Mit Fräulein
Annika unterwegs...auf den Liebfrauenberg in Rankweil.
Nach Rankweil im
Rheintal bringt einen die Vorarlberger S-Bahn, ein moderner schnittiger Zug in
grau-rot, der von Bregenz meist bis Bludenz, manchmal nur bis Feldkirch,
manchmal gar bis Schruns fährt. Wege, die schon seit Urzeiten – und zwar
buchstäblich – durch die Voralpen führen, heutzutage eben etwas bequemer. Und
zum Glück auch überdacht, denn leider nieselt es und gab man sich der Hoffnung
hin, dies möge bis zum Aussteigen abklingen, sieht man sich durch das Gegenteil
getäuscht, nun fällt richtiger Regen. Egal, wir haben uns die Reise
vorgenommen, also raus aus dem Zug auf die Bahnhofsbaustelle. Rankweil,
übrigens Ránkweil, also auf der ersten Silbe betont, präsentiert sich folglich
a) bei Regenwetter und b) als lärmende Baustelle. Hervorragende
Vorrausetzungen. Fräulein Annika ist das völlig wurscht, ihr Stoizismus ist
legendär – und nass wird sie auch nicht. Und dass, obwohl sie im Gegensatz zu
ihrer Begleitung nicht einmal Regenschirme verachtet. So sehr, dass dieser sich
nicht entschließen konnte, einen herren- oder frauenlosen Knirps, der in der
S-Bahn von St.Margrethen lag, mitzunehmen, obwohl sich der Wetterumschwung zum
Bösen dort bereits angekündigt hatte.
Aber Stoizismus
kann ich auch und so geht es unbeirrt Richtung Liebfrauenberg, der als
Orientierungspunkt nicht zu übersehen ist. Dieser seltsame Berg steht recht
einsam mitten im Ort, ein Vorposten der Voralpen, der Rankweil, wie man sich
leicht denken kann, zu früher Besiedlung prädestinierte. Eine solch günstige
strategische Position ließen sich die Kelten nicht entgehen und die auf
Effizienz jeglicher Art getrimmten Römer schon gar nicht. Vidomna hieß
Rankweil in jenen Tagen und Spuren römischer Besiedlung finden sich heute unter
anderem in einem Freilichtmuseum. Einen Posten mit bestem Überblick hatten sich
Kelten und Römer auf dem Felsen ebenfalls errichtet, nachvollziehbar, besser
ließ sich kaum überwachen, wer denn hier von Nord nach Süd und umgekehrt zieht
– das funktioniert noch heute hervorragend (und noch hervorragender bei
günstigerem Wetter) und man kann zum Beispiel den Lauf der Bahnlinie verfolgen,
mit der man gerade angekommen ist.
Um auf den
Liebfrauenberg zu kommen, muss man erst mal durch den Ort, vorbei an
Metzgereien namens „Metze“, was den Liebhaber von Sturm-und-Drang-Literatur
leicht irritiert, aber hier in Vorarlberg ist nicht nur sprachlich manches
ziemlich anders. Rankweil ist, trotz der Nähe zu Feldkirch einer der größeren
Orte dieser Gegend und macht heute sogar seinem Titel als Markt Ehre, auch wenn
dieser, obwohl es kaum 13 Uhr ist, sich bereits aufzulösen beginnt. Aufgrund
des Wetters? Von dem lassen sich allerdings außer Besuchern von außerhalb auch
die Einheimischen nicht abschrecken. Es sind erstaunlich viele unterwegs.
Jedoch nicht in
Richtung Liebfrauenberg. Da wird’s bald recht einsam. Na gut, hier noch zwei
Damen, die offenbar in der Mittagspause hinterm Haus eine rauchen. Aber
ansonsten ist der Anstieg von geradezu ehrfurchtvoller Einsamkeit, was zu den
Kreuzwegstationen passt, die diesen Weg auf der rechten Bergseite
hochbegleiten. Dieser endet nach kurzer Zeit auf einem hinteren Plateau mit
Friedhof (I) und einer Kirche (I) bzw. Kapelle. St. Michael, wie eine Tafel
verrät, derzeit leider nicht mehr in Gebrauch. Äußerlich spätgotisch (16. Jh.),
wurde sie im Innern einst Ende des 19. Jahrhunderts komplett im Nazarenerstil
umgestaltet und danach so gut wie nicht mehr benutzt. Egal, ob man diese
Stilrichtung nun mag, die ja immer unter dem schnell herbeigeholten Verdacht
des religiösen Kitsches steht, schade drum ist es allemal, weshalb man nun nach
einer Neunutzung als kultureller Veranstaltungsraum sucht.
Weiß man es
nicht sowieso, dann läst sich aus dem Namen leicht erschließen, dass es sich
bei dem Liebfrauenberg um eine Wallfahrtsstätte handelt – die größte
Vorarlbergs. Selbst dem krudesten Atheisten verrät dies allerdings schon der
entfernteste Anblick, oder vielleicht auch erst der Zweitblick, denn an und für
sich darf man die Gebäude auf dem Berg mitten im Ort nicht nur bei oberflächlicher
Betrachtung für eine Burg halten. Das ist nicht gänzlich verkehrt. Wir hatten
ja schon erwähnt, dass die Position des Felshügels strategisch perfekt und seit
altersher militärisch genutzt wurde. Das ging auch im Mittelalter so weiter. Zu
karolingischen Zeiten saß in Rankweil das Gaugericht, die örtlichen Machthaber
bebauten den Berg mit ihren Festungen. Darunter auch das einst am östlichen
Bodensee ungemein einflußreichen Geschlecht derer von Montfort – trotz des
französisch klingenden Namens ohne Verbindung zur Loire, es ist lediglich die
latinisierte leicht verschliffene Form von mons fortis, starker Berg.
Die Burgruinen ihrer Frühzeit stehen in der Nachbarschaft.
Die Montfort
waren sehr mächtig, ihre Familie groß und verzweigt sowie ihr Gebiet umfangreich.
Von Feldkirch über Bregenz reichten ihre Besitztümer bis Langenargen am
Bodensee und zum oberschwäbischen Tettnang. Ein stattliches Territorium, nur
noch übertroffen von der Fähigkeit der Montforter, stattt noch mehr Land, noch
mehr Schulden anzuhäufen. Man sagt den Habsburgern gerne nach, sie, das
glückliche (Haus) Österreich, habe seine Länder nicht durch Kriege, sondern
durch Heiraten erworben. Das ist nicht verkehrt, doch am Bodensee war dies fast
noch einfacher, da musste man nicht einmal die Verwandtschaft opfern, sondern
nur warten, bis wieder mal ein Zweig aus dem Montfort-Clan Pleite ging. Da dies
gewissermaßen einmal pro Jahrhundert geschah, konnte sich Österreich bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts, als es schließlich auch noch Tettnang erwischte,
jeglichen Montforter Besitz peu à peu einverleiben. Die Gegend um Rankweil traf
dies bereits recht früh, 1375.
Fräulein Annika furchtlos auf der Umwehrung der Kirche. |
Ob zu diesem
Zeitpunkt noch eine Burg auf dem Liebfrauenberg stand, ist unklar. Hinweise
deuten darauf, dass diese um 1350 einem Brand zum Opfer gefallen war. Fortan
blieb nur die Burgkapelle, die jedoch nach wie vor sehr gut befestigt war –
Wachdienst schoben nun die Rankweiler. Was ist nun der Liebfrauenberg seit
dieser Zeit? Burgkirche? Nein, denn eine Burg mit Bewohnern bestand ja nicht mehr.
Kirchenburg? Irgendwie schon, aber eigentlich stellt man sich darunter ja eher
eine Wehrkirche wie in Ostheim vor der Rhön oder anderen ländlichen Gebieten
vor. Kirchenfestung klingt recht pompös und nach Vauban, trifft es aber doch
immer noch mit am besten. Schließlich läuft man erst einmal auf eine Mauer mit
Toranlage zu, um auf den eigentlichen sich Mont-Saint-Michel-artig
hochschraubenden bebauten Haupthügel zu gelangen. Dahinter ein kleiner Friedhof
(II) mit stattlichen geschmiedeten Kreuzen und auch noch in Gebrauch, wie
frische Photos an manchem Grab belegen. Die Hauptgebäude betritt man im
Untergeschoss der Kirche (II), ein Gang am Felsgestein, der auf eine Treppe
zuführt, bzw. auf zwei Treppen, außerdem zweigen Seitenkapellen (Kirchen III
und IV) ab. Kurzum, der Unterbau ist etwas verwirrend.
Der Kirchenberg in Rankweil. |
Und auch zum
direkten gegenüber, sobald man wieder aus der Tür der dunklen Kapelle tritt.
Dort ist nämlich schon die nächste: die Fridolinkapelle. Die ist offen und
nicht finster, da hier viele Kerzen brennen. An Symbolik fehlt es ebenfalls
nicht, doch diese hier ist einige Jahrhunderte alt. In der Nische liegt ein
recht seltsam geformter Stein mit zwei Einbuchtungen. Die Geschichte finden wir
hinter uns auf dem Gemälde – das sicher kein Besucher übersieht – und zwar
nicht wegen dessen relativer Größe. Der namengebende Fridolin, Beiname von
Säckingen und im Schwarzwald wohlbekannt, war Begründer des gleichnamigen
Klosters am Hochrhein und ein typischer Vertreter der irischen Wandermönche,
die den Süden Deutschlands nach Verfall des Römischen Reiches und damit auch
des Christentums durchzogen – wir schreiben das 6. Jahrhundert. Fridolin also
hatte von einem Grafen Ländereien für sein Kloster versprochen bekommen, die
ihm nach dem Tod des edlen Spenders zufallen sollten. Der trat denn auch ein,
man wurde ja nicht allzu alt in jenen Tagen, doch der Bruder des Grafen wollte
von den Schenkungen nichts wissen. Fridolin muss den Fall vor dem Gaugericht in
Rankweil entscheiden lassen, doch da er nur mündliche Zusagen hatte, stand es
schlecht im seine Sache. Er betete vor Ort um Rat – man kann sich schon denken,
worauf er kniete – und bekam solchen auch: er solle das Grab seines Gönners in
der nahen Schweiz aufsuchen. Fridolin tat, wie ihm geheißen und traf dort am
Grab – niemand geringeres als den toten Grafen. Der ließ sich nicht lange
bitten und kam einfach mit, um seine Versprechen von einst zu bestätigen. Man
muss kaum noch anmerken, dass dieser Auftritt Richter und Bruder vollends
überzeugt hat. Letzterer schenkte denn selbst seine Güter an Fridolins Kloster.
Man wünschte, sämtliche Erbstreitigkeiten ließen sich mit dieser Methode
beseitigen. Nun weiß man auch, wer das Skelett auf dem Gemälde ist und warum
der Stein diese Einbuchtungen – die Knie des heiligen Fridolin – hat.
Neben der
Fridolinkapelle lädt eine Treppe unter der Aufschrift Zur Gnadenkapelle
ein, doch wir begeben uns vorerst, die Neugier beherrschend, auf die Stufen zur
Hauptkirche. Diese überrascht durch ihre Größe und Helle. Wohl auf das 14.
Jahrhundert – Wiederaufbau nach dem Brand – zurückgehend, ist sie durch barocke
Umformungen geprägt, die auf die aus Vorarlberg stammende und den ganzen deutschsprachigen
Raum südlich der Donau enorm prägende Baumeisterfamilie Beer zurückgehen.
Versuchen Sie mal z.B. im Bodenseeraum ein Barockkloster zu finden, an dem kein
Beer mitgewirkt hat – viel Vergnügen. Verehrt wurde ein heute noch an zentraler
Stelle – über dem Hauptaltar – befindliches romanisches Kreuz, ein Import des
12. Jahrhunderts aus Siena. Die Legende erzählt dazu wiederum eine andere
Geschichte, nach der das Kreuz aus den Alpen herabgeschwemmt wurde. Das ergab
erneut Schwierigkeiten, da der Fluss die Gemeindegrenze bildete, doch dieses
Mal wurde kein Toter herbeigerufen, sondern ein Ochsenkarren, auf den man das
Kreuz legte und dann der Willkür beziehungsweise Vorsehung überließ – und die
führte die Ochsen auf den Liebfrauenberg. Gut für die Rankweiler, schade für
die Nachbarn. Das Kreuz ist heute mit historischen Schmiedearbeiten ummantelt
und von einem modernen Engelkranz umgeben, was es nicht minder eindrucksvoll
macht, besonders da es in dem kleinen Chorraum große Wirkung entfaltet.
Die Wallfahrt
konzentrierte sich allerdings irgendwann im Mittelalter auf das populäre
Marienmotiv um – die Kirche heißt ja auch – seitdem – Unserer Lieben Frau zur
Heimsuchung. Die Gnadenkapelle ist parallel zum Chor angebaut, da man hier, der
Enge der Fläche geschuldet, die Verschachtelung liebt. Ihre Ausstattung ist
überbordend oder mit anderen Worten: pures Gold. Kurzerhand hat man den Altar
einfach komplett mit dem Edelmetall überzogen, ohne etwas auszulassen, Türen,
Engel, Säulen. Jedermanns Ästhetik ist diese Monochromie nicht, dann vielleicht
doch lieber quietschbunte Nazarener. Gleichwohl funktioniert dieser strahlende
Überglanz, weil nämlich der zentrale Punkt eben nicht übergoldet ist, was einen
raffinierten Effekt ausmacht. Das Gnadenbild, eine spätgotische Madonna des
Allgäuers Hans Ruel (1460) könnte durch den Prunk drumherum kaum dezenter
wirken. Und diese Maria macht auch so einen angenehm freundlichen Eindruck. Das
nackte Christuskind hält übrigens eine Walnuss zwischen Fingern – Symbolik des
Mittelalters für die Auferstehung: unter der harten Schale des Lebens steckt
die Frucht zu neuem Leben.
Wieder im
Innenhof besteigen Fräulein Annika und ich noch den Wehrgang, der fast um die
Kirche führt – Friedhof III sieht man von hier aus links unten. Das Wetter
vermiest uns wieder etwas den Ausblick, obwohl es nicht mehr regnet, aber wir
können die Schweizer Alpen gegenüber durchaus erahnen. Wie in unserem Rücken
auf der österreichischen Seite geht es hier nach den Hügeln recht rasant auf
2000 m hinauf. Für uns zum Glück – heute – nicht. Wir bereiten uns auf den
Abstieg vor, durch den Vorhof am WC und den verschlossenen Buden für den
Wallfahrtsbetrieb vorbei, nun auf den Weg hinab, der im Zickzack auf der
anderen Seite direkt in Richtung einer Bäckerei führt, die wir von dort schon
erblickt haben – und uns herrliche Nusskipferln und damit wieder rein profane
Vergnügungen verschafft. Vorher begegnen wir jedoch noch zwei den Berg
besteigenden mittelalten Herren, die sich, wie sich herausstellt, als Ungarn und
Bettler entpuppen. Ungarn, die in Österreich betteln? Nun gut, wir haben in
Strasbourg schon Deutsche mit der Bitte um einen Euro auf den Straßen sitzen
sehen und diese pannonischen Herren hier sind wenigstens nicht volltrunken.
Frau Annika ist da mal wieder fein raus, denn sie lässt sich ja generell von
mir aushalten – doch auch hier ist sie, zugegeben, sehr selbstgenügsam. Sie
will nicht einmal eines der Nusskipferl. Die werden auf dem Weg nach Altenstadt
verspeist, wohin zu Fuß die nächste Reise geht. Aber das ist schon eine andere
Geschichte.
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