Freitag, 8. Januar 2021

Lektüremonat Dezember 2020.

 

Carlos Fuentes: Landschaft im klaren Licht.

Ein Frühwerk aus dem Jahre 1960 des mexikanischen Großmeisters, dass ein Gesellschaftspanorama entfaltet, das sich über mehrere Jahrzehnte hinzieht. Im Mittelpunkt stehen zahlreiche Personen, deren Verhalten unter den rasch wechselnden äußeren Umständen – Revolution, Bürgerkrieg, rechter Diktatur, linker Diktatur – beleuchtet wird. Ausgehend von einer Feierlichkeit der Oberschicht von Mexiko City, präsentiert Carlos Fuentes (1928-2012) die Anpassungsfähigkeit der Opportunisten, die in jedem Regime gut zurechtkommen, beziehungsweise bereit sind, ihre vermeintlichen Ideale nur allzu leicht über Bord zu werfen. Biographien werden uminterpretiert, kaschiert, wer zu Einfluss und Geld gekommen ist, hat damit in jeglicher Hinsicht wenig Probleme. Glück bringt dies gleichwohl nicht jedem, auch das opportunistische Lavieren kann mit Verzögerung noch in die Katastrophe führen. Fuentes‘ komplexes Sittengemälde, das sowohl literarisch, aber vor allem auch durch die Vielzahl der Personen einige Anforderungen an die Leser*innen stellt, insbesondere diejenigen, die nicht tiefer in die mexikanische Historie eingeweiht wurden, hat heute schon etwas Staub angesetzt. Zwar ist die grundlegende These von der allgemeinen Korrumpierbarkeit sicher nicht obsolet, aber inzwischen zu oft beschrieben worden – was man Fuentes natürlich nicht vorwerfen kann. Für enthusiastische Liebhaber*innen mexikanischer Geschichte und Literatur.   

 

Oskar Maria Graf: Die gezählten Jahre.

Noch aus der direkten Anschauung, im Exil in Österreich sitzend, schrieb Oskar Maria Graf (1894 bis 1967) seinen Roman über den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und dann auch in der Nachbarrepublik. Sein Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Sicht der Sozialdemokratie, deren Dilemmata er in eine Familiengeschichte einwebt. Der alte Hochegger ist ein Sozialdemokrat der Bebel-und-Liebknecht-Zeit, der die Verfolgungen unter dem Wilhelminismus noch mitgemacht und schließlich die Revolution erlebt hat, die die Partei an die Macht bringt. Von jeher an der konkreten Fürsorge interessiert, ist ihm jeglicher Radikalismus fern, dem jeweiligen Kurs der Führung passt er sich stets zustimmend an, so wird er Stadtrat für Wohnungsbau und richtet sich in der Republik ein. Als diese zunehmend in Bedrängnis gerät, wirkt er wie die Gesamtpartei hilflos. Während die abgespaltenen Kommunisten die SPD aufgrund der Stalinschen Sozialfaschismusthese zusätzlich bekriegen und jegliches Bündnis verweigern, kennen die Methoden der Nazis ohnehin keine Grenze, Gewalt und Niedertracht beherrschen bald das politische Geschehen. Hochegger kommt hiermit nicht zurecht, er ist ängstlich und ohne eigenes Zutrauen, die Partei beharrt auf ihrem explizit demokratischen und legalistischen Kurs, so dass ihr die Jüngeren, die auf aktive Gegenwehr setzen, entweder immer mehr abhandenkommen, wie Hocheggers Sohn Joseph, oder zu den Nazis überlaufen, wie sein anderer Sohn und seine Tochter. Letztlich reagieren die Partei und die Gewerkschaften wie gelähmt, die Skrupellosigkeit ihres Gegners völlig unterschätzend. Erst die alten Hocheggers, schließlich auch Joseph und seine Frau Klara müssen das Land nach der Machtübernahme verlassen. Sie engagieren sich nun in Österreich, um dort den gleichen Ablauf, der sich bereits abzeichnet, zu verhindern – wozu sie immer mehr das Bündnis mit den Kommunisten suchen. Doch auch in der Alpenrepublik scheinen sie auf verlorenem Posten zu stehen. Grafs Analyse des Versagens der Linksparteien in der Weimarer und der österreichischen ersten Republik ist zwar nicht frei von der – noch so frischen – Enttäuschung, die zu mancher Vereinfachung führt, ist aber trotzdem differenziert und aktuell wie eh und je. Ist der streng sich auf das Beharren am Rechtsstaat berufende Kurs der träge gewordenen Funktionärspartei SPD, der den Bürgerkrieg nicht riskieren möchte, zu verurteilen, weil er sich nicht auf das Niveau seiner Gegner – von links und rechts – herablässt? Was wäre die Alternative? Hier ängstliche und bequeme Parteiobere, dort gewaltbereite Kommunisten, die aber nicht bereit sind, ihren alleinigen Führungsanspruch aufzugeben. Die Uneinigkeit spielt den Nazis in die Hände, aber sie ist bestenfalls ein Teilaspekt des Ganzen, nicht das Versagen der Linken, das Hofieren durch die Konservativen und ihr Irrglaube, ihn beherrschen zu können bringt die Hitler an die Macht. Wie umgehen als Demokrat mit jemandem, der die demokratischen Regeln nicht nur nicht achtet, sondern sie nutzt, um sie zu zerstören? Darauf hat auch Graf keine Antwort, aber er versetzt uns als Leser*innen mit hinein in diese Zwickmühle – und zeigt uns deren Folgen, wenn wir aus ihr nicht herauskommen.       

 

Wiglaf Droste: Sprichst Du noch oder kommunizierst Du schon?


Es gibt zwei Arten von Sprachkritik, genaugenommen drei, und jene dritte, die philosophische, ist zwar die interessanteste, aber wir lassen sie aus Platzgründen mal beiseite, außerdem ist sie keineswegs so populär wie die beiden anderen, die eine Art Freizeitbeschäftigung von Feuilletonleser*innen zu sein scheinen. Hier könnte man wohl sogar das böse, böse Gendern weglassen, denn seltsamerweise – oder auch nicht – ist dieses Hobby eindeutig ein überwiegend männliches. Allerdings nur in der ersten Form, die sehr oft von oben herab über die richtige Verwendung von Sprache doziert, immer mit reichlich Dünkel implizierend, dass der vermeintlich falsche Gebrauch von auch nur winzigsten Sprachnuancen auf extreme charakterliche Mängel hindeutet, die eigene Überzeugtheit von der Richtigkeit der eigenen Grammatik aber den höheren Menschen erkennen lässt. Zu finden in den großen Tages- und Wochenzeitungen und in Bestsellerlisten. Der zweiten Form widmet sich Wiglaf Droste (1961-2019), der Entlarvung von Manipulation durch und mit Sprache. Hier geht es nicht um angeblich schlechtes Deutsch, sondern um Worthülsen, inhaltsleere Wendungen oder verschleiernde Sprache. Zu finden in der Werbung, Politik, aber auch, meist durch Gedankenlosigkeit, in der täglichen ‚Kommunikation‘. Der Titel des Buches ist schließlich doppeldeutig: Einerseits bezieht er sich auf das überhaupt nicht mehr miteinander Sprechen – in der gleichnamigen Glosse geht es um einen Smartphoneabhängigen, der mit allen, nur nicht mit seinem Gegenüber ‚kommuniziert' –, aber er spricht natürlich auch an, dass nicht mehr an Inhalt interessierte Sprache gesprochen, sondern substanzlose Phrasen aneinandergereiht werden. Und damit – und nicht mit der Oberlehrervariante – wäre man dann doch wieder der philosophischen Sprachkritik nahegekommen, nur eben à la Droste, sprich auf sehr lustige Art und Weise. 

 

Michael Nagula (Hg.): Fenster ins Licht.

Science-Fiction-Erzählungen aus der DDR. Schon dieser Untertitel weist auf gewisse Dilemmata hin, denn genaugenommen hat sich der Begriff Science-Fiction in der DDR, man kann sich denken, warum, erst sehr spät durchgesetzt, vorher war von Zukunfts- oder utopischer Literatur die Rede. Auch dass nicht sonderlich glücklich, hatte doch Marx höchstpersönlich den utopischen Sozialismus seiner Vorgänger durch den aus seiner Sicht streng wissenschaftlichen ersetzt. Welcher Themen nimmt sich die DDR-SciFi an, so einfach ist das, wie man schon bemerkt, nämlich nicht. Naheliegende Sujets wie eine gelungene sozialistische Gesellschaft der Zukunft oder auf einem fremden Planeten könnten zu sehr mit den momentanen Zuständen kontrastieren und deren Mängel herausstellen – was ja der ursprüngliche Zweck der ersten Utopien war. Die Verwerfungen und Absurditäten der kapitalistischen Gesellschaft, ihren Irrweg darzustellen – das machten die Sci-Fi-Schriftsteller*innen im Westen längst selbst, man vergleiche den vor kurzem besprochenen Band mit satirischen Sci-Fi-Geschichten. In unserem speziellen Fall kommt noch dazu, dass ein westdeutscher Herausgeber die Geschichten für einen in der Bundesrepublik erscheinen Band ausgewählt hat; es könnte also der Verdacht entstehen, dass er mehr sein eigenes Publikum und dessen Erwartungen im Blick hatte – etwa nach verschlüsselter Systemkritik – als wirklich repräsentativ zu sein. Dies zu überprüfen fiele schwer, zu konstatieren ist, dass die Auswahl gelungen ist und keineswegs irgendwelche einseitigen Kriterien bevorzugt. Das Buch überrascht durch die gute Qualität der Geschichten und die Themen sind nicht sonderlich andere als die im Westen. Bestenfalls fällt auf, dass (auch) hier oft von misslungenen Eingriffen in fremde Gesellschaften und gescheiterten wissenschaftlichen Experimenten berichtet wird – also ein negativer, eher anti-utopischer Tenor vorherrscht. Der Weltraum schuf auch hier offensichtlich Freiräume. Wie immer bei Anthologien ist nicht alles von gleicher Überzeugungskraft, aber insgesamt ein gut ausgesuchter Überblick.

 

Vladimir Nabokov: Lushins Verteidigung.


Lushin ist ein sehr seltsames Kind. In guten Verhältnissen aufgewachsen, wirkt vieles auf ihn von Beginn an verstörend. Mit seiner Umgebung kommt er nicht zurecht, mit seinen Eltern weiß er wenig anzufangen, vor der Schule und seinen Mitschülern graut es ihn. Durch banalen Zufall lernt er, sehr schlecht beigebracht von seiner Tante, das Schachspiel kennen, das er sich fortan nicht nur einfach selbst lehrt, sondern zur Meisterschaft weiterentwickelt. Endlich scheint er seine Bestimmung gefunden zu haben: als Schachwunderkind steigt er zu Ehren auf. Er lebt nur in dieser winzigen Welt, außerhalb der Schachturniere existiert für ihn nichts, die Eltern sterben, sein zwielichtiger ‚Impresario‘ wendet sich irgendwann von ihm ab, Lushin reist von Wettkampf zu Wettkampf, bis sich in einem Kurort eine Frau, eine Exilrussin wie er nun, für ihn zu interessieren beginnt. Die seltsame Beziehung, die beide eingehen und bis zur Heirat – gegen den eher nicht verwunderlichen Widerstand der Eltern der Frau – vorantreiben, ist schwer zu erklären, auch für die beiden selbst. Lushins ihn nicht gerade schätzende Schwiegermutter mag durchaus recht haben, dass ihre Tochter diesen nicht liebt, sondern sich aus Mitleid um ihn kümmert. Dies wird erst recht nötig, als er bei einem Schachturnier mitten in einer entscheidenden Partie zusammenbricht. Der Arzt empfiehlt, fortan die Aufregungen des Spiels zu vermeiden, um einen gefährlichen Rückfall zu verhindern. Dies gelingt nur an der Oberfläche. Lushin beginnt, das Leben selbst als eine vertrackte Schachstellung zu begreifen, innerlich entwickelt er die titelgebende Verteidigung, um aus den Konstellationen des täglichen Schachspiels entkommen zu können. Doch dafür gibt es nur eine Lösung. Nabokovs (1899-1977) Schilderung eines Mannes, den man heute wohl einen Nerd mit autistischen Zügen nennen würde, nutzt wie immer gekonnt die literarischen Mittel der Moderne, vermengt mit satirischen Ansätzen. Darauf muss man sich einlassen, insgesamt eher etwas für Liebhaber*innen dieses Autoren, Schachspielen muss man allerdings nicht unbedingt beherrschen, um das Buch zu verstehen.     

 

Robert Merle: Hinter Glas.


Er war selbst vor Ort, Robert Merle (1908 bis 2004), als in den Jahren 1967 und vor allem 1968 an der neu angelegten und teils noch im Bau befindlichen Universität Nanterre, einem Pariser Arbeitervorort, die studentischen Unruhen ausbrechen, die zur Legende, aber auch zum historischen Ereignis wurden. Merle, in jenen Tagen Professor der Anglistik, hatte sich schon vorher mit den Studierenden seiner Universität beschäftigt, ihn interessierte, wie sie mit den neuen Gegebenheiten hier zurechtkamen, diesem Nebenprojekt zur Sorbonne – von der die meisten, wie auch die Professoren, ursprünglich stammten. Hierher ausgelagert, in eine Bauwüste mitten in einen Ort abseits der Großstadt in einer Umgebung, die nichts Akademisches und noch weniger zu bieten hatte. Dass er damit plötzlich inmitten eines weltweit für Aufregung sorgenden Geschehens stehen würde, konnte er noch nicht ahnen. So hat er die Ereignisse in einen Roman verarbeitet, der durch die Ausleuchtung zahlreicher Perspektiven von Studierenden über Professor*innen bis zu Spitzeln möglichst diverse Standpunkte einnimmt, aber auch das banale Alltagsleben beider Seiten der Hierarchie mitberücksichtigt. So schildert er den Ablauf des 22. März 1968, als die Studierenden am Abend das Verwaltungsgebäude der Universität besetzten. Anfangs etwas holzschnittartig, was auch nie gänzlich verschwindet, doch liest man sich erstaunlich schnell in die unterschiedlichen Blickwinkel ein, sicher kein literarisches Meisterwerk, aber das spannende Zeitdokument eines Augenzeugen.    

                                                                         

Martin Walser: Brief an Lord Liszt.

Dieser kurze Roman Walsers (geboren 1927) müsste eigentlich eine Renaissance erleben, statt unter seinen – zugegeben nicht wenigen – Werken in Vergessenheit geraten zu sein. Denn Walser analysiert hier als persönliches Schicksal den Aufstieg der sich globalisierenden Industrie und den inneren und äußeren Verdrängungswettbewerb in seinen Anfängen während der 1980er Jahre. Franz Horn, Abteilungsleiter in der am Bodensee angesiedelten auf Dentaltechnik spezialisierten Firma ‚Chemnitzer Zähne‘, gerät bei einem an und für sich harmlosen Treffen beim Wein in Streit mit seinem jüngeren Kollegen Liszt. Nachdem eine Woche später der direkte und einzig verbliebene Konkurrent des Unternehmens Selbstmord begeht, indem er seine Firma und sich selbst in Brand steckt, beschließt Horn, sich mit einem Brief bei seinem Kollegen zu entschuldigen – er selbst hatte vor Jahren einen  Suizidversuch unternommen. Es wird ein langer Abend und ein sehr langer Brief. Horn enthüllt darin den Ein- und Aufstieg Liszts, der mit seinem gleichzeitigen Abstieg einhergeht. Horn verliert gegen den unverfrorenen, jüngeren Liszt das ständige Buhlen um die Gunst des Chefs. Doch der hat inzwischen wiederum einen jüngeren Abteilungsleiter an Bord geholt, der nun Liszt ins Abseits drängt – und auch Horn hat einst seinen Vorgänger auf üble weise durch ständige Demütigungen aus der Firma eliminiert. In der Hackordnung herrscht keine Solidarität, wie sie sich Horn nun erhofft, sind er und Liszt doch nun beide auf dem Abstellgleis und werden noch dazu aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin bald vor die Tür gesetzt. Denn ihr Chef hat längst die Fusion mit dem Bayerkonzern und eine Verlagerung des Standorts eingeleitet, außerdem gilt sein Interesse inzwischen viel mehr der von seinem hippen Sohn angeregten Produktion von Surfbrettern, er hat diversifiziert und stößt das alte Geschäft ab. Mitsamt Liszt und Horn. Letzterer hat dies bereits verstanden und seinen Ausstieg vorbereitet – Liszt dagegen ist noch in die Schemata des Machtkampfes und der Rückeroberung der Gunst beim Chef gefangen. Dass der nie an Freundschaften interessiert war und Mitarbeiter, die keinen effektiven Nutzen mehr beitragen können, nach und nach zurückstuft, hat Horn schmerzhaft gelernt, Liszt nicht. So muss auch eine Versöhnung ausbleiben. Der Brief wird nicht abgeschickt.                 

 

Jewgenij Samjatin: Attila, die Geißel Gottes.

Vorneweg: Mit den Verfilmungen gleichen Titels hat der Roman Jewgenij Samjatins (1884 bis 1936) nichts zu tun. Nur der Protagonist ist beiden gemein, wobei Attila in Samjatins Text auch nur ein Halbprotagonist ist, da er sich die Hauptrolle mit dem byzantinischen Geschichtsschreiber Priskos teilen muss. Beide sind Gäste im Rom des frühen 5. Jahrhunderts, das schon deutlich vom Verfall gekennzeichnet ist. Attila als Junge, eine von seinem Vater gestellte Geißel der Hunnen zur Erziehung am Kaiserhof, Priskos, schon etwas älter, auf Bildungsreise im Sehnsuchtsort. Für beide ist die Erfahrung enttäuschend. Rom ist für jeden offensichtlich am Ende. Abhängig vom Wohlwollen barbarischer Verbündeter,  regiert von einem unfähigen, verweichlichten Herrscherhaus, bewohnt von einer nach Vergnügen und Exzessen süchtigen Masse, in der sich Ober- und Unterschichten mischen und Angst und Not übertüncht werden mit Spektakel. Während Priskos zeitweise in Versuchung gerät, diesem dekadenten Charme der Endzeit zu verfallen, bewahrt sich Attila seine Unberührtheit und ursprüngliche Art. Er wird als unbelehrbar wieder nach Hause geschickt. Samjatin ist – bewusst – nicht an einem historischen Abbild gelegen, die Verwendung zahlloser moderner Worte unterstreicht die von ihm gewünschte Zeitlosigkeit, mit der er seine Theorie einer Existenz des Gleichzeitigen belegen möchte, einer Dialektik von Verfall und Neuentstehung. In vielem wirkt dies auf heutige Leser*innen äußerst zwiespältig. Nur zu klar wird, dass hier die ‚Erlösung‘ aus dem Osten kommt, der sich dem – mit allen Klischees geschilderten – dekadenten Westen entzieht. Dies gilt schon für Priskos, noch mehr aber für Attila. Dieser urwüchsige Kerl, der sich nicht verführen lässt, der der Natur verbunden bleibt und der Gewalt und Lügen als Durchsetzungsmittel erfolgreich erlernt, sich buchstäblich als Mann erweisen muss, soll das Gegenbild darstellen, die Zukunft, die Samjatin allerdings nur andeutet. Vielleicht sind dies nachvollziehbare Sehnsüchte eines Dissidenten im Exil, 1936 geschrieben, irgendwo zwischen den Welten, keiner Seite mehr zugehörig, aber sympathischer werden sie dadurch nicht.                                

 

 

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