch suchen Aurelius
und die Seinen nun Zuflucht in Britannien, wo mit Hilfe der dort stationierten
9. Legion eine Wiedereinsetzung des Kaisers in Rom gelingen soll, dem durch
eine Prophezeiung auf dem Schwert Julius Cäsars, das er auf Capri gefunden hat,
die Rückkehr zur Macht vorhergesagt wird. Verfolgt von den Germanen Odoakers müssen
die Flüchtigen am Hadrianswall angekommen feststellen, dass die dortigen
Legionäre nach jahrzehntelanger Vernachlässigung durch Rom längst Zivilkisten
geworden sind und das Land außerdem von einem brutalen Lokalherrscher namens
Vortgyn unterdrückt und ausgebeutet wird. Dieser verbündet sich mit Odoakers
Germanen, um an das Schwert Cäsars zu gelangen. In einer großen
Entscheidungsschlacht, die erst durch das verspätete Eingreifen der
reaktivierten 9. Legion zugunsten der Römer mit dem Tode Vortgyns endet, findet
die Reise des Romulus und seiner Beschützer ihren Abschluss, die sich in
Britannien ansiedeln und dort für Nachkommen sorgen, deren Geschichte für einen
Neubeginn steht: die Artussage findet ihren Anfang in der letzten Legion.
Die Letzte
Legion, ein Projekt unter der Führung der Produzentendynastie de Laurentis,
gehört zu den Sandalenfilmen, die besonders zu den Opfern einer Stolperfalle
des Genres wurden: einerseits Historizität vorzugeben, andererseits gerade an
dieser zu scheitern. Wer allzugenaue Angaben in Historienfilmen macht oder sich
allzu sehr an einem mehr oder weniger bekannten Ereignis orientiert, läuft
ständig Gefahr, sich vor dem Hintergrund der erforschten Geschichte zu
blamieren. Drehbücher sind keine Sachbücher und Sandalenfilme keine in Szene
gesetzten Geschichtslektionen aus der Antike – und tatsächlich verzeiht man
einem gut unterhaltenden Streifen oder einer intelligenten Erzählung einiges an
offensichtlichen Ungereimtheiten, doch gibt es hierfür Grenzen. Grenzen, an die
Die Letzte Legion kommt.
Dabei widmet sich der Film einer sonst eher vernachlässigten Epoche, denn
im Gegensatz zum einstigen Monumentalepos von 1964 (Regie: Anthony Mann) mit
seinem irreführenden Titel widmet sich Die Letzte Legion tatsächlich dem
Untergang des Römischen Reiches. Und zwar in seiner verwirrenden
absoluten Endphase (auch wenn diese, historisch betrachtet, in solcher
Abruptheit nicht existiert). Mag man es klassisch nennen, oder doch eher
einfallslos, der Einstieg beginnt mit einer rekapitulierenden Stimme
(derjenigen Ambrosinus’) aus dem Off, selbst der Blick auf die übliche recht
ungenaue Karte fehlt nicht. Die Zeitangabe 460 ist ein vermeidbarer Fehler,
selbst aus Schulbüchern wäre ersichtlich, dass die genannten tatsächlich
existierenden Figuren gut fünfzehn Jahre später gelebt haben, doch völlig
abstrus ist die von Ambrosinus erzählte Vorgeschichte: die Macht des Schwertes
Cäsars und letztlich auch des letzten Kaisers Romulus, dessen wenig
schmeichelhafter Beiname Augustulus („Kaiserlein“) im Film wohlweislich stets
weggelassen wird, beruhe auf der Blutlinie der Familie, die allerdings bereits
mit Tiberius ausgestorben sei. Ein tragischer Vorgang, war doch Tiberius (reg.
14-37) lediglich der zweite römische Kaiser. Inkohärent auch, dass später erwähnt
wird, in Romulus fließe als echtem Cäsar dann doch wieder das Blut der Familie
– abgesehen von der völlig unhistorischen Blutlegitimation, die ironischerweise
für den gotischen Gegner, jedoch nicht für die Römer von Bedeutung war – hätte
sich nunmehr die Familie über ganze 450 Jahre erhalten; tatsächlich starb sie
bereits – im „Mannesstamm“, wie es so unschön heißt – mit Nero (reg. 54-68)
aus, weibliche Nachfahren gab es noch, allerdings nicht über Jahrhunderte.
„Klassische“ Stereotypen von Sandalenfilmen werden den Zuschauern auch im
Anschluss vorgeführt: die überdimensionierte Götterstatue, auf der Romulus
anfangs sitzt, wirkt wie ein Pappmaché-Überbleibsel der Stummfilmzeit, die
Uniformen und Waffen der Protagonisten sind – wie so oft – eine Mischung aus
nachgebildeten historischen Vorbildern und reiner Phantasie, wobei sich die
Epochen durchmischen – gut zu sehen in Aurelius Kammer zu Beginn. Dabei sei
gleich erwähnt, dass die Soldaten ihre Ausrüstung ständig wechseln, was kaum
mit den veränderten klimatischen Verhältnissen der Einsatzorte erklärt sein
dürfte. Insbesondere Mira hat eine ganze Reihe an Rüstungen parat, die sie
nicht nur fortwährend austauscht und alle mit sich herumzutragen scheint, sie
hält sie selbst in den blutigsten Kämpfen makellos sauber; dies fällt besonders
in der Entscheidungsschlacht auf, wo ihre Kollegen einiges an Kratzern
abbekommen, sie sich jedoch nur eine blutverschmierte Hand holt – als sie
Aurelius anfasst.
Die ersten auftauchenden Soldaten Ostroms ähneln eher sarazenischen
Kämpfern des Mittelalters, offenbar wird mit Osten so etwas wie nahöstlicher
Exotismus verbunden, wobei die Verschleierung von dramaturgischer Notwendigkeit
ist, um Mira später überraschend als Frau „enthüllen“ zu können; gleichwohl
dürften Schleier aus Kettengliedern reichlich selten gewesen sein. Mira hätte
eine sehr interessante Figur sein können, denn als weibliche Action-Heldin mit
zahlreichen individuellen Kampfszenen ist sie im Sandalenfilmgenre eine
Seltenheit. Warum sie nun gerade aus Indien stammen soll, wie sie erklärt, und
nicht beispielsweise aus Syrien, was immerhin ihren Dienst in der Armee Ostroms
(das beides kaum glaubwürdig und historisch ein weiteres Mal hanebüchen ist,
versteht sich von selbst) plausibel machen würde, bleibt rätselhaft, ist jedoch
ohnehin irrelevant. Letztlich wird ihr Potential verschenkt und sie bleibt ein
kämpfendes erotisches Objekt, das natürlich in dünnem Gewand aus dem Wasser
steigt, seine Reize zur Überlistung des Gegners einsetzt und schlussendlich als
Heimchen enden wird in der neuen Patchwork-Familie Aurelius, Mira, Romulus, die
der Film erst suggeriert – zum Beispiel im Kastell am Hadrianswall und in der
Schlachtfeldszene mit dem verwundeten Aurelius – und zum Schluss in der
Nacherzählung auch bestätigt. Mira wechselt stets lange in Szene gesetzte
innige Augenaufschlags-Blicke mit Aurelius und verschafft dem stolzen Krieger
auch das wiederum sehr züchtig gehaltene Klisché-Erlebnis der Liebesnacht vor
der großen Schlacht.
DenMoment als Mira zu ihm ins
Zelt schlüpft, goutiert Aurelius mit dem immergleichen verdrossenen Blick, den
er fast den gesamten Film über beibehält. Colin Firth ist ein zu guter
Schauspieler, um dies nicht als offensichtliche Zurschaustellung einer
gebrochenen Seele, die in Aurelius steckt, zu erkennen, die man offensichtlich
so plakativ darzustellen für nötig hielt. Nun ist Aurelius ein altgedienter
Soldat, der einiges gesehen hat, doch der eigentliche Grund seiner
Verschlossenheit, der Tod seiner Frau in Afrika, wird nur dem klar, der die
geschnittenen Szenen kennt, wo dies erwähnt wird. Sein stets gleich mürrisches
Gesicht wirkt oftmals grotesk wie in der erwähnten Liebesnacht, sorgt jedoch
durchaus auch für Humor – und Firth besitzt Mimik genug, um auch aus dem
Wenigen, was ihm scheinbar erlaubt war, noch leicht Ironisches herauszuholen.
Am Können seiner Schauspieler scheitert der Film ohnehin nicht. Die teilweise
extrem gestanzten Dialoge – geradezu grotesk wirken beispielsweise die Phrasen
von Romulus’ Vater Orestes – kann man ihnen schließlich nicht vorwerfen. Von
denen darf Ben Kingsley zahlreiche mustergültige Beispiele zum Besten geben,
auch er ein Opfer des Exotismuskonzepts, dass ihn nicht nur in seine übliche
Rolle des geheimnisvollen Weisen drängt, sondern Tiefgründigkeit in Wendungen
irgendwo zwischen Poesie-Album und Paolo Coelho ansiedelt.
Nun könnte man die Liste historischer Fettnäpfchen noch endlos
fortsetzen: vom zu dieser Zeit längst aufgegeben Hadrianwall, der keineswegs
mehr die Grenze des Reiches darstellte oder der schon wesentlich früher
verschwundenen 9. Legion, die, nebenbei bemerkt, ein beliebtes Thema jüngerer
britischer Sandalenfilme darstellt (Centurion, Der Adler der Neunten
Legion). Damit bewegt man sich naturgemäß an der Oberfläche, noch dazu sind
viele dieser (falschen) Vorgaben eine Frucht der Romanvorlage. Gleichwohl
transportiert der Film noch anderes als die gängigen Geschichtsklitterungen,
und dies geht dann doch tiefer.
Über das passenderweise trotz allem antiquierte Frauenbild wurde bereits
gesprochen. Zwar nicht ganz so offensichtlich wie einige andere Produktionen
der 2000er Jahre, doch unterschwellig nutzt auch Die letzte Legion
gängige auf den Zeitgeist referierende Stereotypen des neueren Sandalenfilms.
Es wurde schon erwähnt, dass die oströmischen Soldaten eher wie Krieger
Saladins wirken, ihren Helmen fehlt gewissermaßen nur der aufgesetzte Halbmond,
in jedem Fall wirken sie reichlich „osmanisch“. Unzuverlässig und verräterisch
sind sie auch, wie man es vom Osten bzw. Nahen Osten wohl erwarten darf –
vielleicht erklärt sich deshalb, warum Mira keine Byzantinerin ist, sondern aus
Indien stammt.
In die gleiche
Richtung geht ein uraltes Konzept, dass nicht nur Byzanz in Person seines
Botschafters, sondern vor allem der Freund des Aurelius und weströmische
Senator Nestor verkörpern: Politik ist ein schmutziges Geschäft unehrlicher
Männer – im Gegensatz zum ehrlichen Handwerk des geradlinigen Soldaten. Dies
zeigt sich nicht nur im korrupten Handeln Nestors, er spricht dies auch
unverhohlen aus: You’re a soldier, Aurelius. Leave the politics to me. Der Zuschauer muss
schlussfolgern, dass dies keine gute Idee ist, da doch Nestor gerade seinen
guten Freund, Rom und den jungen legitimen Kaiser verraten hat. Anstand hat der
Soldat, nicht der Politiker.
Ähnlich bizarr ein Unterton, der offensichtlich auf das britische
Publikum ausgerichtet ist: in einer geradezu lächerlich wirkenden Szene begrüßt
Ambrosinus mit offenstehendem Mund und anschließendem päpstlichem Bodenkuss
seine Rückkehr auf die heimatliche Insel, wozu er noch My beloved Britannia
ausruft. Auch Aurelius entdeckt nach kurzer Zeit seine Liebe zu dem ihm vorher
gänzlich unbekannten Land, wenn er in großer Rede vor versammelter Mannschaft
verkündet: Let me defend the island of Britannia. Im direkten Duell mit
Vortgyn darf Ambrosinus dann noch einmal My Britannia rachelüstern im
Munde führen. Dass dieser überdeutliche Nationalismus unhistorischer nicht sein
könnte, führt allenfalls noch zu einer Verstärkung des unangenehmen Gefühls,
das man ohnehin beim Hören solches billigen Pathos empfindet. Man sollte zudem
nicht vergessen, dass der Film ja schlussendlich eine direkte Kontinuität des
(west)römischen Reiches hin zu Großbritannien suggeriert, quasi vom Römischen
Reich zum Empire. Eine Traditionslinie, an die eigentlich das Heilige Römische
Reich deutscher Nation anknüpft. Aber das wäre eine langwierige Diskussion.
Das man es mit der Historie nicht so genau nimmt, kommt auch daher, dass
eine andere Filmtradition in der Letzten Legion mit hineinspielt.
Regisseur Doug Lefler ist vorwiegend als Drehbuchautor tätig, der zahlreiche
Skripte für Serien wie Hercules, Xena oder Babylon 5
verfasst hat, Serien, für die er auch einige Episoden inszenierte. Die
Letzte Legion ist sein einziger Film, der es ins Kino geschafft hat. Es
verwundert folglich nicht, dass gewisse Fantasy-Elemente Eingang in dieses
Projekt gefunden haben – und aufgrund der Romanvorlage ja nicht ganz zu
Unrecht. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Gestalt des Vortgyn, dessen
Schloss – ähnlich wie das befestigte Dorf der ehemaligen Legionäre – kaum
antik, aber doch sehr mittelalterlich wirken. Wieder einmal eine Kuriosität ist
die von Vortgyn getragene goldene Maske. Naturgemäß markiert sie ihn als
unverkennbar böse – seine Männer tragen denn auch das dazugehörige Schwarz –
doch findet der erwartbare dramaturgische Effekt nicht statt, als Ambrosinus
ihm die offenbar mit der Haut verwachsene Gesichtsbedeckung entreißt: für
gewöhnlich führt diese Enthüllung zu einem überraschenden Wiedererkennen. Hier
nicht, Vortgyn ist einfach nur Vortgyn, die Wirkung verpufft. Das im
Mittelpunkt stehende Schwert Cäsars (das in Capri versteckt war, was wohl in
der Logik der Geschichte den verqueren Hinweis auf Tiberius notwendig machte –
der historische Romulus Augustulus wurde übrigens nicht nach Capri verbannt,
sondern auf ein Landgut bei Neapel) trägt außer seiner lateinischen Inschrift
weniger antike als vielmehr deutliche Fantasy-Merkmale. Doch der Haupteinfluss
von Leflers Vorstellungen liegt wohl, wie er selbst betont, in den streng
choreographierten Einzelkampfszenen insbesondere Miras, aber auch der
restlichen Truppe. Hierfür wurde lange unter Anleitung trainiert und das Ergebnis
ist durchaus sehenswert. Keineswegs übertrieben à la Tiger & Dragon,
haben die stilisierten Schwertkämpfe zwar wenig gemein mit antiker Kampfkunst,
sind jedoch stimmig und unterhaltsam.
Die Fantasy-Elemente sind gleichwohl nur Randerscheinungen, wenn auch
deutlich sichtbare. Was jedoch sollte der Film nach Vorstellung seiner
Mitwirkenden sein? Drei Vorschläge werden genannt. Colin Firth bezeichnet die
Geschichte als Travel-Adventure-Story, was allerdings eher auf den Roman
Manfredis als die filmische Umsetzung zutrifft. Während die Reise dort
beträchtlichen Raum einnimmt und unter anderem Episoden in Germanien und im
Reich des Syagrius, dem tatsächlich existierenden letzten Außenposten des
weströmischen Reiches nach 476, beinhaltet, beschränkt sich die Flucht nach
Britannien im Film auf kurze geraffte Aufnahmen der Alpen- und
Ärmelkanalüberquerung. Firth und Lefler charakterisieren Die Letzte Legion
zudem als intimate epic, die sich eher auf die Geschichte der Personen
statt auf große Massenszenen und aufwendige Special Effects konzentriere. Nicht
verkehrt, aber auch nicht gerade ein viele andere Filme ausschließende
Definition. Treffender dürfte Ben Kingsleys Ansicht sein, es handele sich um mythology
– was dem Vorhaben, eine vorhandene Mythologie, die Artussage, quasi mit einer
Vorgeschichte zu ergänzen, ja sehr nahe kommt.
Ob dies gelungen ist, sei dahingestellt. Der teils hanebüchene Umgang mit
der Historie ist zwar ein Merkmal zahlreicher Sandalenfilme, wenn auch nicht
unbedingt in diesem von den Verantwortlichen gepflegten doch extrem lockeren
Umgang, allerdings geht er hier, wie erwähnt in eine durchaus bedenkliche
Geschichtsklitterung über, bzw. lässt gewisse Willkür durch einen unguten
Einfluss des Zeitgeistes erkennen. Alles andere als ein Meisterwerk des Genres,
konnte der Film auch das Kinopublikum nicht sonderlich überzeugen. Dabei gibt
es durchaus erfrischende und positive Elemente: der Humor geht gelegentlich
über das übliche Maß kumpelhafter Kameraderie hinaus, trotz ihrer späteren
Eingemeindung in die klassische Familienkonstellation ist Mira, wie erwähnt,
als weibliche Action-Heldin fast ein Unikum, das tatsächlich unerwartete
Auftauchen der 9.Legion im entscheidenden Moment ist beeindruckend inszeniert.
Gerade hier zeigt sich auch, dass man in Ansätzen gute Gedanken bei der
Umsetzung hatte: es fällt auf, dass die Männer, die sich bereits zu Beginn
Aurelius für die Entscheidungsschlacht anschließen, den üblichen
Uniformmischmasch des Films tragen. Nun gut, dies wäre sogar halbwegs plausibel,
da sie ja seit Jahren nur noch ein ziviles Leben führten. Die nun herbeieilende
9. Legion trägt aber völlig einheitliche und vollständige Rüstung. Was auf den
ersten Blick nach einem neuen Fall von Unlogik klingt, hat seinen guten Grund,
wie der Kostümbildner berichtet: die Ausstattung der Legion ist nicht nur
einheitlich, sondern auch um Jahrhunderte zu alt, stammt somit aus der Hochzeit
des Römischen Reiches (bzw. der filmischen Vorstellung hiervon). Verdeutlicht
werden sollte durch diesen Kontrast, dass dieses letztmalige Eingreifen längst
der Vergangenheit angehört, einer untergegangenen Epoche. Leider sind solche
Momente, die das Potential des Genres ausnutzen, viel zu selten in der Letzten
Legion.
Literatur:
Valerio Massimo Manfredi: Die letzte Legion. Roman
um den letzten Feldzug des Römischen Reichs. München: 2007.