Freitag, 30. August 2019

Suhrkamps Romane des Jahrhunderts (12) - Ingeborg Bachmann: Malina.



Ingeborg Bachmann: Malina. st 2700

Malina beginnt mit einer Aufzählung der auftretenden Personen, wie das Textbuch zu einem Theaterstück, aber auch wie ein Protokoll, doch mit Lücken und Wertungen, mit Kommentaren einer höheren Ebene, zugleich persönlich, schließlich wird eine der Personen Ich genannt. Dieser Einstieg gibt Form und Inhalt dieses einzigen Romans von Ingeborg Bachmann (1926-1973) vor, einem gemischten Text, der wenig Handlung aneinander reiht  in realistischen Prosaabschnitten, Dialogen wie aus dem Opernlibretto, verstümmelten Telephongesprächen, abgebrochenen Briefen, Märchenfragmenten und Traumschilderungen. Und der doch eine Einheit bildet, obwohl er von Unsicherheiten geprägt ist. Wer sind die Personen, vor allem das Ich, dieses labile Wesen, umgeben von scheinbar zwei Männern, Ivan und Malina, die ohne sich zu beachten nebeneinander her leben, Stütze und subtile Drohung für die Protagonistin zugleich. Existieren sie tatsächlich, sind sie ein und dieselbe Person oder nur Ausgeburt der ebenso sprühenden wie nicht verlässlichen Phantasie des Ichs?
Dieses Ich ist eine Gefangene ihrer Innenwelt, auf die sie sich immer mehr zurückzieht. Heute ist ein Wort, das nur Selbstmörder verwenden dürften, für alle anderen hat es schlechterdings keinen Sinn, ‚heute’ (9) ist die tägliche Monotonie des Alltags, der das Ich zu entkommen sucht – oder auch gerade nicht. Die Unveränderlichkeit der Monotonie gibt zugleich Geborgenheit wie die eigenen vier Wände, weshalb die Protagonistin ihr Tun sowohl zeitlich als auch räumlich immer mehr einschränkt. Der Kontakt mit der Außenwelt nimmt immer mehr ab: Briefe werden nicht mehr vollendet, geschweige denn abgeschickt, Besuche stets mit gleichlautenden Ausreden abgesagt, die Straße zur Ungargassenwelt erklärt und zunehmend auf die private Wohnung begrenzt. Episoden aus der Vergangenheit, etwa von der Schiffsreise, auf der das Ich als einzige allein an einem Tag Geburtstag hat (vgl. 22f), künden diese idiosynkratische Empfindlichkeit gegenüber den Mitmenschen an, einer gefühlten existentiellen Unverbundenheit, die konsequenterweise zur tatsächlich Bindungslosigkeit führt.
Zeit und Raum verschwinden ihr,
doch dann taucht Ivan auf, der zwar eine scheinbare Perspektive und Öffnung ermöglicht, doch schon sein Wohnort, gegenüber auf der anderen Straßenseite, verweist auf die Beschränktheit auch dieser Lösung. Genaugenommen erzeugt diese anfangs so lebhafte Beziehung lediglich eine neue Form der Abkapselung, des Stillstands und der Verengung: Nun ist die weitere Welt, in der ich bisher gelebt habe – ich immer in Panik, mit trocknem Mund, mit der Würgspur am Hals –, auf ihre geringfügige Bedeutung reduziert, weil eine wirkliche Kraft sich dieser Welt entgegensetzt (26). Symbol hierfür sind die stets herbeigesehnten Telephongespräche, die keineswegs einen Ausbruch darstellen, sondern eher noch das Verbleiben in der Wohnung, auch die Abhängigkeit, verstärken, Seit ich diese Nummer wählen kann, nimmt mein Leben endlich keinen Verlauf mehr, ich gerate nicht mehr unter die Räder, ich komme in keine ausweglosen Schwierigkeiten, nicht mehr vorwärts und nicht mehr vom Weg ab (27), Stillstand als Wohltat. Wie trügerisch dies ist, unterstreichen die Gespräche selbst: sie sind banal, vieles bleibt unausgesprochen, der Grundton ist eher misstrauisch vorwurfsvoll.
Die Befreiung durch Ivan ist früh erkennbar als zukunftslose neue Anhänglichkeit, die Unterordnung erfordert, er soll zufrieden mit mir sein (39), wenn er keine Lust hat, Sätze mit mir zu bilden, stellt er sein oder mein Schachbrett auf, in seiner oder meiner Wohnung, und zwingt mich zu spielen (44), auch in die Inhalte ihres künstlerischen Schaffens möchte er eingreifen, weg von der Suche nach Todesarten, hin zu Erbaulichem, Optimistischem, Was ist denn das für eine Obsession, mit dieser Finsternis, alles ist immer traurig (52). Ivan bestimmt den ersten Abschnitt des Romans, Malina, auch wenn diese Trennung nicht strikt ist, dominiert den dritten. Er ist keine Gelegenheitsbeziehung, sondern Mitbewohner, ich denke, dass wir auch heute noch wenig miteinander zu tun haben, einer erduldet den anderen, erstaunt über den anderen (19), doch verkörpert Malina gleichzeitig den ruhigen Pol der Vernunft, deswegen habe auch nur ich etwas zu klären mit ihm, und mich selber vor allem muss und kann ich nur vor ihm klären (19), er ist eine Art Rettungsanker, bleibt aber gleichwohl undurchschaubar, steht Ivan für – anfängliche – Euphorie, so Malina für oft kalte Rationalität. Beides – vielleicht nur Projektionen der Protagonistin? – verfehlt das Ziel, dem Ich zu mehr Stabilität zu verhelfen.
Woher aber kommt dieses Fragile, dieses Zurückziehen in sich selbst überhaupt? Warum habe ich bisher nie bemerkt, dass ich Leute fast nicht mehr ertragen kann? Seit wann ist das so? Was ist aus mir geworden? (175) Ein Erklärungsangebot gibt der zweite, anspielungsreich Der dritte Mann betitelte Abschnitt des Romans, eine nur von wenigen Einschüben unterbrochene Aneinanderreihung von Alpträumen und Angstvisionen, die vom Vater beherrscht sind, zu dem eine Beziehung von oft hilfloser Abhängigkeit, einem Ausgeliefertsein besteht. Diese von Verfolgungen geprägten Eindrücke, in denen sich Erinnerungen und Phantasien vermischen, sind durchaus drastisch, Inzest und Vergewaltigung werden offen angesprochen, aber auch ambivalent, in jedem Falle in ihrer Gewalttätigkeit von Konsequenz, Unfreiheit und eben Unsicherheit auslösend, bis hin zu den zahlreichen Todesvarianten, die sich dem Ich aufdrängen – für sich und andere. Unzweifelhaft auch, dass das Unglück der Frauen ein besonders unvermeidliches und ganz und gar unnützes ist (288).
Außer Zeit und Raum geht aber noch etwas Existentielles verloren, Bachmann spricht ein Thema an, dass gerade die österreichische Literatur immer wieder von neuem beschäftigt – und nicht von ungefähr ist ein Anklang an Hofmannsthal nur allzu deutlich: Ich weiß noch die Worte, die rosten, seit vielen Jahren, auf meiner Zunge, und ich weiß die Worte ganz gut, die mir jeden Tag zergehen auf der Zunge oder die ich kaum herunterschlucken kann, kaum hervorstoßen kann. Es waren auch nicht eigentlich die Dinge, die ich mit der Zeit immer weniger einkaufen oder sehen konnte, es waren die Worte dafür, die ich nicht hören konnte (340). Mit den Worten, der Sprache kommt dem Ich auch seine Umwelt abhanden. Malina ist eines der großen Monumente der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, wie Ingeborg Bachmann selbst. Man soll Romanfigur und Autorin nicht verwechseln, und doch stimmt einen dieser einzigartige Text, in den unzweifelhaft viel Autobiographisches eingeflossen ist, vor dem wissenden Hintergrund um das Schicksal der Dichterin melancholisch wie kaum ein anderer.       

Vorgänger (Teil 11): Marcel Proust - In Swanns Welt. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.     
                                       

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