Montag, 27. August 2012

Pussy Riot

Für alle, dies es noch nicht gesehen haben, hier das Video zum Auftritt der Pussy Riots, vor dem sich der Herr Putin und seine Kremlfreunde fürchten: 




Auch ein schönes Beispiel dafür, was Kunst in der Lage ist zu leisten, an die Adresse all derer, die lediglich einen verächtlichen Blick übrighaben für die Brotlosen und Orchideenzüchter - meistens kommt das ja aus der Ecke derjenigen, denen es egal ist, unter welchem Regime sie ihr Geld verdienen... In jedem Fall haben eine Band wie Pussy Riot und ein Künstler wie Ai Weiwei auf ihre Art mehr bewegt und ihren Staat mehr unter Druck gesetzt als all die netten Solidaritätsbekundungen, die gleich den Rückzieher, man dürfe natürlich der eigenen Wirtschaft nicht schaden, mithinterschicken. Und dem Vorwurf, dies sei trotz allem eine Geschmacklosigkeit gegenüber der Kirche, kann man getrost entgegenhalten, dass es - auch für jeden Gläubigen - die weitaus größere Geschmacklosigkeit ist, sich mit einer Diktatur zu verbandeln. 
Sicher ist das nicht der Gipfel den Hochkunst, den die Damen hier erklommen haben, weder in Text noch in der Musik (was aber für den guten Punk bei uns auch galt und gilt), anders als Ai Weiwei etwa, aber das ist ziemlich egal, denn vor allem gehört dazu eine gehörige Portion Mut, wie das Gerichtsverfahren nun ja bestens bewiesen hat. Es wird sich zeigen, wie lange das westliche Interesse anhält, je länger die Frauen im Straflager sitzen.

Kleiner Nebenschauplatz: Die Berichterstattung des Spiegel zum Thema (immerhin die Titelgeschichte) ist mal wieder bezeichnend für das Treiben des Oberfeuilletonschreiberlings Georg Diez, dessen ja immer unglaublich uneitles Wesen sich gern mit sexistischen Bemerkungen mischt, als Einleitung zum von ihm geführten Interview mit dem Gatten der Verurteilten Nadeschda Tolokonnikowa beschreibt er, den berechtigten Vorwurf pseudoschlau vorwegnehmen wollend, von der auch, wenn das womöglich sexistisch klingt, hübschesten der drei berühmten Gefangenen. Nein, das klingt nicht womöglich sexistisch, es ist schlicht und ergreifend sexistisch - und noch dazu völlig irrelevant für das gesamte Thema, eine Frechheit gegenüber den anderen Bandmitgliedern und noch dazu ein bisschen dumm im Zusammenhang mit einer feministischen Punkband. Naja, einige Seiten später schreibt selbiger Diez in einem Bericht über Janine de Giovanni diese habe sinnliche Lippen - was ähnlich tiefgründige Erkenntnisse offenbart über ihren Beruf als Kriegsreporterin. Revolution muss eben sexy sein, verkündet...Georg Diez. Tja, armer Ai Weiwei...

Sonntag, 19. August 2012

Kurt Schwitters baselt

Kurt Schwitters (1887-1948)
hat in seiner unnachahmlichen Art ein recht hübsches Gedicht auf Basel verfasst, sicher nicht der Höhepunkt deutscher Dichtkunst, aber dafür unterhaltsam und zum Tüfteln über manche Anspielungen für Baselkenner.

Basler Münster  (c) BG
Basel

Es geht ein bißchen rauf,
es geht ein bißchen runter,
dazwischen fließt der Rhein.
Grün soll das Wasser sein.
Wenns regnet stürmt und schneit,
dann ist es braun,
braun anzuschaun.
Verhältnismäßig drückend föhnt der Föhn,
es brodelt tief im Grunde,
darüber eine Stadt,
die Basels Name trägt und hat.
Dort lint es Böck,
dort beint es Hol,
es waldet grün und witzt.
Der Ritter sticht den Wurm,
am Turm.
Die Kirche aus Zement
ist Mosers hohe Zeit.
Es brennt,
wenn's brennt,
im Kleid.
Der Frauen holder Chor
lächelt dem Tor.
Mann, sieh dich vor!

Dienstag, 14. August 2012

Julie Delpy spricht...

Schon vor ein paar Wochen hat Julie Delpy im KulturSpiegel ein interessantes Interview gegeben, in dem sie über ihren neuen Film - respektive ihre neuen Filme - spricht und da deutsche Journalisten gerne internationale Gäste im Sinne der Heimeligkeit nach deren Meinung zu deutschen Themen fragen, was selten zu tiefgründigen Erkenntnissen führt, überrascht Mme Delpy mit immerhin doch sehr überlegenswerten Antworten.

Ob man ihr eine tiefere Kenntnis der deutschen Verhältnisse unterstellen darf, sei - trotz des rechtsrheinischen Freundes - einmal dahingestellt, trotz Nachbarschaft ist das Wissen über l'Allemagne nicht sonderlich ausgeprägt, Schauspielerkollegin Juliette Binoche hat jüngst eine Frage nach ihren Kenntnissen eines guten zeitgenössischen ddeutschen Films so beantwortet:
"(überlegt länger) Da gab es doch einen großartigen Regisseur bei Euch, der hieß Fassbinder". Nachzulesen hier: http://suite101.de/article/interview-mit-juliette-binoche-ich-will-bescheiden-bleiben-a124199
Das spricht eindeutig für den Geschmack Juliette Binoches, aber nicht gerade für eine starke Aufmerksamkeit ihrerseits gegenüber deutscher Filmkunst und vielleicht noch viel mehr gegen diese selbst.

Doch zurück zu Julie Delpy und ihren Bemerkungen zur deutschen Politik, insbesondere zur "Herdprämie" alias Betreuungsgeld - die sie für eine artverwandte Idee von Marine le Pen hält... Das spricht sicher nicht gegen Julie Delpy, genausowenig wie ihr offenkundiges Erstaunen über die Tatsache, dass dies überhaupt bei uns diskutiert wird. Denn darüber muss schließlich jeder in Erstaunen geraten, jenseits und diesseits des Rheins - nur offenbar nicht südlich der Donau...

Als Freundin klarer Worte hält sie sich auch nicht mit ihrer Meinung über die vermeintliche Liberalität Hollywoods zurück - auch das nur zu unterschreiben:
"Es gibt viele Liberale in Hollywood, aber deren Idee von Liberalität ist nicht meine. Die halten es für liberal, Frauen zu zeigen, die ständig mit neuen Männern ins Bett steigen. Die finden "Sex and the City" liberal. Dabei geht es da nur um Frauen, die so oberflächlich wie Scheiße sind. Das ist das Gegenteil von liberal, das ist nur dämlich."

Womit sie gleich noch mal ein Cliché über sich selbst mit beiseite räumt, nämlich das der ätherischen zerbrechlichen Künstlerin.Auch diese Einordnung ist folglich oberflächlich wie Scheiße. Im Gegensatz zu ihren Antworten. Hier das komplette Interview:
http://www.spiegel.de/spiegel/kulturspiegel/d-86519335.html 

Samstag, 11. August 2012

Langston Hughes und Abe Lincoln


Ob man Gedichte übersetzen kann, ist eine langwierige und alte Diskussion, die bei den meisten Debatten auf das Ergebnis hinausläuft, nein, aber man muss - schließlich möchte man den Lesern außerhalb der Sprache die Lyrik nicht vorenthalten. Der beste Kompromiss sind dann zweisprachige Ausgaben (ein guter Kompromiss, der wie alle guten Kompromisse der Angefaultheit nicht entbehrt, da man schließlich trotzdem nur etwas davon hat, wenn man die Originalsprache versteht).

In Enzensbergers legendärer Sammlung mit dem wunderbaren Titel Museum der modernen Poesie - inzwischen schon unglaubliche 52 Jahre alt - hat man sich diese Mühe leider gespart...dabei liefert gerade diese so lobenswerte Anthologie mit einer netten Stilblüte das beste Argument für mehrsprachige Ausgaben.

Dort gibt es eine Strophe aus dem Gedicht Langston Hughes' The Negro speaks of Rivers, seltsam genug übersetzt mit Der Neger spricht von den großen Strömen - nicht wegen des heute sicher vermiedenen "Negers" (wie gesagt stammt das Museum von 1960), sondern des Aufblasens der Rivers zu "großen Strömen"...doch wie und warum auch immer, schön liest sich dies hier:

Ich vernahm das Rauschen des Mississippi, als Abe Libcoln 
hinunter fuhr nach New Orleans, und ich habe gesehen,
wie seine schlammige Brust sich im Abendrot golden färbte.  

Das Ganze ist natürlich ein Fünftklässlerfehler, worüber man sich aber nur noch mehr wundert. Der Vergleich mit dem Original zeigt schnell, wie der arme Abe zu seiner Schlammbrust kommt, wobei das Bild, wie Lincolns Brust sich beim Hinunterfahren nach New Orleans im Abendrot golden einfärbt, schon auch etwas sehr Einprägsames hat...

I heard the singing of the Mississippi when Abe Lincoln 
went down to New Orleans, and I've seen 
its muddy bosom turn all golden in the sunset.
 

Mittwoch, 8. August 2012

Chris Marker

Der französische Regisseur mit dem Namen, den jeder falsch ausspricht, wenn er ihn das erste Mal liest, Chris Marker, ist letzte Woche verstorben. Der Name ist nur ein Pseudonym, aber da er es liebte, über seine Herkunft zu geheimsen - und dies ziemlich erfolgreich - wurde aus Christian François Bouche-Villeneuve eben Chris Marker... Kurios auch, dass er gerade an seinem 91. Geburtstag (29.Juli) das Zeitliche gesegnet hat.

Die Libération hat dazu ein sehr gelungenes Titelbild herausgebracht - das allerdings wegen der Überschrift etwas umstritten war, offenkundig störte sich mancher an der Kombination von "Marker" und "aus/verwischen" und hielt dies für ein gerade angesichts des Anlasses dümmliches Wortspiel...das sich aber im Französischen nicht sehr aufdrängt. Dass er Marker hieß lässt sich schließlich kaum ändern und "s'effacer" bedeutet eigentlich "vergehen" und ist somit ein sehr poetischer Ausdruck, der nicht nur Marker sehr angemessen ist, sondern auch zum langsamen Ausklang eines Filmes passt. Schade, dass diese Diskussion über den Text von dem wirklich großartigen Bild abgelenkt hat, das - natürlich ein Filmzitat - Melancholie und Ironie ziemlich klug verbindet. 



Seine Filme sind nicht weniger exzentrisch als die Heimlichtuerei über seine Jugend, aber nicht auf schrille, sondern auf die sehr leise Art, die intelligente Filme oft ausmacht - und es sind die seltenen Exemplare der Leinwand, auf die der Begriff poetisch zutrifft; was sehr anstrengend klingt, und auch etwas elitär. Beides ist nicht verkehrt, sollte aber niemanden davon abhalten, sich wenigstens versuchsweise darauf einzulassen. Elitär sind die Filme Markers nicht von einem vorneherein begründeten Anspruch her (also einer bewusst gewollten Ausgrenzung), sondern das ergibt sich wohl aus der Natur der Sache oder des Genres. In Kritiken - und wahrscheinlich jetzt auch in den Nachrufen - findet sich fast stets das Wort "einzigartig", das ist berechtigt und natürlich als Kompliment gemeint, das aber auch den kleinen Kreis mitbeinhaltet, denn er dadurch - leider - nur erreicht hat.
Marker ist wenn nicht der Begründer, so doch der - meiner Meinung nach - vollendetste Regisseur des Film-Essays, weit davon entfernt, irgendwelche Dokus zu drehen, sondern...nun, eben einen Essay, einen Versuch, ein Thema zu umkreisen. Einfach ist das nicht. Adäquat umschreiben lässt es sich auch nicht...allenfalls in einem...Essay.
Solch einen Film anzusehen, muss man sich vornehmen. Aber es geht einem dann vielleicht wie mit vor gut zehn Jahren, als ich Markers Sans Soleil gesehen hab - ich glaub, ich war selten so von einem Film beeindruckt, und ich hab bis auf den heutigen Tag einzelne Szenen noch immer im Kopf, mitsamt dem Gefühl, das ich damals beim Anschauen hatte. Die Giraffe, die sich angeschossen im Todeskampf windet, hab ich jedenfalls nicht mehr aus dem Gedächtnis bekommen, obwohl man sich ja fast täglich allerhand Grausameres ansehen muss. Und die Bemerkungen über den japanischen Horrorfilm... Dass der Titel des Films genial ist, muss ich gar nicht erwähnen.

Leider gibt es die Filme von Chris Marker bei uns nicht auf DVD, warum auch immer...Kulturnation; wobei es die Franzosen auch nicht besser machen, erstaunlicherweise sind es die Briten, die uns da voraus sind. Zumindest waren das die einzigen, die ich entdecken konnte. Möglicherweise ändert sich das nun mit dem Tod des Meisters.
Auf youtube gibt es immerhin zum Reinschmecken den englischen Trailer (mit spanischen Untertiteln...) zu Sans Soleil, der einen ersten Eindruck vermittelt, was man sich unter einem Film-Essay Markerscher Art vorzustellen hat:

Ein melancholisches Meisterwerk. Einzigartig heißt schließlich auch, das er keinen Nachfolger hat. Ein großer Künstler des 20.Jahrhunderts, aber auch ein großer Unbekannter.  

Freitag, 3. August 2012

L'Ennemi


L'Ennemi


Ma jeunesse ne fut qu'un ténébreux orage,
Traversé çà et là par de brillants soleils;
Le tonnerre et la pluie ont fait un tel ravage,
Qu'il reste en mon jardin bien peu de fruits vermeils.

Voilà que j'ai touché l'automne des idées,
Et qu'il faut employer la pelle et les râteaux
Pour rassembler à neuf les terres inondées,
Où l'eau creuse des trous grands comme des tombeaux.

Et qui sait si les fleurs nouvelles que je rêve
Trouveront dans ce sol lavé comme une grève
Le mystique aliment qui ferait leur vigueur?

— Ô douleur! ô douleur! Le Temps mange la vie,
Et l'obscur Ennemi qui nous ronge le coeur
Du sang que nous perdons croît et se fortifie!

Charles Baudelaire