Dienstag, 12. Juni 2018

Lektüremonat Mai 2018.


 
Irmtraud Morgner: Hochzeit in Konstantinopel.

Ein Pärchen, Bele und Paul, unternimmt mit anderen Bürgern der DDR eine Fahrt nach Konstantinopel – gemeint ist nicht Istanbul, sondern ein Ort des damaligen Jugoslawien. Für sie ist es zugleich Hochzeits-, Urlaubs- und Forschungsreise, Bele unterhält dabei ihren zukünftigen Gatten, einen Physiker, mit kurzen Lügengeschichten. Dementsprechend wird die Handlung stets von Beles abgeschlossenen Einschüben unterbrochen. Morgners (1933-1990) ironischer Roman verhalf ihr zum Durchbruch in ihrer Heimat und zu Anerkennung auch im Westen. Heute erscheint ihre für das lavierende Gebaren von DDR-Schriftsteller*innen typische Leben in manchem interessanter. 

Staffan Seeberg: Stellas Freiheit.

Der Auftakt ist vielversprechend: kurz nach der Beerdigung seiner noch jungen Ehefrau erfährt der schwedische Major Larsson durch die zufällige Entdeckung von Briefen, dass seine Frau über Jahre, seit Beginn ihrer Ehe, parallel einen Liebhaber hatte. Das Versprechen kann der Roman des Schweden Seeberg (geboren 1938) allerdings nicht halten. Glaubt man anfangs noch, es liefe auf die etwas klischeehafte, aber womöglich interessante Konfrontation zwischen dem unbürgerlichen Liebhaber, einem Zauberkünstler, und dem biederen Offizier hinaus, entwickelt sich das Buch zunehmend zur reinen Männerphantasie, die Tiefgang vortäuscht und in einer abstrusen Handlung hölzerne Nebenfiguren und folgenlose Episoden literarisch hilflos aneinanderreiht. Zu allem Überfluss ist der Titel „Stellas Freiheit“ auf fast schon zynische Weise irreführend. Schwach, ganz schwach. 

Tom Stoppard: Arcadia.

Wie Peter Shaffer gehört Tom Stoppard (geboren 1937) zu den Vertretern der Glanzzeit des britischen Dramas im 20. Jahrhundert – und wie dieser war er auch als Drehbuchautor äußerst erfolgreich (u.a. mit „Shakespeare in Love“). „Arcadia“, 1993 erstaufgeführt, ist ein unterhaltsames Stück über Umbruchzeiten, das anfangs abwechselnd, später zunehmend ineinander überblendet von den Bewohnern eines Landgutes anno 1809 und in der Gegenwart berichtet. Dabei zeigen sich die Diskrepanzen der Vorstellungswelten, die zudem gerade 1809 ohnehin im Fluss sind zwischen Aufklärung und Gegenaufklärung in Form der Romantik, versinnbildlicht an der Gestaltung des Gartens und dem mysteriösen Auftritt Lord Byrons. Intelligentes Theaterstück mit viel Wortwitz in den Dialogen. 

Lord Dunsany: Die Königstochter aus Elfenland.

In Klett-Cottas verdienstvoller Reihe der Hobbit-Presse, in der zahlreiche Perlen der phantastischen Literatur und Gründungstexte der Fantasy in liebevollen Ausgabe erscheinen, darf Lord Dunsany (1878-1957) nicht fehlen, ist der irische Adlige doch sicher einer der weniger bekannten, aber doch eminent einflussreichen Autoren des Genres. Die Einwohner von Erl wünschen sich „mehr Zauber“ in ihrem Land und wissen nicht, was sie damit heraufbeschwören: der Sohn des Herrschers reist ins benachbarte Elfenland, wo die Zeit stillsteht, und bringt von dort die mit ihm geflohene Elfenprinzessin mit. Doch das Leben mit den normalen Menschen wird ihr bald langweilig, zudem lockt ihr unglücklicher Vater – und so kehrt sie ins Elfenland zurück. Der verzweifelte Gatte macht sich über Jahre vergeblich auf die Suche, wie dem Wahn verfallen, gelingt es ihm doch nicht mehr, ins elfische Königreich einzudringen. Derweil verwischen durch das Handeln des gemeinsamen Sohnes die Grenzen zwischen dem Land der Menschen und der Elfen, Einhörner und Trolle dringen ein. Und dann bekommt die Elfenprinzessin wieder Sehnsucht nach ihrer Zeit auf der anderen Seite. Mit sanfter Ironie und leichter Melancholie erzählter Roman nicht nur für Liebhaber*innen früher Fantasy.  

Hans Werner Richter: Du sollst nicht töten.

Hans Werner Richter (1908-1993) war – und ist – im Bild der Öffentlichkeit der Initiator und Kopf der legendären „Gruppe 47“, aber als eigenständiger Schriftsteller  wurde er neben all den berühmten Kolleginnen und Kollegen kaum wahrgenommen, obwohl er durchaus ein umfangreiches Werk hinterlassen hat, darunter auch sein Anti-Kriegsroman „Du sollst nicht töten“ von 1955. Dass Richter kein Walser, Grass oder Celan war, ist dem Buch sprachlich hin und wieder deutlich anzumerken, ein Freund experimenteller Schreibformen war er ebenfalls nicht. Gleichwohl unterscheidet sich der Roman in manchem von anderen Vertretern des schwierigen Genres, das sich stets auf dem schwierigen Grat zwischen Abscheu und Faszination befindet. Auch Richter verfällt einigen Problemen des Anti-Kriegsromanes, u.a. wird die Judenvernichtung nur sehr kurz in wenigen Zeilen thematisiert, Kampfschilderungen geraten in die Nähe des Splatters. Aber gerade in der ersten Hälfte ist der Text, der die Erlebnisse aus der Sicht der jüngeren Generation einer Familie an der Ostsee schildert, doch außergewöhnlich, zeigt er doch die verheerende Wirkung, die der Krieg auf alle Beteiligten hat, obwohl er noch gar nicht in seiner äußersten Form spürbar ist, ob Fanatiker, Gleichgültige oder Gegner, ob Frauen oder Männer, Lebemänner und Sensible, die Menschen werden längst deformiert, bevor sie in der zweiten Hälfte dann auch körperlich verstümmelt werden. Das Soldatenleben ist längst unmenschlich, bevor es überhaupt zu Kampfhandlungen kommt, aber auch die Zivilisten geraten früh in Verwirrung und verlieren den Halt. Hier ist Richters Roman stark und spricht Dinge an, die in ähnlichen Texten oft fehlen. Das ist mutig und war es umso mehr 1955, als kaum jemand hiervon hören und lesen wollte. 

Rainer Erler: Reise in eine strahlende Zukunft.

Fassbinder, Herzog, Schlöndorff, Wenders, Kluge sind die großen Namen der Hochzeit des Neuen Deutschen Films der 1960er und 1970er Jahre. Doch in jenen Tagen entstanden auch Experimente der Filmkunst, die andere, eigene Wege beschritten - einer dieser innovativen Regisseure war Rainer Erler (geboren 1933), der quasi im Alleingang ein neues Genre kreierte, das noch dazu wenig deutsche Vorbilder hatte: Erler schuf politische Science-Fiction, auch Science-Thriller genannt, da ihnen stets eine auf Wissenschaft basierende spannende Handlung zugrunde lag, die eher in der Gegenwart als der Zukunft lag, womit sie an die britische New Wave anknüpfte. Erler war jedoch aktueller, er griff, seiner Zeit weit voraus, damalige Nischenthemen wie Umwelt-, Organspende- und Lebensmittelskandale auf, so auch in NEWS-Reise in eine strahlende Zukunft, 1986 als Film, dann (ohne den Zusatz NEWS) als Roman herausgebracht. Es ist die Geschichte der Journalistin Susan, deren Mann inkognito als Decksmann auf einem Schiff recherchiert, das eine unbekannte gefährliche Fracht transportiert. Nach einem Telefongespräch, das mit einem Schusswechsel endet, verliert sich seine Spur – Susan reist auf der Suche nach ihm mit der gemeinsamen Tochter um die halbe Welt. Je größer die Ausmaße des Industrieverbrechens werden, die sich im Laufe der Nachforschungen auftun, desto gefährlicher wird die Suche – bis auch die Tochter verschwunden ist…   

Rider Haggard: König Salomons Schatzkammer.

Der klassische Abenteuerroman des Fin de Siècle, 1885 erschienen, war der Auftakt zum Ruhm von dessen Helden Allan Quatermain und seinem Autor Rider Haggard (1957-1925), der auf die Erfahrungen seiner Zeit in Afrika zurückgriff, wo er lange gelebt und im Gegensatz zu manch anderem Kolonialbeamten ein großes Interesse an der örtlichen Geschichte und Kultur entwickelt hatte. Dies lieferte ihm den Kolorit aber auch das Fachwissen zu seinen erfolgreichen Romanen, die nicht frei sind von den Ansichten der Zeit, aber durch Humor, Spannung und literarisches Geschick alles andere sind als ein angestaubtes Lesevergnügen. Quatermain kommt eher zufällig zu dem Vergnügen, zwei Landsleute auf der Suche nach einem Verwandten zu begleiten, wofür eine Wüste, ein Gebirge und das Land eines unbekannten Volkes durchquert, Schlachten geschlagen, eine Hexe und ein blutrünstiger Herrscher besiegt, eine Diamantenhöhle gefunden und nach deren Verschluss wieder verlassen werden müssen, was man halt so macht im Alltagsgeschäft des Abenteurers…     

Nikos Kazantzakis: Griechische Passion.

Ein griechisches Dorf in der Türkei Anfang des 20. Jhs.: Unter Vorsitz des Pfarrers versammeln sich die Gemeindeältesten, um die Darsteller für das im nächsten Jahr in der Osterwoche stattfindende religiöse Schauspiel zu bestimmen, die der Priester nach der Wahl noch einmal darauf hinweist, sich ihrer Rolle gemäß in der Vorbereitung würdig zu verhalten – eine Ermahnung, die die vorgesehenen Dorfbewohner wesentlich ernster nehmen als der Pfarrer. Als auch noch eine Gruppe aus ihrem zerstörten Dorf vertriebener griechischer Flüchtlinge auftaucht, kommt es zu Konflikten und letztlich zur Katastrophe. Meisterwerk des neugriechischen Nationalschriftstellers Nikos Kazantzakis (1883-1957), das zwischen Hoffnung und Verzweiflung über das menschliche Handeln zu schwanken scheint. 

    


 

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