Walter
Flex: Der Wanderer zwischen beiden Welten.
Dieses
Buch war hierzulande Bestseller – die vorliegende Ausgabe von 1966 machte die
Million verkaufter Exemplare voll – und ist heute zum Glück (und hoffentlich
auch in Zukunft) kein Verkaufsschlager mehr, aber ein Dokument für das deutsche
Denken bis weit in die 1960er Jahre. Walter Flex (1887-1917) sprach mit diesem
schmalen Buch zahlreiche Menschen – Männer – an, verband er doch
Jugendromantik, Kameradschaft und „Kriegserlebnis“ (so im Untertitel) mit
seiner Schilderung eines mit ihm befreundeten Theologiestudenten und Anhängers
des Wandervogels, der deutschen Jugendbewegung, der alles andere ist als ein
stumpfer Krieger, sondern ein hochgebildeter Patriot, der Goethe, Nietzsche und
die Bibel im Tornister führt und für jedes „innere Erlebnis“ den passenden Vers
parat hat. In ihm verbindet sich die so seltsame Vermischung von Kultur- und
Herrenmensch, wie sie noch viel bösere Früchte tragen sollte, doch war Flex,
gerade weil er nicht plump daherkam, sondern eine in Phasen dem Zeitgeschmack
entsprechende poetische Sprache nutzte, die das Grausame des Krieges
gleichzeitig zu verdecken wie zu verklären half, ein nicht zu unterschätzender
Vorbereiter und Katalysator gerade für junge Menschen, die glaubten, Goethe und
Greuel durchaus vereinbaren zu können. Zu dem Erfolg und Mythos des Buches trug
auch bei, dass der Autor wie sein Protagonist schließlich im Krieg fiel. Seine
Hinterlassenschaft wirkte noch lange nach.
Ralph
Herrmanns: …des andern Tod.
Ein
Thriller, dessen Titel so unspezifisch ist wie sein Inhalt überladen. Der
schwedische Geheimdienst, die UNO, äthiopische Innenpolitik, natürlich der
Mossad, die CIA, die IRA, das FBI, Scotland Yard, afrikanische Terroristen,
Esoterik, Entwicklungshilfe, atomare Gefahren – alles mit drin, dazu Sex and
Crime, das ein oder andere Mal verliert sich der Faden etwas, was der Spannung
leicht abträglich ist, insgesamt liest sich das Debüt des Schweden Ralph
Hermans (geboren 1933) um den manchmal etwas zu coolen Agenten Jörgen Blom
recht routiniert herunter. Und das ist ja schon mal ganz schön.
Hjalmar
Söderberg: Doktor Glas.
Und
noch ein Schwede – allerdings mit einem einstigen echten Skandalroman, der
trotz seiner inzwischen weit über 100 Jahre – er erschien 1905 – von seiner
moralischen Brisanz nichts verloren hat. Der Hausarzt und Junggeselle Doktor
Glas erfährt vom Leid der jungen Pastorengattin, die zunehmend in ihrer Ehe
aufgrund der ihr von ihrem wesentlich älteren Mann aufgezwungenen sexuellen
Pflichterfüllung in die Depression abgleitet. Eine Trennung ist unmöglich, eine
heimliche Liebschaft mit einem Regierungsbeamten nur ein Trost ohne Ausweg.
Glas‘ Versuche, den Pfarrer mit medizinischen Argumenten – und falschen
Diagnosen – zur Rücksicht zu mahnen, schlagen auf Dauer fehl. Dem Arzt kommt
ein teuflischer Gedanke, den er schließlich in die Tat umsetzt: er ermordet den
Pfarrer, dessen Herzschwäche er selbst vorher diagnostiziert hat, mit
Zyankalipillen. Obwohl er nie unter Verdacht gerät, erfüllen sich seine Wünsche
nicht: am Ende des Buches erfährt er von der Heirat des Regierungsbeamten mit
einer anderen Frau, nicht der Witwe. Söderbergs (1869-1941) Roman in
Tagebuchform sorgte naturgemäß für Aufruhr: die kalt geplante Tötung eines
Geistlichen, die noch dazu ungesühnt bleibt, musste nicht nur im damaligen
protestantischen Schweden für Empörung sorgen. Können edle Motive einen Mord
rechtfertigen – und sind sie überhaupt so edel? Schließlich rechnet der Arzt
durchaus mit einer gewissen Dankbarkeit der befreiten Frau, die schließlich
ahnen muss, dass ihr Mann nicht zufällig in den Armen ihres Hausarztes
gestorben ist. Noch immer ein packendes und zum Nachdenken anregendes Buch.
Edgar
Allan Poe: Der Rabe.
Dieser
fünfte und letzte Band der deutschsprachigen Edgar-Allan-Poe-Gesamtausgabe,
teils übersetzt von arno Schmidt und Hans Wollschläger, versammelt die Gedichte
und Essays des amerikanischen Großmeisters der schwarzen Romantik (1809-1849).
Zur Lyrik gehören natürlich Klassiker wie der titelgebende „Rabe“, „Das
Geisterschloß“ oder „Annabel Lee“ – vorbildlich in beiden Sprachen abgedruckt. Faszinierend
sind aber insbesondere auch die Essays – es sind zwar nur drei, aber jeder von
ihnen steht für sich und seinen Autor: In „Die Methode der Komposition“
berichtet Poe über sein Vorgehen beim Schreiben von Lyrik – und räumt dabei mit
Illusionen von Genie und Inspiration auf; gleichzeitig liefert er dadurch, was
auch selten der Fall ist, eine Eigeninterpretation eines Werkes durch den
Autors selbst– und zwar vom „Raben“. „Heureka“ ist ein äußerst seltsamer
Versuch, Physik, Metaphysik und Satire zu verbinden, Poe entfaltet eine
Kosmogonie irgendwo zwischen Naturwissenschaft, Philosophie und laienhaften
Ideen. Berühmt ist sein Versuch, den angeblichen Schachautomaten des Baron von
Kempelen zu entlarven, mit dem dessen Nachbesitzer durch Amerika tourte: „Maelzels
Schach-Spieler“. Poe hatte ganz richtig erkannt, dass die Maschine keineswegs
selbständig agierte, sondern…naja, lesen Sie selbst.
Bodo
Kirchhoff: Der Sandmann.
Quint,
Radiosprecher um die 50, entflieht seiner Ehekrise in Richtung Tunis mitsamt
seinem vierjährigen Sohn Julian. Der Grund: ihr Kindermädchen Helen ist dorthin
spontan aufgebrochen und seitdem spurlos verschwunden, Quint hatte eine Affäre
mit ihr, die jedoch (noch) nicht sexueller, sondern rein sprachlicher Natur
war. In Tunis kann er zwar ihren letzten Aufenthaltsort ausfindig machen, eine
kleine Pension, doch gerät er zwischen deren Bewohnern – der verführerischen
Besitzerin, ihrem degenerierten Sohn und dem geheimnisvollen deutschen
„Exilanten Dr. Branzger – zunehmend in ein Verwirrspiel, insbesondere als er
Helens Aufzeichnungen zugespielt bekommt, die suggerieren, diese sei noch in
der Stadt und beobachte Quint und dessen Sohn. Doch ist diesen Heften überhaupt
zu trauen? Und wem überhaupt? Quint verliert zunehmend die Kontrolle über das
Geschehen. Nicht unbedingt einer der besten Romane Kirchhoffs (geboren 1948),
vielleicht muss man(n) dazu erst in die Midlife Crisis kommen, um ihn mehr
würdigen zu können.
Marie
von Ebner-Eschenbach: Bozena.
Früher
waren die Erzählungen Ebner-Eschenbachs (1830-1916) noch präsenter, heute
findet man hin und wieder noch einen ihren Aphorismen zitiert. Insgesamt dürfte
dies allerdings daran liegen, dass der Realismus des 19. Jahrhunderts keine
allzugroße Reichweite unter den Leser*innen mehr hat – leider. Denn gerade die
Österreicherin Ebner-Eschenbach, ohnehin die einzig nennenswerte Vertreterin
jener Epoche, steht für die große Menschlichkeit und Menschenkenntnis, die sich
in den besten Werken dieser Richtung manifestiert. Zwar war auch sie
beeinflusst vom Pessimismus Schopenhauers, aber gerade ihr, der
Hocharistokratin, gelang es unter den
ungeschönten Eigenschaften wie Neid, Gier und Eitelkeit einen Kern an Gewissen
herauszufiltern, der noch am Leben erhalten wird – insbesondere unter den
sogenannten „einfachen“ Menschen. So ist es auch hier die Dienstmagd Bozena,
die schlussendlich für eine Versöhnung sorgen kann in den durch Zufälle, aber
vor allem auch Bösartigkeiten bedingten Intrigen innerhalb Familien des
aufstrebenden Bürgertums und des absteigenden Adels im Böhmen der verfallenden
Habsburgermonarchie. Wer also einen Wiedereinstieg in den Realismus wagen
möchte, ist mit Ebner-Eschenbach bestens betaten. Wer ein gutes Buch mit
menschlichem Kern lesen will, sowieso.
Gwendoline
Riley: cold water.
Bei
Erscheinen 2002 sorgte das Debut der Britin Gwendoline Riley für allgemeine
Lobeshymnen. Zurecht? Zurecht. Der sehr kurze Roman über eine junge Barfrau in
Manchester, die neben ihrer eigenen Arbeitsstelle auch zahlreiche der
KollegInnen aufsucht, erfreut durch seinen unaufgeregten lakonischen Stil,
hinter dessen sanfter Ironie sich ein melancholischer Grundton versteckt.
Carmels Leben schwankt zwischen der Freiheit der jungen Jahre und deren
gleichzeitiger Perspektivlosigkeit. Wie alle ihre Bekannten hat sie
sehnsüchtige Träume – von der glücklichen Beziehung bis zum Landleben in
Cornwall – und wenig Aussicht auf deren baldige Verwirklichung. Was wie ein Bohèmeleben
erscheinen mag ist vor allem eine stets bedrohte Existenz, über die man sich
besser keine allzugroßen Gedanken macht. Und so dominieren leicht verkorkste,
aber zumeist liebenswerte Gestalten das Nachtleben Manchesters – der Roman
dürfte von der stadt kaum zu werbezwecken missbraucht werden. Dass es ständig
nieselig-grau zu sein scheint, mag man noch als englische Wetterfolklore
hinnehmen, aber der überall herumliegende Müll, wabernde Gestank und schmutzige
Verfall ist nicht nur der Hintergrund, sondern auch der Grund für das
Sichwegsehnen. Die lockere Erzählhaltung versucht schließlich auch gar nicht,
über das Unentrinnbare hinwegzutäuschen, in dem sich Carmel und ihre Generation
befinden. Der Ausbruch wird am Ende vertagt, alte Muster kehren zurück. Starker
Erstling.
Willi
Fährmann: Unter der Asche die Glut.
Vor
zwei Jahren verstarb mit Willi Fährmann (1929-2017) einer der erfolgreichsten
deutschen Jugendschriftsteller, dessen großes Thema nicht nur, aber vor allem,
die Zeit vor, im und nach dem ‚Dritten Reich‘, am bekanntesten und
eindrücklichsten sicher in „Es geschah im Nachbarhaus“. Auch mit „unter der
Asche die Glut“ beweist Fährmann einmal mehr seine Fähigkeit, nah an den Fakten
mit lebensechten Charakteren, die weder Helden noch Typen sind, unaufgeregt,
aber spannend Geschichte zu erzählen. Im Mittelpunkt stehen einige Jugendliche
der katholischen Jungschar, denen nach der sogenannten „Machtergreifung“ schnell
klar wird, dass sie fortan unter beständiger Drohung stehen: dies gilt für ihre
Organisation allgemein, aber auch für jedes einzelne Mitglied. Es sind weniger
die vereinzelten Schlägereien mit der HJ, die nach und nach erfolgenden
Verbote, die letztlich jegliches Vereinsleben außerhalb der Hitlerjugend
unterbinden sollen, sondern die Eingriffe in das Leben und die Familien. Das
Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der katholischen Jugend zerstört Lebenswege,
Freundschaften und Zukunftsaussichten. Eine Romfahrt setzt noch einmal ein
großes Zeichen, doch ein Happy End erfolgt nicht: der scheinbar glückliche
Ausgang bleibt nicht nur ambivalent – eine Auswanderung nach Südamerika, die
man auch als Kapitulation verstehen kann –, sondern offen. Dank Fährmanns
Erzählkunst ein lebendiges Panorama über ein selten dargestelltes Thema, dass
ein Licht auf die ‚kleinen‘ Verfolgungen wirft – ohne die brutaleren gegen Kommunisten
und Juden auszusparen –, über das Eingreifen von Diktaturen in die privatesten
Bereiche und in die Lebensverhältnisse, in der plötzlich nicht mehr jedem zu
trauen ist. Wie eigentlich immer bei Fährmann auch ein großer Lesegewinn für
Erwachsene.
Junichiro
Tanizaki: Naomi oder Eine unersättliche Liebe.
Wieder
einer der kurzen frühen Romane Tanizakis (1896-1965), die sich noch stark am
europäischen Vorbild orientierten. Und es verwundert den westlichen Leser und
die westliche Leserin, wie unterwürfig und demütig im Buch selbst die
Japaner*innen – die japanische Gesellschaft insgesamt – gegenüber jeglichem
europäischem oder amerikanischem Einfluss geschildert wird, sowohl was die
Personen angeht, als auch die kulturelle Orientierung. Der Umgang mit den
Ausländern ist ehrerbietig bewundernd, was aus dem Westen kommt, wird geradezu
bedürftig aufgenommen und kopiert. Dies wirkt angesichts der stolzen eigenen
Kultur und dem damit verbundenen Selbstbewusstsein, das wir mit ihr verbinden,
reichlich befremdlich – wie sehr es tatsächlich das Denken zumindest bestimmter
japanischer Schichten der Vorkriegszeit oder doch eher den Wunschvorstellungen
des Autors entspricht, müsste man genauer untersuchen. Auch das Hauptthema des
Romans kommt uns heute kurios bis fragwürdig vor: der Joji möchte ein
minderjähriges Mädchen, das in einem Café arbeiten muss, unter seine Fittiche
nehmen, um sie in seinem Sinne zu einer für ihn angenehmen Ehefrau zu erziehen
– äußerlich betrachtet gelingt sein Vorhaben: er nimmt Naomi zur Frau und setzt
sich für ihre Bildung ein. Doch sein Geschöpf entwickelt sich zur Frau, was
Joji zwar sexuell anzieht, sie aber auch nutzt, um ihn nicht nur auszunehmen
und zu betrügen, sondern auch schlussendlich zu unterwerfen. Ein nicht immer
leicht zu verstehendes Werk, da trotz der Westorientierung viel japanischer
Hintergrund notwendig ist – und es, anders als in anderen Übersetzung
Tanizakis, hier keine Erläuterungen gibt, aufgrund des Inhalts nicht ganz
unkontrovers, aber da Naomi sich revanchiert…
Arthur
Schnitzler: Therese. Chronik eines Frauenlebens.
Eine
Naomi ist Therese, Tochter eines k.u.k-Offiziers in Salzburg, nicht, obwohl
auch sie den Männern verfallen und nicht ohne Selbstbewusstsein ist. Doch
Schnitzlers (1862-1931) Protagonistin kann sich nicht befreien, sie steigt auch
nicht auf, sondern ab, als ihr Vater dem Wahnsinn verfällt, und sie von einer
unglücklichen Affäre in die nächste stolpert, es dazu als Hauslehrerin selten
länger als ein paar Monate in einem Dienst aushält. Schnitzler häuft nicht
wenig Unglück über seine Therese, vom Tod des Vaters, einem unehelichen Kind,
das sich zum Dieb und schließlich ihrem Mörder entwickelt, doch ist seine
Figur, wie man es von ihm erwartet, vor allem eine Gefangene ihrer eigenen
Psychologie und des Desinteresses der Menschen aneinander. Geplagt von
Gefühlswechseln, von falschen Hoffnungen und zu schnellem Gekränktsein, von
Unleidlichkeit und Unbeständigkeit in ihren Beziehungen, vor allem aber vom
Glauben an die eigene Schuld dem vernachlässigten Kind gegenüber, dass sie
einst abtreiben und noch in der Nacht der Geburt sterben lassen wollte, gelingt
ihr nie der Ausbruch aus einer Abfolge von Enttäuschungen. Das Ende ist
keineswegs zwangsläufig, gleichwohl scheint es letztlich nur auf tragische
Weise ein Leben zu beenden, das sich ausweglos weiter dahin langsam absteigend
dahingeschleppt hätte. „Grausam nüchtern“ nannte Stefan Zweig das Buch, wie
wahr.
Heinrich
Böll: Ansichten eines Clowns.
Es
kommt nicht allzu oft vor, dass ein Autor gut zwanzig Jahre nach Erscheinen
seines Romans ein Nachwort zu seinem eigenen Werk verfasst und dieses dann auch
noch für inzwischen obsolet erklärt. Allerdings hat Heinrich Böll (1917-1985)
auch fünfzig Jahre später immer noch recht: inhaltlich hat der Roman ziemlich
viel Staub angesetzt, die Probleme der konfessionellen Mischehen, der enorm
einflussreichen katholischen Verbände, eines bis tief in die Familien gehenden
geistlichen Einflusses waren bald überholt – dass Böll Anfang der Sechziger
Jahre damit noch einen Skandal auslösen konnte, unterstreicht diese Entwicklung
nur. Warum also das Buch überhaupt noch lesen? Nun, erstens ist es einfach gut
erzählt, Hans Schnier ist trotz allem eine ambivalente, manchmal querulante,
aber doch durch sein Aufbegehren sympathische Außenseiterfigur; eine traurige
Liebesgeschichte sind die „Ansichten“ zudem, ein Thema, das nie veraltet. Und
dann kann man den Roman inzwischen als Dokument einer Zeit lesen, die zum Glück
überwunden, aber so lange doch noch nicht her ist – und vor allem eine, in
deren Muffigkeit, Enge und Kontrollwut man ganz, ganz sicher nicht
zurückmöchte.
Isabel
Allende: Von Liebe und Schatten.
Die
jüngeren Romane Isabel Allendes (geboren 1942) stehen ja zunehmend unter Kitschverdacht
und bei solch einem Titel – kein Übersetzungslapsus – befürchtet man Schlimmes.
Falsch. Erstens handelt es sich um ein Frühwerk – den direkten Nachfolger des „Geisterhauses“
– und der Titel mag zwar etwas plump sein, trifft aber den Inhalt. Allende
verknüpft in ihrer eigenen Art zu erzählen die Schicksale dreier Familien aus
den unterschiedlichsten Milieus unter der Diktatur Pinochets in Chile. Dem
liegt eine Liebesgeschichte zugrunde, doch fallen auf alle Personen die
Schatten des Unterdrückungsapparates - tödliche Schatten zumeist, wer „Glück“
hat, kommt mit dem Exil davon, aber keiner ohne traumatische Erfahrung. Die
skurrilen Einfälle Allendes fehlen naturgemäß auch in diesem Roman nicht, doch
entwickelt sich dieser schneller zu einer gerafften, stringenten Erzählung
eines politischen Skandals, dessen Aufklärung zahlreiche Opfer kostet. Hat
alles, was man von Isabel Allende in Bestform erwartet.
Wolfgang
Herrndorf: Tschick.
„Tschick“,
ein enormer Bucherfolg Anfang der 2010er Jahre, gehört in die junge Tradition
seit Tommie Bayer und Sven Regener, mit dem Unterschied, dass Wolfgang Herrndorf
(1965-2013) keine Rückblende mit autobiographischen Zügen verfasste, sondern
aus der Sicht eines Achtklässlers der Gegenwart berichtete. Dementsprechend der
Stil seines Buches, weniger erwartbar die äußerst komisch-kuriose Geschichte
einer Sommerferienfahrt im gestohlenen Lada mit dem anfangs wenig geliebten
neuen Mitschüler russischer Herkunft Tschick, laut eigener Auskunft jüdischer
Zigeuner mit Verwandtschaft in der Walachei, also warum da nicht mal hinfahren?
Auch wenn man nicht einmal so genau weiß, wo die überhaupt liegt und wo genau
Süden ist, irgendwelche Straßen werden schon von Berlin aus dorthin führen. Ganz
so einfach ist es dann doch nicht, da den beiden bald die Polizei auf den Fersen
ist, das Benzin ausgeht, sie auf einem Müllplatz ein Mädchen aufgabeln und die
eigene Schrottkarre zuguterletzt auf der Autobahn in einen Schweinelaster
hineinkracht. Herrndorfs Buch wurde allseitig gelobt und daran gibt es auch
nichts zu meckern. Man steigt mit den beiden in den alten Lada ein und ist am Ende
ähnlich traurig, dass die Fahrt zu Ende ist. Gemeinsam man ihnen war man aus
dem tristen Alltag geflüchtet und nun ist es vorbei – aber der schöne Moment
bleibt als Erinnerung. „Tschick“ ist inzwischen Schullektüre. Genau die
Schullektüre, die man sich seinerzeit gewünscht hätte.
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