Bernard
Shaw: Candida.
Shaws
(1856 bis 1950) „Mysterium in drei Akten“ ist ein eher klassisches Lesedrama,
wie bereits die sehr ausführlichen - oft seitenlangen – Regieanweisungen und
die für ein Theaterstück sehr exakten Angaben zum Aussehen der Charaktere
nahelegen. Die dagegen geringe Anzahl an Personen und die Beschränkung des
Raumes, ein Zimmer in einem Londoner Pfarrhaus, weisen wiederum
kammerspielartige Züge auf. Vordergründig weist das Stück mit dem sozialistisch
angehauchten progressiven Geistlichen Jakob Morell – nomen est omen – eine
einzige Hauptfigur mit einem jüngeren Antagonisten, dem Adligen Eugen
Marchbanks auf, ein Protegé Morells, übersensibel und sich in Lyrik versuchend.
Scheinbar nur eine Nebenrolle spielt Morells Gattin, Candida, aber der Titel
und die Vertrautheit mit den Dramen Shaws lassen natürlich anderes vermuten.
Tatsächlich nur kontrastierende Rollen spielen Candidas bourgeoiser und
hyperkapitalistischer Vater, Morells handfeste Sekretärin Proserpine Garnett
und der Hilfsgeistliche Lexy Mill, gewissermaßen Morells jüngere Version. Das Original und
Marchbanks geraten zusehends in einer Auseinandersetzung um Candida – ohne deren
Zutun – aneinander, hält Eugen Morell doch für einen salbadernden
Festtagsprediger, der eher rhetorisch gewieft als innerlich überzeugt eine Frau
wie Candida gar nicht verdient habe, da er sie – ganz anders natürlich als er
selbst, der sensitiv vergeistigte und frische Jüngling – überaupt nicht
verstehen und dementsprechend, wie sie es verdient, verehren könnte. Morell ist
erst geneigt, diese Vorwürfe schroff abzutun, doch befallen ihn durchaus
leise Zweifel. Candida selbst, schließlich in den Konflikt hineingezogen, soll
als Schiedsrichterin agieren und sich für einen der beiden entscheiden. Doch
diese – ganz die von Shaw favorisierte Neue Frau – macht sich über den
Streit der Männer lustig, sie ist nicht bereit, bloßes Objekt zu sein, das
irgendwem zugeteilt wird. Es bleibt den Zuschauer:innen – oder Leser:innen –
überlassen, ob sie sich ein Urteil über einen der beiden erlauben möchten.
Ian
McEwan: Zwischen den Laken.
An
sich muss man hier nur die Rezension zu Ian McEwans (geboren 1948) „Erste Liebe, letzte Riten“ herüberkopieren beziehungsweise einfach noch einmal lesen.
Es handelt sich auch in diesem Band mit Erzählungen um Geschichten zu eher
kontroversen, vorwiegend sexuellen Themen, gern mit ein wenig Ekelhaftem
angereichert, auch die Lektüre ist weniger geschmeidig als bei den – späteren –
Romanen des inzwischen zum britischen Klassiker gereiften Autors. Am meisten
Lesefreude bereitet noch die Geschichte eines Superreichen, der an seiner ganz
speziellen Obsession zugrundegeht: Er verliebt sich in eine Schaufensterpuppe,
die er unter Vorwand erwirbt und nun wie eine echte Gespielin behandelt. Doch
bald scheint sie sich ihm zu verweigern, trotz aufwendiger Geschenke und allem
gebotenen Luxus. Zwar eher eine literarische Spielerei mit sehr vielen
wohlfeilen Zweideutigkeiten, die das Verhalten der ‚Frau‘ betreffen – etwa ihr
schwer zu interpretierendes Schweigen –, aber gerade dadurch auch wieder
ziemlich amüsant. Zum Urteil siehe wiederum „Erste Liebe, letzte Riten“.
Patrick
Modiano: Damit du dich im Viertel nicht verirrst.
Der
alternde Schriftsteller Jean Darange lebt seit Jahren aus freiem Entschluss
sehr zurückgezogen, eher noch nimmt seine selbstgewählte Isolation immer mehr
zu. Darum geht er auch nur nach langem Zögern ans Telefon, als dieses
überraschend wieder einmal klingelt. Ein Unbekannter meldet sich, den Darange
als unangenehm empfindet, ihm aber berichtet, er – der Anrufer – habe Daranges
verlorenes Adressbuch gefunden und möchte es ihm gerne zurückgeben, er wohne
gleich um die Ecke, könne es gerne kurzerhand vorbeibringen. Darange ist dies nicht
recht. Soll er überhaupt darauf eingehen, ist ihm das Notizbuch noch wichtig?
Eher unwillig lässt er sich auf ein Treffen zur Übergabe ein, in einem
Restaurant. Der Anrufer taucht in weiblicher Begleitung auf, übergibt das Buch,
doch als speziellen Finderlohn möchte er kein Geld, sondern eine Information:
Er habe in dem Buch geblättert und sei dort auf einen Namen gestoßen, zu dem
er, da er Journalist sei, bereits geforscht habe, nun würde er von Darange
gerne mehr über diesen Mann erfahren. Doch Darange erinnert sich nicht an die
betreffende Person. Der Finder drängt ihn, noch einmal nachzudenken, er könne
ihm auch seine bisherigen Recherchen zur Verfügung stellen. Darange aber wehrt
ab, ihm ist dies alles zu viel, er fühlt sich geradezu verfolgt, ihm ist das
Ganze undurchschaubar. Das wird nicht besser, als am Abend unverhofft die Frau
auftaucht, mit den Akten zu dem Fall, ihr Verhalten ist nicht weniger mysteriös
als ihr Verhältnis zu dem Journalisten, mal scheint sie Darange inständig zu
bitten, diesem zu helfen, mal vor ihm zu warnen. Lustlos und widerwillig
blättert dieser in den ihm überlassenen Aufzeichnungen, er befürchtet, in einen
Wahn des obskuren Journalisten, der, wie Nachforschungen ergeben, nirgends als
solcher ausfindig zu machen ist, hineingezogen zu werden. Doch es sind langsam aufscheinende Episoden seines früheren Lebens, Tage seiner Kindheit, die
heraufziehen, während die beiden, der Finder und die Frau, dagegen völlig
spurlos verschwinden. Darange taucht zwar tiefer in die eigene Vergangenheit
ein, Erkenntnis bringt ihm dies aber nicht. Großartiges Verwirrspiel von
Patrick Modiano (geboren 1945), in ganz ruhiger, eleganter Manier die Logiken
des (Kriminal)Romans durchbrechend. Ein Buch ohne – vordergründige – Antworten.
Nobelpreis 2014. Zurecht.
Sven
Regener: Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt.
Angesichts
dessen, was später folgen wird, hält sich die Begeisterung Karl Schmidts in
erstaunlichen Grenzen, als er durch reinen Zufall einen alten Bekannten in
einem Hamburger Lokal antrifft. Das mag weniger daran liegen, dass dieser ihn
„Charlie“ nennt, was schon seit längerem niemand mehr getan und diesem nie so
richtig gefallen hat, als in der Tatsache, dass Karl Schmidt nach einem
Aufenthalt in der Psychiatrie nun seit längerem in einer Drogen-WG wohnt, einer
Therapieeinrichtung, wo es abstinent, trocken und sehr sozialpädagogisch zugeht
und auch die Tätigkeit als Hilfshausmeister in einem Kinderheim ist nicht
unbedingt vorzeigbar. Dafür interessiert sich allerdings Raimund Schulte nicht,
im Gegenteil, er ist ehrlich erfreut über das Wiedersehen und gut gelaunt, kein
Wunder, mit ihrem gemeinsamen früheren Kumpan Ferdi führt er ein erfolgreiches
Berliner Techno-Label und weitere große Pläne stehen vor der Tür. Der nun wiederentdeckte
Karl Schmidt soll bald an diesen teilhaben, auch wen noch etwas unklar ist wie.
Als sich herausstellt, dass er aufgrund seiner Zwangsnüchternheit als eine Art
perfektes Mädchen für alles – Fahrer, Organisator, Aufsicht – für eine
Event-Tour erfolgreicher DJs des Labels durch die Republik vorgesehen ist – wir
sind in der ersten Hälfte der 90er Jahre, Hochzeit des Technobooms –, befallen
ihn nur kurz Zweifel, ob diese Aussicht, Rückkehr zu drogenverseuchten Stätten
und ins Berlin seiner Vorpsychiatriezeit, die Flucht aus der WG mit ihren
Konsequenzen lohnt. Die anschließende Magical-Mystery-Tour durch die deutschen
Großstädte – und Schrankenhusen-Borstel – wird zwar ein eher zweifelhafter
Erfolg, aber für Karl Schmidt trotzdem ein Befreiungsschlag. Und natürlich für
die Leser:innen ein großes Vergnügen, denn Sven Regener (geboren 1961)
brilliert einmal mehr; und der Roman ist mehr als nur ein Seitenprojekt zu den
„Herr-Lehmann“-Büchern.
Brian
W. Aldiss: Dr. Moreaus neue Insel.
Eine Mondfähre der USA stürzt auf der Rückreise von wichtigen Verhandlungen zur Erde
in den Ozean, und während immerhin drei von vier Insassen sich noch in ein Boot
retten können, überlebt letztlich nur der Staatssekretär Roberts den vermuteten
Anschlag – denn es herrscht Krieg, gerade laufen die Vorbereitungen zu wohl
massiven Vernichtungsschlägen der jeweiligen Bündnisse. Roberts wird kurz vor
dem Erschöpfungstod schon in Sichtweite einer Insel von einem Boot gerettet,
dessen Zwei-Mann-Besatzung wenig glücklich über den menschlichen Beifang ist. Und
sie ist auch reichlich seltsam: Während der offensichtlich Kommandoführende ein
wortkarger Holländer ist, dient ihm ein affenartiges Wesen mit jedoch zugleich
deutlich menschlichen Zügen als Gehilfe. Roberts wird bald bemerken, dass er
nicht nur unwillkommen ist, sondern diverse Tiermenschen die Mehrheit
der Bevölkerung stellen, Kreuzungen aller Art und von insgesamt minderer
Intelligenz und Sprachkraft. Herrscher der Insel ist der „Meister“, Mortimer
Dart, ein durch einen Medikamentenfehler verkrüppelter Wissenschaftler, durch
Prothesen verstärkt, der ein umfassendes Laboratorium führt. Er ist der
Nachfolger der Person, die H.G. Wells einst zu seinem Roman „Die Insel des Dr.
Moreau“ inspirierte, jedoch inzwischen von der bloßen Chirurgie zur Genetik
fortgeschritten. Während die Überlebenden der einstigen Tierexperimente im Dorf
und auf der Insel leben, führt Dart in seinem festungsartigen Komplex die
Weiterentwicklung der Mischwesen dank weniger Gehilfen auf ein neues Niveau.
Roberts ist entsetzt, seine Lage bleibt prekär, mal Gefangener Darts, mal auf
dessen Schutz angewiesen. Auch ist dieser der Einzige, der mit der
amerikanischen Regierung Kontakt aufnehmen könnte – was er sich jedoch weigert
zu tun. Kann sich Roberts mit den Tiermenschen verbünden – oder vielleicht die
anderen menschlichen Bewohner zur Mithilfe bewegen? In jedem Fall bringt seine
Anwesenheit das bisher austarierte Gleichgewicht auf der Insel ins Wanken, mit
fatalen Folgen. Und die erhoffte Hilfe der Regierung könnte sich zudem als
nicht minder illusionär erweisen – denn auch Dart steht in deren Diensten. Aldiss‘
(1925 bis 2017) Fortsetzung des Klassikers krankt ein wenig daran, dass er
seinen beiden Hauptkontrahenten nicht das nötige Charisma verschaffen kann.
Dart ist zwar grausamer Bösewicht genug, aber es fehlt ihm die verführerische
Ambivalenz, Roberts dagegen ist wiederum zu sehr Bürokrat, der einem als
Leser:in auch nicht unbedingt ans Herz wächst. Klüger fädelt Aldiss da schon
dessen zweischneidige Rolle ein, da Roberts durch sein Handeln wie erwähnt ungewollt
den Tod vieler der Inselbewohner herbeiführt. Durchaus spannend, in der
Hintergrunddiskussion, die sich fast mehr um den Krieg als um die Ethik der
Experimente kümmert, der Zeit verhaftet, wobei man froh ist, dass hier mal
wieder allzu voreilig schlimme Dinge vorausgesagt wurden: Der Roman spielt im
Jahr 1996.
David
Foenkinos: Größter anzunehmender Glücksfall.
Es
gibt Bücher, deren Erfolg man sich im positiven Sinne schwer erklären kann, und
das sind oft tatsächlich gute Bücher. Es gibt Bücher, deren Erfolg man sich im
negativen Sinn ziemlich leicht erklären kann, und das sind für gewöhnlich schlechte Bücher. David Foenkinos‘ (geboren 1974) Roman war so ein
Überraschungserfolg ohne Überraschung und gehört damit in letztere Kategorie.
Claire und Jean-Jacques sind nach acht Jahren Ehe in der absoluten Routine
angelangt, er beginnt in einer Mischung aus zufälliger Verwegenheit und Neugier
eine Affäre mit einer Bürokollegin, stellt sich aber so dusselig an, dass seine
Frau dies sofort bemerkt, es an sich nicht schlimm findet, aber in einem
Eifersuchtsanfall dann doch die Trennung ausspricht und selbst eine Affäre beginnt.
Beide beauftragen Detektive, um den jeweils anderen zu überwachen, stiften
allerlei Chaos unter ihren Freunden, Eltern und ihren eigenen Gefühlen, es
folgen Verwechslungen, Irrtümer, arrangiertes Rendez-Vous, Happy End. Das Buch
möchte irgendwie mehr sein als eine Romantische Komödie ist aber in seiner
absoluten Vorhersehbarkeit - im Großen wie im Kleinen -, seinem billigen Humor
und der teils äußerst schiefen Metaphorik genaugenommen dadurch fast noch
schlimmer. Dass in jeder Hinsicht Unüberraschende an dem dadurch auch nicht
sonderlich spannenden Text ist vermutlich die beste Erklärung für seinen
Erfolg.
Mary
Stewart: Wolfswald.
Schon
die ersten Gothic Novels der Literaturgeschichte aus der Feder britischer
Autor:innen siedelten ihre Erzählungen gerne im als offensichtlich besonders
unheimlich betrachteten Deutschland an – und in deren Nachfolge wählt Mary
Stewart (1916 bis 2014) folgerichtig den Schwarzwald als Ort der Handlung, der
ohnehin in dieser Hinsicht eine gewisse Tradition hat. Margaret und ihr Bruder
John sind mit ihren Eltern auf Urlaub, so wirklich prickelnd empfinden sie das
Wandern und Betrachten von Burgruinen nicht, bis plötzlich beim Picknick ein
seltsamer gekleideter und traurig wirkender Mann, ohne von ihnen viel Notiz zu
nehmen, eilig über die Lichtung läuft und wieder im Wald verschwindet. Da ihre
Eltern ohnehin Mittagsschlaf halten und nicht gestört werden möchten,
beschließen die Geschwister, aus Neugier dem Unbekannten zu folgen. Die Suche
fast schon erfolglos aufgebend, finden sie doch noch Spuren des Mannes und ein
wertvolles altertümliches Medaillon, das dieser wohl verloren haben musste.
Aber es tauchen auch Tierspuren auf, große Tierspuren, und beide erinnern sich,
dass sie sich ja im ‚Wolfswald‘ befinden. Im Dilemma, lieber umkehren,
andererseits jedoch die Kette an den Besitzer zurückgeben zu wollen,
entscheiden sie sich, noch bis zur nächsten Kurve zu laufen, wo sie auf eine
verlassene, halb verfallene Hütte treffen, die im Inneren jedoch intakt
scheint. Dort finden sie auch die Kleidung des Mannes, statt ihres Besitzers
taucht jedoch ein riesenhafter Wolf auf, den sie zwar abwehren können, der sie aber zur Flucht nötigt. Doch der Picknickplatz ist seltsam verändert, vor allem
jedoch weit und breit nichts von ihren Eltern zu sehen. Gezwungenermaßen
verharren die beiden über Nacht im Wald, brechen aber am nächsten Tag wieder
zur Hütte auf. Die ist nicht mehr verlassen. Der Besitzer ist zurück, Madrian,
ein Höfling der benachbarten Burg. Er steht unter einem Fluch, wird nachts zum
reißenden Werwolf, an seiner statt – und in seiner Gestalt – hat ein bösartiger
Zauberer in der benachbarten Burg den Posten des besten Freundes und Beraters
des Herzogs übernommen, der seinem Ziel, dessen Macht zu usurpieren, schon
reichlich nahegekommen ist. Margaret und John, in den Zauber bereits mit
hineingezogen, beschließen als Hans und Greta dem Werwolf zu helfen – auch, um
damit in ihre eigene Welt zurückkehren zu können. Aber das ist ein gefährliches
Unterfangen. Sehr kurzweiliger Roman aus der leider nur kurzlebigen
Fischer-Reihe „Bibliothek der phantastischen Abenteuer“, gekonnt und spannend
geschrieben, ohne alberne Mittelalterfolklore, ohne umständliche
Erklärungsversuche, schnörkellos.
Ignazio
Silone: Der Samen unter dem Schnee.
Es
ist die vertraute Szenerie der Romane Ignazio Silones (1900 bis 1978): Ein
italienisches Dörfchen im Nirgendwo, weitab städtischer Zivilisation, geprägt
von Armut und einer sehr dünnen Herrenschicht, die aber nicht weniger
heruntergekommen scheint als der Rest, ebenso wie die Dorfeliten, Pfarrer,
Behördenvertreter, Polizei. Im Land herrscht der, im Text nie explizit
erwähnte, aber das Verhalten der Personen prägende Faschismus, der die meisten
zu Opportunisten macht, tatsächlich fanatische Anhänger sind rar und kommen von
außen. Der Katholizismus hat noch die Oberhand, doch ähnlich wie die Partei
entspricht er in Colle wohl kaum den Vorstellungen Roms, während für estere
die Verinnerlichung der Ideologie fehlt, ist die Religiosität bei den meisten irgendwo
angesiedelt zwischen archaischem Aberglauben und Volksfestvergnügen. Dieser
Oberflächlichkeit entwinden sich nur wenige, die alleinstehenden Frauen der längst
glanzlosen Gutsherrenschichten, untereinander verfeindet, und eine Reihe von
gesellschaftlich Geächteten, die als verrückt gelten und damit eine gewisse
Narrenfreiheit genießen. Die Mittlerfigur ist Pietro Spina, Nachkomme aus der
Herrenschicht, der sich vor politischer Verfolgung verstecken muss – wir
erfahren nie genau, warum – und Hilfe findet bei seiner Tante und den genannten
Außenseitern des Dorfes, zu denen er nun selbst gehört. Er versucht, die Schuld
seines Standes wiedergutzumachen, aber auch, das herrschende System durch einen
Widerstand der kleinen Dinge zu unterhöhlen. „Der Samen unter dem Schnee“
besitzt leider nicht die Kraft von Silones großartigem Meisterwerk „Wein und
Brot“, hierfür ist es in seinen offensichtlich an Dostojewski geschulten
Dialogen zu weitschweifig, auch ist Pietro Spina kein überzeugender Charakter,
er erscheint zu glatt gut, seine Motive zu schwärmerisch. An manchen Stellen
wirkt der Roman zu konstruiert, wenn irgendwelche deus-ex-machina-Ereignisse
herhalten müssen, um versöhnliche Aufklärungen zu ermöglichen; insgesamt gibt
es naturgemäß auch zahlreiche gelungene Episoden, so wenn Pietro in einem
Nachbarort für einen hohen Militär gehalten wird, aber zugleich geht man mit
einem Gefühl der Enttäuschung aus der Lektüre. Und das liegt nicht nur am
fatalistischen Ende des Romans.