Donnerstag, 8. Februar 2024

Lektüremonat Januar 2024.



Ingeborg Bachmann: Ich weiß keine bessere Welt.

Jeden Jahresbeginn steht man wieder vor der Herausforderung, nicht mit einem enttäuschenden Buch starten zu wollen. Natürlich gibt es einfache Wege, dies zu umgehen, etwa den Griff zu einer längst bekannten geliebten Lektüre, was auf – eine leicht selbstbetrügerische Art – vor bösen Überraschungen bewahrt. Eine Variante ist ein bewährter Autor oder eine bewährte Autorin, aber ein bislang ungelesenes Werk, was naturgemäß aber bereits Risiken mit sich bringen kann, wobei sich dieses minimieren lässt. Zum Beispiel mit Ingeborg Bachmann (1926 bis 1973). Der 2000 erschienene Band versammelte bisher unbekannte Gedichte aus dem Nachlass, die erst kurz vorher aufgefunden worden waren. Ein Sperrvermerk der Dichterin wie für andere Texte lag laut den Herausgebern, ihren Geschwistern, nicht vor, trotzdem ist es natürlich eine heikle Frage, wie sehr es im Sinne Ingeborg Bachmanns sein kann, teils von ihr offenbar nicht zur Veröffentlichung vorgesehene, nicht korrigierte oder unvollständige Gedichte in Druck zu geben. Das Dilemma wird durch diesen Akt auf die Leser:innen übertragen beziehungsweise an diese weitergereicht, eine Diskussion die kürzlich anhand des Briefwechsels mit Max Frisch neulich intensiv geführt wurde, wobei hier zusätzlich der Aspekt privatester Details eine wichtige zusätzliche Rolle spielt. Dass es in Bezug auf die im Buch nun veröffentlichte Lyrik, größtenteils aus der späten Schaffensphase Bachmanns, sehr schade wäre, bliebe sie für ein breiteres Publikum unzugänglich, ist die eine Seite der Medaille, dass der Wille der Autorin damit – womöglich – ignoriert wurde, die andere.         

 

Swetlana Alexijewitsch: Tschernobyl – Eine Chronik der Zukunft.


Der scheinbar paradoxe Nebentitel von Swetlana Alexijewitschs (geboren 1948), Nobelpreisträgerin des Jahres 2015, Text über Tschernobyl wird verständlich durch das 2011 hinzugefügte Vorwort, kurz nach der Katastrophe von Fukushima geschrieben. Was als teils verharmlosende Erklärungen für den GAU von Tschernobyl angeführt wurde, marode Sowjettechnik, inkompetente Strukturen, korrupte Funktionäre und vertuschende Propaganda leugnet sie zwar keineswegs – ganz im Gegenteil – doch der japanische Unfall zeigte zugleich, dass auch hochtechnisierte westliche Gesellschaften nicht gefeit sind, viel mehr noch aber, wie wenig aus dem Ereignis von 1986 gelernt beziehungsweise an Konsequenzen gezogen worden war. Und viele weiterhin nicht bereit sind zu ziehen. In der ihr eigenen Form des Augenzeugenberichts präsentiert Alexijewitsch ihre Nachforschungen, ihre Befragungen von Überlebenden aus allen Bereichen: Kraftwerksmitarbeiter:innen, Soldat:innen. Feuerwehrleute, Behördenmitarbeiter:innen, Dorfbewohner:innen, Kinder, aber auch durch Kriege Vertriebene, die freiwillig in die verseuchten Zonen gezogen sind, weil sie dort wenigstens Ruhe, eine paradoxe Freiheit genießen können, da der Staat diese Gebiete meidet. Die Vertuschung und Verharmlosung, aber auch das zynische Verschweigen, das tatsächliche Unwissen selbst bei zuständigen Behörden, die erwähnte Korruption und unhinterfragte Hierarchien verstärken die an sich ohnehin gewaltige Katastrophe, bringen gewollt und unbewusst den Tod. Heroismus steht neben Feigheit, und beides wird missbraucht. In den zahlreichen Anekdoten spiegeln sich Furcht und Fatalismus, absurde Sorglosigkeit und fanatischer Glaube, schreckliche Folgen und selbst dann noch hin und wieder sogar ein resignativer Humor. Am häufigsten aber ist der Vergleich mit dem Krieg, nur das viele sich noch wehrloser fühlen. Eine Chronik der Zukunft wird Alexijewitsch Buch bleiben, solange der Glaube an die bannbare Nutzung des Atoms weiterlebt – oder, wie in unseren Tagen, sogar wieder mehr und mehr Befürworter findet. Menschen, die dieses Buch sicher nicht gelesen haben.    

 


Heinz Strunk: In Afrika.

Die Voraussetzungen sind nicht sonderlich gut: Heinz Strunks (geboren 1962) Freund C. – ein österreichischer Kabarettist und Fernsehmoderator – fordert ihn am Telefon auf, mit ihm den Weihnachtsurlaub zu verbringen. In Kenia und in knapp vier Wochen. Strunk findet die Aussicht nicht gerade erbaulich, das Land kennt er nicht, er würde lieber zuhause bleiben, bittet sich darum Bedenkzeit aus. Doch da sich ihm zwischenzeitlich keine Alternativen bieten, sagt er schließlich zu. Allein dass sein Flug in Frankfurt startet, gibt ihm jedoch wieder schwer zu denken. Erwartungsgemäß setzt dort das Chaos auch ein, ein Wintereinbruch verzögert die Abreise, dem in Wien vor ähnlichen Problemen stehenden C. wird gar der Flug gestrichen. Allein in Mombasa angekommen, checkt Strunk im Hotel ein, das wiederum eher nicht den Erwartungen entspricht. Von C. hört er längere Zeit nichts, es besteht Aussicht, den Urlaub nun auch noch ohne den Freund verbringen zu müssen. Dabei ist deren beider Konzept von Urlaub genaugenommen sehr schlicht: Nichtstun und am Spielautomaten zocken. C. trifft schließlich doch ein, leider krank. Und täglich wird er kränker, was seine ohnehin angeschlagene Stimmung nicht hebt. Strunk ist fortan viel damit beschäftigt, den Freund bei Laune zu halten, was angesichts der Zustände in und um das Hotel so leicht nicht ist. Als eine zwischenzeitliche – und wie bald festgestellt wird, nur kurzzeitige – Besserung des Gesundheitszustandes C.s eintritt, wird endlich das vorgesehene Programm angegangen: Besuch in der Stadt, anschließend Casino, anschließend „Girls“. Das klappt so leidlich, wird aber in der Folge zum täglichen Standard, bis es zum Wahltag in Kenia kommt. Der bringt dann eine Katastrophe mit sich, die für so ganz sicher nicht gewollte Abwechslung sorgt. Gewohnt launiger Urlaubsbericht aus der Feder Strunks, natürlich in vielem ins bös Sarkastische übertrieben, darum sehr unterhaltsam. Nicht mehr, sicher nicht weniger.   

 

Klaus Mann: Distinguished Visitors.


Während des Exils in den Vereinigten Staaten verfasste Klaus Mann (1906 bis 1949) eine Essay-Sammlung über „den Amerikanischem Traum“ – so der Untertitel – europäischer Besucher der USA verschiedener Couleur. Überwiegend handelte es sich hierbei um Künstler aller Sparten, von Schriftstellern über Komponisten bis Schauspielerinnen, dazu Politiker und Revolutionäre. Ausnahmen bilden Madame von Riedesel, Gattin eines Offiziers der Unabhängigkeitskriege – als Deutscher auf der englischen Seite kämpfend – und ein schwedischer Großindustrieller und Hochstapler, Ivar Kreuger, zugleich wohl heute die unbekanntesten der aufgeführten USA-Reisenden. Ansonsten kennt man die Genannten, die mal im Triumph wie Sarah Bernhardt oder Antonin Dvorak empfangen werden, sich als Neugierige und Forscher wie Chamisso oder Clemenceau dort aufhalten, ihren Aufenthalt dort lediglich imaginieren wie Karl May oder Kafka oder sogar ungewollt dort weitab der Heimat sterben wie Eleonore Duse. Mann hatte das Buch auf Englisch verfasst, fand aber keinen Verleger, der Großteil der Kapitel blieb unveröffentlicht. Die vorliegende Ausgabe wurde schließlich aus dem Nachlass vom Englischen in Manns Muttersprache rückübersetzt. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum das Buch letztlich nicht so recht zündet. Die Biographien sind durchaus interessant, und dort, wo Mann am wenigsten, wenn man so möchte, als Schriftsteller fungiert, das heißt, er sich einfach auf das Berichten beschränkt, ist er am überzeugendsten. Allzu oft aber stilisiert er die Kapitel ins Literarische, als Gedankenfluss oder wie eine kleine Erzählung, und dies gelingt – trotz seiner unzweifelhaft großen Fähigkeiten, die er in vielen Werken bestätigt hat – hier nicht sonderlich. In jedem Fall alles andere als sein bestes Buch, trotzdem lesenswert aufgrund des Themas.