Ingeborg Bachmann: Malina. st 2700
Malina
beginnt mit einer Aufzählung der auftretenden Personen, wie das Textbuch zu
einem Theaterstück, aber auch wie ein Protokoll, doch mit Lücken und Wertungen,
mit Kommentaren einer höheren Ebene, zugleich persönlich, schließlich wird eine
der Personen Ich genannt. Dieser Einstieg gibt Form und Inhalt dieses
einzigen Romans von Ingeborg Bachmann (1926-1973) vor, einem gemischten Text,
der wenig Handlung aneinander reiht in
realistischen Prosaabschnitten, Dialogen wie aus dem Opernlibretto,
verstümmelten Telephongesprächen, abgebrochenen Briefen, Märchenfragmenten und
Traumschilderungen. Und der doch eine Einheit bildet, obwohl er von
Unsicherheiten geprägt ist. Wer sind die Personen, vor allem das Ich, dieses
labile Wesen, umgeben von scheinbar zwei Männern, Ivan und Malina, die ohne
sich zu beachten nebeneinander her leben, Stütze und subtile Drohung für die
Protagonistin zugleich. Existieren sie tatsächlich, sind sie ein und dieselbe
Person oder nur Ausgeburt der ebenso sprühenden wie nicht verlässlichen Phantasie
des Ichs?
Dieses Ich ist
eine Gefangene ihrer Innenwelt, auf die sie sich immer mehr zurückzieht. Heute ist ein Wort, das nur Selbstmörder
verwenden dürften, für alle anderen hat es schlechterdings keinen Sinn, ‚heute’
(9) ist die tägliche Monotonie des Alltags, der das Ich zu entkommen sucht –
oder auch gerade nicht. Die Unveränderlichkeit der Monotonie gibt zugleich
Geborgenheit wie die eigenen vier Wände, weshalb die Protagonistin ihr Tun
sowohl zeitlich als auch räumlich immer mehr einschränkt. Der Kontakt mit der
Außenwelt nimmt immer mehr ab: Briefe werden nicht mehr vollendet, geschweige
denn abgeschickt, Besuche stets mit gleichlautenden Ausreden abgesagt, die
Straße zur Ungargassenwelt erklärt und zunehmend auf die private Wohnung
begrenzt. Episoden aus der Vergangenheit, etwa von der Schiffsreise, auf der
das Ich als einzige allein an einem Tag Geburtstag hat (vgl. 22f), künden diese
idiosynkratische Empfindlichkeit gegenüber den Mitmenschen an, einer gefühlten
existentiellen Unverbundenheit, die konsequenterweise zur tatsächlich
Bindungslosigkeit führt.
Zeit und Raum verschwinden ihr,
Zeit und Raum verschwinden ihr,
doch dann taucht
Ivan auf, der zwar eine scheinbare Perspektive und Öffnung ermöglicht, doch
schon sein Wohnort, gegenüber auf der anderen Straßenseite, verweist auf die
Beschränktheit auch dieser Lösung. Genaugenommen erzeugt diese anfangs so
lebhafte Beziehung lediglich eine neue Form der Abkapselung, des Stillstands
und der Verengung: Nun ist die weitere Welt, in der ich bisher gelebt habe –
ich immer in Panik, mit trocknem Mund, mit der Würgspur am Hals –, auf ihre
geringfügige Bedeutung reduziert, weil eine wirkliche Kraft sich dieser Welt
entgegensetzt (26). Symbol hierfür sind die stets herbeigesehnten
Telephongespräche, die keineswegs einen Ausbruch darstellen, sondern eher noch
das Verbleiben in der Wohnung, auch die Abhängigkeit, verstärken, Seit ich
diese Nummer wählen kann, nimmt mein Leben endlich keinen Verlauf mehr, ich
gerate nicht mehr unter die Räder, ich komme in keine ausweglosen
Schwierigkeiten, nicht mehr vorwärts und nicht mehr vom Weg ab (27),
Stillstand als Wohltat. Wie trügerisch dies ist, unterstreichen die Gespräche
selbst: sie sind banal, vieles bleibt unausgesprochen, der Grundton ist eher
misstrauisch vorwurfsvoll.
Die Befreiung
durch Ivan ist früh erkennbar als zukunftslose neue Anhänglichkeit, die
Unterordnung erfordert, er soll zufrieden mit mir sein (39), wenn er
keine Lust hat, Sätze mit mir zu bilden, stellt er sein oder mein Schachbrett
auf, in seiner oder meiner Wohnung, und zwingt mich zu spielen (44), auch
in die Inhalte ihres künstlerischen Schaffens möchte er eingreifen, weg von der
Suche nach Todesarten, hin zu Erbaulichem, Optimistischem, Was ist denn das
für eine Obsession, mit dieser Finsternis, alles ist immer traurig (52). Ivan
bestimmt den ersten Abschnitt des Romans, Malina, auch wenn diese Trennung
nicht strikt ist, dominiert den dritten. Er ist keine Gelegenheitsbeziehung,
sondern Mitbewohner, ich denke, dass wir auch heute noch wenig miteinander
zu tun haben, einer erduldet den anderen, erstaunt über den anderen (19),
doch verkörpert Malina gleichzeitig den ruhigen Pol der Vernunft, deswegen
habe auch nur ich etwas zu klären mit ihm, und mich selber vor allem muss und
kann ich nur vor ihm klären (19), er ist eine Art Rettungsanker, bleibt
aber gleichwohl undurchschaubar, steht Ivan für – anfängliche – Euphorie, so
Malina für oft kalte Rationalität. Beides – vielleicht nur Projektionen der
Protagonistin? – verfehlt das Ziel, dem Ich zu mehr Stabilität zu verhelfen.
Woher aber kommt
dieses Fragile, dieses Zurückziehen in sich selbst überhaupt? Warum habe ich
bisher nie bemerkt, dass ich Leute fast nicht mehr ertragen kann? Seit wann ist
das so? Was ist aus mir geworden? (175) Ein Erklärungsangebot gibt der
zweite, anspielungsreich Der dritte Mann betitelte Abschnitt des Romans,
eine nur von wenigen Einschüben unterbrochene Aneinanderreihung von Alpträumen
und Angstvisionen, die vom Vater beherrscht sind, zu dem eine Beziehung von oft
hilfloser Abhängigkeit, einem Ausgeliefertsein besteht. Diese von Verfolgungen
geprägten Eindrücke, in denen sich Erinnerungen und Phantasien vermischen, sind
durchaus drastisch, Inzest und Vergewaltigung werden offen angesprochen, aber
auch ambivalent, in jedem Falle in ihrer Gewalttätigkeit von Konsequenz,
Unfreiheit und eben Unsicherheit auslösend, bis hin zu den zahlreichen
Todesvarianten, die sich dem Ich aufdrängen – für sich und andere.
Unzweifelhaft auch, dass das Unglück der Frauen ein besonders
unvermeidliches und ganz und gar unnützes ist (288).
Außer Zeit und
Raum geht aber noch etwas Existentielles verloren, Bachmann spricht ein Thema
an, dass gerade die österreichische Literatur immer wieder von neuem
beschäftigt – und nicht von ungefähr ist ein Anklang an Hofmannsthal nur allzu
deutlich: Ich weiß noch die Worte, die rosten, seit vielen Jahren, auf
meiner Zunge, und ich weiß die Worte ganz gut, die mir jeden Tag zergehen auf
der Zunge oder die ich kaum herunterschlucken kann, kaum hervorstoßen kann. Es
waren auch nicht eigentlich die Dinge, die ich mit der Zeit immer weniger
einkaufen oder sehen konnte, es waren die Worte dafür, die ich nicht hören
konnte (340). Mit den Worten, der Sprache kommt dem Ich auch seine Umwelt
abhanden. Malina ist eines der großen Monumente der deutschsprachigen
Literatur des 20. Jahrhunderts, wie Ingeborg Bachmann selbst. Man soll
Romanfigur und Autorin nicht verwechseln, und doch stimmt einen dieser
einzigartige Text, in den unzweifelhaft viel Autobiographisches eingeflossen
ist, vor dem wissenden Hintergrund um das Schicksal der Dichterin melancholisch
wie kaum ein anderer.
Vorgänger (Teil 11): Marcel Proust - In Swanns Welt. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
Vorgänger (Teil 11): Marcel Proust - In Swanns Welt. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.